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Belvedere: Kunst und Kultur der Vergangenheit; Zeitschrift für Sammler und Kunstfreunde — 8.1925

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Ginhart, Karl: Gotische Bildwerke in Kärnten
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https://doi.org/10.11588/diglit.52316#0150

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K A R I. GIN H A R T

ließ kaum spürbare Wirkungen. Was aber übrigens die Zeit betrifft, in der die Friesacher
Madonna entstand, so konnte das benachbarte Oberitalien damals keine Leistung bieten,
die den künstlerischen Rang österreichischer Bildwerke, etwa von St. Florian1, Kloster-
neuburg2 und Friesach erreicht hätte. Die herrliche Grabfigur des B. Simeone profeta
in S. Simeone grande in Venedig (1317)3 hat ein Römer geschaffen. Das Werk stünde
aber auch in Rom vereinzelt und A. Venturi hat es daher seinerzeit an den Ausgang
des Jahrhunderts setzen wollen4. Sonst walten in der oberitalienischen Plastik, zumal
Bauplastik, sehr starke französische Einflüsse oder — was erst heute, da wir die nordischen
Werke besser kennen, eindringlich zu untersuchen möglich wäre —- deutsche. In Deutsch-
land treten die französischen Einwirkungen mindestens seit dem letzten Drittel des
15. Jahrhunderts zurück. Schon für die innere Portalmadonna von Freiburg (Abb. 3)
gibt es kein überzeugendes französisches Vorbild mehr. Nicht mehr wie bei den zahllos
nachgebildeten Madonnen von Reims, Amiens und Paris5 ist der Mantel schräg von
der einen auf die andere Seite herübergenommen, sondern er fällt, vorne offen, auf beiden
Seiten frei herunter. Denselben- symmetrischen Typus, eine, soweit wir heute sehen,
deutsche Variante des französischen, zeigt die zweite Freiburger Madonna (von der
Außenseite des mittleren W’estportalpfostens (Abb. 6), um 1500. Hier nehmen beide
Arme den Mantel gleichmäßig hoch und von beiden Seiten quillt der Faltenfall her-
nieder. So auch bei der Friesacher Madonna, bei den Kölner Statuen (Abb. /)fi, auch
bei der Pariser Madonna in Notre Dame (Abb. 8) (um 1530) und dann häufig bei
französischen7 und deutschen8 Madonnen bis gegen die Mitte des 13. Jahrhunderts.
Wie äußerlich, fehlen auch innerlich an der Friesacher Madonna französische Einschläge.
Um die französische Grundstimmung anklingen zu lassen, führe ich eine reizvolle Elfen-
beinmadonna aus dem Stifte St. Paul i. L. vor (Abb. 14, 13). Das Figürchen kam 180g,
als die Benediktiner von St. Blasien nach St. Paul übersiedelten, nach Kärnten. Dem
zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts angehörig9, steht sie zeitlich der Friesacherin
nicht fern. Sie gehört nicht dem grazilen Pariser Typus an, sondern ist von der voll-
leibigeren Art des Burgundischen oder Südfranzösischenln. Eine nahe, etwas jüngere
Schwester im Historischen Museum zu Amsterdam11; derselbe große rundliche Kopf mit
vollen Wangen und kugelig vorquellenden Augen. Eine fast wörtliche Kopie, schon nach
I F. Kieslinge r, Zur Geschichte der gotischen Plastik in Österreich, Taf. 10. 2 R. Ernst, Die Klosterneu-
burger Madonna, Belvedere 1924, V, 97. 3 A. Venturi, Storia dell’ arte Italiana IV, Mailand 1906, 35.
4 L. Planiscig, Geschichte der venezianischen Skulptur im 14. Jahrhundert, Jahrb. der kunsthistor. Samm-
lungen des ah. Kaiserhauses, XXXIII, 1916, 75, hat die alte (angeschriebene) Datierung wieder zur Geltung gebracht.
5 A. Goldschmidt, Gotische Madonnenstatuen in Deutschland, Augsburg 1923, Abb. 5, 9, 10. 6 B. Hertel,
Die Bildwerke des Kölner Domes, I, Berlin 1923, Taf. 5, 8, 9, 11, 25. 7 W. Vöge, Die Madonna der Samm-
lung Oppenheim, Jahrb. der kgl. preuß. Kunstsammlungen, XXIX, 1908, 217. SA. Goldschmidt, a. a. O„ Abb.
14—28. 9 F. X. Kraus, Die Kunstdenkmäler des Großherzogtums Baden, Bd. III, 98, datiert nur: 14. Jahrhundert.
10 R. Koechlin, Les Ivoires Gothiques Francais, Paris 1924, geht bedauerlicherweise mit Absicht auf die nähere
Lokalisierung der Elfenbeine innerhalb Frankreichs nicht ein. Die St. Panier Madonna erwähnt er nicht.
II R. Koechlin, a. a. O., Nr. 667, PI. CIX.

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