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streute Sessel und Divans mit vergoldeten Lehnen und
Füßen, vergoldete Tische und Tischchen, behängt und
unbehängt, mit flimmerndem Brokat, Sitzkissen von
phantastischen Formen und mit golddurchwirkten Qua-
sten geschmückt, blendeten nahezu das Auge beim Ein-
tritt in den Salon.
Hier war es, wo Marie an ihres Gatten Seite
zum ersten Male die große Welt empfing. Sie trug
ein glattes Kleid von gelblichem Cröpe de Chine ohne
jeden Schmuck. Nur in ihrem schönen braunen Haar
ruhte ein Narzissenzweig.
Carisius betrachtete ihre schlichte Erscheinung, die
eher Scheu als Freude bekundete, mit verstohlener
Mißachtung.
„Hast Du meine Freundin Gertrud neben Oskar
Lemberg gesetzt, Baler?"
„Stets wie Du befiehlst, liebes Herz. — Ein bischen
Kuppelpelz verdienen?" fragte er scherzend.
Sie errcthete unwillig.
Die Gäste kamen. Wagen auf Wagen fuhr vor.
In der Halle und auf den Treppen wurden schon leb-
hafte Grüße ausgetanscht. In der Damengarderobe
enthüllten sich prachtvolle Toiletten unter deni Kreuz-
feuer neidisch beobachtender Blicke. Und endlich strömte
Alles, was Erwartung, Neugier, Spottsucht und Neid
hier zusammengeführt, über die Schwelle dieses rosa
Salons.
Mariens liebliche Bescheidenheit fand keineswegs den
gesellschaftlichen Beifall, welcher Valer's Haltung zu
Theil ward. Seine zur Schau getragene seltsame
Mischung von Selbstbewußtsein und ironisirender Bla-
sirtheit ward durchaus schicklich befunden für einen
Millionär und interessanten Charakter.
Schon hatten sich hier und da kleine und größere
Kreise gebildet, das Augen- und Fächerspiel war bereits
in vollen! Gange, als dicht vor Herrn und Frau
v. Trefslingen ein hübscher junger Mann eintrat,
Oskar Lemberg, der Erbauer der Billa Carisius. Sein
blühendes Antlitz, von blondem Vollbart umgeben,
paßte vollkommen zu der untersetzten und kräftigen
Figur.
Marie reichte ihm herzlich die Hand. Sie freute
sich seines Hierseins für Gertrud. Wie mußte er
staunen, wenn er die Geliebte plötzlich vor sich erblickte!
„Sie waren so gütig, gnädige Frau —"
Marie schaute auf, sie erschrak. Der Legations-
rath v. Trefslingen stand vor ihr neben seiner Ge-
mahlin, welcher Baler soeben die weißbehandschuhte
Rechte küßte. Eine verfallene, völlig gebeugte Männer-
gestalt war es, welche sich jetzt auch über ihre Hand
neigte. Das spärliche graublonde Haar, welches die
hohe Stirn umgab, ließ die fahle Blässe der Gesichts-
züge noch merklicher hervortreten.
„Sind Sie leidend, Herr Legationsrath?" fragte
die junge Fran mitleidsvoll.
Er schüttelte den Kopf. „Nur etwas überangestrengt."
„Dann haben Sie uns ein Lpfer gebracht," sagte
Marie mit schlichter Herzlichkeit.
Er sah auf fein strahlend schönes Weib und schüt-
telte abermals das Haupt. „Nein, nein, gnädige
Frau."
Als Marie sich zu Ilse v. Trefslingen wandte,
streifte sie das Antlitz ihres Gatten. Der beißende
Hohn, welcher wie ein Blitzstrahl in seinen Augen
aufflammte, machte sie starr vor staunendem Erschrecken.
Ihr Antlitz spiegelte noch dieses Empfinden wieder, als
ihr Gatte sich plötzlich tief zu ihr niederbeugte und
ihr zuraunte: „Du mußt Dich besser zusammenuehmen,
meine theure Marie. Die Gesellschaft braucht ja nicht
zu sehen, wie hochgradig nervös Du bist."
„Aber ich bin —"
In diesem Augenblick betrat ein ältlicher Herr mit
Weißen! Bart und goldener Brille den Salon. Baler
ging ihm verbindlich entgegen, drückte ihm die Hand
und führte ihn seiner Gattin zu.
„Theure Marie, gestatte, daß ich Dir Herrn Sa-
nitätsrath Doktor Lippfeld vorstelle!"
Die junge Frau hatte vor ungefähr acht Tagen
die Visitenkarte des Sanitätsrathes auf ihrem Tisch
vorgefundeu. Sie neigte grüßend das Haupt.
Baler nahm ihre Rechte. „Du bist so unruhig,
so bleich!"
Sie empfand beobachtende Blicke stets peinigend,
die der beiden vor ihr stehenden Männer schmerzten sie
geradezu. Sie wandte sich schnell ab.
„Ich bitte Sie, Herr Sanitätsrath," flüsterte Baler
Carisius, den Arm des Arztes zutraulich nehmend,
„beobachten Sie scharf. Ich kann es nicht, es geht
über meine Kräfte."
Der Thee ward gereicht.
Während die junge Welt sich im Tanzsaal ver-
sammelte und ungeduldig auf den Beginn des ersten
Walzers wartete, trat Baler neben die Legations-
räthin.
„Sie tanzen, gnädige Frau? Sonst — mein Ar-
beitszimmer haben Sie noch nicht gesehen?"
„Ich will es kennen lernen, wenn der Walzer
begonnen hat," erwiederte sie lächelnd.

Das Buch für Alle.
„Große Ehre für mich! Ich werde pünktlich zur
Stelle sein."
Ein verständnißvoller Blick — und sie schieden.
Gertrud v. Nixen hatte an diesem Spätnachmittage
sich ihrem Versprechen gemäß in die Wohnung des
Professors Lohmann begeben. Zwar war ihr Gewissen
nach dem letzten Abschied von ihm kein ganz leichtes,
und sie hatte lange gezaudert, ihn in ihrer unter-
würfigen Stellung als bezahlte Schreiberin zuerst
wiederznsehen, aber die Macht der Verhältnisse siegte.
Sie umarmte ihre Mutter und ging ihrer Pflicht ge-
treulich nach.
Der Professor, den ihr laut gedachter Vorwurf
letzthin aufrichtig überrascht hatte, konnte es trotz aller
geistigen Thätigkeit nicht hindern, daß ihm die kühne
Sprecherin hin und wieder in Erinnerung trat. Er
mußte ihr edel geschnittenes Profil, wie sie von der
Kerze beleuchtet am Treppengeländer gelehnt, sich ver-
gegenwärtigen. Zum ersten Male betrachtete er sie
als Weib, das heißt, es behagte ihm nicht, daß sie
am Ende doch mehr Ansprüche machen würde, machen
dürfte, als ein bezahlter Schreiber.
„In diesem Falle entlasse ich sie," sagte er sich
kurz entschlossen.
Das junge Mädchen trat ein. „Guten Abend!"
„Guten Abend!" erwiederte er sörmlich. „Es ist
Alles vorbereitet."
Sie warf den dunklen Mantel und die Kapotte ab.
Der Professor trat befremdet einen Schritt zu.ück
und betrachtete ihre licht gekleidete Gestalt.
„Ich bitte um Verzeihung," sagte sie ruhig, und
ohne die geringste Koketterie zu ihrem Platz am Schreib-
tisch gehend, „aber ich muß von hier aus nothgedrun-
gen in eine Gesellschaft."
„So! Und da sind Sie trotzdem gekommen?" Er
schüttelte verwundert den Kopf. „Sie hätten mir ja
absagcn lassen können!"
Sie saß bereits und tauchte die Feder ein. „Wenn
es Ihnen angenehm ist, Herr Professor, fangen
wir an."
Er zuckte die Achseln, indem er auf ein Blättchen
wies. „Schreiben Sie, bitte, diese Sätze zuerst ab. Es
sind nachträgliche Randbemerkungen zu dem letzten
Diktat."
Sie gehorchte.
Er stand hinter ihrem Sessel und betrachtete sie,
die von ihm keinerlei Notiz nahm. Ihre schlanke Hand
glitt in den ihm bekannten festen Schriftzügen gleich-
mäßig über das Papier.
Ja, sie war kein Schreiber. Sie war ein Weib.
Er mußte sich den Jrrthum eingestehen. Wie sie jetzt
vor ihm saß, bewunderte er die Schönheit ihrer Er-
scheinung.
Das sich eng anschmiegende Gewand von weißem
Kaschmir hob ihre stolze Gestalt Vortheilhaft hervor.
Auf Wunsch der Mutter trug Gertrud heute gegen
ihren eigenen Willen Medaillon und Kette, welche
Marie ihr geschenkt. In den glänzend schwarzen Haar-
flechten lag eine frische Kamellie, und eine gleiche Blume
ruhte an ihrer Brust.
„Ich bin fertig," sagte sie ruhig aufschauend.
Er fühlte sich momentan zu sehr zerstreut und ab-
gezogen, um den Gedankenfaden in seiner Arbeit weiter
zu spinnen. Schreiben Sie diese paar Bemerkungen
noch unter die vorletzte Seite." Dann betrachtete er
sie wieder.
Gut für sie, wenn das Schicksal ihr einen braven,
vermögenden Mann schenkte. Gegen die zärtlichen Be-
werbungen des Geliebten mußte allerdings sein Ver-
halten ihr geradezu barbarisch erscheinen.
Aber was ging ihn das Alles an!
„Schreiben Sie jetzt, was ich Ihnen diktire," sagte
er kurz, indem er sich äbwandte und langsam nach
seiner Gewohnheit im Zimmer auf und nieder ging.
Die Uhr schlug acht. Gertrud erhob sich. „Ich
bitte um Verzeihung, ich muß jetzt aufhören."
Er läutete. „Einen Wagen für Fräulein v. Nixen.
Sie werden mitfahren, Friedrich."
„Nein," bat sie dringend abwehrend.
„Ja," sagte er sehr bestimmt. „Gehen Sie, Fried-
rich !"
Die Lage erschien ihm plötzlich äußerst seltsam. Zu
dieser Stunde befand er sich allein in seiner Wohnung
mit einem schönen jungen Mädchen — er mußte lächeln.
Bis dahin war ihn! der Gedanke nie gekommen. Ihr
lag derselbe noch jetzt fern. Es drängte ihn, ihr ein
paar freundliche Worte zu sagen.
„Fräulein Gertrud —" Es war das erste Mal,
daß er ihren Namen nannte.
Sie schaute förmlich bestürzt auf.
„Sie haben mich, wie ich zu unserer beiderseitigen
Rechtfertigung sagen muß, im Verkehr mit Ihnen
falsch beurtheilt. Ich glaubte in Ihrem Interesse zu
handeln, wenn ich unser Verhältniß genau nach seiner
Thatsächlichkeit aufsaßte. So nur kamen Sie verhält-
nißmäßig leicht über die eigentliche Unnatur desselben
hinweg. Es ist mir vollkommen einleuchtend, daß Sie

Heft 6.
nicht in die Stellung eines Schreibers gehören, eher
in die eines Mitarbeiters."
Er lächelte, seine Stimme klang scherzend, doch
blickte er ernst dabei in ihre dunklen Augen.
Sie fühlte ihren verletzten Stolz unaufhaltsam
schmelzen. Was er sagte, und wie er es sagte, griff
mit süß schmerzlicher Gewalt in ihr tiefstes Gemüth.
Dazu der nie gesehene, wundersam fesselnde Ausdruck
seiner Züge. Es ward ihr so warm davon um s Herz.
Wie sehr sie auch dagegen ankämpfte, die Sturmfluth
entfesselter Gefühle trieb ein lichtes Tropfenpaar in
ihre Augen. Es zitterte an den schwarzen Wimpern
und rollte endlich langsam über ihre Wangen.
Der Professor sah dieses ungewohnte Zeichen ihrer
Gefühlsweichheit mit unvermischtem Reuegefühl.
„Ich habe es vielleicht verlernt, mit Frauen richtig
umzugehen," sagte er langsam und nachdenklich, immer
in das schöne Antlitz vor ihm schauend. „Es liegt
das an früheren Erlebnissen, die in mir nachwirken.
Jetzt," er reichte ihr die Hand, „bedauere ich das —
in einem Falle."
„Ich bitte Sie," sagte Gertrud, die Thränen von
ihren Wangen trocknend, „sich mir gegenüber nicht zu
entschuldigen. Mir kommt es zu, dankbar zu sein für
das, was ich durch Ihre Güte gelernt habe."
„Sie haben es mir reichlich zurückerstattet." Er
ergriff ihre Rechte. Er war von der Aufrichtigkeit
seiner Worte nicht ganz überzeugt, als er dennoch'mit
warmem Nachdruck sagte: „Niemand kann Ihnen auf-
richtiger Glück wünschen für Ihre fernere Zukunft,
als ich dies thue. Was ich dazu beizusteuern vermag,
wird geschehen."
Sie dachte an ihre zukünftige Stellung als Lehrerin
und sagte schnell: „Ich habe nie daran gezweifelt,
daß Sie großmüthig und edel denken auch gegen ein
so unbedeutendes Wesen, wie ich es Ihnen gegenüber
bin."
Er ließ ihre Hand fahren und trat zurück. „Der
Wagen fährt vor. Amüsiren Sie sich! 'Noch Eines:
der Abschluß des dritten Theiles ineines Werkes steht
nahe bevor. Wollen Sie mir noch einige Stunden
Ihrer Zeit schenken? Nöthig ist es nicht."
Der schroffe Wechsel seiner Stimmung ließ sie be-
troffen aufsehen. „Wenn Sie mich noch ferner ge-
brauchen können —"
Er winkte dem eintretenden Diener, welcher Gertrud
Mantel und Kopftuch umzulegen behilflich war.
„Gute Nacht!" sagte sie fast schüchtern.
Als sie bereits an der Thür stand, ging er schnell
auf sie zu. „Gute Nacht!"
Sie wollte ihm die Hand reichen, aber er verbeugte
sich nur.
Der Wagen rollte davon.
Endlich öffnete sich auch für Gertrud der Eingang
zu der glänzenden Pracht des rosa Empfangsalons.
Im Nebenraum jauchzten schon die Geigen, drehten
sich die tanzenden Paare.
Marie eilte ihrer Freundin mit lebhafter Freude
entgegen und küßte sie zärtlich. „Wie schön Du aus-
siehst!" Sichtlich angeregt führte sie Gertrud in dem
ganzen Gesellschaftskreise umher, ihre Freundin vor-
stellend und den Augenblick herbeisehnend, wo Oskar
Leinberg ihrer ansichtig werden würde.
Aller N licke folgten der edlen Erscheinung des völlig
unbekannten Mädchens, dem es weder an gesellschaft-
lichen Formen, noch unbefangener Ruhe mangelte.
Ach, ihre Gedanken weilten nicht hier! Was kümmerte
sie die fröhliche Unruhe, das Sehnen nach Vergnügen
und Genuß!
„Gertrud, Herr Baumeister Lemberg wünscht mit
Dir zu tanzen!" rief Marie fast jubelnd zum Er-
staunen der Umsitzenden.
Das Antlitz des jungen Mannes strahlte, als er
seiner Angebeteten gegenüber stand. Sie begrüßte ihn
sreundlich. Dann nahm sie seinen Arne, und von
diesen: umschlungen wirbelte auch sie im Reigen dahin.
„Gnädige Frau tanzen nicht?" fragte der Sanitäts-
rath Li, pfeld, sich an die Seite der jungen Hausherrin
stellend.
Seine funkelnden Brillengläser blendeten Mariens
empfindliche Augen so, daß sie ihr Antlitz hastig zur
Seite wendete.
„Nein! Verzeihen Sie, Herr Doktor, aber ich kann
in nichts Blitzendes hineinsehen," bat sie entschuldigend.
„Sie müßten sich Ruhe gönnen, gnädige Frau.
Ihr Herr Gemahl hat mir die Ehre erwiesen, mich
als Hausarzt anzuehmen. Gestatten Sie, daß ich mir
Ihr Wohl recht angelegen sein lasse, gnädige Frau!"
Sie lächelte. „Ich bin ja gar nicht krank, wie
mein Mann glaubt, ich bin nur oft sehr unruhig.
Das liegt aber wohl an der Wohnung. Sie ist zu
groß, zu glänzend, zu kalt. Ich kann mich nie ordent-
lich darin erwärmen."
Plötzlich fuhr sie heftig zusammen und starrte nach
der Thür. Dann eilte sie durch den bunten, wogenden
Schwarm einem soeben eingetcetenen jungen Manne
j entgegen.
I „Rolph! Du kommst doch noch? O, Rolph!"
 
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