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354
Baron Heinz so beherrschte, daß er, wenn auch wider
Willen, doch gehorsam an den Wagen getreten war,
auf dem die Eigenthümerin des klangvollen Organs
saß.
O, das vergaß Helia nie! Das hatte ihr den stolzen
Heinz zuwider gemacht.
Wie die drüben Alle lachten und vergnügt waren!
Unter der eben grün werdenden Linde stand vor dem
Hause eineTasel gedeckt, daran setzten sic sich. Einmalsang
eine Sopranstimme: „O Lenz, wie bist du so wunder-
schön!" Und scherzend antwortete die eines der Herren:
„Ach, wenn es nur immer so bliebe!"
Auf einmal fahr die Lauscherin zusammen; instink-
tiv fühlte sie die Nahe eines Menschen. Erschrocken
bis zur Sprachlosigkeit starrte sie dann in die großen,
eigenthümlich klaren Augen einer etwa fünfzigjährigen
Frau, deren Gesicht keine Spur von Röthe Hatte, sondern
Wie aus Wachs gebildet erschien.
„Die Dreves!" sagte Helia sich.
Wie aus der Erde gewachsen stand die Frau da,
eine lange, hagere Gestalt, die Stirn mit einer schnee-
weißen Binde umgeben, sie trug ein schwarzes Kleid
und ein Weißes Wolltuch über die Schultern gelegt;
nichts an ihr erschien gesucht oder fremdartig, dennoch
erschien die Frau anders, als gewöhnliche Menschen.
„Sie sind wohl das gnädige Fräulein aus Ries-
feld?" fragte sie, Helia forschend ansehend.
„Ja, und ich stehe nicht hier wegen der dort,
wenn's auch so aussehen mag, ich wollte eigentlich
nur —"
„Nun?" fragten die klaren Augen, da Helia
stockte.
„Ich wollte die Fran Dreves sehen!"
Ein leichtes flüchtiges Lächeln irrte über das blasse
Gesicht der Frau, als sie sagte: „Das bin ich."
„Auf den Hof zu gehen, hat man mir verboten."
„Ganz recht, das ist auch keine Gesellschaft für Sie.
Kommen Sie nur mit, die dort brauchen Sie nicht zu
sehen."
Die Dreves wandte sich und ging an dem morschen
Zaune entlang. Derselbe umschloß rings den großen
Hof, der so recht aussah wie ein herrenloser Besitz.
Ganz auf der Rückseite des Wohngebäudes, Wohl fünf-
zig Schritte von demselben entfernt, stand das kleine
Häuschen der Frau. Durch eine nach dem Wald zu
gelegene Hinterpforte traten sie ein.
Das Erste, was Helia auffiel, war eine, die ganze
Wand einnehmende Kopie jenes Bildes der Freifrau
v. Questenhorst, welches sic im Ordabrnnncr Schlosse
gesehen hatte. Das Bild erschien in diesem kleinen
niedrigen Raume unbeschreiblich anspruchsvoll, aber die
Bewohnerin hatte nach Kräften eine leidliche Harmo-
nie herzustellen gesucht, indem sie einen alten Teppich
über den Fußboden gedeckt und ihren alten Möbeln
durch glänzende Politur ein Ansehen gegeben hatte.
In Frau Dreves' Mienen lag eine stolze Genng-
thuung über Helia's unwillkürliche Ueberraschung.
„Das kennen Sie Wohl, gnädiges Fräulein?" fragte
sie, auf das Bild deutend. „Der selige Herr ließ es
mir machen, da ich von ihm fort wollte. Der gnädige
Herr schützte mich sehr."
„Das habe ich erfahren und deshalb komme ich zu
Ihnen, Frau Dreves," sagte Helia schnell, „weil Sie
vielleicht für mich zeugen und mir zur schnellen und
günstigen Beendigung meines Prozesses verhelfen
können."
„Nein, ich weiß nichts!" erwiederte die Andere, und
ein verstockter, eigensinniger Zug trat in ihr Gesicht.
„Sie sollen auch nichts gegen Ihre Herrin aus-
sagen, das verlange ich gar nicht! Und dem unglück-
lichen Freiherrn können Sie mit keiner Aussage mehr
schaden!"
Die Frau lachte halb spöttisch, halb mitleidig.
„Wie oft haben'mir die Herren das schon gesagt, die
Barone v. Hesselrode, wie Herr Doktor Rentier! Einer
nach dem Andern kamen sic, und der Rothkopf hat mich
flattirt, als ob ich eine Prinzessin wäre; aber ist er
ein Fuchs, so bin ich keine Gans! Setzen Sie sich doch,
gnädiges Fräulein, Sie sind ganz erhitzt, und sehen Sie,
hier ist ein Glas Milch! Und ein kleines Butterbröd-
chen darf ich dcm gnädigen Fräulein mich bringen,
nicht wahr?"
Nun war sie plötzlich wieder ganz die sorgliche Die-
nerin, die sie einst gewesen. Sie hatte Helia in ihren
Lehnstuhl gedrückt , ihr ein Bänkchen unter die Füße
geschoben und ihr den breitrandigen Sommerhut abge-
nommen. Aber man brauchte nur in das Gesicht dieser
Fran zu blicken, um darauf zu schwören, sie wußte
Alles, was einst drüben in Ordabrnnn vorgegangen
war, und würde nie eine Silbe sagen.
Und warum nicht?
Weil sie ihre Herrin geliebt hatte und ihr. treu
war über das Grab hinaus. Also wie nahe lag der
Schluß: sie verschwieg daS Unrecht der Frau! —
Der Freiherr v. Questenhorst hatte nicht im Wahnsinn,
sondern in berechtigter Eifersucht sein Weib erschossen!
Nie und nimmer hätte er dann diesen Nebenbuhler oder
dessen Söhne zu Erben seines Gutes bestimmt.

Tas Buch für All c.
Das Alles lag sonnenklar. Aber Beweise! Beweise!
„Bis au die dritte Instanz!" klang es Helia durch
den Sinn, und ihr Feind stand vor ihr, wie er neu-
lich jene Worte so fest gesprochen.
„Frau Dreves, der Herr Kammerjunker, bei dcm ich
jetzt lebe, sagte, als ich ihn das erste Mal sah, der
Freiherr habe den alten Baron Hesselrode wüthcnd
gehaßt!" begann sie wieder das Gespräch mit der
Alten.
„Das sei Gott geklagt! Haß und Lüge und alle
Sünden der Andern haben das arme Lamm da zu Tode
gebracht!" versetzte diese, auf das Bild an der Wand
deutend.
„Wenn Sie sagen wollten, was Sie etwa wissen, so
wird mir das Erbe zugesprochen, Frau Dreves. Ich
habe es nie anders gewußt, als daß ich die Erbin sei,
wie im Testament steht."
„Vertragen Sie sich doch, gnädiges Fräulein!" sagte
die Dreves mit forschenden Blicken, und Helia merkte
sofort, sie dachte an eine Heirath, die Allen als natür-
liches Endergebniß erschien.
„Niemals!" rief sie aufspringend, um sich dann
entmuthigt, wieder in den Stuhl sinken zu lassen.
„Sie werden es am Ende doch thun!" erwiederte
die Frau. „Es ist Ihnen so bestimmt, gnädiges Fräu-
lein! Was einmal bestimmt ist, das kommt, da mag
der Mensch sich sperren, wie er will!"
Es lag eine so feste Ueberzengung in ihrer Stimme
und ihrem Ton, daß Helia eine Art Schauer erfaßte.
Jetzt begriff sie, was die Frau Eigenthümliches hatte,
und das Gerede der Leute.
Draußen auf dem Hofe wurde es sehr laut.
„Wahrsagen? Wahrsagen kann sie? Her mit ihr,
sie muß uns wahrsagen!" hatte es in eben derselben
Minute am Kaffeetische geheißen. Vergeblich hatten
die beiden Schauspielerinnen protestirt, ein junger Offi-
zier und zwei jugendliche Damen in übertrieben ele-
ganten Sommertoiletten kamen aus das Haus zuge-
laufen.
„Was wollen die? Sehen Sie nur, sie kommen zu
Ihnen!" rief Helia.
„Verstecken Sie sich!" rief die Dreves. „Zu solchem
Volk gehört keine junge Dame, wie Sie!" Damit hatte
sie Helia in ihre Kammer geschoben. Alles das dauerte
kaum Sekunden.
„Heda! Wirthschaft! Madame! Wo ist die Ma-
dame ?" rief draußen in dem kleinen Flur übermüthig
der junge Offizier, zugleich klopfte es an die Thür
der Stube, und Helia hörte zwei Frauenstimmen:
„Guten Tag, Frau Dreves! Sie können ja wohl
wahrsagen? Wir möchten Ihre Kunst prüfen."
„Sagen Sie uns aber auch recht was Schönes!"
„Mir auch, Verehrteste Pvthia!" tönte des Offiziers
Organ dazwischen.
„Thut mir sehr leid, daß ich nicht dienen kann!"
klang höflich aber bestimmt Frau Dreves' Stimme.
„Aber warum nicht? Sie sollen's nicht umsonst
thun, hochverehrungswürdige Sibylle!"
„Für Geld habe ich noch nie meine Gesichte ge-
sagt, Herr Lieutenant! Ich sehe auch nicht, was ich
will und wann ich will, - es kommt Über mich und
dann sag' ich's oder sag's auch nicht. Gestern noch, als ich
Fräulein Castaroni sah, da kam's!"
Geheimnißvoll und sehr ernst klang das Alles aus
dem Munde der Dreves.
„Sagen Sie's uns doch! Was sahen Sie denn?"
riefen die jungen Leute durcheinander.
„Das möchte dem Fräulein nicht lieb sein, und ich
will den Damen von drüben nicht entgegen treten."
„Fräulein Castaroni! Liebste, Schönste! Kommen
Sie 'mal rasch her, Ihnen soll gewahrsagt werden!"
klang es über den Hof.
„Mir? Ei, da muß ich doch dabei sein!" Das war
wieder die herrliche Altstimme.
Gleich darauf erschien die Schauspielerin im Hause.
„Frau Dreves ist sehr freundlich, sich mit mir zu
beschäftigen, sie ließ uns nicht vermuthen, daß sie so
viel Wohlwollen für uns fühlte!" sagte sie eintretend.
„Ich danke Ihnen, Frau Dreves, hoffentlich ist's was
Gutes, das Sie für mich gesehen haben."
„Je nachdem, Fräulein. Wegweiser stehen aller
Orten, und die Menschen verirren sich doch." erwiederte
die Frau.
„Wie das gleich orakelhaft klingt!" rief der Offi-
zier. „Wo ist der Dreifuß? Verehrte Pythia, beginnen
Sic!"
„Soll ich's vor den Herrschaften sagen?" fragte die
Dreves in einem Tone, der die Schauspielerin bestimmte,
schnell zu erwicdern: „Nein, nein!"
Die Gäste protestirten, fragten neugierig, wen das
Bild vorstelle, blickten sich im ganzen Zimmer mit im-
pertinenter Neugier um, und endlich trieb die Casta-
roni sie hinaus.
„So! Und nun sagen Sie, was Sie wissen!" for-
derte sie die Dreves auf.
Nun hörte Helia, wie die gelassene leise Stimme
der seltsamen Frau begann:
„Ich sah Sie, Fräulein Castaroni, vor einem Gitter

Alt 15.
stehen, dahinter war ein Quell mit Hellem fließenden
Wasser, und Sie waren so durstig darnach, sie wollten
durchaus dies Wasser trinken. Eine Strecke hinter
Ihnen stand Jemand, der rief und winkte und hatte
Wein in einem großen Becher, goldfarbigen Wein, und
den sahen Sie nicht und ängstigten sich u,nd erzürnten
sich, daß Sie das Gitter schüttelten; große Schweiß-
tropfen waren auf Ihrer Stirn, und Sie lechzten
ordentlich nach einem Tropfen; aber Sie wußten, das
Gitter rissen Sic nicht um, dennoch arbeiteten Sie sich
die Hände wund."
„Und der Andere mit dem Wein? Kam er nicht,
mich zu holen?"
„Nein, er kanp nicht, er stand immer wrn fern, aber
er winkte und rief; und auf einmal wurde es sehr hell
um Sie her, wie von Feuer."
„Und dann?"
„Mehr sah ich nicht, aber mir ist, als müßte es
was mit einein Brande sein, ich erblicke fast jedesmal
einen Feuerschein vor einem solchen."
„Und erkannten Sie den Mann, der den Wein
hatte? War er blond oder dunkel?"
Nach einer kurzen Pause sagte die Dreves: „Groß
und schlank und blond dünkt mich, hell war die Ge-
stalt."
„Wer hat Sie so gut instruirt, Frau Dreves?"
lachte Plötzlich die Castaroni spöttisch auf.
„Mich instruirt?" fragt diese betroffen und be-
leidigt.
Das Auflachen der Schauspielerin hatte schon die
gespannt draußen horchenden Gäste wieder herein
gelockt.
„Was hat sie Ihnen gesagt?" fragten Alle durch-
einander.
„Nichts als Unsinn! Ha ha ha, Frau Dreves, in
solchen Sprenkeln fängt man mich nicht! Sagen Sie
Ihrem Auftraggeber, ich bliebe hier, trotz Ihrer orakel-
haften Warnungen. Albernes Weib! Sich von Heinz
v. Hesselrode gegen mich brauchen zu lassen!"
Dann entfernte sich die ganze Gesellschaft.
Erst nach einer Weile holte die Dreves Helia aus
der Kammer hervor.
„Jetzt können Sie, gnädiges Fräulein, nach Hause
gehen," sagte sie genau in derselben Weise wie vorhin,
freundlich und in der Art, wie eine sorgliche Dienerin
zu ihrer Herrschaft redet.
„Frau Dreves, haben Sie von mir schon 'mal
etwas gesehen?" fragte Helia.
„Einmal, eh' Sie hier waren; aber wozu wollen Sie
wissen, was Sie doch nicht freut!"
„Also Unglück? Ach, ich habe davon ja schon ge-
nug! Andere Mädchen in meinem Alter sind glücklich,
geliebt, die ganze Welt lacht ihnen!" rief Helia
schmerzlich.
„Sie, unglücklich?" fragten die Augen der Dreves
voll Mitleid.'
„Was denn anders? Eine Waise, erzogen wie eine
Prinzessin, und doch bettelarm, aus Gnaden ausge-
nommen von einem alten Manne, in dessen Hause ich
ersticke vor Unthätigkeit und Langeweile! Keinen Men-
schen habe ich, keine Freundin, ihr mein Herz auszu-
schütten, keinen Umgang! Und nun noch das Unglück!
Das ist zu viel!"
Helia weinte.
„Es ist nicht Unglück, was braucht's denn gleich
das zu sein?" meinte die merkwürdige Frau. „Sie
werden thun, was Sie nicht wollen! Das ist Alles."
„Ich werde aber nicht thun, was ich nicht will!
Wer kann mich zwingen?" rief Helia, an die Heirath
denkend, in Hellen: Aerger. Und dann ging sie fort.
A ch t e s Uapite!.
Der Kammerjunker war nicht da, als sie heim kam.
Er sei nach dem Schlosse geholt worden, Baron Bodo
sei wieder da. berichtete das Hausmädchen.
Helia seufzte. Also wieder ein ganz einsamer Abend.
Wie viele hatte sic schon hingebracht und wie wurden
sie ihr immer unerträglicher! —
Sie hatte ihr einfaches Abendbrod gegessen und saß
draußen im Garten unter der Linde, in den goldglü
hendcn westlichen Himmel blickend, als auf einmal ein
Rufen und Schreien in der Ferne laut wurde. Plötz-
lich tönte die Brandglocke in hastigen Schlügen, und
aus dem Hause stürzte das Gesinde.
„Es brennt, gnädiges Fräulein!"
„Der Nordmannshof! Es ist der Nordmannshof!"
schrie der Schäfer.
Gleich darauf brach die Gluth hinter den Bäumen
hervor, der dunkelnde Himmel färbte sich über ihnen
fast eben so roth, wie er im Westen glühte.
Das Ereigniß hatte viel Aufregendes für Helia,
mehr aber noch der Gedanke an die Worte der Dreves.
die sie der Castaroni gesagt: „Aus einmal wurde es
sehr hell uni Sic her, wie von Feuer."
Inzwischen lief AlleS, was Beine hatte, nach dem
Nordmannshofe. Helia ging ein Stückchen den Weg
entlang bis zu einer kleinen Anhöhe. Kaum stand sie
 
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