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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 24.1889

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Heft 11
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https://doi.org/10.11588/diglit.51129#0269
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Hrst N.

Hängelampe an. Als deren Beleuchtung sie voll traf,
bebte Galbrett bis iu's Mark hinein. Er meinte in
ein Marmorantlih zu schauen, welchem der Künstler
mit scharfem Meißel den Ausdruck unerbittlicher Grau-
samkeit verliehen hatte.
„Es würde sich jetzt, also nur darum handeln, ob
er noch lebt," brach sie das Schweigen eintönig.
„Ich vermuthe cs," erwiederte Galbrett, „er war
eine zähe Natur —"
„Eine sehr zähe Natur," fiel die Gräfin höhnisch
ein, „nun, Gott mag geben, daß Ihre Vermuthung
sich nicht als irrig auSweist. Lebte er nicht mehr, so
wäre alle meine Mühe vergeblich gewesen — doch das
kann nicht sein. Sie haben übrigens Recht, Ihre Ent-
hüllungen sind dankenswerth, vorausgesetzt, Sie haben
sich keine Unwahrheiten oder Entstellungen zu Schul-
den kommen lassen."
„Ich schwöre —" begann Galbrett, und mit abweh-
render Bewegung hob die Gräfin die Hand.
„Sparen Sie Ihre Eide," sprach sie mit unsäglicher
Verachtung, „aus einem Munde, wie der Ihrige, sind
sie nicht mehr Werth, als ein Lufthauch, der über's
Wasser streicht. Ob Sie zu Täuschungen griffen oder
sich an die Wahrheit hielten, wird -die Zukunft lehren.
Sie dann noch zur Rechenschaft ziehen zu wollen, wäre
es freilich zu spät, auch möchte mir die Neigung dazu
fehlen. Als Lohn für Ihre Mittheilungen mag zu-
nächst dienen, daß ich die gegen Sie geplante gericht-
liche Verfolgung aufgebe. Reisegeld, um von hier
verschwinden zu können, sollen Sic sich indessen erst
verdienen."
Sie zog einen Bogen Papier vor sich hin. Wohl
zehn Minuten schrieb sie eifrig. Dann, nachdem sie
das unter ihrer Hand Hervorgegangene vorgelcsen
hatte, forderte sie Galbrett auf, seinen Namen unter
das Schriftstück zu setzen. Schaudernd ergriff dieser
die Feder.
„Wer daS liest —" hob er an, und im Geschäfts-
tone unterbrach die Gräfin ihn mit den Worten:
„Bei mir ist's sicher genug aufgehoben. Unter-
zeichnen Sie, wenn Sie nicht Alles in Frage stellen
wollen." .
Wie einer höheren Gewalt gehorchend, befolgte
Galbrett den Befehl. Die Gräfin las den Namen.
„Es ist gut," sprach sie, uud eine eigenthümliche
Gluth entzündete sich in ihren Augen. „Sic sind jetzt
frei," und zehn Goldstücke auf den Tisch zählend, be-
merkte sie spöttisch: „Beruhen Ihre Mittheilungen
auf Wahrheit, so wäre tausendmal so viel kein zu hoher
Preis dafür. Doch es hieße Laster und Verbrechen
begünstigen, wollte ich auch nur noch einen Cent zu-
legen. Gehen Sie jetzt und sorgen Sie dafür, daß
Sie meinen Weg nie wieder kreuzen."
Galbrett erhob sich, nahm das Gold und entfernte
sich unsicheren Schrittes. Furcht und verzehrende Wuth
kämpften in ihm um den Vorrang. Die Gräfin öffnete
die Fcnsterlukcn, um frische Luft durch die Kajüte
streichen zu lassen, deren Atmosphäre ihr vergiftet er-
schien. Die Feder, welche Galbrett benutzt hatte, warf
sie über Bord, und festen Schrittes begab sie sich auf's
Deck hinaus. Galbrett hatte in seinem Boot Platz
genommen und legte eben die Riemen ein. Finster sah
sie ihm nach, wie er mit schnellen Ruderschlägen aus
der Nachbarschaft der Dacht zu entkommen suchte. Erst
als seine Gestalt mit der Dunkelheit zusammenfiel,
kehrte sie sich ab. Das Haupt sinnend geneigt, erstieg
sie das Quarterdeck.
„Dort fährt ein Verbrecher, welchem der Galgen
zehnmal gebührte," redete sie Simpson an, indem sie
nach der Stadt hinüberwies, „aber für den Dienst,
welchen er mir leistete, muß ich ihn nothgedrungen
frei ausgchen lassen."
„So haben Ihre Erwartungen sich erfüllt?" fragte
Simpson, seine Spannung verheimlichend.
„Sic wurden weit übertroffen," antwortete die
Gräfin, „doch heute nichts mehr davon, ich bitte darum.
Sie wissen, bevor ich mir selbst ein klares Bild von
einer Sache entworfen und einen bestimmten Entschluß
gefaßt habe, trage ich sie gern eine Weile mit mir
allein herum."
„Unser Aufenthalt hier würde keine größere Ver-
längerung mehr erfahren?"
„Höchstens zwei Tage, sofern Sie nicht Einwendungen
erheben."
„Die Vorräthe sind ergänzt; wir können zu jeder
Stunde Anker lichten."
„Wofür ich Ihnen meinen Dank schulde," versetzte
die Gräfin etwas wärmer, und in sich gekehrt schritt
sie nach dem Heck hinüber. Dort ließ sie sich auf eine
Bank nieder, Arm und Haupt schwer auf die Seiten-
lehne stützend.
Nach Ablauf einer halben Stunde erschien die Auf-
wärterin, um sie zum Thee einzuladen.
Die Gräfin lehnte ab. „Bitten sie Maud in meinem
Namen, sie möchte gemeinschaftlich mit Sunbeam für
die Kinder sorgen," fügte sie hinzu. „Deren abgehetzte
Körper bedürfen der Ruhe. Ich ließe daher Allen
rathen, sich frühzeitig zu Bett zu verfügen. Auf mich

Das Buch für Alle.
soll nicht gewartet werden/' Dann, nachdem die Auf-
wärterin sich entfernt hatte, wie im Traume, jedoch
unbeschreiblich herbe vor sich hin: „Wunderbares Ver-
hängniß. Das Geschick selber scheint mir in die Hände
zu arbeiten, auf daß ich dereinst mit einem Gefühl
der Befriedigung mich zum letzten Schlaf niederlegen
kann," und auf's Neue versank sie in düstere Grübeleien.
Als sie endlich in die unteren Räume hinabstieg,
war an Bord die übliche Nachtordnung hergestellt.
Bis auf die Wache schlief Alles oben wie unten.
Bevor sie ihr Schlafgemach aufsuchte, trat sie noch
einmal bei ihren neuen Schützlingen ein. Beide lagen
in tiefen: Schlummer. Das Bewußtsein, allen ferneren
Fährnissen entrückt zu sein, hatte, gemeinsam mit der
freundlichen Umgebung, zunächst ein Gefühl schüchternen
Behagens in ihnen erzeugt und demnächst ihre Augen
geschlossen. Beim Schein der kleinen roth umkleideten
Schwebelampe betrachtete die Gräfin die ruhig athmen-
den Gestalten. Jetzt, mit den sorgfältig geordneten
Rabenlocken und der gebräunten, ursprünglich lichten
Haut inmitten des blendend Weißen Linnens trat ihre
Schönheit um so augenfälliger hervor. Lebhafte Träume
hatten ihre Wangen nut der Gluth jugendfrischer Ge-
sundheit geschmückt. In das Anschauen des Bildes
versunken, blickten der Gräfin Augen milder, bis sie
sich endlich umflorten. Als sei es unbewußt geschehen,
strich sie mit der Hand kosend über die Wange des
Mädchens, dann über die des Knaben.
„Ihr sollt es nicht entgelten," lispelte sie über
Beide hin, „nein, Ihr nicht!" Und geräuschlos ver-
ließ sie die Koje. —
Folgenden Tages begab sie sich mit den Geschwistern
und in Simpson's Begleitung zu der alten Holiday,
um derselben ein Schriftstück einzuhündigen, auf welches
hin sie bei einen: bestimmten Handelshause allmonat-
lich eine für ihre bescheidenen Ansprüche reichlich be-
messene Pension erheben sollte. Von den: verstorbenen
Holiday komme es und Demjenigen, welcher einst mit
seinen: letzten Athemzuge bei ihr um Erbarmen für
die Angehörigen des früheren Schiffskochs gebeten habe,
erklärte die Gräfin.
Dazu weinte die Alte ihre bitteren Thränen, und
des Himmels reichsten Segen flehte sie auf das An-
denken der treuen Todten herab, die sogar aus ihren
Gräbern noch für sie sorgten. —
Scheu waren die Geschwister unter das wohlbekannte
Dach des düsteren Hauses getreten; furchtsam spähten
sie in alle Winkel. In jedem Augenblick meinten sie,
den grausamen Vater hcrvortreten zu sehen. Kurz und
kühl war der Abschied zwischen ihnen und der alten
Frau. Beide Theile gaben sich so, wie sie waren. Wo
das Gefühl einer innigen Zusammengehörigkeit nie ge-
pflegt worden war, da vermochten sie ein solches nicht
zu erheucheln.
Als die Geschwister in der Gräfin und Simpson's
Begleitung wieder in's Freie hinaustraten, wo die
Sonne so goldig vom klaren Himmel herunterstrahlte,
da athmeten sie auf, als ob plötzlich eine neue, schönere
Welt sich vor ihnen eröffnet habe.
Was auf der Fahrt stromabwärts in den Zügen
der Geschwister sich verständlich offenbarte, das spiegelte
sich wieder in den ruhigen Augen der Gräfin. Plötz-
lich aber blickte sic finster, und wie einen heimlichen
Schmerz bekämpfend, legte sie die schmalen Lippen ein
wenig fester aufeinander. Nach der in ihren Gesichts-
kreis tretenden Pandora hinüberspähend, war sie eines
Schleppdampfers ansichtig geworden, welcher sich an-
scheinend hinter ihr hervorschob. Allmählig erkannte
sie, obgleich zum größten Theil verdeckt durch die Pan-
dora und deren Takelage, den Eremit. In Sprech-
weite von ihr ankerte er, wohin ihn offenbar der
Dampfer bugsirt hatte. Simpson, welcher der Dacht
schon vorher ansichtig geworden war, überwachte die
Gräfin gespannt. Er fürchtete die Wirkung der Ent-
deckung auf sie. Doch nur vorübergehend waren die
ersten Regungen der Erbitterung. Nachdem sie sich
überzeugt hatte, daß eine Sinnestäuschung ausgeschlossen,
kehrte sie sich mit einem spöttischen Lächeln dem Ge-
fährten zu.
„Man scheint auf dem Eremit unsere bevorstehende
Abreise zu ahnen," sprach sie leidenschaftslos, „was
sonst hätte Loweastle dazu bewegen können, uns seine
Nachbarschaft aufzudrängen, wenn nicht die Absicht,
seinen sofortigen Aufbruch von dem unserigen abhängig
zu machen."
„Ich rechne darauf, daß ein glücklicher Zufall uns
draußen auf hoher See auseinander führt," erwiederte
Simpson beschwichtigend.
Die beiden Dachten im Auge, sann die Gräfin nach.
Träumerisch, wie im Selbstgespräch, bemerkte sie nach
einer Pause: „In: Grunde liegt etwas Entwürdigen-
des in dem Bewußtsein, mit so viel Eifer verfolgt zu
werden und sich in der Lage zu befinden, fortgesetzt
auf das Vermeiden einer »»gewünschten Begegnung
Bedacht nehmen zu müssen. Es wandelt mich die Lust
an, den: widerwärtigen Verhältniß mit einen: Schlage
ein Ende zu machen."
„Dringend rathe ich von gewaltthätigcn Schritten

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ab," versetzte Simpson ernst, „ein zweiter Angriff
möchte nicht so günstig verlaufen, wie der erste."
Die Gräfin säumte einige Sekunden, wie ernst er-
wägend, und antwortete dann: „Ich weiß kaum noch,
was mir peinlicher, ob der ausgesprochene Zweck Low-
castle's, neue Beweise für meine Verrücktheit zu sam-
meln, und endlich meine Freiheit als die einer Un-
zurechnungsfähigen heillos einzudämmen, oder die
Unermüdlichkeit des Kafntains Pcldram, über alle
Hindernisse hinweg sich Maud immer wieder zu nähern.
Beides geht Hand in Hand und macht die Herren zu
gefährlichen Bundesgenossen. Mit gleichem Eifer und
vereinter Kraft strebt Jeder seinem besonderen Ziele
zu. Der Preis des Einen sind Millionen, um die er
unerschöpflich im Ränkeschmieden ist; der des Anderen
ein reines unschuldvolles Wesen, welchem ich eine bessere
Zukunft gönne, als die an der Seite eines leichtfertigen
Soldaten. Beide werden in ihren Erwartungen ge-
täuscht werden." Und Wiedern::: nach einer Pause
herbe, gleichsam klagend: ,Lch fürchte fast, die zwischen
den jungen Leuten in Madras angeknüpften Beziehun-
gen unterschätzt zu haben. Es wäre ein Unglück für
Maud; doch wir werden ja sehen."
Schweigend hatte Simpson diesen Erklärungen ge-
lauscht. Was auch immer ihn bewegen mochte: vor-
sichtig vermied er, in den Jdeengang der Gräfin störend
einzugreifen. Auch die Gräfin schwieg nunmehr. An
der Pandora vorbei, betrachtete sie mit einem eigen-
thümlichen Ausdruck der Neugierde deu schlank gebauten
Eremit, auf welchen: die Ruhe eines Feiertags herrschte.
Als die Jolle neben die Fallreepstreppe der- Pan-
dora hinschoß, begegneten die Blicke der Gräfin denen
Maud's, welche von oben herab ihr und den beiden
Geschwistern einen freundlichen, jedoch etwas befangenen
Willkommgruß zurief. Ihr Antlitz war bleich, wech-
selte aber schnell zur tiefen Gluth. In ihren Augen
ruhte es wie das Bewußtsein, ein Unrecht begangen zu
haben.
Die Gräfin gab sich den Anschein, die in ihr lebende
heftige Erregung nicht zu bemerken. Den voraufschrei-
tenden Kindern folgend, reichte sie Maud in gewohnter
Weise die Hand, indem sie glcichmüthig sprach: „Der
Eremit hat es sich in unserer nächsten Nachbarschaft
bequem gemacht. Nun, wir können ihn nicht hindern.
Im Uebrigen werden die beiden Dachten nicht lange
so friedlich neben einander liegen." Sie übergab die
Geschwister der Fürsorge Sunbeam's und erstieg in
Maud's Begleitung das. Quarterdeck. Vou dort aus
sah sie ruhigen Blickes nach dem kaum hundert Ellen
entfernten Eremit hinüber. Sie erkannte Peldram,
welcher, ebenfalls auf der Kajütbedachung stehend, bei
ihrem Erscheinen sich höflich verneigte. Sie erwiederte
den Gruß mit einer kaum merklichen Bewegung des
Hauptes, und sich halb Maud zukehrend, sprach sie ein-
tönig über die Schulter: „Ich vermuthe, der Herr
benutzte die Zeit meiner und Simpson's Abwesenheit
zu einem Besuch hier."
Sie entdeckte Maud's Verwirrung und ließ ihre
Blicke nachlässig über die Takelage des Eremit hin-
schweifen. Sie wollte nicht sehen, daß brennende Gluth
sich über das holde Antlitz ausbreitete und Thränen
in ihren Augen zusammenliefen. Dem Bann ihrer
unmittelbaren Beobachtung nicht länger unterworfen,
erklärte Maud darauf ein wenig gefaßter: „Keiner
war da, ihm zu wehren; als ich ihn entdeckte, stand
er auch schon vor mir."
„Das sieht dem leichtfertigen Menschen ähnlich,"
versetzte die Gräfin wie beiläufig, und des lieblichen
Mädchens Stimmung berücksichtigend, betrachtete sie die
Takelage des Eremit aufmerksamer. „Was sagte er
denn? Seinem Besuch muß irgend ein Zweck zu Grunde
gelegen haben?"
Maud zögerte. Sie bedurfte der Zeit, die zu er-
theilende Antwort nach besten Kräften zu begrenzen.
Dann entgegnete sie mit unsicherer Stimme: „Er be-
schwor mich, ihm das Ziel unserer ferneren Reise an-
zuvertrauen."
„Und was antwortetest Du ihm?"
„Die Lage unseres Zieles sei mir fremd; daß ich
aber, wenn ich darüber unterrichtet wäre, cs als ein
nicht nur gehörendes Geheimniß betrachten würde."
„So? Nun ja, daS war verständig von Dir,"
lobte die Gräfin, und sich dem Deck zukehrend, rief sie
hinunter: „Die Jolle bemannen!" und wieder nach-
lässig zu Maud: „Ich habe es satt, meine Wege vor
den unberechtigten Verfolgern länger zu verheimlichen,
als ob der Anblick des Eremit uud Derer au seinen:
Bord nur Schrecken einflößte. Begib Dich daher in
die Jolle hinab und laß Dich nach den: Eremit hinüber-
rudern. Dort bitte Peldram, ebenfalls ein Boot zu
besteigen — das heißt, Loweastle und seine Genossen
bleiben ausgeschlossen — und sich Dir zuzugesellen.
Sodann erkläre ihn: kurz und bündig, icb thäte Allen
an Bord kund und zu wissen, daß mein Weg von hier
nach dem Golf von Mexiko und dem Pontchartrain-See
führe."
Da Maud nicht antwortete, kehrte die Gräfin sich
ihr zu. Wie ihren Sinnen nicht trauend, stand sie da.
 
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