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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 25.1890

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Heft 19
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https://doi.org/10.11588/diglit.51136#0478
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470

Das Buch für Alle.



dieses aus die stämmige Vertreterin der Weiblichkeit aus einer
ihr fremden Lebenssphäre. Beider Blick scheint zu fragen:
was bist du eigentlich für ein kurioies Naturprodukt? Und
doch ist es nur die äußere Form und der konventionelle Zu-
schnitt, welche den dem oberflächlichen Beobachter so auf-
fallenden Unterschied begründet, während im inneren Wesen
zwischen den Beiden dieselbe Gleichheit und Uebereiustimmung
herrscht, wie zwischen der zierlich gestutzten und gezogenen,
sorgsam gepflegten Schmucktanne im Vorgarten der städtischen
Villa und der knorrigen Kieser, die, nm dem Sturm trotzen
zu können, ihre Wurzeln in die Tiefen des lockeren Dünen-
sandes gräbt.

Gesandtschaft zusammen auf einem dänischen Staats-
schiff, das glücklich um die Mitte des August an der
französischen Nordküste landete. Mit Ungeduld er-
wartete sie der königliche Bräutigam in Arras, wohin
er sich mit großem Gefolge begeben hatte.
Er sah dem Akt einer Bermählung nicht zum ersten
Mal entgegen. Zehn Jahre zuvor, fünfzehnjährig und
eben auf den Thron gestiegen, hatte er sich mit Elisabeth
von Hennegau vcrheirathet, die ihm einen Sohn, den
späteren König Ludwig VIII. schenkte, aber bereits
1190, ehe Philipp in's heilige Land zog, starb. Wenn
er um die dänische Königstochter geworben, so hatte
ihn dazu in erster Linie politische Äbsicht geleitet. Er
wollte in der That Richard Löwenherz, seinen ehe-
maligen Mitkämpfer im Kreuzzuge, nicht nur in den
englischen Eroberungen bekämpfen, welche vor ihm in
Frankreich gemacht worden waren, sondern wo möglich
in seinen: eigenen Jnselreich. War ihm die dänische
Hilfe dazu zunächst versagt worden, so erhoffte er sie
durch die Heirath niit Jngcborg doch noch für später
zu erlangen.
Jung und feurigen Wesens, hatten ihn außerdem
die Schilderungen von der Schönheit der Prinzessin
entflammt. Eine stolze nordische Schönheit mit gold-
blondem Haar in jugendlicher Pracht war ihm ver-
heißen worden, und als er Jngeb rg nun sah, erkannte
er zu seiner Genugtuung, daß sie diesem bestechenden
Bilde auch entsprach. In glänzendem Zuge führte er
sie nach Amiens, wo für die Hochzeitsfeierlichkeiten Alles
aufs Prächtigste vorbereitet war, und noch am selben
Tage, am 14. August 1193, fand die Trauung statt. -
Am nächsten Tage sollte die Krönung der jungen
Königin vollzogen werden. Die Stadt hatte sich in
festlichen Schmuck gekleidet, und die Einwohnerschaft
war freudig bewegt. Die Königin in ihrem strahlen-
den Krönungsanzug erregte allgemeine Bewunderung,
und wie verklärt erschien sie, als sie mit der Krone
Frsankreich geschmückt war.
Aber mit König Philipp selbst war eine
seltsame Wandlung vorgegangen. Finster starrte
er vor sich hin und mied den Anblick seiner schönen jungen
Gattin, und suchte sie ihn mit ihren Blicken, so begann
er zu erschrecken, wurde bleich und zitterte. Seine Um-
gebung wurde unruhig darüber und tuschelte sich in die
Ohren. Was war nur vorgegangen seit dem fröhlichen
Hochzeitsmahl am Abend zuvor zwischen den beiden
Gatten? Des Königs Erregung wurde während der
Krönungsfeierlichkeit so groß, daß er ihr Ende kaum zu
erwarten vermochte. Man blickte forschend auf die Kö-
nigin an seiner Seite, bemerkte aber in ihrem Gesicht
nichts, was auf ein Zerwürfniß hätte schließen lassen.
Sobald die große Feierlichkeit zu Ende war, wandte
sich der König hcstig ab, und ließ seine Gemahlin
stehen. Vor Schreck wurde sie ohnmächtig. Auf alle
Fragen, die nach ihrer Erholung an sie gerichtet wur-
den, wodurch das unerhörte Benehmen des Königs zu
erklären sei, schüttelte sie ihr noch mit der Krone ge-
schmücktes Haupt. Sie konnte nicht französisch sprechen;
ihre Seufzer, ihre Ausrufe, ihre Geberden belehrten
jedoch, daß sie nicht begreife, wodurch sie so sehr den
Unwillen ihres Gemahls erregt habe.
Eine neue und größere Bewegung ihrer rathlosen
Umgebung erfolgte, als plötzlich Edelleute des Königs
zu ihr kamen, sie ersuchten, ihren Schmuck abzulegen
und sich schnell fertig zu machen, ihr Pferd wieder zu
besteigen.
„Sie ist verstoßen!" ging es durch die Reihen der
Höflinge. Der König hatte es laut und heftig gesagt,
daß er einen unüberwindlichen Widerwillen gegen sie
gefaßt habe, sie nicht mehr sehen, nicht mehr bei sich
wissen wolle. Niemand erfuhr aber, warum. Ver-
geblich waren die Bitten und Vorstellungen der Prä-
laten, zumal des greisen Abtes Wilhelm. Immer
zorniger wurde König Philipp. Er forderte sogar die
dänischen Gesandten auf, die Prinzessin wieder mit
sich in ihre nordische Heimath zu nehmen, denn er
gebe sie ihrem Bruder zurück und werde sich von ihr
scheiden lassen. Die Dänen wiesen mit Unwillen diese
Zumuthung ab und beklagten sich über den Schimpf,
der ihrem Könige und feiner Schwester angethan fei,
ohne daß nur ein vernünftiger Grund dafür angegeben
werden könne.
Philipp schickte einen seiner Hofleute an Jngeborg,
um ihr den Befehl mitzutheilen, daß sie ungesäumt
Frankreich wieder verlasse. Allein stolz erhobenen
Hauptes weigerte sich die schwer Gekränkte, den: könig-
lichen Befehle zu gehorchen. Sie erklärte ihren däni-
schen Begleitern, die sich nach dem Auftritte mit ihrem
Gemahl zu ihr begeben hatten, für ihre Rechte, die
sie durch die Heirath erworben, kämpfen und dulden
zu wollen. Auch hoffte sie noch, daß ihr Gemahl sich
eines Besseren besinnen und ihr die ihr gebührende Ge-
nugthung geben werde.
Doch daran dachte Philipp nicht Er befahl viel-
mehr, daß die dänischen Gesandten Frankreich ver-
lassen sollten, und nur einem einzigen Kämmerer er-
laubte er, Jngeborg nach dem Kloster von St. Maur
zu geleiten, wohin er sie bringen ließ.

Königin jngeborg.
Lin Geschichtsräthsel.
Kett m u t li.
- ^Nachdruck verboten.)
Jahre 1193 herrschte über das dänische
des großen Waldemar, der das alte, sagen-
umhüllte Seeräuberreich im Innern wieder
geordnet und nach Außen hin durch glückliche
Kriegserfölge zu Ansehen gebracht hatte.
Eines Tages kam der greise Abt Wilhelm zu ihn:
in die Königsburg auf Seeland, ein verehrter Priester,
der in Frankreich zu Haust war, doch seit einiger Zeit
in päpstlichem Auftrag und auf Wunsch des dänischen
Königs in dessen Lande sich aufhielt, um verschiedene
klösterliche Zustände da zu ordnen.
Der Abb brachte eine wichtige Mittheilung an
Knud. Ihm war von: französischen Hofe geschrieben
worden, daß König Philipp sich nach einer neuen Ge-
mahlin umschaue. Nun fragte der Priester den däni-
schen König, ob er dessen Schwester Jngeborg dazu
nicht Vorschlägen solle.
Knud war erstaunt über diesen Gedanken des Abtes,
aber auch hoch geschmeichelt. Denn Frankreichs Krone
hatte ihren ausgehenden Glanz bis an den dänischen Hof
geworfen, und König Philipp 1l. war da ein wohl-
bekannter Name, hatte er sich doch im Kreuzzuge gegen
den Sultan Saladin vor Ptölemais 1190 schon als
junger Held von fünfundzwanzig Jahren ruhmwürdig
gemacht.
König Knud gefiel die ihm vom Abte Wilhelm er-
öffnete Aussicht, der Schwager des ritterlichen Königs
von Frankreich zu werden, um so mehr, als er darauf
bedacht war, sein Geschlecht mit mächtigen Fürsten-
häusern zu verbinden. Er selbst hatte eine Tochter
Heinrich's des Löwen, des stolzen deutschen Fürsten,
zur'G.emahlin, und sieben, theils noch sehr junge Schwe-
stern im Hause.
Die Unterhandlungen, welche der Abt zwischen
Knud VI. und König Philipp führte, nahmen einen
guten Verlauf. Bald konnte er dem dänischen Mon-
archen melden, daß eine französische Gesandtschaft bei
ihm eintreffen werde, welche um die Hand der Prin-
zessin Jngeborg für König Philipp in aller Form
werben solle.
In der Dhat kam zu diesen: Zweck der Bischof
Stephan von Nopon — die hohe Geistlichkeit war ja
damals auch die Diplomatie — mit anderen Prälaten
und Rittern aus Frankreich nach Dänemark und trug
seinen Auftrag dem Seekönige vor. Huldreich ant-
wortete dieser darauf und fragte dann: „Und was
verlangt Euer Herr als Mitgift?"
„Das alte Recht der Dänen auf England," lautete
der Bescheid, „und, um es zu erlangen, die Flotte und
das Heer Dänemarks auf ein Jahr."
Was Philipp verlangte, war kurzweg ein Bündniß
zum Angriff auf England, wozu der dänische König
nicht die geringste Lust hatte. Von seinem alten Rechte
auf England, weil seine Vorfahren Swend und Knud
der Große fast zweihundert Jahre zuvor da ihre Herr-
schaft vorübergehend aufgerichtet, mochte er auch nichts
mehr wissen. Aber es war klar, daß Philipp von
Frankreich nur darum sein Schwager werden wollte,
um mit einem vergilbten Rechtstitel und mit dänischer
Hilfe Richard Löwenherz, mit dem er sich schon auf
dem Kreuzzuge bitter verfeindet, um Land und Krone
zu bringen. Darauf wollte sich König Knud nicht
einlassen und lehnte daher die Zumuthung Philipp's
in bestimmtester Weise ab. Die Unterhandlungen wur-
den jedoch nicht abgebrochen und es kan: nach einigen:
Feilschen über die Mitgift endlich doch der Heiraths-
vertrag zu Stande. Rach Brauch und Sitte schwuren
die Bevollmächtigten Philipp's für sich und „in dessen
Seele", daß dieser die Prinzeß Jngeborg, sobald sie
nach Frankreich gekommen sei, zur ehelichen Gemahlin
sich antrauen und zur Königin krönen lassen werde,
daß sie ebenso als solche wie als Gattin behandelt
werden solle, so lange sie und er an: Leben seien.
Sobald die Begleitung für die königliche Braut,
zu welcher der Abt Wilhelm mitgehören wollte, be-
stimmt war, erfolgte ihre Abreise mit der französischen

§ n: I s s", " ' 's"
A, Jnselreich König Knud > I., der älteste Sohn

Lj es! I !).
Aller Welt war das Verfahren des Königs ein
Räthsel. Von Neuem suchte man versöhnlich auf
seinen starren und unbegreiflichen Sinn cinznwirkcn.
Man bat ihn, noch einmal die Königin in: Kloster
zu besuchen, hoffend, daß er durch eine Unterredung
mit ihr seinen Haß gegen sie schwinden fühlen würde,
den man nur auf einen Hexentrug meinte zurück-
führen zu können. Wirklich besuchte der König seine
Gemahlin in: Kloster, kehrte jedoch sogleich wieder
zurück, schwörend, daß er ihren Anblick nicht ertragen
könne, und verbietend, in seiner Gegenwart jemals ihrer
noch Erwähnung zu thun.
Die Ursache der so jähen Umwandlung der Ge-
sinnungen des Königs gegen Jngeborg blieb nach wie
vor Jedermann ein Räthsel, das auch niemals gelöst
worden ist und noch heute die Geschichtschreiber be-
schäftigt.
Mit leidenschaftlichem Eifer suchte er die Ehescheidung
zu ermöglichen. Er berief in: November seine Staats-
männer und Barone zu einem Familicnrath nach Com-
pisgne und ließ ihnen ein Schriftstück vorlegcn, woraus
sich ergeben sollte, daß Jngeborg und er durch seine erste
Gattin so nahe verwandt seien, daß ihre Ehe nach
kanonischem Rechte ungiltig sei, eine damals gewöhn-
liche Manier bei den großen Herren, sich von ihrer
Frau zum Zwecke einer neuen Heirath zu befreien.
Obwohl die aufgestellte Behauptung nicht stichhaltig
war, thaten die in Conipiögne Versammelten doch, als
sei Philstp in: Rechte, erachteten seine neue Ehe für
ungiltig und beschworen dies auf seinen Wunsch sogar
mit weitem Gewissen.
Ein Dolmetsch mußte diesen Spruch der Königin
im Kloster mittheilen. Weinend rief sie darauf: „Nala
bstanoia!" Schlechtes Frankreich! Und dann ging sie
sofort daran, ihre Sache dem Papste vorzulegen. Auch
fand sie hierbei Unterstützung; nicht nur, daß ihr
königlicher Bruder Knud sich mit energischer Beschwerde
nach Rom wandte, auch der alte Abt Wilhelm ergriff
für die Unglückliche laut das Wort, und der Papst,
damals Cölestin UI., war keineswegs geneigt, Philipp's
Absicht zu begünstigen. Doch beirrte dies den fran-
zösischen König ganz und gar nicht. Er war entschlossen,
seinen Willen durchzusetzen und brach die Brücken für
jede Vermittelung jählings ab, indem er Agnes von
Meran in: Juni 1196 als Frau hcimführte. Jngc-
borg aber ließ er als Gefangene nach einen: festen
Schlosse bringen.
Vergebens protestirte der Papst gegen solche Miß-
achtung der kirchlichen Gesetze, erklärte Jngeborg's Ehe
für immer noch zu Recht bestehend und Philipp somit
der Bigamie schuldig. Der selbstherrliche König kehrte
sich nicht daran.
Einige Jahre verstrichen. Da bestieg Jnnocenz III.,
ein thatkrästigerer Papst, den Thron, und dieser nahm
sich Jngeborg's trotz aller politischen Rücksichten, die
er auf Frankreich nehmen mußte, entschiedener an. Er
drohte Philipp mit dem Banne und mit dem Interdikt
über Frankreich, wenn er Jngeborg nicht wieder in
ihre Rechte einsehe und Agnes von sich entferne. Auf
alle Weise suchte der König dieser päpstlichen Bedrohung
zu entgehen; ein großer Theil der französischen Prä-
laten, die Jnnocenz wegen der Ausführung seiner
Drohung zu einen: Konzil unter seinen: besonderen
Legaten hatte berufen lassen, wünschte auch, es micht
zum Aeußersten kommen zu lassen; aber schließlich
konnte der Papst nicht anders, als nach Recht und
Gerechtigkeit zu handeln. Er sprach in: Jahre 1200
über Philipp und über Frankreich den Bannlluch aus.
Nun war, wie ein Chronist sagt, in: ganzen König-
reiche das Antlitz der Kirche voll Trauer, da kein
Gottesdienst weder in Kirchen noch in Klöstern gefeiert,
kein Sakrament außer Taufe und Wegzehrung gewährt
wurde. Den Todten wurde die Beerdigung verweigert.
„Nicht mehr strömte das Volk zu den Festen der Hei-
ligen zusammen; die Leichen der Verstorbenen wurden
nicht nach christlicher Sitte dem Grabe übergeben; ihr
schrecklicher Anblick flößte den Lebenden Entsetzen ein."
Auch begann das Volk darüber bald zu murren.
Der König wüthete gegen die, welche den: Papste
Beistand in dieser Maßregel zu Theil werden ließen,
setzte Bischöfe gefangen, verjagte andere ans den: Lande,
ebenso ihn: übelgesinnte Barone, und legte Stenern
von unerhörter Härte auf. Endlich jedoch, als er sah,
daß er mit Gewalt nichts ausrichten konnte, nahm
er zur List seine Zuflucht, zumal der Papst, wie er
wußte, aus politischen Gründen auch gern sich mit
ihm versöhnt hätte. So erklärte er sich denn vor einer
Versammlung von Prälaten plötzlich bereit, Agnes von
sich zu weisen und Jngcborg als Königin aufznnchmen.
Er ließ sie frei und wies ihr das Schloß St. Leger-
en-Jveline bei Rambouillet an, wo schon öfter Köni-
ginnen von Frankreich Aufenthalt genommen hatten,
gab ihr einen Hofstaat und die zu ihrer würdigen
Unterhaltung nöthigcn Mittel; ja, auf Drängen der
Prälaten besuchte er sie sogar nach sieben Jahren zum
ersten Male wieder, so verhaßt sic ihm auch noch
immer war und so schwer ihm die Trennung von
Agnes das Gemüth bedrückte. Aber es galt, erst wieder
 
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