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„Jedenfalls, wenn dies nicht schon geschehen ist."
„Ah! Sie hatten dazu schon Befehl gegeben'?"
„Das Forsthaus ist schon seit ich hier bin scharf
bewacht."
„Ist der Forster schuldig," sagte die Gräfin, welche
eine lebhafte Unruhe nicht verbergen konnte, „so verdient
er die härteste Strafe."
„Ich furchte, er wird, wenn die Sache sich ernst
gestaltet, Sie zu koniproinittiren versuchen," sagte Bran-
dts, die Gräfin fixirend.
„Nein — o, das wäre zu infam," rief sie, sich rasch
verbessernd, als sie sah, daß ihr erstes zuversichtliches
„Nein" den Beamten überraschte, „solcher Gemeinheit
halte ich ihn nicht fähig."
„Um so besser, doch rechnen Sie nicht allzu stark
darauf, bereiten Sie sich lieber auf das Unangenehmste
vor, dann werden Sie leichter mit Verachtung darüber
Hinwegkommen."
Mit diesen Worten empfahl sich der Rath, die
Gräfin einer Stimmung überlassend, welche nicht benei-
denswerth war.
28.
„Die Gräfin hat mich so geschickt von ihrer Unschuld
unterrichtet," sagte Brandts zu Holk, als er diesen in
einem Zimmer des Erdgeschosses traf, „sie hat mit
solcher Gewandtheit erklärt, weshalb sie Ihnen falsche
Angaben gemacht, daß ich gerade deshalb an ihrer Un-
schuld in dieser Sache zweifle, aber es gibt nur einen
Menschen, der sie auf die Anklagebank bringen kann,
das' ist der Förster, und dieser wird nie ein glaub-
würdiger Zeuge sein. Uebrigens sehnt sich die Gräfin
danach, in Herrn Brock einen Stiefsohn erkennen und
umarmen zu können, ihm zu beweisen, daß sie ihren
Kindern kein ungerechtes Erbe gönnt, und sie will ihn
in die Arme ihres Gatten führen, damit derselbe durch
die Freude genese. Ist das nicht Alles sehr hübsch'?"
Holk stand sprachlos vor Erstaunen da. „Das wissen
Sie Alles," rief er, „das hat Ihnen die Gräfin ge-
sagt?"
„Noch weit mehr. An der Gräfin ist ein geschickter
General verdorben, sic versteht es, auf dem Rückzüge
ihre Kräfte znm Angriffe zu formtreu. Brack tiegt
gtücklicher Weise in Bornheim, sonst würde sie es sich
nicht nehmen lassen, ihn zu pflegen, sie ist eine liebe-
volle Frau. Aber hoffentlich hat man den Förster
nicht entwischen lassen. Ich muß znm Forsthause. Sie
sind wohl zu ermüdet, um noch diese Fahrt mit zu
machen?"
„Der Umweg ist nicht groß," versetzte Holk, „ich
wollte für alle Fälle noch in Bornheim vorsprechen,
ehe ich nach Hause fahre, also vorwärts. Damit stieg
er in den Wagen. Brandts erzählte ihm unterwegs
die Details seines Gespräches mit der Gräfin."
„Da das Gehcimniß einmal enthüllt ist," erwiedertc
der Landrath, „so verletze ich die Brock versprochene
Diskretion nicht mehr, wenn ich davon rede. Er ist
unzweifelhaft der todtgeglaubte Sohn des Grafen, aber
es scheint, er will den Edelmüthigen spielen und nicht
als Majoratserbe auftreten, er ahnt nicht, wie schlecht
angebracht bei dieser Stiefmutter jede Schonung ist, sie
hat ja schon angedeutet, wie sie ihn bekämpfen kann;
sic wird die Beweise dafür fordern, daß er kein Be-
trüger ist, der sich fälschlich für- den erstgeborenen Sohn
ihres Gatten ausgibt. Diesen Beweis zu führen wird
Brock vielleicht schwer fallen, denn er hat es sehr ge-
schickt angefangen, für todt zu gelten und zu verschwin-
den, die amtlichen Recherchen, welche seinen Tod kon-
statiren, werden der Gräfin ein sehr nützliches Material
sein. Ter Umstand aber, daß Brock unter angenom-
menem Namen austritt, daß er sein mütterliches Erb-
gut Bornheim, anstatt es einfach zu fordern, angekauft
hat, beweist mir, daß er heute noch fo denkt wie früher,
daß er das Erbe eines Vaters, der seine Mutter ver-
stoßen, verachtet, daß er nur Wisdalleu, das Gut, aus
dem sich das Grab seiner Mutter befindet, an sich
bringen will. Jedenfalls ist er mit versöhnlichen Ab-
sichten heimgekehrt und es war eine unglaubliche Thor-
heit der Gräfin, ihn auf so brutale Weise beseitigen
zu wollen, eine entsetzliche Dummheit, die nur durch
Angst und Unruhe erklärlich ist, denn der Verdacht des
Mordanschlages mußte auf sie fallen und wird auf ihr
ruhen bleiben — ich bin sehr neugierig, wie diese Ge-
schichte auf Brock wirken wird, ob sie ihn nicht dazu
reizt, an der Fran, der seine Blutter und er alles
Elend verdankten, gerechte Rache zu nehmen."
Noch hatte man nicht die Försterei erreicht, als der
in der Nähe derselben Postirte Gendarm sich zeigte und
dem Landrath meldete, seine College» seien auf der
Verfolgung des flüchtigen Försters. „Als wir uns der
Försterei näherten," so lautete sein Bericht, „sahen wir,
daß die Wirthschafterin bei unserem Erscheinen mit
auffälliger Haft am Herde herumwirthschaftete, wir
sahen nach und fanden geschmolzenes Blei unter den
Kohlen, sie gestand, der Förster habe ihr den Auftrag
gegeben, einige Kugeln einznschmelzen. Ihr ganzes
Benehmen, als wir nach dem Förster fragten, verrieth,
daß sie uns etwas verbergen wolle; ernstlich ermahnt,
die Wahrheit zu sagen, gestand sie, er habe einige seiner

Das Buch für Alle.
Werthsachcn zu sich gesteckt und die Flucht ergriffen,
er habe ihr gesagt, er wolle verreisen, aber er sei ans
einem anderen Wege als dem, der znr Station führe,
in den Wald geeilt, auch habe er eine Pistole ein-
gesteckt.
„Wir verabredeten," schloß der Gendarm, ^daß
meine College» ihn verfolgen, ich aber für alle Fälle
die Försterei im Auge behalten solle, falls der Förster
etwa doch zurückküme."
Der Landrath billigte die Anordnung und die Herren
fuhren nach Bornheim, wo der Polizeirath die Nacht
bleiben wollte, da er dorthin alle Meldungen an ihn
bestellt.
Die wichtigste Meldung, welche kommen konnte,
erwartete die Herren bereits in Bornheim. Man hatte
soeben dort den eingcfangenen Förster eingebracht. Der
Baron v. Tollen hatte seine Leute anfgebotcn, seine
Forsten zn durchstreifen und jeden Verdächtigen ein-
znbringen, der aus den Elberstein'schen Waldungen in
die seinigen flüchte. Hink hatte sich dadurch verdächtig
gemacht, daß er angegeben, er sei auf der Verfolgung
des Mörders, aber sich geweigert, sich den Leuten von
Alt-Brandau anznschließen. Es hatte Argwohn erregt,
daß er ohne Gelvehr und in Kleidern war, welche ihn
nicht als Förster erkennen ließen; da er überdem als
ein Mensch, der der alten Försterfamilie von Elberstein
das Brod genommen und der die Armen bedrückte, ver-
haßt war, so hatte man seiner Drohungen gespottet,
ihn gewaltsam vor den Baron Tollen geführt, der ihn
sofort hatte binden lassen, als man entdeckte, daß er
eine Pistole unter dem Rocke verborgen trug, und dann
bei weiterer Revision in seinen Taschen Werthpapiere,
eine größere Summe Geldes und ein silbernes Besteck
gefunden. Es war zn ersehen, daß der Mann auf der
Flucht ertappt worden — jetzt hatte man ihn in daS
Dorfgefüngniß von Bornheim gebracht, wo ihn zwei
kräftige Bursche bewachten.
Der Polizeirath begab sich sofort zu dem Gefangenen,
um ihn zu vernehmen. Man öffnete das Gefängniß,
dessen Außenseite durch die Banernburschen beobachtet
wurde, da man bei dem schlechten Zustande der Eisengitter
an den Fenstern jetzt, wo es schon dunkel geworden war,
ein Ausbrechcn des Gefangenen besorgte, aber es zeigte
sich, daß man besser gethan hätte, den Gefangenen im
Auge zu behalten — der Polizeirath fand eine Leiche,
der Förster hatte sich erhängt. Die sofort angestellten
Wiederbelebungsversuche blieben fruchtlos, da Hink
einen Knoten derart geschürzt, daß er beim Aufhängen
das Genick brechen mußte — der Tod mußte augenblicklich
erfolgt sein.
Es war kein Zweifel, daß in diesem Selbstmorde
das Geständniß des Mörders lag, aber damit war auch
die Lippe verstummt, welche den Anstifter seiner That
verrathen konnte.
Der Polizeirath sah seine Arbeit beendet, er konnte
die Einsammlung weiterer Details dem Landrathsamt
überlassen. Die sicherste Bestätigung dafür, daß man
in der Leiche des Försters auch die des Mörders vor
sich hatte, erfolgte durch die bestimmte Erklärung Brock's,
dem man eine in der Brieftasche Hink's gefundene
Photographie des Försters zeigte, daß dies das Bild
des Mannes sei, der auf ihn geschossen habe. —
Der Zustand Brock's erlaubte es nicht, ihn durch
nähere Mittheilnngen über das Verhältnis; des Mörders
zur Schloßherrschaft vou Elberstein zn erregen, er war
durch den Blutverlust sehr ermattet. Nichtsdestoweniger
aber ließ sich am anderen Tage ein Besuch nicht zurück-
weisen, der dein Kranken nahte. Der alte Graf Elber-
stein, von seinem treuen Kammerdiener geleitet, trat an
das Bett seines tvdtgcglaubten Sohnes. Der alte Herr
war darauf vorbereitet, wen er auf Bornheim finde,
daß es kein Traumgesicht gewesen, dessen er sich er-
innert, als er aus der Betäubung durch Morphium
erwachte: seit Jahren verließ er zum ersten Male wie-
der die nächste Umgebung seines Schlosses, einen Gang
zu machen, der ihm wohl schwer genug sein mochte,
aber von dem er doch hoffte, daß er durch ihn den
Frieden der Seele wiederfinden werde.
Der Vater erkannte den Sohn, in dessen Zügen sich
die charakteristischen Linien der Elbersteins mit denen
der Altenbrocks vermischten, in dessen Auge jene Weiche
schimmerte, welche Helenens Antlitz ost verklärt.
Wir überlassen es dem Leser, sich diese Scene aus-
zumalen, in der der Vater dem Sohne gestand, wie
alles Weh, das er seiner Mutter zugefügt, an ihm ge-
rächt worden durch die, welche Helene einst aus seinem
Herzen verdrängt. Er wollte nichts davon wissen, daß
Brock erklärte, Wolfgang Elberstein bleibe todt für die
Welt, ihm genüge es, wenn sein Vater ihn segne, er
habe genug, um leben zn können, er wolle seine Stief-
mutter und Stiefgeschwister davon überzeugen, daß er
nicht des Erbes halber Versöhnung mit dem Vater ge-
sucht habe, er wolle sie beschämen.
„Daraus wird nichts," erklärte der alte Herr und
es schien in ihm wieder die alte Willenskraft und der
alte Trotz des Eigenwillens zn erwachen. „Sie mögen
Gott danken, wenn Du nicht Zins upd Zinseszins
zurückforderst. Von dem Augenblick an, wo man mich

Heft 25.
nicht mehr gebrauchte, Dir Dein Recht zn verkümmern,
Dich zu beseitigen; von dem Tage an, wo Dein Tod
gemeldet wurde, ließ Deine Stiefmutter die Blaske
fallen, da war ich Nebensache im Hanse, da zeigte sie
mir, daß sie mich nie geliebt und da wagte sie es, mir
Vorwürfe darüber zn machen, daß ich sie ebenso unter-
drücken wolle wie Deine Blutter, da drohte sie, sie
werde der Welt erzählen, wie ich gegen Dich gehandelt.
Sie, die mich zu Allein gereizt, was ich gethan, warf
mir vor, ich hätte ihre Mahnungen nicht beachtet. Du
kennst diese Frau nicht, Du ahnst nicht, wessen sie fähig
ist, daß es nicht ihre Schuld ist, wenn Du noch lebst.
Und ihre Rasse sollte Dich nochmals verdrängen? Die
Kinder, die sie mir schenkte, waren mir niemals Kinder,
ich war einsam, jetzt mag sie mit ihren Kindern hin-
ziehen, wohin sie will."
Ein finsterer Haß sprühte aus den Augen des
Grafen, der lang verhaltene Groll machte sich Luft,
Häverlein mußte ihu daran mahnen, daß sein Sohu
der Schonung bedürfe, daß er den Kranken errege,
wenn er also spreche.
Diese Mahnung half. Das ganze Wesen des
alten Herrn verwandelte sich sofort und machte einer
unbeschreiblich Weichen Stimmung Platz. „Ja," sagte
er, „wir müssen ihn schonen und gut bewachen. Das
ist ein echter Elberstein, er ist zu stolz, ein Erbe an-
zunehmen, das man in unseliger Verblendung ihm nicht
gegönnt. Er macht mir' keinen Vorwurf, er rechtet
nicht mit mir über das, was ich im Hasse gegen ihn
gethan, er wird auch hassen lernen, wenn er gesund ist
und Alles erfährt, was sie gethan."
Man führte den alten Herrn vom Krankenbette
weg, er ließ sich das gefallen, aber er erklärte, als Gast
seines Sohnes in Bornheim bleiben zu wollen, er müsse
ihn auch hüten. Er schickte sich au, dem Könige zu
melden, daß sein verschollener erstgeborener Sohn am
Leben und zurückgekehrt sei, und an den Monarchen die
Bitte zu richten, daß die gerichtliche Todeserklärung
Wolfgang's vernichtet werde. Da traf ein Brief mit
dem Poststempel Potsdanr ein, der an Herrn Brock ge-
richtet war. Der alte Graf erkannte die Handschrift
seines Sohnes Wilhelm und erbrach das Schreiben ohne
Umstünde, er meinte, da Wolfgang krank sei, müsse und
dürfe er ihn vertreten.
„Mein Herr," so lautete das Schreiben Wilhelm's,
„ein Brief des Rechtsanwaltes Dunkel, des Advokaten
meiner Mutter, macht mir höchst seltsame Mittheilnngen.
Während man gerade von dieser Seite her mich früher
zur Vorsicht ermahnte, mir schrieb, daß Sie ein ge-
fährlicher Feind meiner Familie seien, schreibt dieser
Herr jetzt, wie er sagt, ohne Vorwissen meiner Mutter,
dieselbe habe ihn ungenau unterrichtet, er halte es für
seine Pflicht, mir mitzuthcilcn, daß Sie nach seiner-
festen Ueberzcugung wirklich der für todt ausgegebene
erstgeborene Sohn meines Vaters seien und daß er
glaube, Ihre Absichten seien niemals feindselig gegen
unsere Familie in Wirklichkeit gewesen.
Als Sie Ihre Weigerung, sich mit mir zu schießen,
nur durch die Worte: „Ich bin Ihr Bruder" erklären
wollten, mußte ich nach allen mir zugegangcnen Mit-
theilungen darin die Anmaßung eines Betrügers sehen,
der sich für einen längst Verstorbenen ausgeben will,
jetzt wird mir von derselben Person, welche mich warnte,
Ihnen zu trauen, versichert, Sie seien mein Bruder.
Mein Herr, ich ersuche Sie, mir mitzutheileu, ob
Sie wirklich auf den Namen Elberstein Anspruch machen,
warum Sie, wenn Sie dies können, mir unter einem
anderen Namen sich näherten und es provozirten, daß
ich Ihnen nut Mißtrauen und Argwohn begegnen
mußte. Gesetzt, Sie wären mein todtgcglaubter Bruder,
so würde ich durchaus keine Sympathien für Sie haben,
aber ich würde Ihre Weigerung, sich mit mir zu schieße»,
uicht mehr als Feigheit ansehen. Ich würde es ebenso
wie meine Schwester, welche diese Erklärung ebenfalls
abgibt, sehr wenig zu entschuldigen finden, daß Sie,
anstatt offen und ehrlich die Herausgabe Ihres Ver-
mögens zu fordern, durch Jntriguen 'erst heimlich er-
forschen, ob wir auch im Stande sein werden, Sie be-
friedigen zu können, aber wir Beide würden zu stolz
sein, Ihnen etwas streitig zu machen, was Ihnen
gehört.
Ich ersuche Sie, da niein Vater zu leidend ist, nm
derartige Angelegenheiten erledigen zu können, mir, nicht
meiner Mutter, Ihre Ansprüche zu nennen, die Be-
gründung derselben mitzutheilen und ich verspreche Ihnen,
daß ich, vorausgesetzt, Ihre Ansprüche werden als recht-
mäßig befunden, nach Kräften Alles daran setzen werde,
Sie zu befriedigen. Wilhelm, Graf Elberstein."
„Bravo," murmelte der alte Herr vor sich hin, als
er den Brief gelesen, „wenn das ehrlich gemeint ist,
dann habe ich den Jungen doch falsch beurtheilt, dann
kann er mir leid thnn — er wird nichts behalten,
nichts!" —
lForlschung folgt.)
 
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