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Belvedere: Kunst und Kultur der Vergangenheit; Zeitschrift für Sammler und Kunstfreunde — 8.1925

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Berichte aus den Kunstzentren
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https://doi.org/10.11588/diglit.52316#0179

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BERICHTE AUS DEN KUNSTZENTREN

HAMBURG, KUNSTHALLE: MEISTER FRANCKE
Im verflossenen Frühjahr fand eine nicht nur für
Hamburg bedeutsame Ausstellung in der Kunst-
halle statt: Sie umfaßte sämtliche bekannten Ge-
mälde des Meister Francke, also außer den
Bildern des Thomas-Altars und dem Schmerzens-
mann die Flügel des Nykyrko-Altars aus Helsingfors
und das kleinere Bild des Schmerzensmannes aus
Leipzig, das der Magistrat und die Museumsver-
waltung in dankenswertester Weise zur Verfügung
gestellt hatten. Namentlich die Flügel des fin-
nischen Altars waren als Sehenswürdigkeit ersten
Ranges anzusehen, da gewiß die allerwenigsten
deutschen Kunstfreunde Gelegenheit haben, sie
an ihrem dauernden Aufbewahrungsort im
Nationalmuseum zu Helsingfors kennenzulernen.
Es ist unbekannt, wann dieser Altar, ein Haupt-
werk hamburgischer Kunst, nach Finnland ge-
langt ist, wo er in der Kirche des Ortes Nykyrko
aufbewahrt wurde, bis er nach Begründung des
finnischen Nationalmuseums diesem einverleibt
wurde. Als der Altar durch einen der Direktoren
des finnischen Nationalmuseums, Dr. Meinander,
zuerst veröffentlicht und dann durch Adolf Gold-
schmidt auch in die deutsche Kunstliteratur ein-
geführt wurde, war er durch eine barbarische Über-
malung, die nur die Köpfe verschont hatte, bis zur
Unkenntlichkeit entstellt. Schlimmer noch war der
Schaden, der durch Abbröckeln der Bildschicht an
den unteren Teilen der' äußeren Flügel entstanden
war. Hier sind nicht unbeträchtliche Stücke der
alten Malerei für immer verlorengegangen.
Durch das Entgegenkommen der Helsingforser
Museumsdirektion wurde es möglich, den Altar,
der zu Restaurationszwecken nach Hamburg ge-
schickt worden war, dort noch einige Wochen aus-
zustellen, ehe er in seine Adoptivheimat zurück-
kehrte. Der äußerst mühevollen Arbeit der
Reinigung und Wiederherstellung hat sich der
Restaurator der Kunsthalle, Herr Viktor Bauer, mit
dembesten Erfolge unterzogen. Es ist ihm gelungen,
die nicht geringen Schwierigkeiten zu über-
Forum

winden, die sich der Entfernung der Übermalung
und der schmutzig und trüb gewordenen dicken
alten Firnisschicht, die darunter lag, entgegen-
stellten. Nun ist die ursprüngliche Malerei, soweit
sie überhaupt noch vorhanden war, freigelegt, und
unter der brutal übergepinselten Bronzierung des
Himmels sind die Reste einer schön gemusterten
alten Goldgrundierung zutage getreten.
Was sich jetzt den Augen darstellt, ist also das
Werk Francke s, ohne die geringste Retusche
oder moderne Ergänzung, wie sie an einigen anderen
Museen (z. B. in Berlin) immer noch beliebt wird.
Die Fehlstellen der ursprünglichen Malerei sind
durch eine neutral bräunlich getönte Masse aus-
gefüllt worden, was schon für die Erhaltung der
originalen Reste notwendig war. Die Rückseite
der Tafeln wurde parkettiert, die Vorderseite unter
Verwendung der alten, neu vergoldeten Rahmen
verglast. — Das Werk der hingebungsvollen Arbeit,
der sich Herr B auer unterzog, dauerte fast zwei Jahre.
So sehr die Eigenhändigkeit der gleichen künst-
lerischen Individualität sich in allen vier Werken
Franckes ausspricht, so ist doch ein formaler und
zeitlicher Abstand zwischen ihnen deutlich spürbar.
Die Flügel des Nykyrko-Altars sind naturalistischer
gehalten als die des Thomas-Altars. Zwischenbeiden
steht der Hamburger große Schmerzensmann. Der
Thomas-Altar weist eine strengere Gebundenheit
auf. Die Räumlichkeit kommt weniger zum Aus-
druck. Die Darstellungen wirken flächenhafter.
Auch ist dieFarbenzusammenstellung beschränkter.
Dadurch erhält der Thomas-Altar in höherem Maße
als der Nykyrko-Altar den Charakter dekorativer
Gebundenheit. Am stärksten spricht sich dieser
Charakter in dem Leipziger Schmerzensmann aus.
Die Frage ist nur, in welcher chronologischen
Abfolge die Entwicklung sich vollzieht, ob der
Leipziger Schmerzensmann an das Ende der Ent-
wicklung oder viel mehr an deren Anfang gehört.
Bella Martens, Assistentin der Kunsthalle, be-
reitet eine kritische Studie über Francke vor.
Gustav Pauli
US
 
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