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eine ungeheure Erdmasse loslöste, die im Bette des Gander-
baches zu Thale stürzte, mit unwiderstehlicher Gemalt Alles
mit sich fortreißend, was ihr im Wege stand. Zuerst wurden
die oberen Mühlen und Wohnhäuser im Dorste weggefegt,
ans denen sich nur einzelne Personen zu retten vermochten.
Ain ärgsten war das Unheil auf dem linken Ufer des Baches,
wo eine Reihe von Häusern gänzlich zerstört wurde, doch
fielen auch auf dem rechten Ufer mehrere Gebäulichkeiten
dem Wasseranstnrm zum Opfer. Die über den Brenner
führende Straße, welche das Dorf durchzieht, setzte mit einer
steinernen Brücke über den Bach, die sofort weggerissen wurde,
so daß die Verbindung der beiderseitigen Ufer unterbrochen
war. Gleichzeitig wurden auch der Bahndamm und damit
auch die Telegraphenleitung und die dort unmittelbar am
Bahnkörper gelegene Kastelrnther Straße aus eine weite
Strecke hin zerstört. Der gerade von Bozen nach Norden
fahrende Nachtpersonenzng wurde zum Glück durch den
Bahnwärter, dessen Häuschen gleichfalls in den Fluthen
unterging, noch rechtzeitig aufgehalten. Im Laufe des Vormit-
tags trafen dann auf telegraphisches Ansuchen aus Bozen
drei Kompagnien Kaiserjäger zur Hilfeleistung ein, und auch
Seitens der Bahnverwaltung wurde sofort mit den Arbeiten
zur Wiederherstellung der Bahnstrecke begonnen. Unsere an
Ort und Stelle aufgenommenen Skizzen auf S. 133 geben,
besser als alle Beschreibungen, eine anschauliche Vorstellung
von der so plötzlich über das unglückliche Dorf hereinge-
brochenen Katastrophe, die zu den furchtbarsten zählt, welche
Tirol je betroffen.

Änamitischer Mandarin.
(Siehe das Bild auf Seite 135.1
?>ie jüngsten Nachrichten, welche französische Zeitungen über
die Zustände in dem 1883 von den Franzosen besetzten
Tongking veröffentlicht haben, lassen deutlich genug erkennen,
daß von einer wirklichen Besitzergreifung jenes Landes keine
Rede sein kann, sondern daß die französischen Streitkräfte
Mühe genug haben, sich dort nur zu behaupten. Immer
wieder tauchen bald hier bald dort sogenannte „Piraten-
banden" auf, gegen die Expeditionen unternommen werden
müssen, und anfbeiden Seiten nimmt die Erbitterung fortwährend
zu, wird der Kampf immer grausamer geführt. Es kann
keinem Zweifel unterliegen, daß es auf der einen Seite China
ist, das alle Ansprüche auf Tongking wie auf Cochinchina erhebt,
welches die Aufständischen unterstützt, und daß auf der anderen
Seite auch von Seiten des anamitischen Hofes und des dor-
tigen Mandarinenthums im Geheimen Alles geschieht, um den
Franzosen immer neue Schwierigkeiten in den Weg zu legen.
Tongking gehörte ja vor der Eroberung durch die Franzosen
zu dem hinterindischen Kaiserreiche Anam, das inzwischen
ebenfalls genöthigt worden ist, die Schutzherrschaft Frankreichs
anzuerkennen. Der feit dem 31. Januar 1889 auf dem
Throne sitzende Kaiser Tham Khin ist also nur noch ein Regent
von Frankreichs Gnaden, aber anch schon vorher war cs tat-
sächlich nicht der Kaiser, der im Lande herrschte, sondern die
anamitischen Mandarinen, und cs erklärt sich daher zur Genüge,
daß diese die geschworenen Feinde der verhaßten europäischen
Eindringlinge sind. Unser Bild ans S. 135 stellt einen solchen
anamitischen Würdenträger in seiner Amtstracht dar, die im
Wesentlichen der chinesischen entspricht. Besonders ausfallend
erscheinen uns die krallenartigen, sorgsam gepflegten Nägel an
den Fingern des Mandarinen. Die Aristokratie der anamiti-
schen Civil- und Militärmandarinen wird in zehn Klassen Un-
geteilt und ist im Besitze der gesammten Verwaltung. Ein
Mitglied derselben, der sogenannte Mandarin der Elephanten,
ist stets Premierminister und war früher der eigentliche Regent
des Reiches. Jede Provinz hat einen Militärmandarinen zum
Gouverneur und zwei Civilmandarinen als Neben- und Unter-
gouverneur, die zusammen den Rath der Provinz bilden.

Don Amerika nach Europa.
Lin Bild aus dem modernen Berkehrsleben.
von
d-F A- Wertljold.
- (Nachdruck verboten.)
Bremer Llohddampfer liegt im Hafen
New-Hork zur Abfahrt bereit; zum
zweiten Male schon ist das Signal mit der
Glocke gegeben worden, welches alle Personen,
die nicht mitfahren, auffordert, das Schiff
rAO zu verlassen. Die Schiffskessel lassen summend
s' und zischend Dampf ausströmen, der Lootse
ist an Bord, die amerikanische Hafcnkommission ver-
läßt soeben über die Laufbrücke das Schiff, nachdem
sie alle Papiere in Ordnung befunden und die Erlaub-
niß zur Ausfahrt aus dem Hafen gegeben hat.
Da jagen drüben am Ouai im letzten Augenblick
noch einige Wagen heran. Säcke großen und kleinen
Kalibers werden eilig heruntergeworfen, dann mit
großer Geschwindigkeit an Bord und unter Deck ge-
schafft, und wenige Minuten später steuert das Schiff
in voller Fahrt vom Pier, d. h. von der Landungs-
brücke, und nimmt, die riesige Statue der Freiheit
auf der Bedloe-Jnsel zur Rechten lassend, seinen Weg
aus der Bucht von New-Horst heraus.
Diese letzte Ladung, die noch an Bord kam, war
die Post. Der Dampfer führt hinten an der Gaffel
die deutsche Fahne in Schwarz-weiß-roth, er führt am
Vordermast die Bremer Flagge Weißroth, am Mit-

Las Buch für Alle,
telmast die Flagge des Norddeutschen Llohd, blauer
Anker und blauer Schlüssel, sich im Weißen Felde
kreuzend, und am Kreuzmast die deutsche Postflagge,
durchaus ähnlich der Flagge der Kriegsmarine, nur
daß sie im linken unteren Felde ein gelbes Posthorn hat.
Wenn wir dem Postgepäck, das durch die Luken
nach dem ersten Deck gebracht wurde, auf seinem Wege
folgen, fo kommen wir in einen ziemlich großen, fast
saalartigen Raum, welcher ebenso elegant eingerichtet
ist, wie die erste und zweite Kajüte unserer sämmt-
lichen Llohddampfer. Ein großer, grünbezogener Tisch
mit zahlreichen Fächern über der Schreibplatte, an
welcher bequem vier Mann arbeiten können, bildet das
Hauptmobiliar dieses Raumes, wenigstens das beweg-
liche. Die eine Längswand wird von einem Polirten,
massiven Regal eingenommen, welches kolossale Fächer
enthält, deren Böden sämmtlich schräg nach der Wand
zu geneigt sind. Einige Behälter zur Aufbewahrung
von Formularen, Schränkchen zur Aufbewahrung von
Stenipeln, Farbe, Bindfaden, Siegellack u. f. w. voll-
enden die Einrichtung dieses schwimmenden Postbüreau's.
Eine Schiebethür führt in einen mächtigen Nebenraum,
der vollständig mit Palleten verstaut ist; sie sind so
fest verladen und so geschickt übereinander gestapelt, daß
sie nicht bei jeder Bewegung des Schiffes hin und her
rollen, sondern selbst in einem schweren Sturme, wenn
das Schiff rollt und stampft, nicht zu sehr durch-
einander geschüttelt werden; im gegenteiligen Falle
würde von ihnen nicht viel nach Europa kommen.
Treten wir in den Gang hinaus, so kommen wir
in eine elegant eingerichtete Kabine mit zwei überein-
ander gestellten Betten und der übrigen Einrichtung,
wie sie die Passagiere zweiter Klasse haben. Der
Raum ist für die Leiden Postbeamten, sür den deutschen
und den amerikanischen, bestimmt. Ein minder ele-
ganter, aber sehr Praktisch ausgestatteter Nebenraum
ist für die beiden Unterbeamten, den deutschen und den
amerikanischen, bestimmt.
Seit dem Anfang des Jahres 1891 hat man sich
nämlich nach sehr langen und umständlichen Verhand-
lungen zwischen Nordamerika und Deutschland endlich
entschlossen, jeden Dampfer von einem amerikanischen
und einem deutschen Postbeamten nebst je einem Unter-
beamten als Gehilfen begleiten zu lasse«, um die Post
noch während der siebentägigen Ueberfahrt so vorzu-
bereiten, daß sie beim Eintreffen in Bremen oder in
New-Hork sofort weiter befördert werden kann, ohne
daß ein halber oder ein ganzer Tag Zeitverlust auf
das Sortiren entfällt. Früher übernahm der Kapitän
oder erste -Offizier die Post; sie wurde unter seiner
Aufsicht von den Amerikanern eingeladen, dann wurden
die Räume verschlossen, und der Kapitän übernahm den
Schlüssel, um ihn erst wieder in Bremen an die deutsche
Postbehörde oder umgekehrt in New-Hork an die ame-
rikanischen Postbeamten auszuliefern.
Durch diesen neuesten postalischen Fortschritt: die
Einrichtung der schwimmenden Postbnreaux, welche mit
einem deutschen und einem amerikanischen Beamten
besetzt sind, erzielt man eine Beschleunigung in der
Beförderung der Poststücke um fast einen ganzen Tag.
Die Beamten und Unterbeamten, sowohl amerikauischer-
wie deutscherseits, sind „von der Wasserkante", d. h.
sind Leute, welche von der Küste sind, die Seeverhült-
nifse kennen, Seereisen gemacht haben und ziemlich
seefest sind. Man muß auf diesen Umstand bedeutende
Rücksicht nehmen, denn im Herbst und Winter ist
manchmal die Ueberfahrt eines Llohddampfers eine fo
stürmische, daß wahrscheinlich die ganze Post unbe-
arbeitet liegen bleiben müßte, würden die Postbeamten
in heftiger Weise von der Seekrankheit befallen.
Die Beamten erhalten Offiziersverpflegung, natür-
lich auf Kosten des Deutschen Reichs und der Ver-
einigten Staaten von Amerika, und essen mit einer
bestimmten Gruppe von Schiffsoffizieren in der soge-
nannten Offiziersmesse. Die Unterbeamten werden in
Bezug auf Verpflegung und Essen im Range gleich-
stehend mit den Maaten, d. h. einem Zwischenposten
zwischen Matrosen und Offizieren, gleich geachtet.
Auf der Fahrt nach Deutschland, also derjenigen,
die wir im Geiste mitmachen wollen, hat der ameri-
kanische Beamte die Leitung. Die Post, die herüber-
gebracht wird, ist ja eine amerikanische und bleibt
amerikanisches Eigenthum bis zu dem Augenblicke, in
dem sie in Bremen der deutschen Neichspost übergeben
wird; umgekehrt hat auf der Fahrt nach New-Hork
der deutsche Postbeamte die Leitung und das Kom-
mando im Bureau. —
Sehen wir uns einmal die Post etwas näher an,
welche von New-Horst nach Bremen herübergebracht
wird. Sie umfaßt zunächst die gejammte Post, die
sich in New-Horst und Umgegend angesammelt hat, und
das ist keine kleine, denn zwischen New-Hork und Deutsch-
land bestehen Handelsbeziehungen, die jährlich einen
Umsatz von Hunderten von Millionen Mark erzielen.
Es kommt dazu die gesamnite Post der westlichen Ver-
einigten Staaten bis San Francisco und ferner ncch
ein Theil der asiatischen und australischen Post, die
durch den Großen Ocean zu Schiff nach San Fran-

Hest 5.
cisco befördert wird, von hier in vieltägiger Eisenbahn-
fahrt über die Pacisicbahnen bis New-Horst geht und
auf die Llohddampfer geladen wird, um über den
Atlantischen Ocean befördert zu werden. Erwägt man,
wie groß der Geschäftsverkehr Deutschlands mit den
Vereinigten Staaten von Nordamerika ist, wie viel
Hunderttausende von Auswanderern jährlich nach Ame-
rika hinübergehen, die doch immer mit dem Mutter-
lande und ihren Angehörigen in Beziehungen bleiben,
wie viele Deutsche in Amerika wohnen, so wird man
Wohl begreifen, daß der Postverkehr ein riesenhafter
ist und daß er beständig wächst.
Diese Post bringt aber nicht nur Sachen für Deutsch-
land, sondern auch im Transitverkehr für Polen, Ruß-
land, Oesterreich-Ungarn, die Türkei, Schweden-Nor-
wegen, ja selbst für Norditalien. Besonders werden
erstaunlich viel Zeitungen von Amerika unter Kreuz-
bändern nach Europa gesendet, nicht zur Freude unserer
deutschen Postbeamten, die diese Zeitnngssendungen
„Knüppel" nennen. Die Amerikaner Pflegen die Zei-
tungen nicht wie wir viereckig zusammenzülegen und
zu falzen, sondern die zusammengelegten Blätter zu
rollen und dann niit einem Streifband und der Adresse
zu versehen. Diese gerollten, runden, knüppelförmigen
Poststücke verpacken sich zwar leichter, aber die Adressen
lesen sich beim Sortiren sehr schlecht, und ein geübter
Beamter sortirt das gleiche Quantum „Knüppel", d. h.
amerikanischer gerollter Zeitungen, dreimal langsamer
als Briefe selbst mit ziemlich undeutlichen Adressen.
Außer Briefen, Kreuzbändern und den bereits er-
wähnten Postpacketen sind aber noch registrirte Briefe,
d. h. eingeschriebene und belastete Briefe, also Briefe
mit Geld und Werthinhalt, zu bearbeiten. Alle Stücke
zusammen, die eine einzige schwimmende Post herüber-
bringt, betragen ungefähr 400,000 Postsachen aller
Art; öfter erhöht sich indeß diese Zahl auf mehr als
eine Million Stücke. Die Aufgabe der Postbeamten
nun, welche mit dem Schiffe fahren, ist es, die Post-
sachen auf die einzelnen Postkurse zu Vertheilen. Die
Sachen, die für den Durchgangsverkehr bestimmt sind,
werden in eines der Fächer der großen Regale sortirt,
und wenn das Schiff in Bewegung ist und etwas rollt,
steht man erst, weshalb der Boden der einzelnen Fächer
in den Riesenregalen so schräg nach unten geht. Wäre
der Boden flach, so würden bei jedem Ucberholen des
Schiffes die ganzen Postsachen herausrutschen, aus den
verschiedenen Fächern würden die Sachen wieder durch-
einanderkommen, und die gesammte Arbeit wäre ver-
gebens.
Außer dem Durchgangsverkehr, der über Berlin
geleitet wird, sobald es sich nicht um Holland oder
Schweden-Norwegen handelt, müssen aber noch die
Kurse schon vorher besonders gepackt werden, die von
Bremen aus abgehen. Eine Hauptauskreuzung für
Nord-, Ost- und Süddeutschland ist Hannover. Die
überseeische Post kommt von Bremen nach Hannover,
und hier müssen innerhalb weniger Minuten beim
Auskreuzen der Züge die mächtigen Säcke mit den
amerikanischen Postsendungen in die Eisenbahnpost-
wagen vertheilt werden, damit sofort während der
Weiterfahrt das Sortiren nach den verschiedenen Sta-
tionen erfolgen kann. Die sortirenden Beamten müssen
von fast jedem Orte Deutschlands wissen, wo er liegt
und welchem Postkurse sie ihn zuzutheilen haben. Sack
auf Sack der amerikanischen Post wird geöffnet, der
Inhalt in Körbe geschüttet und nun in die verschie-
denen Fächer vertheilt. Ist ein Fach halb oder ganz
voll, so stopft man die Briefe, Postkarten, Postanwei-
sungen, Kreuzbänder u. s. w. in Säcke mit verschiedenen
Aufschriften, und die registrirten und Geldsendungen
wieder in andere Beutel, die auch die Aufschriften
der betreffenden Postkurse tragen.
Es gehört eine besondere Uebung dazu, die ameri-
kanischen Adressen zu lesen. Der Amerikaner ist z. B.
gewöhnt, dicht unter den Namen des Adressaten Straße
und Hausnummer zu setzen, während wir sie erst unter
den Bestimmungsort schreiben. Gerade die amerikani-
schen Briefe aber, die die Auswanderer nach Hause
schicken, sind meist von Leuten geschrieben, die nicht
gut mit der Feder umzngehen wissen und sich selten
mit Briefschreiben befassen. Auf einem solchen Brief
laufen dann die verschiedenen Angaben der Adresse
kreuz und quer durcheinander, halb deutsch, halb eng-
lisch sind die Bezeichnungen, und der amerikanische
Kollege, der mit diesen Dingen Bescheid weiß, muß
dann beim Entziffern der Adressen helfen, ebenso
wie er das Einträgen der registrirten und Geldbriefe
in die Listen zusammen mit dem deutschen Beamten
besorgt.
Ist das Wetter gut und geht die Bearbeitung
glatt, dann haben die Postbeamten auch hin und Wieder-
Zeit, einmal auf Deck zu gehen und die herrliche See-
luft zu genießen, sonst aber bleibt ihnen gewöhnlich
nur Zeit zum Essen, Schlafen und zur nothdürftigsten
Erholung des Abends in der Offiziersmesse oder im
Rauchsalon der zweiten Kajüte. Sie müssen angespannt
arbeiten, wollen sie fertig werden. Ist der Ocean
durchkreuzt, und nähert man sich dem Kanal, so muß
 
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