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Hrst 4.

Das Buch f ü r All c.

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Ltrallßenjligd.
(Siehe das Bild auf Seite 96.)
17eberall, wo der Strauß in Afrika vorkommt, wird er mit
^Leidenschaft gejagt. Dem Beduinen beondess gilt die
Straußenjagd als eine der edelsten Aergnügungen, da gerade
die Anstrengungen und nicht geringen Schwierigkeiten, die
damit verbunden sind, den Reiz des Unternehmens und den
Stolz des erfolgreichen Jägers erhöhen. Nach dem Alter
und Geschlechte des Vogels nnterscheiden die Araber Nord-
afrika's die Strauße genau, und geben ihnen, gerade wie
unsere Jäger bei dem heimischen Wilde, besondere Namen.
Der erwachsene männliche Vogel heißt „Edlim", der Tief-
schwarze; das Weibchen „Ribeda", die Grane; der junge
Vogel beiderlei Geschlechts „Ermüd", der Bräunliche. Als
eigentlich jagdbares Thier, dem man daher vorzugsweise, ja saß
ausschließlich nachstellt, gilt nur der „Edlim", was aber weniger
als Akt der Schonung der anderen Arten aufzufassen ist, als der
ganz selbstsüchtigen Erwägung, daß nur der erwachsene, männ-
liche Strauß jene kostbaren Federn besitzt, die bei den Händlern
die höchsten Preise erzielen. Die Federn der Weibchen oder
gar der Jungen sind minderiverthig. Die arabischen Jäger
ziehen stets in Gesellschaften aus. Auf flüchtigen Pferden
oder ausgezeichneten Reitdromedaren sitzend, gefolgt von einigen
Lastkameelen, ' welche die unentbehrlichen Wasserschläuche
tragen, geht es in die Wüste oder Steppe hinaus. Sobald
eine Straußenhecrde entdeckt worden ist, bleiben die Last-
kamcele und ihre Treiber zurück, während die Jäger sich vor-
sichtig den Straußen nähern, um möglichst nahe heranzu-
kommen. Der Strauß vermag zwar, wie bekannt, mit seinen
verkümmerten Flügelstumpfen nicht zu fliegen, aber seine starken
und behenden Beine verleihen ihm im Laufen eine Schnellig-
keit und Ausdauer, welche in Erstaunen setzt und der der
besten Rennpferde nichts nachgibt. Es ist daher von Wichtig-
keit, daß der Vorsprung der Thiere bei Beginn der Jagd nicht
ein zu großer ist. Da der Strauß seine Feinde nie auf
Büchsenschnßweite herankommen läßt, so sind Gewehre bei
dieser Jagd überflüssig. Ein Knüppel bildet die einzige Be-
waffnung der Jäger. Balo gcräth auch die Straußenheerde
in Unruhe. Die nahenden Jäger sind bemerkt worden, und
ein wachsames Männchen gibt das Zeichen zur Flucht. Jetzt
beginnt die Hetzjagd, die mit Ausbietung aller Gewandtheit
von Pferd und Reiter so lange fortgesetzt werden muß, bis
der Strauß ermüdet. Gewöhnlich sind'die Jäger nach Ver-
lauf einer Stunde dicht hinter den geängstigten Thieren; eine
letzte Anstrengung des Pferdes bringt sie an die Seite der
Bogel, und ein Streich mit dem Knüppel ans den Kops wirst
diese zu Boden (siehe das Bild auf S. 96). Unmittelbar nach
dem Falle des Wildes springt ein Jäger von, Pferde und
schneidet den Thieren die Halsschlagader durch. Daß der
Strauß, wenn seine Verfolger dicht hinter ihm sind, den Kops
in den Sand steckt, ist eine Fabel.

Die ChrikustlUlfe in Griechenland.
(Siehe das Bild aus Seite 97.)
")Ini 18. Januar (6. Januar alten Stils) wird in Griechen-
land das „Erscheinungssest" gestiert, an welchem in den
Hafenstädten eine höchst seltsame Ceremonie, die sogenannte
Christustaufe stattfindet, die jedoch trotz ihres kirchlichen Ge-
pränges und Namens offenbar die Umbildung eines uralten
Opfers an Poseidon, den griechischen Meeresgott, und daher
kulturgeschichtlich äußerst interessant^ ist. Schon am Morgen
des betreffenden Tages haben alle Schiffe im Hafen Flaggen-
schmuck angelegt, und das festlich geputzte Volk beginnt sich zu
versammeln. Bald marschirt auch Militär heran, das einige
Leichterfahrzeuge besteigt, die so verankert sind, daß sie, der
Ufermauer gegenüber, eilten viereckigen Platz absperren, inner-
halb dessen nur eine Anzahl Boote, in denen außer dem
Ruderer nur halbnackte Bursche — meistens Schwammtaucher
sitzen, zngelassen werden. Plötzlich ertönt Musik, und ein
langer Zug naht sich dem Ufer. Voran schreitet der Bischof
in seinem Ornat, in den Händen ein Kruzifix und einen Lor-
beerzweig haltend, hinter ihm eine Anzahl Geistlicher, Beamten
und Volk. Würdevoll tritt der Bischof an die Ufermaner
heran, aber aus seinem Antlitze liegt nicht feierlicher Ernst,
sondern ein Lächeln. In den Booten erheben sich bereits die
Schwammfischer, werfen die letzte Hülle ab und stehen nun
trotz der oft scharfen Kälte nur mit einer Badehose bekleidet
da. Der Bischof murmelt eine Formel vor sich hin, küßt
dreimal das Kreuz und wirft es dann mit weitem Schwünge
in's Meer; gleichzeitig stürzen sich die Taucher mit dein Kopfe
voran in die Tiefe. Erwartungsvolle Stille herrscht am
Ufer — Alles blickt auf die sich kräuselnde Wasserfläche.
Minuten verstreichen so, denn diese Schwammfischer sind
geübte Taucher, und vermögen lange unter Wasser aus-
zuhalten. Jetzt taucht einer wieder auf — ein zweiter —
ein dritter — Keiner hat das Kreuz. Da endlich streckt sich
eine Hand empor, die das Kruzifix hält, und ein Jubelgeschrei
der Menge begrüßt den Taucher, der, das Kruzifix an die
Lippen gedrückt, kräftig dem Ufer zustrebt. Er reicht es dein
Bischof hinauf (siehe unser Bild auf S. 97), der ihn segnend
küßt und dann daS Kruzifix — den getauften Christus -
allen Umstehenden zum Küssen hinhält, die darauf in buntem
Durcheinander zur Kirche zurückziehen, von welcher der Zng
ausgegangen ist.

Äm Erntefeste in Italien
lSiehe das Bild auf Seite WO.)
7>as italienische Volk hat Feste und Feiertage in Menge,
und hält dieselben mit dem ewig sorglosen und nergnM
Sinn ab, den cs sich unter allem Wechsel äußeren Geschicke-
erhalten hat. Je mehr nach Süden, je mehr begehrt dieser

Fcstsinn sich zu äußern, sei es einem Heiligen zu Ehren, oder
bei einer anderen Gelegenheit, die von der Sitte des Landes
und Ortes veranlaßt ist. Dazu gehört die Ernteseier denn
in erster Reihe. Sie ist ja überall eine volksthümliche Fest-
lichkeit, entstanden aus der natürlichen und berechtigten Freude
an der durch Mühe und Arbeit von der Mutter Erde wieder
gewounenen Frucht. Und an Gesang und Tanz darf es dabei
nicht fehlen, besonders nicht bei den lebenslustigen und heiß-
blütigen Italienern. Haben die Burschen ihre Mandolinen
stets bei solchen festlichen Vereinigungen im Wirthshaus ooer
im Freien bei der Hand, so die flottesten der Mädchen ihr
Tamburin. In Süditalien fehlt auch die Tarantella nicht,
jener leidenschaftliche Tanz, ohne den sicb eine junge Schöne
des Landes gar kein Festvergnügen vorsteilcn kann. Sie tanzt
sie zur Freude über die reiche Ernte an Feigen, Orangen,
Wein oder Getreide, wenn hell noch der Himmel im abend-
lichen Sonnenglanz erglüht, oder zwischen den funkelnden
Sternen schon der Mond leuchtet. In üppiger Lust der Er-
wartung dieser Freude zeigt unsere Illustration ans S. 10t)
eine schmucke, kraftvolle Schnitterin in jüditalienifcher Tracht.
Ihre Sichel hängt an dem bunten Schärpengürtcl; ihre ent-
blößten Arme halten das Tamburin hoch über ihrem dunkel-
haarigen Kranskopf, Feuer sprüht aus ihren großen, dunklen
Augen, melodisch klingt ein Volkslied ans ihrem Munde. Sie
ist allein und umwallt von den hohen goldenen Aehren, durch
welche sie nach der Arbeit des Tages ihren Weg nimmt, nm
zum heimathlichen Dorfe zu gelangen. Schon tönt hell zu
ihr herüber das Vesperglöcklein vom Kirchthurm. Nun sam-
meln sie sich schon, die Burschen, unter ihnen ihr Bastiano,
ihr Schatz; es wird köstlich sein am Abend bei Gesang und
Tanz. Allein inmitten des Kornfeldes jauchzt sie ihr freu-
diges Erwarten, ihr süßes Hoffen ans, und mit den Fingern
an das Tamburin schlagend, hallt es wie ein Z ruf hinüber
in das Dors: „Ich komme, bald bin ich da zum Erntefest!"

Aer Arozeß der Keuker.
Historische Erzählung.
von
L. Schmidt-ZSeißenfeks.
- V? - (Rachdruä vcrbetcii.j
1.
tausendköpfige Menge verlief sich, nachdem
dem blutigen Schauspiel einer Massen-
Hinrichtung bcigewohnt hatte, wie cs unter
der Schreckensherrschaft fast Tag für Tag den
Parisern auf dem weiten „Platz der Revo-
lntion" hinter dem Garten der Tuilcrien ge-
boten wurde. An diesem Apriltage 1794 war
es freilich von ganz besonderem Interesse gewesen. Die
Guillotine hatte fünfzehn Köpfe hintereinander gefällt,
und was für Köpfe! Danton, vor welchem noch einige
Tage zuvor Frankreich gezittert hatte, Camille Dc's-
moulins, der gefeierte Zeitungsschreiber, und ihre
Freunde und Genossen im Konvent waren diesmal die
Opfer gewesen. Eben packten die Scharfrichtcrgehilfen
unter ihres Meisters Sanson Aufsicht den blutigen
Korb mit den fünfzehn Köpfen auf den Karrenwagen,
wohin schon die enthaupteten Leiber gelegt waren, um
diese Reste noch warmer Menschenkörper nach den Kalk-
gruben zur Einscharrung zu fahren.
„Da," sagte Sanson zu einem seiner Knechte, in-
dem er ihm eine kleine Haarlocke reichte, „bring' dies
dem Bürger Duplessis, wie es Desmonlins gewünscht
hat. Es soll ihm oder seiner Frau ein Andenken sein."
Der Scharfrichtergehilfc Antoine Desmorest, ein
noch junger Mann, nickte seinem Meister zu, wickelte
die Haarlocke in ein Stück Papier und steckte sie zu sich.
Dann stülpte er seinen Hut auf den Kopf, beobachtete
noch, wie der Wagen mit den Leichen über das hol-
perige Pflaster sich unter Gendarmeriebegleitung in
Bewegung setzte, und fragte dann den Scharfrichter:
„Wohin soll ich die Locke bringen?"
„Zum Bürger Duplessis in der Straße des Ares
Numero 9 zwei Treppen hoch," antwortete Sanson.
„Geh' aber noch heute hin und in der Dunkelheit. Es
ist besser, daß man Unsereins nicht in Verkehr mit den
Angehörigen der Leute sieht, die unter die Guillotine
kamen. Man kann in jetziger Zeit nicht vorsichtig ge-
nug sein."
Dcsmorest nickte und schlug den Weg längs der
Seine ein.
Der herrliche Frühlingstag neigte sich zu Ende;
die sinkende Sonnenpracht warf noch auf die Häuser
und den Fluß eine blendende Fülle von Licht. Der
Scharfrichterknecht ging langsam, er mußte ja die Däm-
merung abwarten, ehe er nach der Straße des Ares
sich begab.
Es war schon völlig dunkel, als er endlich dort
vor dem Hause Numero 9 stand, zögernd, ob er es
betreten solle. Eine Magd mit einem Korb am Arm
kehrte von einem Ausgang zurück, und der Scharf-
richterknecht sprach sie an: „Wohnt hier der Bürger
Duplessis?"
„Jawohl, ich bin in seinem Dienst."
„Um so besser. Nehmen Sie dies und geben Sie
es ihm."
Er reichte ihr das Papier, in dem die Locke ein-

gewickelt Ivar, und sic nahm cs mit einigcm Bcfrcmdcn
entgegen.
„Sagen Sie dem BürgerDuplessis," setzte er flüsternd
hinzu, „es sei ein letzter Gruß von Jemandem, der ihm
theuer war und der heute gestorben ist."
„Ach, mein Gott!" rief das Mädchen erschrocken
aus. „Doch nicht von dem armen Schwiegersohn Des-
mvnlins?
„Richtig!" entgegnete er hastig und wandte sich
bereits zum Gehen. „Bestellen Sie, was ich Ihnen
sagte. Gute Nacht!"
Er war froh, ans solche Weise sich seines Auftrags
entledigt zu haben, und ließ die Magd stehen. Kaum
war er jedoch einige hundert Schritte entfernt, als das
Mädchen hinter ihm hcrkam und ihm laut znricf, daß
ihr Herr ihn selber sprechen möchte und bäte, ihn zu
besuchen.
„Nein, nein," wies sic Antoine, beunruhigt durch
ihr lautes Reden, ab. „Es ist unnöthig."
„Aber so sagen Sie mir doch, wer Sic sind, Bür-
ger?" bedrängte ihn die Magd weiter. „Ich soll Sic
darum fragcu."
„Schweigen Sie!" rief er unwillig, denn er be-
merkte auf der anderen Seite der Straße ein Paar-
Männer, die ihm zu horchen schienen. Da stürzte ein
junges Weib auf ihn zu.
„Bürger," sprach sie athemlos vom schnellen Lauf,
und ihre zarte Gestalt bebte. „ O, kommen Sie! Sie
bringen uns eine Locke von meinem Mann, von meinem
thenren Camille! Mit Ihnen sprach er also noch, ehe
ihn der Henker nm's Leben brachte! O, Sie müssen
uns erzählen, wie er starb! Nicht wahr, wie ein Held
und mit gerechtem Fluch ans seine feigen Mörder!"
„l!m des Himmels willen!" unterbrach sie der Scharf-
richterknecht angstvoll und mit gedämpfter Stimme. „Be-
herrschen Sie sich, arme Frau! Ich kann nicht mit
Ihnen nach Hause gehen, meine Zeit ist geniessen. Auch
weiß ich Ihnen nichts weiter mitzutheilen. Dieses
Papier und den Auftrag, es Ihrer Familie zuzustelleu,
erhielt ich von einem Anderen."
Tie Wittwe des Hingerichteten beruhigte sich nicht.
„Bon einem Anderen?" fragte sie ungestüm. „Von
wem? Sagen Sie es doch!"
„Ich kenne ihn nicht."
„Mann!" fuhr sie empor. „Nur der Henker hat
Ihnen diesen Auftrag ertheilen können. Ihm hat mein
Mann die Locke für mich gegeben. Ist es nickst so?"
„Ja, wenn Sie dies beruhigen kann," stieß Antoine
ängstlich hervor. „Der Henker. Und ich bin sein Knecht.
Leben Sie wohl!"
Sie stand eine Weile wie erstarrt und blickte ihm
nach, der jetzt mit schnellen Schritten seinen Weg fort-
setzte und in eine Seitenstraße einbog. Einer der Män-
ner, ans die er aufmerksam geworden war, und die
jedes Wort der unglücklichen Frau in der Stille der
dnnklen Straße gehört haben mußten, folgte seinen
Tritten in klug bemessener Entfernung
Um dieselbe Abendzeit hatte im Stadthanse die ge-
wöhnliche Sitzung des vereinigten Wohlfahrts- und
SicherhcitsanSschnsses begonnen. An der hufeisenförmi-
gen Tafel, mit grünem Tuch bezogen und von darüber-
hängenden großen Ocllampe» erhellt, waren noch nicht
alle Plätze besetzt. Aber Derjenige, den man schon als
den eigentlichen Herrn in der französischen Republik
bezeichnete und dessen Name überall Furcht und Schrecken
verbreitete, war da: Maximilian Robespierre.
Sein Gesicht war weiß wie Papier und zwischen
Stirn und Kinn eingedrückt, noch häßlicher durch eine
Menge von Blatternarben. Weder Blut noch Galle
schien in diesem langen, schlangenartigen Leibe zu sein.
Seine Augen waren klein, matt, wie todt, und sahen
niemals Jemandem offen in's Gesicht; sie zwinkerten
fortwährend, und dies machte sie um so widerwärtiger,
um so unheimlicher, besonders wenn sie über die großen
grünen Gläser der Brille hinwegschielten. Um seinen
Mund spielte stets ein cigcnthümlicher Zng, eine Art
Lächeln, das sich eingefnrcht hatte und unverwischbar
sich unter allen GemUthsbewegungen erhielt. Mira-
beau hatte es schon bei dem erst zweinnddreißigjährigen
Advokaten ans Arras charakterisirt, indem er sagte, er-
sehe ans Ivie eine Katze, die Essig getrunken hat. Seine
gepuderte Haarfrisur war zierlich, sorgfältig und sollte
ihm einen würdigen Ausdruck verleihen. Seine Schul-
tern, sein Hals, seine Hände zuckten und krümmten sich
fortwährend und unwillkürlich, da er an nervösen Rei-
zungen litt. In seinem brannscidenen, wcißbordirten
Rock, einer Weste von blumigem Druckmuster, dem
Jabot und weißseidenen Strümpfen unt Schnallen be-
wies er die Eitelkeit, die ihn beseelte.
Um ihn herum saßen seine bekanntesten Genossen im
Jakobinerklub und Konvent, die mit zu dem einen »der-
bem andern der beiden Ausschüsse des letzteren gehör-
ten, welche seit Monaten die oberste und allmächtige
Behörde in Frankreich bildeten. Da war der zierliche,
schöne St. Just mit den schwärmerischen blauen
Augen; da Couthon, der wie Mephisto hinkte, aber ein
Gesicht von engelhaften Zügen und eine Stimme von
 
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