Hrst 5.
Das Buch für Alle.
135
von Nordamerika lind Europa, insbesondere aber zu
Deutschland, wachsen täglich, so daß es jetzt schon
schwer wird, den Postverkehr zu bewältigen. Man
wird binnen Kurzem daran denken müssen, noch Ver-
besserungen einznführen, und wahrscheinlich wird die
Weltausstellung in Chicago, die im Jahre 189N statt-
findet, noch dazu betragen, neue Erleichterung und
Beschleunigung in der Beförderung der Poststücke zwi-
schen Deutschland und den amerikanischen Staaten
herzustellen.
sich nicht immer ganz frei weis;. So gilt z. B. das vier-
blättrige Kleeblatt in Deutschland allgemein siir ein Glücks-
zeichen und insbesondere Frauen, die an einem Klceselde
vorüberkommen, prüfen, soweit dies beim Vorübcrschreitcn mög-
lich ist, sorgfältig die Pflanzen, und finden sie ein vier-
blättriges Kleeblatt, so empfinden sie aufrichtige Freude. Dieser
harmlose Aberglaube ist vielleicht ost nicht mehr als ein
Scherz, aber es besteht doch im Publikum eine gewisse Vor-
liebe für das vierblättrige Kleeblatt, und die deutsche In-
dustrie speziell hat sich diese Vorliebe wohl gemerkt. Unsere
Quincailleriefabriken liefern Schmuckgegenstände aus den edel-
sten und aus den gewöhnlichsten Metallen, welche vierblättrigc
Kleeblätter darstellen. Man verarbeitet diese Form zn Brechen,
Ohrringen, Armbändern, zu Haarnadeln, und das Publikum
ist für dieses Entgegenkommen dankbar, indem es gern solche
Kleinigkeiten kaust.
Auch die „Glücksschweinchen," die man als Berlocken und
Verzierungen trägt, können als eine Benutzung des Aber-
glaubens durch die Industrie angesehen werden, da ja das
Schwein bekanntlich ohne alle Veranlassung für ein glück-
bringendes Thier gilt.
In Italien aber gibt es eine Industrie, die ganz und
gar auf einem sehr ernsten und fast alle Klaffen der Bevölke-
rung beherrschenden Aberglauben anfgebaut ist, die Korallen-
industrie gegen die Jettatnra, gegen den bösen Blick. Selbst
der gebildete Italiener schwört fest daraus, daß es Menschen
mit einem bösen Blick gibt, d. h. Leute, die im Staude siud,
unr durch einfaches Ansehen einer anderen Person schweren
Schaden an Gesundheit, Ehre und Eigenthum zuzusügen.
^1llltll!lj^ll!flt)kö. (Nachdruck vcrboteu.)
Aberglauben und Industrie. — Die Industrie, die
ununterbrochen nach neuen Absatzqnelleu forscht, lauscht auch
aufmerksam aus alle Erscheinungen des öffentlichen Lebens,
sie fügt sich aber gewissermaßen auch den Jdeeu der Nation
oder bestimmter örtlicher Kreise an. Ebenso wie die Industrie
sich gewisser politischer Ereignisse bemächtigt, um sie für ihre
Zwecke zn verwerthen, hat sie sich in allen Ländern auch mit
Glück des Aberglaubens bemächtigt, insbesondere jener Art
harmlosen Aberglaubens, von dem selbst der Hochgebildete
--
Anamltijcher Mandarin. (S. I3t)
Nach dem ties eingewurzelten italienischen Aberglauben schützt
nun gegen den bösen Blick die rothe Koralle, jedoch nnr in
bestimmter, cigenthüinlichcr Form, korkzieherartig gedreht. Man
verarbeitet diese Korallenstücke zu Verlocken, die an der llhr-
kette getragen werden, und man findet gerade diese eigenthüm-
liche Korallensorm auch in Deuischland häufig als Berlocke
an den Uhren hängen, dann aber auch als Schmnckgcgen-
stünde für Frauen. In Norditalien ist man der Ansicht,
daß auch eine Hand, die ans rother Koralle geschnitzt ist und
die man um den Hals trägt, ein gutes Schutzmittel gegen den
böien Blick darstellc, und viele Tausende von Liren werden jähr-
lich nmgesetzl durch die Fabrikaliou dieser rothen Korallen-
hände, die man zu Busennadeln sür die Männer, zu Brochen
für die Frauen oder zu Anhängseln an Ketten verarbeitet.
Die italienische Industrie hat es eben verstanden, auch aus
diesem Aberglauben Nutzen zu ziehen. O. Kl.
Die „alten Deutschen". — Zur Zeit als Fürst Leopold
von Dessau, „der alte Dessauer", mit dem Kommando in
Oberschlesien betraut war, ritt er einst mit verschiedenen
hohen Osfiziercn ans, nm den Feind zn reloguosziren. Unter-
wegs bemerkte er etwas, das er ansznzeichnen sür nölhig er-
achtete. Er sragte also seine Begleiter nach einem Bleistift.
Nach langem Hin- und Hersuchen sand jedoch keiner ein solches,
einem Ossizier unentbehrliches Hilfsmittel in seiner Tasche.
> Man ritt weiter. Zuletzt mahnte der größte Despot des
menschlichen Geschlechts, der Magen, daß cs Zeit sei, eine
kleine Erfrischung zn nehmen. Ter Fürst stieg daher unter
dem ersten besten Baume ab, ließ sich von dem Reitknecht
den mitgenommenen Imbiß, wobei sich auch eine Flasche
Wein befand, reichen nnd begann zn frühstücken. Nun stellte
es sich aber heraus, daß der Reitknecht unglücklicherweise
den Psropsenzieher vergessen hatte. Der Marschall sragte
daher seine Osfiziere: „Meine Herren, hat Jemand von
Ihnen einen Psropsenzieher bei sich?"
Und siehe da, kein einziger der Gefragten hatte sich die
sträfliche Nachlässigkeit zu Schulden kommen lassen, dieses,
einem tapferen Kriegsmanne unentbehrliche Hilfsmittel zn
Hause zu lassen. Wie aus der Pistole geschossen, flogen die
Psropsenzieher alle aus der Tasche, und der sonst so barsche
alte Dessauer lachte über diesen treuherzigen Beitrag zur
Charakteristik seiner, den allen deutschen Sitten so treu
gebliebene» Osfiziere nicht wenig. A. St.
Indische Sircare. — Kein angesehener Engländer,
der sich in Indien aushält, zahlt seine Vedürsuisse selbst bar
aus, ja er pflegt in den meisten Füllen überhaupt kein
Bargeld im Hanse zu haben. Kausen die englischen Damen
in den Läden Calcnlta's ein oder nehmen sie den Händ-
lern die in's Hans gebrachten Maaren ab, ja selbst wenn
sie beim Konditor nur ein Glas Gefrorenes zu sich nehmen,
so wird der Betrag ans einen kleinen Zettel geschrieben, der
die Namensnnterschrist nebst dem Zusatz enthält: „siroar"
— zahlen.
Der Ncichthum der meisten in Indien wohnenden Eng-
länder, die Schwierigkeit, sich in dem Geschäftsbetriebe der
Eingeborenen znrechtznfinden, dazu der iu Indien herr-
schende starre Kastengeist, der sür jede Verrichtung eigene
Personen erfordert, hat die Europäer dazu gebracht, sich
zn jeder Gcschästsmanipulation gewisser Geschäftsleute —
der Sircare — zu bedienen.
Die Sircare sind nicht bezahlte Diener, sondern er-
legen im Gegentheil eine ost hohe Kaution; sie betreiben
jedes ans Geld bezügliche Geschäft ihrer Herren, machen
alle Einkäufe und bestreiteu alle Ausgaben des Hauses. Sie
erhalten dazu Vorschüsse und führen genaue Rechnung über
Soll und Haben; ihr Verdienst besteht in dem Gewinn,
der ihnen ans dem Spekulireu nut den in ihren Händen
befindlichen Geldern erwächst. Allmonatlich melden sich bei
dem Sircar die verschiedenen Anwcijuugsiuhaber und nehmen
die Zahlung in Empfang. Fast nie ereignet es sich, daß
ein Sircar die ihm anvertranten Gelder veruntreut, oder
daß ein Europäer den Kredit eines Sircars mißbraucht.
H. Si t.
Ein Mondrcgenlwgcn. — Bekannt ist die hübsche
Erscheinung des Regenbogen» und daß diese durch eine
doppelte Brechung der Sonnenstrahlen in den nieder-
fallenden Tropfen einer dunklen Regenwolke entsteht. Wenn
jedoch die Sonne über 42" hoch steht, ist ein Regenbogen
nicht mehr zn sehen. Dieses weiß wohl jeder einiger-
maßen Gebildete, nicht aber, daß auch die Strcchlen des
— Mondlichts im Staude sind, einen Regenbogen durch Strahlen-
brechung zn erzeugen. Schreiber dieses hat ein solches, gewiß
seltenes Phänomen mit eigenen Augen unter Theilpahme glaub-
hafter Zeugen und zwar im Oktober v. I. beobachtet nnd
genau verfolgt. Eben stieg der Vollmond über dem Horizont
am südöstlichen Himmel ans. Es war Abends 7 Uhr. Im
Norden halte sich inzwischen eine dunkle Regentvaud am
Himmel gebildet, an welcher nun ein deutlicher Regenbogen
entstand. Die Erscheinung verblaßte erst nach einer halben
Stunde, als der Mond höher gestiegen nnd die Wolke vom
Regen entlastet war. C. Cassau.
Scherzhafte Ablehnung. — Der in steten Geld-
nöthen befindliche Schriftsteller Gibcau in Paris schrieb einst
an den Chef der bekannten Champagnerfabrik Röderer einen
Bries solgenden Inhalts:
„Mein Herr!
Ich habe keinen Son und bete den Champagner an.
Haben Sie die Güte, mir einen Korb voll Ihres 'göttlichen
Getränkes zn senden. Mit ihm hoffe ich mein Elend zn ver-
gessen."
Kanin Halle Röderer diese Zeilen empfangen, so antwortete
er sogleich:
„Mein Herr!
Ihr Mittel, Ihr Elend zu vergessen, laugt nichts. Die
unaujhörliche nnd hartnäckige Präsentation meiner Rechnung
würde Sie jeden Augenblick wieder an Ihre traurige Lage
erinnern." -dü-
nn Theil der Post vollständig fertig sein, da ja auch
englische Briefsendungen für Southampton von Amerika
mitgebracht worden sind.
In den letzten Stunden beginnt der Verschlnß der
Briefsäcke. Sämnitliche amerikanische Briefbeutel und
Säcke sind entleert, und der sortirte Inhalt ist in die
deutschen Postbeutel nnd Säcke gewandert. Jeder
Beutel und Sack ist durch eine Schnur verschlossen,
die man zusammenziehen kann. Die Enden dieser
ziemlich starken Schnur werden durch zwei Löcher im
Boden eines Blechschüsselchens gezogen, welches unge-
fähr die Größe eines Zweimarkstückes hat. Auf dem
Boden dieses Schüsselchens stehen die Buchstaben
„kl. 8. Nasi", d. h. Vereinigte Staaten-Post. Die
Enden der Schnur werden verknotet, und in die Höhlung
des Schüsselchens wird nunmehr Siegellack geträufelt,
der die Schnur vollständig bedeckt, und dann das ameri-
kanische Siegel aufgedrückt, welches die Zuschrift hat:
„kl. 8. ksrinnn Los, kost" (Vereinigte Staaten-Seepost
nach Deutschland).
Wohlsmd nun die Poststücke nach deutschen Kursen
sortirt, sind aber immer noch amerikanisches Eigenthum,
beziehungsweise tragen die Vereinigten Staaten von
Amerika die Verantwortung für diese Stücke.
Das Feuerschiff in der Weser kommt in Sicht.
Der Dampfer nähert sich dem Heimathshafen. Fertig
gepackt sind sämmtliche Beutel und Säcke, auch die
Packete hat man in den letzten Tagen aus dem
Laderaum herausgezogen und sie nach Kursen und
Bestimmungsorten sortirt. Der Leuchtthurm von
Rothesand wird passirt, langsamer fährt der Lloyd-
Kämpfer auf der Weser hin, bis er an dem großen
Pier von Nordenham anlegt. Rasselnd fahren die
Anker zu Grund, die Behörden kommen an Bord,
nut ihnen die Vertreter der deutschen Reichspost, die
sich sofort nach dem Schiffsbureau begeben und hier
in Gegenwart der beiden deutschen Beamten, die
mit über das Meer gekommen sind, von den ameri-
kanischen Beamten die Sendung übernehmen. Die
verschiedenen Posten in den Formularen werden ver-
glichen, es wird quittirt, eilige Hände schaffen über
die Laufbrücke die Postsäcke aus dem Schiff auf den
Quai, wo bereits die großen gelben Wagen zur
Aufnahme der Säcke und Packete stehen, und im
schärfsten Trabe geht es entweder nach dem Postamt
in Nordenham, oder nach dem Bahnhof, wo in den
Zug besondere Postwagen einrangirt sind, welche
die ganze überseeische Post bis Bremen bringen.
Hier hat man die Postkurse auseinander gebracht
und läßt einen Theil der Packete und Briefsäcke
zurück. Der größte Theil jedoch geht unmittelbar
mit dem Schnellzuge, der sich in Bremen anschließt,
nach Hannover weiter, wo sich bei der Ankunft der
überseeischen Post wiederum ein reges Postalisches
^.reiben entwickelt. Aus den Bremer Postwagen
stiegen die Säcke und Beutel heraus, in die hier
und dort auf den Geleisen stehenden Postwagen der
Züge werden sie eingeladen, und wenige Minuten
später fahren fast nach allen Richtungen hin die
Postzüge heraus, welche die überseeische Post für
Deutschland und das Ausland Vertheilen.
Die Berliner Post sendet jeden Tag nach Hannover
Sortirer, um die für Berlin bestimmten Briefe so-
fort nach Postämtern zu sortiren. .An deu Tagen,
wo die überseeische Post ankommt — und das ist
jetzt mehrmals wöchentlich der Fall — erhalten
diese Sortirer noch Verstärkung, und während der
Zug von Hannover nach Berlin jagt, wenden sie
alle ihre Kraft und ihre staunenswerthe Kenntnis;
der Berliner Straßen- nnd Häuserverhältnisse auf,
um die Sendungen so fertig zu machen, daß sie sh.,
schon in Berlin vom Bahnhof aus durch Karriolen
an die einzelnen Postämter vertheilt werden können,
wo unmittelbar nach der Ankunft das Austragen der
Postsachen beginnt. Die nicht fertig gewordenen Post-
stücke, ebenso die für das Ausland und den Durch-
gangsverkehr bestimmten werden in den großen Bahn-
hofswagcn direkt nach dem Berliner Stadtpostamt in
der Königstraße gebracht, werden hier sortirt und gehen
nach Ost- und Süddeutschland mit deu nächsten Schnell-
zügen weiter.
Auf diese Weise ist es möglich, daß ein Brief, der
in New-Zork am Tage des Abganges eines Llohd-
dampfers aufgegeben wurde, spätestens nach acht Tagen
selbst im entferntesten Winkel Deutschlands in der
Hand des Adressaten sich befinden muß. Rechnet mau
dazu das billige Porto von zwanzig Pfennigen, so
muß man über die Fortschritte des Postwesens wirklich
staunen, besonders wenn inan sich vergegenwärtigt,
daß noch vor ungefähr sechzig Jahren ein Brief von
Süddeutschland nach Ostpreußen ebenso lange lief, wie
heute ein Brief von New-Jork bis an den deutschen
Bestimmungsort, daß ein solcher Brief damals unge-
fähr einen Thaler kostete, und daß gewöhnlich nur
einmal wöchentlich eine Post abgiug, welche Briefe
niituahm, so daß die Antwort gewöhnlich erst nach
vierzehn Tagen einlaufen konnte.
Die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten
Das Buch für Alle.
135
von Nordamerika lind Europa, insbesondere aber zu
Deutschland, wachsen täglich, so daß es jetzt schon
schwer wird, den Postverkehr zu bewältigen. Man
wird binnen Kurzem daran denken müssen, noch Ver-
besserungen einznführen, und wahrscheinlich wird die
Weltausstellung in Chicago, die im Jahre 189N statt-
findet, noch dazu betragen, neue Erleichterung und
Beschleunigung in der Beförderung der Poststücke zwi-
schen Deutschland und den amerikanischen Staaten
herzustellen.
sich nicht immer ganz frei weis;. So gilt z. B. das vier-
blättrige Kleeblatt in Deutschland allgemein siir ein Glücks-
zeichen und insbesondere Frauen, die an einem Klceselde
vorüberkommen, prüfen, soweit dies beim Vorübcrschreitcn mög-
lich ist, sorgfältig die Pflanzen, und finden sie ein vier-
blättriges Kleeblatt, so empfinden sie aufrichtige Freude. Dieser
harmlose Aberglaube ist vielleicht ost nicht mehr als ein
Scherz, aber es besteht doch im Publikum eine gewisse Vor-
liebe für das vierblättrige Kleeblatt, und die deutsche In-
dustrie speziell hat sich diese Vorliebe wohl gemerkt. Unsere
Quincailleriefabriken liefern Schmuckgegenstände aus den edel-
sten und aus den gewöhnlichsten Metallen, welche vierblättrigc
Kleeblätter darstellen. Man verarbeitet diese Form zn Brechen,
Ohrringen, Armbändern, zu Haarnadeln, und das Publikum
ist für dieses Entgegenkommen dankbar, indem es gern solche
Kleinigkeiten kaust.
Auch die „Glücksschweinchen," die man als Berlocken und
Verzierungen trägt, können als eine Benutzung des Aber-
glaubens durch die Industrie angesehen werden, da ja das
Schwein bekanntlich ohne alle Veranlassung für ein glück-
bringendes Thier gilt.
In Italien aber gibt es eine Industrie, die ganz und
gar auf einem sehr ernsten und fast alle Klaffen der Bevölke-
rung beherrschenden Aberglauben anfgebaut ist, die Korallen-
industrie gegen die Jettatnra, gegen den bösen Blick. Selbst
der gebildete Italiener schwört fest daraus, daß es Menschen
mit einem bösen Blick gibt, d. h. Leute, die im Staude siud,
unr durch einfaches Ansehen einer anderen Person schweren
Schaden an Gesundheit, Ehre und Eigenthum zuzusügen.
^1llltll!lj^ll!flt)kö. (Nachdruck vcrboteu.)
Aberglauben und Industrie. — Die Industrie, die
ununterbrochen nach neuen Absatzqnelleu forscht, lauscht auch
aufmerksam aus alle Erscheinungen des öffentlichen Lebens,
sie fügt sich aber gewissermaßen auch den Jdeeu der Nation
oder bestimmter örtlicher Kreise an. Ebenso wie die Industrie
sich gewisser politischer Ereignisse bemächtigt, um sie für ihre
Zwecke zn verwerthen, hat sie sich in allen Ländern auch mit
Glück des Aberglaubens bemächtigt, insbesondere jener Art
harmlosen Aberglaubens, von dem selbst der Hochgebildete
--
Anamltijcher Mandarin. (S. I3t)
Nach dem ties eingewurzelten italienischen Aberglauben schützt
nun gegen den bösen Blick die rothe Koralle, jedoch nnr in
bestimmter, cigenthüinlichcr Form, korkzieherartig gedreht. Man
verarbeitet diese Korallenstücke zu Verlocken, die an der llhr-
kette getragen werden, und man findet gerade diese eigenthüm-
liche Korallensorm auch in Deuischland häufig als Berlocke
an den Uhren hängen, dann aber auch als Schmnckgcgen-
stünde für Frauen. In Norditalien ist man der Ansicht,
daß auch eine Hand, die ans rother Koralle geschnitzt ist und
die man um den Hals trägt, ein gutes Schutzmittel gegen den
böien Blick darstellc, und viele Tausende von Liren werden jähr-
lich nmgesetzl durch die Fabrikaliou dieser rothen Korallen-
hände, die man zu Busennadeln sür die Männer, zu Brochen
für die Frauen oder zu Anhängseln an Ketten verarbeitet.
Die italienische Industrie hat es eben verstanden, auch aus
diesem Aberglauben Nutzen zu ziehen. O. Kl.
Die „alten Deutschen". — Zur Zeit als Fürst Leopold
von Dessau, „der alte Dessauer", mit dem Kommando in
Oberschlesien betraut war, ritt er einst mit verschiedenen
hohen Osfiziercn ans, nm den Feind zn reloguosziren. Unter-
wegs bemerkte er etwas, das er ansznzeichnen sür nölhig er-
achtete. Er sragte also seine Begleiter nach einem Bleistift.
Nach langem Hin- und Hersuchen sand jedoch keiner ein solches,
einem Ossizier unentbehrliches Hilfsmittel in seiner Tasche.
> Man ritt weiter. Zuletzt mahnte der größte Despot des
menschlichen Geschlechts, der Magen, daß cs Zeit sei, eine
kleine Erfrischung zn nehmen. Ter Fürst stieg daher unter
dem ersten besten Baume ab, ließ sich von dem Reitknecht
den mitgenommenen Imbiß, wobei sich auch eine Flasche
Wein befand, reichen nnd begann zn frühstücken. Nun stellte
es sich aber heraus, daß der Reitknecht unglücklicherweise
den Psropsenzieher vergessen hatte. Der Marschall sragte
daher seine Osfiziere: „Meine Herren, hat Jemand von
Ihnen einen Psropsenzieher bei sich?"
Und siehe da, kein einziger der Gefragten hatte sich die
sträfliche Nachlässigkeit zu Schulden kommen lassen, dieses,
einem tapferen Kriegsmanne unentbehrliche Hilfsmittel zn
Hause zu lassen. Wie aus der Pistole geschossen, flogen die
Psropsenzieher alle aus der Tasche, und der sonst so barsche
alte Dessauer lachte über diesen treuherzigen Beitrag zur
Charakteristik seiner, den allen deutschen Sitten so treu
gebliebene» Osfiziere nicht wenig. A. St.
Indische Sircare. — Kein angesehener Engländer,
der sich in Indien aushält, zahlt seine Vedürsuisse selbst bar
aus, ja er pflegt in den meisten Füllen überhaupt kein
Bargeld im Hanse zu haben. Kausen die englischen Damen
in den Läden Calcnlta's ein oder nehmen sie den Händ-
lern die in's Hans gebrachten Maaren ab, ja selbst wenn
sie beim Konditor nur ein Glas Gefrorenes zu sich nehmen,
so wird der Betrag ans einen kleinen Zettel geschrieben, der
die Namensnnterschrist nebst dem Zusatz enthält: „siroar"
— zahlen.
Der Ncichthum der meisten in Indien wohnenden Eng-
länder, die Schwierigkeit, sich in dem Geschäftsbetriebe der
Eingeborenen znrechtznfinden, dazu der iu Indien herr-
schende starre Kastengeist, der sür jede Verrichtung eigene
Personen erfordert, hat die Europäer dazu gebracht, sich
zn jeder Gcschästsmanipulation gewisser Geschäftsleute —
der Sircare — zu bedienen.
Die Sircare sind nicht bezahlte Diener, sondern er-
legen im Gegentheil eine ost hohe Kaution; sie betreiben
jedes ans Geld bezügliche Geschäft ihrer Herren, machen
alle Einkäufe und bestreiteu alle Ausgaben des Hauses. Sie
erhalten dazu Vorschüsse und führen genaue Rechnung über
Soll und Haben; ihr Verdienst besteht in dem Gewinn,
der ihnen ans dem Spekulireu nut den in ihren Händen
befindlichen Geldern erwächst. Allmonatlich melden sich bei
dem Sircar die verschiedenen Anwcijuugsiuhaber und nehmen
die Zahlung in Empfang. Fast nie ereignet es sich, daß
ein Sircar die ihm anvertranten Gelder veruntreut, oder
daß ein Europäer den Kredit eines Sircars mißbraucht.
H. Si t.
Ein Mondrcgenlwgcn. — Bekannt ist die hübsche
Erscheinung des Regenbogen» und daß diese durch eine
doppelte Brechung der Sonnenstrahlen in den nieder-
fallenden Tropfen einer dunklen Regenwolke entsteht. Wenn
jedoch die Sonne über 42" hoch steht, ist ein Regenbogen
nicht mehr zn sehen. Dieses weiß wohl jeder einiger-
maßen Gebildete, nicht aber, daß auch die Strcchlen des
— Mondlichts im Staude sind, einen Regenbogen durch Strahlen-
brechung zn erzeugen. Schreiber dieses hat ein solches, gewiß
seltenes Phänomen mit eigenen Augen unter Theilpahme glaub-
hafter Zeugen und zwar im Oktober v. I. beobachtet nnd
genau verfolgt. Eben stieg der Vollmond über dem Horizont
am südöstlichen Himmel ans. Es war Abends 7 Uhr. Im
Norden halte sich inzwischen eine dunkle Regentvaud am
Himmel gebildet, an welcher nun ein deutlicher Regenbogen
entstand. Die Erscheinung verblaßte erst nach einer halben
Stunde, als der Mond höher gestiegen nnd die Wolke vom
Regen entlastet war. C. Cassau.
Scherzhafte Ablehnung. — Der in steten Geld-
nöthen befindliche Schriftsteller Gibcau in Paris schrieb einst
an den Chef der bekannten Champagnerfabrik Röderer einen
Bries solgenden Inhalts:
„Mein Herr!
Ich habe keinen Son und bete den Champagner an.
Haben Sie die Güte, mir einen Korb voll Ihres 'göttlichen
Getränkes zn senden. Mit ihm hoffe ich mein Elend zn ver-
gessen."
Kanin Halle Röderer diese Zeilen empfangen, so antwortete
er sogleich:
„Mein Herr!
Ihr Mittel, Ihr Elend zu vergessen, laugt nichts. Die
unaujhörliche nnd hartnäckige Präsentation meiner Rechnung
würde Sie jeden Augenblick wieder an Ihre traurige Lage
erinnern." -dü-
nn Theil der Post vollständig fertig sein, da ja auch
englische Briefsendungen für Southampton von Amerika
mitgebracht worden sind.
In den letzten Stunden beginnt der Verschlnß der
Briefsäcke. Sämnitliche amerikanische Briefbeutel und
Säcke sind entleert, und der sortirte Inhalt ist in die
deutschen Postbeutel nnd Säcke gewandert. Jeder
Beutel und Sack ist durch eine Schnur verschlossen,
die man zusammenziehen kann. Die Enden dieser
ziemlich starken Schnur werden durch zwei Löcher im
Boden eines Blechschüsselchens gezogen, welches unge-
fähr die Größe eines Zweimarkstückes hat. Auf dem
Boden dieses Schüsselchens stehen die Buchstaben
„kl. 8. Nasi", d. h. Vereinigte Staaten-Post. Die
Enden der Schnur werden verknotet, und in die Höhlung
des Schüsselchens wird nunmehr Siegellack geträufelt,
der die Schnur vollständig bedeckt, und dann das ameri-
kanische Siegel aufgedrückt, welches die Zuschrift hat:
„kl. 8. ksrinnn Los, kost" (Vereinigte Staaten-Seepost
nach Deutschland).
Wohlsmd nun die Poststücke nach deutschen Kursen
sortirt, sind aber immer noch amerikanisches Eigenthum,
beziehungsweise tragen die Vereinigten Staaten von
Amerika die Verantwortung für diese Stücke.
Das Feuerschiff in der Weser kommt in Sicht.
Der Dampfer nähert sich dem Heimathshafen. Fertig
gepackt sind sämmtliche Beutel und Säcke, auch die
Packete hat man in den letzten Tagen aus dem
Laderaum herausgezogen und sie nach Kursen und
Bestimmungsorten sortirt. Der Leuchtthurm von
Rothesand wird passirt, langsamer fährt der Lloyd-
Kämpfer auf der Weser hin, bis er an dem großen
Pier von Nordenham anlegt. Rasselnd fahren die
Anker zu Grund, die Behörden kommen an Bord,
nut ihnen die Vertreter der deutschen Reichspost, die
sich sofort nach dem Schiffsbureau begeben und hier
in Gegenwart der beiden deutschen Beamten, die
mit über das Meer gekommen sind, von den ameri-
kanischen Beamten die Sendung übernehmen. Die
verschiedenen Posten in den Formularen werden ver-
glichen, es wird quittirt, eilige Hände schaffen über
die Laufbrücke die Postsäcke aus dem Schiff auf den
Quai, wo bereits die großen gelben Wagen zur
Aufnahme der Säcke und Packete stehen, und im
schärfsten Trabe geht es entweder nach dem Postamt
in Nordenham, oder nach dem Bahnhof, wo in den
Zug besondere Postwagen einrangirt sind, welche
die ganze überseeische Post bis Bremen bringen.
Hier hat man die Postkurse auseinander gebracht
und läßt einen Theil der Packete und Briefsäcke
zurück. Der größte Theil jedoch geht unmittelbar
mit dem Schnellzuge, der sich in Bremen anschließt,
nach Hannover weiter, wo sich bei der Ankunft der
überseeischen Post wiederum ein reges Postalisches
^.reiben entwickelt. Aus den Bremer Postwagen
stiegen die Säcke und Beutel heraus, in die hier
und dort auf den Geleisen stehenden Postwagen der
Züge werden sie eingeladen, und wenige Minuten
später fahren fast nach allen Richtungen hin die
Postzüge heraus, welche die überseeische Post für
Deutschland und das Ausland Vertheilen.
Die Berliner Post sendet jeden Tag nach Hannover
Sortirer, um die für Berlin bestimmten Briefe so-
fort nach Postämtern zu sortiren. .An deu Tagen,
wo die überseeische Post ankommt — und das ist
jetzt mehrmals wöchentlich der Fall — erhalten
diese Sortirer noch Verstärkung, und während der
Zug von Hannover nach Berlin jagt, wenden sie
alle ihre Kraft und ihre staunenswerthe Kenntnis;
der Berliner Straßen- nnd Häuserverhältnisse auf,
um die Sendungen so fertig zu machen, daß sie sh.,
schon in Berlin vom Bahnhof aus durch Karriolen
an die einzelnen Postämter vertheilt werden können,
wo unmittelbar nach der Ankunft das Austragen der
Postsachen beginnt. Die nicht fertig gewordenen Post-
stücke, ebenso die für das Ausland und den Durch-
gangsverkehr bestimmten werden in den großen Bahn-
hofswagcn direkt nach dem Berliner Stadtpostamt in
der Königstraße gebracht, werden hier sortirt und gehen
nach Ost- und Süddeutschland mit deu nächsten Schnell-
zügen weiter.
Auf diese Weise ist es möglich, daß ein Brief, der
in New-Zork am Tage des Abganges eines Llohd-
dampfers aufgegeben wurde, spätestens nach acht Tagen
selbst im entferntesten Winkel Deutschlands in der
Hand des Adressaten sich befinden muß. Rechnet mau
dazu das billige Porto von zwanzig Pfennigen, so
muß man über die Fortschritte des Postwesens wirklich
staunen, besonders wenn inan sich vergegenwärtigt,
daß noch vor ungefähr sechzig Jahren ein Brief von
Süddeutschland nach Ostpreußen ebenso lange lief, wie
heute ein Brief von New-Jork bis an den deutschen
Bestimmungsort, daß ein solcher Brief damals unge-
fähr einen Thaler kostete, und daß gewöhnlich nur
einmal wöchentlich eine Post abgiug, welche Briefe
niituahm, so daß die Antwort gewöhnlich erst nach
vierzehn Tagen einlaufen konnte.
Die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten