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Belvedere: Kunst und Kultur der Vergangenheit; Zeitschrift für Sammler und Kunstfreunde — 8.1925

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Popp, Anny E.: [Rezension von: A. E. Brinckmann, Michelangelo Zeichnungen]
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https://doi.org/10.11588/diglit.52316#0102

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BÜCHERSCHAU

A. E. BRINCKMANN, MICHELANGELO ZEICH-
NUNGEN.
R. Piper & Co., München 1925. Mit 106 Tafeln.
So sehr auch die Publikation der Handzeichnun-
gen Michelangelos von Karl Frey der Michelangelo-
Forschung auf dem Gebiete der Handzeichnung
vorgebaut hat, hat sie besonders in einem Punkt
eine empfindliche Lücke zurückgelassen: in der
Sichtung des Echten und Unechten, das in buntem
Wechsel einander folgt, und auch darin, daß keine
chronologische oder sonst irgendwie systematische
Anordnung versucht wurde. Es muß der Wunsch
nach einer Publikation entstehen, die diese Lücke
ausfüllt und einen klaren Überblick wenigstens
über die Hauptblätter aus jeder Schaffensperiode
Michelangelos ohne jedes fremde Einschiebsel bie-
tet. Der im Piper-Verlag erschienene Band wäre
dazu sehr geeignet gewesen. Auf 106 Tafeln hätte
man alles Wesentliche zusammenfassen können.
Ob aber die von Brinckmann getroffene Auswahl
das wirklich getan hat ■— — —•?
Von den für die erste Schaffensperiode abgebilde-
ten vier Blättern sind die beiden ersten viel spätere
Garzoniarbeiten (das erste wahrscheinlich von Silvio
Falconi, um 1515; das zweite von Antonio Mini,
um 1525 und 1530. Vgl. Belvedere, Heft 37,
pag.ssf. 14),das dritte ist nur sehr bedingterweise als
Jugendzeichnung anzusprechen, da es in den Zwan-
zigerjahren von Michelangelo selbst überzeichnet
wurde (Zeitschr. f. bild. Kunst 1925/26, p. I34ff.).
Es bleibt also nur das vierte, mit dem für den
Bronze-David identifizierten Entwurf, das sicher
ein sehr charakteristisches Blatt ist, das man in
einer Auswahl der Zeichnungen nicht missen
möchte; aber allein ist es zu wenig, um wirklich
das Jugendschaffen Michelangelos zu charakteri-
sieren. Denn für den ganz jungen Michelangelo
ist es nicht nur wichtig, daß er gezeichnet hat,
sondern daß er nach Giotto und Masaccio, das
heißt nach anderen Meistern mit monumentalem
Stil gezeichnet hat. Es ist sehr bezeichnend, daß
die früheste erhaltene Zeichnung eine Kopie nach

Giotto ist (Paris, Louvre. Frey 1), der sich andere
Blätter nach Masaccio und anderen anreihen (Über
die Datierung vgl. die Zeitschrift für bildende
Kunst 1. c.). Diese Seite, die gerade nur für den
jungen Michelangelo charakteristisch ist, für den
späteren so gut wie garnicht in Betracht kommt,
hätte doch irgendwie zu Worte kommen müssen,
ebenso wäre ein Beispiel seiner frühen Natur-
studien (um 1500) erwünscht gewesen, wie sie
zum Beispiel (auf zwei Blättern) in Oxford, die
einem Skizzenbuch zu entstammen scheinen, er-
halten sind (Sidney Colvin, Selected drawings,
II, 28, 27).
Wie bei der Jugendperiode ist es auch bei der Aus-
wahl der Blätter für die späteren Schaffensperioden:
Es ist sehr viel Spreu unter den Weizen geraten,
sehr viel Problematisches da, sehr viel, das
die Forschung der letzten Jahrzehnte schon
abgelehnt und ausgeschieden hat, ja, es scheint,
daß gerade auf das Wiedereinführen solcher
Blätter besonderer Nachdruck gelegt wurde, wäh-
rend charakteristische Hauptblätter fehlen, so
daß man zu dem Wunsch gedrängt wird, eine
zweite Auflage möge nur vom Wesentlichen und
absolut Sicheren ausgehen. Die Einführung zum
Beispiel eines Blattes, wie der schon von Berensen
und Thode abgelehnten Zeichnung der Uffizien
(Brinckmann Nr. 8) mit Kopien und Nachahmun-
gen von Entwürfen Michelangelos aus verschie-
denen Zeiten (darunter auch eine Kopie nach
dem Apostelentw-urf: Brinckmann Nr. 5) mit dem
Urteil: „Ich sehe in dieser Zeichnung, die ich
hier erstmalig veröffentliche, eines der schönsten
Blätter Michelangelos, eigenhändig und ungemein
wichtig“ (pag. 20) läßt fast verwunderlich er-
scheinen, daß der Autor für den Qualitätsunter-
schied des Apostels auf 5 und der Kopie auf 8
kein Auge hat. Ich weise nur auf den in vollem
Schwung der Feder gezeichneten, ausgefahrenen
Kontur der Wade des stehenden Beines bei 5 und
den mühsamen Versuch des Kopisten auf 8 hin,
dieses Ausfahren der Feder nachzuahmen. Er muß

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