GOTISCHE BILDWERKE IN KÄRNTEN
wird man bis gegen 1200 zurückgehen müssen. Mit diesem Bildwerke haben wir ein
wertvolles Übergangsglied von der reichen romanischen Bauplastik Kärntens (Millstatt,
Gurk) zu den Leistungen des 13. Jahrhunderts (St. Veit, St. Paul) gewonnen. Eine
Schwester der säugenden Madonna von Friesach ist das Holzbildwerk in der Krypta
des Domes zu Gurk1. Es wurde 1784 durch Überschnitzen derart in eine »bessere
Proportion und geschmackhaftere Stellung« gebracht, daß der ursprüngliche Zustand
bisher kaum zu ahnen war.
Gehört die Petersberg-Madonna dem beginnenden 13., die Dominikaner-Madonna dem
beginnenden 14. Jahrhunderte an, so seien nun noch zwei liebenswürdige Vesperbild-
werke des beginnenden 13. Jahrhunderts vorgeführt. Beide unterlebensgroß, aus feinem
weißen Kalkstein, neu gefaßt. Kaum beachtet bisher das ältere der beiden Stücke, 84 cm
hoch (Abb. 16), im Spitale des Deutschen Ritterordens zu Friesach3. Die Fassung geht
auf die ursprüngliche zurück: weißes, goldgerändertes Kopftuch, lichtblauer, goldgeränderter
Mantel, die Fleischteile naturfarben, die Haare des Sohnes bräunlich. Die Stimmung
ist von sanftem, mildem Zauber erfüllt. Weich geschwungene, zügige Falten bestimmen
eine Datierung bald nach 1400. Das zweite Vesperbild, 80 cm hoch, steht, bisher gänz-
lich übersehen, in der Pfarrkirche zu Straßburg im Gurktale. Der seelische Grundzug
ist herber. Die Muttergottes, in Friesach jugendlich und schön, ist hier ältlich, nonnen-
haft vergrämt. In den Faltengehängen offenbart sich die beginnende Neigung zu
wuchernder Fülle, auch fließen die Linien nicht mehr in runden Schwüngen wie in
Friesach, sondern zeigen schon scharfbrüchige Knickungen: man spürt den Beginn des
»Knitterstils«, der mit dem zweiten Drittel des 13. Jahrhunderts einsetzt. Entsprechend
ist das Bildwerk um 1425 zu datieren. Der enge gestaltliche Zusammenhang zwischen
beiden Werken weist auf eine gemeinsame Quelle. Sehr nahe stehen den Kärntner
Vesperbildern — ich nenne noch die von Spittal a. d. Dr. und Ried bei Rennweg —
die Werke in Admont (Steiermark)3 und Seeon4 im Bayrischen Nationalmuseum. Sie
stehen alle zu dem vorläufig ältesten bekannten Vesperbilde dieses Typus in Beziehung,
zur schönen Pieta aus Baden bei Wien5 (jetzt Berlin, Kaiser Friedrich-Museum), noch
vor Ausgang des 14. Jahrhunderts entstanden. So schließt sich auch hier wieder ein
Kreis von Werken aus den österreichischen Alpenländern, der den Leistungen des
übrigen deutschen Sprach- und Stammesgebietes ebenbürtig zur Seite tritt und das rege
Mitverbundensein mit ihm bezeugt.
1 A. Schnerich, Der Dom zu Gurk, 2. Aufl., Wien 1925, Abb. 55. 2 Der Kuriosität halber sei angeführt,
daß die Kunsttopographie von Kärnten, Wien 1889, 53, das Vesperbild, das kurz erwähnt wird, für »früh-
romanisch« hält. 5 F. Kieslinger, a. a. O., Taf. 36. + W. Pinder, a. a. O., Abb. 145. 5 Ebendort, Abb. 146.
Forum
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wird man bis gegen 1200 zurückgehen müssen. Mit diesem Bildwerke haben wir ein
wertvolles Übergangsglied von der reichen romanischen Bauplastik Kärntens (Millstatt,
Gurk) zu den Leistungen des 13. Jahrhunderts (St. Veit, St. Paul) gewonnen. Eine
Schwester der säugenden Madonna von Friesach ist das Holzbildwerk in der Krypta
des Domes zu Gurk1. Es wurde 1784 durch Überschnitzen derart in eine »bessere
Proportion und geschmackhaftere Stellung« gebracht, daß der ursprüngliche Zustand
bisher kaum zu ahnen war.
Gehört die Petersberg-Madonna dem beginnenden 13., die Dominikaner-Madonna dem
beginnenden 14. Jahrhunderte an, so seien nun noch zwei liebenswürdige Vesperbild-
werke des beginnenden 13. Jahrhunderts vorgeführt. Beide unterlebensgroß, aus feinem
weißen Kalkstein, neu gefaßt. Kaum beachtet bisher das ältere der beiden Stücke, 84 cm
hoch (Abb. 16), im Spitale des Deutschen Ritterordens zu Friesach3. Die Fassung geht
auf die ursprüngliche zurück: weißes, goldgerändertes Kopftuch, lichtblauer, goldgeränderter
Mantel, die Fleischteile naturfarben, die Haare des Sohnes bräunlich. Die Stimmung
ist von sanftem, mildem Zauber erfüllt. Weich geschwungene, zügige Falten bestimmen
eine Datierung bald nach 1400. Das zweite Vesperbild, 80 cm hoch, steht, bisher gänz-
lich übersehen, in der Pfarrkirche zu Straßburg im Gurktale. Der seelische Grundzug
ist herber. Die Muttergottes, in Friesach jugendlich und schön, ist hier ältlich, nonnen-
haft vergrämt. In den Faltengehängen offenbart sich die beginnende Neigung zu
wuchernder Fülle, auch fließen die Linien nicht mehr in runden Schwüngen wie in
Friesach, sondern zeigen schon scharfbrüchige Knickungen: man spürt den Beginn des
»Knitterstils«, der mit dem zweiten Drittel des 13. Jahrhunderts einsetzt. Entsprechend
ist das Bildwerk um 1425 zu datieren. Der enge gestaltliche Zusammenhang zwischen
beiden Werken weist auf eine gemeinsame Quelle. Sehr nahe stehen den Kärntner
Vesperbildern — ich nenne noch die von Spittal a. d. Dr. und Ried bei Rennweg —
die Werke in Admont (Steiermark)3 und Seeon4 im Bayrischen Nationalmuseum. Sie
stehen alle zu dem vorläufig ältesten bekannten Vesperbilde dieses Typus in Beziehung,
zur schönen Pieta aus Baden bei Wien5 (jetzt Berlin, Kaiser Friedrich-Museum), noch
vor Ausgang des 14. Jahrhunderts entstanden. So schließt sich auch hier wieder ein
Kreis von Werken aus den österreichischen Alpenländern, der den Leistungen des
übrigen deutschen Sprach- und Stammesgebietes ebenbürtig zur Seite tritt und das rege
Mitverbundensein mit ihm bezeugt.
1 A. Schnerich, Der Dom zu Gurk, 2. Aufl., Wien 1925, Abb. 55. 2 Der Kuriosität halber sei angeführt,
daß die Kunsttopographie von Kärnten, Wien 1889, 53, das Vesperbild, das kurz erwähnt wird, für »früh-
romanisch« hält. 5 F. Kieslinger, a. a. O., Taf. 36. + W. Pinder, a. a. O., Abb. 145. 5 Ebendort, Abb. 146.
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