BERICHTE AUS DEN KUNSTZENTREN
FRANKFURT A. M. STÄDELSCHES INSTITUT:
AUSSTELLUNG VON MEISTERWERKEN ALTER
MEISTER AUS PRIVATBESITZ
In den letzten Jahren wurde so gründlich mit
altem Besitz aufgeräumt, daß die meisten der noch
vorhandenen großen Privatsammlungen jungen
Datums sind. Wir haben Neuland wie Amerika.
Während öffentliche Galerien, traditionsgebunden,
nur bedingt im Sinne des Zeitgemäßen ihre Be-
stände umbilden, vermag der Liebhaber gleichsam
im kleinen, das Museum, wie wir es erstreben,
für sich zu gestalten. Der moderne Sammler ver-
zichtet allgemein auf das Zusammenraffen einer
bestimmten, abgegrenzten Materie, die er bis zur
Vollständigkeit zu beherrschen sucht. Er begehrt
nach Kunstwerken besonderen Gepräges, gleichviel
aus welcher Zeit und Kategorie, um sich mit ihnen
eine vollkommene Umgebung zu schaffen. So ist
es notwendige Folge, daß er, mehr von seinem
Geschmack als vom Wissen geleitet, den Fachmann
stärker mit heranzieht. Dieser wieder sucht aus-
zuwirken und zu ergänzen, was aus mannig-
fachen Gründen ihm sonst nicht immer unum-
schränkt möglich ist.
Die Frankfurter Ausstellung gibt ein Bild von der
Spannkraft und eigenartigen Zielfähigkeit mo-
derner Sammeltätigkeit. Zu nennen sind an erster
Stelle die Sammlungen Fuld, Goldammer, Hart-
mann, Henkell-Wiesbaden und v. Hirsch. Neben
ihnen alter Rothschildscher Besitz von so ausge-
suchter Qualität, daß er jeder parteilichen Aus-
wahl spottet. Die reichen Frankfurter Patrizier
und Emigranten von Anfang des ig. Jahrhunderts,
zu deren Kreis auch Städel, der Stifter der Galerie,
zählte, bevorzugten die Kunst des 17. Jahrhunderts,
Niederländer und Italiener. Die Ausstellung zeigt
im Gegensatz zu der gleichzeitigen Schau in Berlin,
ein Überwiegen der Primitiven. Während man in
der Plastik sich entschieden auf deutsche Kunst
konzentriert, ist in der Malerei ein stärkeres
Interesse für die Italiener zu bemerken. Die
Trecentisten sind vielartiger als im Museum ver-
treten. Ein großer Teil entstammt der früheren
Sammlung von Kauffmann und mag als ein
Symptom gelten, wie Berliner Besitz nach dem
Südwesten Deutschlands abgewandert ist.
Drei große Räume der modernen Galerie wurden
freigemacht. Für den Empfang sind die weit
wirkenden Bilder der Spätrenaissance und des nor-
dischen Barocks gewählt; es folgen zwei Säle mit
italienischen und nordischen Malereien des 15. und
16. Jahrhunderts. Die kleineren Primitiven, die
bürgerlichen Bilder des 17. Jahrhunderts, die
Gemälde der Rokokozeit fanden Aufnahme in den
Kabinetten, die sonst den Romantikern gehören.
Als eigenartigstes Werk des 14. Jahrhunderts sind
die beiden Truhentafeln mit Darstellungen der
Apokalypse (Graf Erbach Fürstenau, Kat. 155) zu
nennen. Ihre künstlerische Provenienz ist Neapel.
Eine Folge von Szenen, mit goldenen Lettern auf
blauen Grund geschrieben. Mystisch erscheint die
Farbe, mystisch die Fülle des Erschauten, un-
monumental, von einer anNordisches gemahnenden
Innigkeit und Sensibilität. Ganz anders wirken die
übrigen, meist kleinen Altartafeln. Eine Familien-
ähnlichkeit ist unter ihnen, den Madonnen, die
man bald dem Daddi, bald dem Allegretto zuweist
oder allgemeiner auf Toskana und Umbrien be-
stimmt— manche mag noch den Namen finden oder
auch ihn wechseln —; ebenso bei den Kreuzigungs-
darstellungen, die dem Barna da Siena nahestehen.
Sie alle sind Abkömmlinge Giottes. In kleinstem
Format lebt noch von der Großzügigkeit italieni-
scher Hochgotik. Eine Geburtszene, Barna da Siena
genannt, in der von Duccio gepflegten byzantini-
schen Fassung (vgl. die verwandte Tafel in Berlin,
K. F. M. 1062A), ein farbig leuchtender Ölberg,
leiten über zu den szenischen Bildern mehr welt-
lichen Charakters, wie sie sich in der Predellentafel
des Lorenzetti (alle drei Bilder O. Henkell-Wies-
baden,Kat. 5,113,127)besonders köstlich darbietet.
Ähnlich Empfundenes kennt noch das 15. Jahr-
hundert. So fügen sich die beiden Legendenszenen
des Giovanni di Paolo (H. Fuld, Kat. 85/86) oder
86
Forum
FRANKFURT A. M. STÄDELSCHES INSTITUT:
AUSSTELLUNG VON MEISTERWERKEN ALTER
MEISTER AUS PRIVATBESITZ
In den letzten Jahren wurde so gründlich mit
altem Besitz aufgeräumt, daß die meisten der noch
vorhandenen großen Privatsammlungen jungen
Datums sind. Wir haben Neuland wie Amerika.
Während öffentliche Galerien, traditionsgebunden,
nur bedingt im Sinne des Zeitgemäßen ihre Be-
stände umbilden, vermag der Liebhaber gleichsam
im kleinen, das Museum, wie wir es erstreben,
für sich zu gestalten. Der moderne Sammler ver-
zichtet allgemein auf das Zusammenraffen einer
bestimmten, abgegrenzten Materie, die er bis zur
Vollständigkeit zu beherrschen sucht. Er begehrt
nach Kunstwerken besonderen Gepräges, gleichviel
aus welcher Zeit und Kategorie, um sich mit ihnen
eine vollkommene Umgebung zu schaffen. So ist
es notwendige Folge, daß er, mehr von seinem
Geschmack als vom Wissen geleitet, den Fachmann
stärker mit heranzieht. Dieser wieder sucht aus-
zuwirken und zu ergänzen, was aus mannig-
fachen Gründen ihm sonst nicht immer unum-
schränkt möglich ist.
Die Frankfurter Ausstellung gibt ein Bild von der
Spannkraft und eigenartigen Zielfähigkeit mo-
derner Sammeltätigkeit. Zu nennen sind an erster
Stelle die Sammlungen Fuld, Goldammer, Hart-
mann, Henkell-Wiesbaden und v. Hirsch. Neben
ihnen alter Rothschildscher Besitz von so ausge-
suchter Qualität, daß er jeder parteilichen Aus-
wahl spottet. Die reichen Frankfurter Patrizier
und Emigranten von Anfang des ig. Jahrhunderts,
zu deren Kreis auch Städel, der Stifter der Galerie,
zählte, bevorzugten die Kunst des 17. Jahrhunderts,
Niederländer und Italiener. Die Ausstellung zeigt
im Gegensatz zu der gleichzeitigen Schau in Berlin,
ein Überwiegen der Primitiven. Während man in
der Plastik sich entschieden auf deutsche Kunst
konzentriert, ist in der Malerei ein stärkeres
Interesse für die Italiener zu bemerken. Die
Trecentisten sind vielartiger als im Museum ver-
treten. Ein großer Teil entstammt der früheren
Sammlung von Kauffmann und mag als ein
Symptom gelten, wie Berliner Besitz nach dem
Südwesten Deutschlands abgewandert ist.
Drei große Räume der modernen Galerie wurden
freigemacht. Für den Empfang sind die weit
wirkenden Bilder der Spätrenaissance und des nor-
dischen Barocks gewählt; es folgen zwei Säle mit
italienischen und nordischen Malereien des 15. und
16. Jahrhunderts. Die kleineren Primitiven, die
bürgerlichen Bilder des 17. Jahrhunderts, die
Gemälde der Rokokozeit fanden Aufnahme in den
Kabinetten, die sonst den Romantikern gehören.
Als eigenartigstes Werk des 14. Jahrhunderts sind
die beiden Truhentafeln mit Darstellungen der
Apokalypse (Graf Erbach Fürstenau, Kat. 155) zu
nennen. Ihre künstlerische Provenienz ist Neapel.
Eine Folge von Szenen, mit goldenen Lettern auf
blauen Grund geschrieben. Mystisch erscheint die
Farbe, mystisch die Fülle des Erschauten, un-
monumental, von einer anNordisches gemahnenden
Innigkeit und Sensibilität. Ganz anders wirken die
übrigen, meist kleinen Altartafeln. Eine Familien-
ähnlichkeit ist unter ihnen, den Madonnen, die
man bald dem Daddi, bald dem Allegretto zuweist
oder allgemeiner auf Toskana und Umbrien be-
stimmt— manche mag noch den Namen finden oder
auch ihn wechseln —; ebenso bei den Kreuzigungs-
darstellungen, die dem Barna da Siena nahestehen.
Sie alle sind Abkömmlinge Giottes. In kleinstem
Format lebt noch von der Großzügigkeit italieni-
scher Hochgotik. Eine Geburtszene, Barna da Siena
genannt, in der von Duccio gepflegten byzantini-
schen Fassung (vgl. die verwandte Tafel in Berlin,
K. F. M. 1062A), ein farbig leuchtender Ölberg,
leiten über zu den szenischen Bildern mehr welt-
lichen Charakters, wie sie sich in der Predellentafel
des Lorenzetti (alle drei Bilder O. Henkell-Wies-
baden,Kat. 5,113,127)besonders köstlich darbietet.
Ähnlich Empfundenes kennt noch das 15. Jahr-
hundert. So fügen sich die beiden Legendenszenen
des Giovanni di Paolo (H. Fuld, Kat. 85/86) oder
86
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