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162

Hest 7.

ledernen Hackenschuh empfindlich gegen den vor Schmerz
brennenden Kuß ihres Gatten.
Dieses Gefühl war so überwältigend, daß der Graf
ein lautes Fluchwort nicht zu unterdrücken vermochte,
und die Urheberin weniger zärtlich als entschieden von
sich fortschob.
Die junge Frau, tief gedemüthigt vor ihrer Schwieger-
mutter, und den Mann hassend, der ihren Triumph
so schmählich zu Wasser gemacht, stürzte weinend aus
dem Zimmer, während der Graf mühsam nach einem
Sessel hinkte.
In dieser Stimmung hatte die Gräfin-Mutter
doppelt leichtes Spiel. Der gichtkranke Ehemann ver-
langte jetzt nur nach Ruhe, Ruhe und Krankenpflege.
Er verwünschte insgeheim den ganzen Aufwand von
Mull- und Spitzcnroben.
„Weißt Du Jemand, mein geliebter Egbert, der
Dir so sanft den kranken Fuß betten könnte, wie unsere
alte Pauline?" fragte die Gräfin zärtlich.
„Rein!" stöhnte der Graf, und mit der Eigensucht
aller Patienten hätte er diese hilfreiche Hand um
keinen Preis missen wollen.
„Und eine Kammerjungfer, wie sie Deine Frau für
sich beansprucht, kostet ein Sündengeld," fuhr die Gräfin
mit voller Ueberzeugung fort. „Ich halte dafür, daß
sie
„Za," ächzte der Graf, „ja doch, Mama! Mach',
was Du willst — nur gib mir diese verwünschten
Salichlkapseln!" —
Das Ende war doch ein mehrtägiges Krankenlager
im Bett.
Lucie eilte, nachdem sie sich von ihrer ersten Nieder-
lage etwas erholt hatte, an das Lager ihres Gatten
unter einein Strom von Thränen und Klagen. Zu
jeder anderen Zeit hätte ihr Anblick günstigen Erfolg
erzielt, aber zu aller seelischen Verstimmung, die sich
bei dem Grafen seiner Naturveranlagung gemäß nicht
sonderlich zart äußerte, kam der heftige physische
Schmerz. Er zitterte schon, wenn er die Gestalt seiner
jugendlichen Gattin nur in's Zimmer treten und auf
sein Bett zueilen sah, vor Angst, sie könne an dasselbe
stoßen. Und als sie dies zum dritten Male in einer
Stunde gethan, fuhr er sie so heftig ob ihrer Rück-
sichtslosigkeit an, daß Lucie unter Zornesthränen er-
klärte, sie werde keinen Fuß mehr in dieses Gemach
setzen.
. „Ich glaube. Du kannst unter diesen Verhältnissen
Wohl damit zufrieden sein, mein Sohn," versetzte die
Gräfin, deren steinernes Antlitz der Verschwindenden
mißächtlich nachblickte. „Ich bleibe bei Dir, wie stets
zuvor, wenn Du an dieser abscheulichen Gicht littest."
Beide Frauen hielten Wort, die Eine, indem sie
ihr Schlafsopha neben dem Lager des Sohnes auf-
stellen ließ, die Andere, indem sie ein Fremdenzimmer
im äußersten Winkel des Hauses bezog.
Natürlich besserte sich die Laune des Grafen mit
der Abnahme des Fiebers und der Schmerzen, und er
verlangte, als er das Bett verlassen durfte, sehnlich
nach seiner Gattin.
Aber das Regiment der Gräfin war durch diesen
Zwischenfall doch unerschütterlich gekräftigt worden,
und die etwas selbstsüchtig angehauchte Verehrung des
Sohnes für seine mütterliche Pflegerin noch bedeutend
gewachsen. Auch die alte Pauline stand fester als je
in dem Rufe völliger Unentbehrlichkeit.
Lucie verlebte unterdessen die traurigsten Tage in
ihrer selbsterwählten Einsamkeit. Hier war es, wo sie
jene Briefe an ihren Vater schrieb, welche so viel
Verdruß und Enttäuschung zwischen den Zeilen durch-
blicken ließen, daß der Legationsrath in machtlosem
Kummer das Papier zusammendrückte und gegen seine
Schläfe preßte.
Wo waren nun die Triumphe ihrer Schönheit,
nm die alle Freundinnen sie so glühend beneidet?
Hätten dieselben sic hier gesehen in dem kahlen, arm-
selig möblirten Raum, das einfache Mittagsmahl —
die Gräfin-Mutter sparte in diesen Tagen eine Schüssel,
da ihr Sohn doch nichts genießen konnte — allein
einnehmend, schlecht bedient dazu, angefcindet und ver-
höhnt von ihrer Schwiegermutter, zurückgewiesen von
ihrem Gatten! — Und wer hatte ihr zu diesem ab-
scheulichen Loose so glühend zugeredet? Wer hatte das-
selbe beneidenswerth genannt und ihrer Unwissenheit
aufgedrungen? Die eigene Mutter. Und warum? Aus
liebloser Eitelkeit.
Und Lucie haßte ihre Mutter in dem Gedanken,
daß dieselbe — wie es ja auch wirklich der Fall war —
ihr Leben noch bespötteln könne, nachdem sie sich die
unbequeme Tochter vom Halse geschafft hatte.
Aber sie haßte auch ihre Schwiegermutter und,
was viel schlimmer war, sie empfand auch Abneigung
gegen ihren Gemahl.
Ihre Stellung hier im Hause, das sagte sich die
junge Frau unter zornigem Aufschluchzen, war die
einer aus Gnaden Aufgenommenen, und von der er-
träumten Herrschaft keine Rede.
In einer solchen Stimmung sah sie ihren Gatten
eines Vormittags in ihr Gemach treten. Er sah noch

Das Buch für Alle.
sehr Wachsfarben aus und trug nach wie vor den
ominösen Pantoffel. Aber er schritt in demselben doch
ziemlich rasch auf seine schöne jugendliche Gattin zu.
Jetzt, wo jede Illusion nahezu zerstört war, und
eine vierzehntägige Trennung ihr die Züge des Grafen
etwas entfremdet, erschien ihr dessen entkräftetes Aeußere
so abstoßend, daß sie sich unwillkürlich zur Seite
wandte. In einem glänzend eingerichteten Salon bei
Ueberreichung eines kostbaren Schmuckes würde dieser
Eindruck vermuthlich nicht so stark gewesen sein
Und dann kam eine sehr unangenehme Auseinander-
setzung.
„Ich verlange," sagte die reizende Frau, ihr lockiges
blondes Haupt'trotzig aufwerfend, „daß Du meine
Rechte Deiner Mutter gegenüber wahrst und sie zwingst,
mir die erste Stellung in Deinem Hause zuzuerkennen.
Nur so kann von Versöhnung zwischen uns die Rede
sein."
„Was meinst Du mit diesen Rechten?" fragte der
Graf, sich etwas schwerfällig und vorsichtig auf einen
der kattunbezogenen Stühle niederlassend.
Das Beispiel ihrer Mutter, die eigene Unerfahren-
heit und dünkelhafte Selbstüberhebung ließen Lucie
weit über das Ziel hinausschießen.
„Was ich damit meine?" rief sie, ihre Weiße Hand
auf den Tisch stemmend. „Den allgemeinen Brauch,
welcher Schwiegermüttern die zweite Rolle zuweist."
„Einer Frau wie meiner Mutter — nie!" sagte
der Graf.
„Nicht?" drang es ihr heftig über die Lippen.
„Weshalb hast Du mich alsdann geheirathet? Sonst
sprachst Du ganz anders. Was soll ich hier? Wenn
mein Vater, der vornehme Diplomat, mich hier in
diesen: Raume sähe" — sie schaute sich mit sprechender
Verachtung nm.
Die Lippen des Grafen verzogen sich. „Du konntest
ja drüben bei mir bleiben, was sich viel besser für
Dich geschickt hätte, als hier wie ein eigensinniges Kind
zu schmollen."
„Ich komme nie wieder hinüber," rief sie, zitternd
vor Aerger, „nicht eher, als bis ich Genugthuung von
Dir erhalten habe. Deine Mutter soll sich bei mir
entschuldigen Wegei: ihres Uebergriffs in meine Rechte,
und das alte, widerwärtige Geschöpf, diese Pauline,
verläßt das Haus. Ich werde und darf einen besseren
Ersatz beanspruchen."
Die Leidenschaft des Grafen war durch den schmerz-
haften Rückfall in sein altes Leiden schon so merklich
abgekühlt, daß er ihr zornflammendes Antlitz betrachten
konnte, ohne in Versuchung zu gerathen, dasselbe mit
Küssen zu bedecken. Was davon noch vorhanden war,
kau: schon in Konflikt mit seiner stark ausgeprägten
Neigung zum Geiz und zur Bequemlichkeit.
„Unnütze Kosten!" brummte er verdrießlich.
„Ein so reicher Mann wie Du spricht von Kosten!"
rief sie, empört zurücktretend. „Und da wir doch ein-
mal dabei sind, meine Stellung zu klären: wann werden
wir endlich unseren Nachbarn Besuche abstatten? Ich
laufe Gefahr, in dieser Abgeschiedenheit melancholisch
zu werden."
Er trommelte ungeduldig auf der Tischplatte. „Ich
sagte Deiner Mutter damals schon, daß wir hier keinen
oder doch verschwindend wenig standesgemäßen Um-
gang haben."
„Das sagtest Du? Und ich weiß nichts davon?
Etwas ist aber immer besser als gar nichts!"
„Meinst Du?" fragte er spöttisch. „Du hast soeben
Deinen Vater einen vornehmen Mann genannt, dasselbe
hoffe ich auch zu sein. Und deshalb gehe ich nicht mit
All' und Jeden: um. Zum alten Grafen Hochthal und
seinen beiden Schwestern können wir am Sonntag Nach-
mittag fahren, wenn mein Fuß bis dahin den Stiefel
verträgt. Richtig, den Baron Friesen mit seiner Tante
nicht zu vergessen! Die beiden Pastorenfamilien dieser
Herrschaften sind uns gleichfalls bekannt."
Lucie, die Ballkönigin, stand sprachlos. Ihre
Mutter hatte das Alles gewußt! Sie brach in leiden-
schaftliche Thränen ans.
Er stand mühsam auf und wollte sie umarmen.
Aber diese neue Enttäuschung wirkte überwältigend.
Für immer an einen kranken, trägen Mann ge-
fesselt, neben der verhaßten Schwiegermutter zur Ein-
samkeit in diesem düsteren Hause verdammt! Lucie
verwünschte ihre wahnsinnige Thorheit, sich an diese
jammervolle Znkunft gekettet zu haben.
„Du wirst Dich schon an unseren Geschmack ge-
wöhnen," sagte der Graf nicht ohne Gntmüthigkeit.
„Aber ich bitte dringend, daß Du die Dinge hier so
lassest, wie Du sie fandest. Wein: man heirathct, muß
man mit solchen Anschauungen und Anforderungen
brechen. Die Gräfin Randowitz braucht —"
„Schweig!" unterbrach sie ihn heftig, seinen Arm
von ihrer Schulter fortstoßend. „Ich verwünsche den
Augenblick, wo ich diesen Namen annahm. Macht,
was ihr wollt, ich bleibe hier in diesem Zimmer und
rühre mich nicht von der Stelle."
Er betrachtete sie mit etwas spöttischer Uebcrlegen-
heit. „Dn meintest doch Wohl nicht, die Rolle Deiner

Mutter hier spielen zu wollen? Da müßte ich danken.
Ich bin nicht der Legationsrath v. Trefflingen."
Damit ging er, den linken Fuß vorsichtig nach-
ziehend, aus dem Zimmer.
Als die alte Gräfin von dem Entschluß ihrer
Schwiegertochter hörte, sich auch fernerhin in der Ver-
bannung halten zu wollen, quoll ihr bitterer Groll
gegen dieselbe in heftigen Worten über.
„Hättest Du mich auch nur einmal um Rath ge-
fragt, mein Sohn, ich würde Dich in diese Familie
nicht haben hineingerathen lassen. Diese Legations-
räthin mit dein Komödiantenlächeln —"
„Ja, eine Komödiantin ist sie," fiel der Graf sehr
verdrossen ein, „eine kokette Katze. Und der Alte ist
das reine Langohr!"
„Nun, was erwartetest Du dann von der Tochter?"
fragte die Gräfin, sich steif wie ein Ahnenbild auf-
richtend. „Ein Fräulein von Habenichts, und An-
sprüche wie eine Millionärin! Wenn Dn jetzt einmal
nachgibst, so hast Du das Spiel verloren." —
Lucie schmollte unter Thränen fort. Vergebens,
daß ihr Gatte, dem diese eigenthümliche Wendung
seiner Ehe störend war, sie in allen Tonarten, zart
und schroff, zum Verlassen ihres Schmollwinkels auf-
forderte. Sie kau: erst wieder zum Vorschein, als der
Wagen vor der Thür hielt, welcher sie sammt Gemahl
und Schwiegermutter zum Grafen Hochthal führen
sollte.
Als die junge Frau unter dem steinernen Wappen
erschien, ähnelte sie in ihren: mattrosa Spitzengewand
mit dem schräg in's lockige Haar gedrückten rosen-
geschmückten Basthut einer Rococodame so sehr, daß
die alte Gräfin zuerst an eine Maskerade glaubte.
Der Graf fand die Mode weniger unkleidsam, als
bizarr.
„So willst Du über Land fahren?" fragte die
Gräfin-Mutter, welche bereits im Wagen saß, mit
unwilligem Staunen, indem sie ihren Sohn anblickte.
„Dietrich bringt schon den Staubmantel," entgeg-
nete die junge Frau selbstbewußt.
„Ich bitte Dich, Egbert, was sollen Hochthal und
seine Schwestern davon denken!" flüsterte die alte
Gräfin entrüstet. „Sie sieht ja aus wie eine Schau-
spielerin!"
Lucie musterte ihre schwarz gekleidete Schwieger-
mutter mit verächtlichen: Mitleid und sagte dann kurz:
„Die Roben sind sämmtlich von Gerson. Ich habe
noch nie Jemand gesehen, der an ihrer Eleganz ge-
zweifelt hätte."
Dabei stieg sie, von ihrem Gatten unterstützt, in
den Wagen und breitete ihr duftiges Gewand der
Gräfin ziemlich zwanglos über den halbe:: Schoß.
Diese schob mit widerwilliger Hast das zarte Ge-
webe von sich fort. „Es ist Platz genug!"
Die junge Frau zitterte vor innerer Wnth. Sie
sah auf ihren Gatten, ob derselbe nicht endlich für sie
eintreten werde. Er dachte nicht daran. Jede Auf-
regung war ihm von: Arzte streng untersagt, und außer-
dem bedeuteten diese Reibereien für ihn eine Schraube
ohne Ende. Er setzte sich also phlegmatisch und mög-
lichst bequem ans den: Rücksitz nieder und ertheilte
den: Kutscher den Befehl, abzufähren.
Auf dem ganzen Wege ward kein Wort gewechselt.
Lucie hatte sich vorgenommen, den alten gräflichen
Junggesellen, theils aus Langeweile, theils um ihre
Schwiegermutter zu kränken und ihren Gatten zu strafen,
mit ihrer Schönheit und Liebenswürdigkeit völlig zu
bezaubern. Dieses Vorhaben gewährte ihr während
der langweiligen Fahrt einigen Trost und Reiz.
Nach einstündiger Fahrt tauchten zwischen alten
Ahornbäumen ein paar'rothe Ziegeldächer auf. End-
lich, bei einer Biegung des Weges, kam auch ein
niedriger, stumpfer Kirchthurm zum Vorschein, und
abermals bei einer Wendung zeigte sich das Herren-
haus.
Der Wagen fuhr jetzt eine Allee herauf und hielt
dann vor der Thür eines Gebäudes, welches nur ans
Hochparterre und Giebel bestand. Ein granlockiger
Diener trat mit tiefer Verbeugung an den Wagen-
schlag, während ein altersschwacher Hund, mit küm-
merlichen Versuchen zu Wedeln, sich an seinen Beinen
rieb.
Durch eine Glasveranda ging die Gräfin-Mutter
schnurgerade in ein großes Gemach, an dessen vier
Fenstern dunkelgrüne Vorhänge halb herabgelassen
waren, so daß die aus der Helle geblendet Eintreten-
den zunächst nichts zu unterscheiden vermochten. End-
lich, als das Ange der jungen Frau sich etwas an die
Dunkelheit gewöhnt hatte, bemerkte sie in einem Winkel
des Genraches einen großväterlichen Lehnstuhl, und
darin, trotz der Augusthitze mit einer karrirten wollenen
Decke umhüllt, eine schmächtige Männergestält, deren
Augen durch eine große blaue Brille beschirmt waren.
Es war Graf Hvchthal. Als er seine Gäste ge-
wahrte, streckte er angenehm überrascht ihnen die Hände
entgegen und rief nut etwas schriller Stimme: „Eben
dachte ich an unser Whistchen. Der Pastor kommt
auch."
 
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