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Das Buch für Alle.
Die Bekämpfung der Diphtherie.
Ein Mahnruf an alle Eltern.
,L, Von
K- Jakkerrliorst.
- (Nachdruck verboten.)
dem finsteren Heere der ansteckenden Krank-
welche die Menschen Heimsuchen, galt
seit jeher die bösartige, ansteckende Hals-
bräune als eine der gefährlichsten. In der
° neuesten Zeit wurde sie von den Aerzten mit
dem Namen Diphtherie oder Diphthcritis be-
' zeichnet, während man sie im Volksmunde
wohl den „Würgengel der Kindcrwelt" nennt; denn
mit Vorliebe befällt sie gerade die Kinder vom zweiten
bis zum sechsten Lebensjahre.
Sie ist keine jener fremdländischen Seuchen, die
nach einem kurzen Verhcerungszuge, wie die Cholera,
zu erlöschen Pflegen; sie ist bei uns einheimisch. In
Großstädten gibt es stets einige an Diphtherie erkrankte
Kinder; mitunter aber greift sie auch epidemisch um
sich, streckt auf einmal Hunderte und Tausende auf
das Krankenlager und richtet die schlimmsten Ver-
heerungen an.
Das Krankheitsbild der Diphtherie ist wohl allge-
mein bekannt, wir brauchen daher nur kurz daran
erinnern, daß die Diphtherie zumeist als eine örtliche
Erkrankung der Schleimhaut des Halses beginnt. Auf
den gerötheten, entzündeten Stellen derselben erscheinen
weißliche Flecken, die sogenannten Pscudomembranen
oder der diphtheritische Belag. Das Fieber, welches
sich zugleich einstellt, und im Verlaufe der Krankheit
ansteigt, zeigt uns, daß auch der gestimmte Körper
ergriffen wird; ein Krankheitsstoff scheint im Blute
zu kreisen. In günstigen Fällen wird nun dieser
Belag bald abgestoßen, und die Schleimhaut heilt aus,
das Fieber verschwindet; der Kranke ist genesen. In
schwereren Fällen dagegen breitet sich die Krankheit
weiter aus, tiefer gelegene Luftwege, Theile der Nasen-
schleimhaut werden ebenfalls ergriffen; die inneren
Lsctt Ist.
Symptome: das Fieber und die Schwächung der Körper-
kräfte nehmen zu. In solchen Fällen muß man auf
das Schlimmste gefaßt sein, obwohl man niemals ver-
zweifeln darf, da selbst noch im letzten schlimmsten
Augenblicke eine Wendung zum Besseren eintretcn kann.
Mehr als andere ansteckende Krankheiten tritt die
Diphtherie bald in einer leichten, bald in einer schweren
Form auf; bald sterben von den Erkrankten nur drei
bis vier vom Hundert, bald beträgt die Sterblichkeit
dreißig bis vierzig Prozent.
Die Aerzte setzen schon seit Jahrzehnten Alles
daran, uni mit den Hilfsmitteln der so weit vorge-
schrittenen Wissenschaft auch diese unheilvolle Krank-
heit zu bändigen. Es gelang ihnen in der That,
durch Operationen Kinder zu retten, welche der Er-
stickung nahe waren; es gelang ihnen vielfach, Linderung
zu bringen und den Körper im Kampfe mit der
Krankheit zu stärken — aber im Großen und Ganzen
standen sie am Krankenbette ziemlich nnmächtig. Wohl
glaubte bald Dieser bald Jener ein Mittel gegen die
Diphtherie entdeckt zu haben. Er pries es an, seine
Ein indischer Kogi sKakiri sucht durch Setvstpeinignng Regen Ijerdeiznfuhren. (L. 44Ü)
Kollegen versuchten es, die Einen lobten es auch, die
Anderen aber erklärten es für werthlos; denn in einer
Epidemie bewährte sich das Mittel und in einer anderen,
einer schwereren, versagte es völlig, konnte dem Tode
kein Opfer entreißen. Mit der Anführung von Heil-
mitteln , die von ärztlicher Seite mit wechselndem
Glück schon gegen die Diphtherie empfohlen worden
sind, könnte man ganze Seiten füllen.
Daß es so kam, daran war das tiefe Dunkel schuld,
welches das : Wesen der Krankheit verhüllte. Man
wußte nicht, was die Ursache der Diphtherie war, und
erging sich in Vermuthungen.
Es sollte aber endlich Licht werden.
Unserem Zeitalter gebührt der Rühm, die Ursachen
vieler Krankheiten ermittelt zu haben. Man fand sie
in den kleinsten Lebewesen, die nur mit den schärfsten
Vergrößerungsgläsern erblickt werden können. Die
Verursacher vieler Krankheiten stellten sich als winzige
pflanzliche oder thierische Gebilde dar.
Jin Wassertropfen enthüllt uns das Mikroskop eine
neue Welt. Es schwimmen darin zahllose Thiere und
Pflanzen, eines vom anderen durchaus verschieden, trotz
der Kleinheit so grundverschieden, wie eine Eiche und
ein Grashalm, wie ein Löwe und ein Lamm.
In dieser unendlich kleinen Welt stecken die bittersten
Feinde unserer Gesundheit. Es währte lange, bis die
Forscher lernten, so kleine Wesen, die selbst unter
dein Mikroskope sich nur als Striche und Punkte
unseren: Auge darbieten, voneinander als besondere
Arten zu unterscheiden. Zuletzt aber gelang auch dies.
Man vermuthete bald, daß solche winzige Pilze -
die Bakterien — auch die Verursacher der Diphtherie
seien. Aber in dem diphtheritischen Belage fand man nicht
nur eine einzige Art dieser Pilze, es waren stets ver-
schiedene vorhanden, die einen sahen wie Stäbchen
aus, die anderen wie Kügelchen. Welches dieser
Stäbchen rind welches dieser Kügelchen war nun der
Erreger der Diphtherie? Man mußte dieses bunte
Gewirr lösen, mußte die Keiine der verschiedenen
Pilzarten ansstreuen und jede Art für sich besonders
züchten, mußte Versuche an Thieren anstellen, um
herauszufinden, welcher Pilz der die Diphtherie er-
zeugende sei. Das war eine mühevolle Arbeit.
Endlich gelang es Professor Löffler in Greifs-
wald, einen stäbchenförmigen Spaltpilz als den
Erreger dieser Krankheit zu erkennen. Er wurde darum
der Löffler'sche oder der Diphtheriebacillus genannt.
Damit war der erste Ansatz zum wirklichen Fortschritt
gethan; das Herumtappen im Dunkeln hatte aufgehört.
Man kannte den Verursacher der furchtbaren Krankheit,
nun galt es, seine Eigenschaften kennen zu lernen, ihn
zu studiren und die Mittel ausfindig zu machen, die
ihn vernichten. Es galt ferner, ihn außerhalb des
I menschlichen Körpers zu bekämpfen, um die Verbreitung
der Epidemie zu verhüten, und ihn im Körper des
Kranken zu lähmen und so die Ursache des Leidens
aufzuheben, die Heilung herbeizuführen.
Diese Bacillen sind in ihren Lebensbedingungen,
wie die meisten Parasiten, anspruchsvoll. Sie gedeihen
nicht in jeder Flüssigkeit, nicht auf jeder feuchten
Substanz, sie verlangen einen besonderen, für ihre
Bedürfnisse günstigen Nährboden; sie wachsen auch
nicht bei jeder Temperatur, bei Wärme von unter
24" 6. und über 42" C. verfallen sie in einen
Zustand der Ruhe. Sie sterben aber dabei keines-
wegs ab; im Gegentheil, sie können noch lange,
Wochen- und monatelang, ihre Entwickelungsfähig-
keit beibehalten und wachsen, sobald sie in günstige
Bedingungen versetzt werden, von Neuem. Bemerkens-
werth ist es, daß sie in der Feuchtigkeit sich länger
erhalten und, in der Trockenheit rascher zu Grunde
gehen. Daraus erhellt ja, daß feuchte Wohnungen
zu Brutstätten der Diphtherie werden können, und die
tägliche Erfahrung der Aerzte stimmt wirklich mit
diesen Thatsachen überein.
Auf Grund der erworbenen Kenntnisse suchten
nun die Aerzte Verhaltungsmaßregeln aufzustellen,
um der Ausbreitung der Diphtheritisepideniien Einhalt
zu gebieten. Es ist nicht schwierig, den Bacillus
außerhalb des menschlichen Körpers zu zerstören;
die beschmutzte Wäsche kann man kochen, den Auswurf
Das Buch für Alle.
Die Bekämpfung der Diphtherie.
Ein Mahnruf an alle Eltern.
,L, Von
K- Jakkerrliorst.
- (Nachdruck verboten.)
dem finsteren Heere der ansteckenden Krank-
welche die Menschen Heimsuchen, galt
seit jeher die bösartige, ansteckende Hals-
bräune als eine der gefährlichsten. In der
° neuesten Zeit wurde sie von den Aerzten mit
dem Namen Diphtherie oder Diphthcritis be-
' zeichnet, während man sie im Volksmunde
wohl den „Würgengel der Kindcrwelt" nennt; denn
mit Vorliebe befällt sie gerade die Kinder vom zweiten
bis zum sechsten Lebensjahre.
Sie ist keine jener fremdländischen Seuchen, die
nach einem kurzen Verhcerungszuge, wie die Cholera,
zu erlöschen Pflegen; sie ist bei uns einheimisch. In
Großstädten gibt es stets einige an Diphtherie erkrankte
Kinder; mitunter aber greift sie auch epidemisch um
sich, streckt auf einmal Hunderte und Tausende auf
das Krankenlager und richtet die schlimmsten Ver-
heerungen an.
Das Krankheitsbild der Diphtherie ist wohl allge-
mein bekannt, wir brauchen daher nur kurz daran
erinnern, daß die Diphtherie zumeist als eine örtliche
Erkrankung der Schleimhaut des Halses beginnt. Auf
den gerötheten, entzündeten Stellen derselben erscheinen
weißliche Flecken, die sogenannten Pscudomembranen
oder der diphtheritische Belag. Das Fieber, welches
sich zugleich einstellt, und im Verlaufe der Krankheit
ansteigt, zeigt uns, daß auch der gestimmte Körper
ergriffen wird; ein Krankheitsstoff scheint im Blute
zu kreisen. In günstigen Fällen wird nun dieser
Belag bald abgestoßen, und die Schleimhaut heilt aus,
das Fieber verschwindet; der Kranke ist genesen. In
schwereren Fällen dagegen breitet sich die Krankheit
weiter aus, tiefer gelegene Luftwege, Theile der Nasen-
schleimhaut werden ebenfalls ergriffen; die inneren
Lsctt Ist.
Symptome: das Fieber und die Schwächung der Körper-
kräfte nehmen zu. In solchen Fällen muß man auf
das Schlimmste gefaßt sein, obwohl man niemals ver-
zweifeln darf, da selbst noch im letzten schlimmsten
Augenblicke eine Wendung zum Besseren eintretcn kann.
Mehr als andere ansteckende Krankheiten tritt die
Diphtherie bald in einer leichten, bald in einer schweren
Form auf; bald sterben von den Erkrankten nur drei
bis vier vom Hundert, bald beträgt die Sterblichkeit
dreißig bis vierzig Prozent.
Die Aerzte setzen schon seit Jahrzehnten Alles
daran, uni mit den Hilfsmitteln der so weit vorge-
schrittenen Wissenschaft auch diese unheilvolle Krank-
heit zu bändigen. Es gelang ihnen in der That,
durch Operationen Kinder zu retten, welche der Er-
stickung nahe waren; es gelang ihnen vielfach, Linderung
zu bringen und den Körper im Kampfe mit der
Krankheit zu stärken — aber im Großen und Ganzen
standen sie am Krankenbette ziemlich nnmächtig. Wohl
glaubte bald Dieser bald Jener ein Mittel gegen die
Diphtherie entdeckt zu haben. Er pries es an, seine
Ein indischer Kogi sKakiri sucht durch Setvstpeinignng Regen Ijerdeiznfuhren. (L. 44Ü)
Kollegen versuchten es, die Einen lobten es auch, die
Anderen aber erklärten es für werthlos; denn in einer
Epidemie bewährte sich das Mittel und in einer anderen,
einer schwereren, versagte es völlig, konnte dem Tode
kein Opfer entreißen. Mit der Anführung von Heil-
mitteln , die von ärztlicher Seite mit wechselndem
Glück schon gegen die Diphtherie empfohlen worden
sind, könnte man ganze Seiten füllen.
Daß es so kam, daran war das tiefe Dunkel schuld,
welches das : Wesen der Krankheit verhüllte. Man
wußte nicht, was die Ursache der Diphtherie war, und
erging sich in Vermuthungen.
Es sollte aber endlich Licht werden.
Unserem Zeitalter gebührt der Rühm, die Ursachen
vieler Krankheiten ermittelt zu haben. Man fand sie
in den kleinsten Lebewesen, die nur mit den schärfsten
Vergrößerungsgläsern erblickt werden können. Die
Verursacher vieler Krankheiten stellten sich als winzige
pflanzliche oder thierische Gebilde dar.
Jin Wassertropfen enthüllt uns das Mikroskop eine
neue Welt. Es schwimmen darin zahllose Thiere und
Pflanzen, eines vom anderen durchaus verschieden, trotz
der Kleinheit so grundverschieden, wie eine Eiche und
ein Grashalm, wie ein Löwe und ein Lamm.
In dieser unendlich kleinen Welt stecken die bittersten
Feinde unserer Gesundheit. Es währte lange, bis die
Forscher lernten, so kleine Wesen, die selbst unter
dein Mikroskope sich nur als Striche und Punkte
unseren: Auge darbieten, voneinander als besondere
Arten zu unterscheiden. Zuletzt aber gelang auch dies.
Man vermuthete bald, daß solche winzige Pilze -
die Bakterien — auch die Verursacher der Diphtherie
seien. Aber in dem diphtheritischen Belage fand man nicht
nur eine einzige Art dieser Pilze, es waren stets ver-
schiedene vorhanden, die einen sahen wie Stäbchen
aus, die anderen wie Kügelchen. Welches dieser
Stäbchen rind welches dieser Kügelchen war nun der
Erreger der Diphtherie? Man mußte dieses bunte
Gewirr lösen, mußte die Keiine der verschiedenen
Pilzarten ansstreuen und jede Art für sich besonders
züchten, mußte Versuche an Thieren anstellen, um
herauszufinden, welcher Pilz der die Diphtherie er-
zeugende sei. Das war eine mühevolle Arbeit.
Endlich gelang es Professor Löffler in Greifs-
wald, einen stäbchenförmigen Spaltpilz als den
Erreger dieser Krankheit zu erkennen. Er wurde darum
der Löffler'sche oder der Diphtheriebacillus genannt.
Damit war der erste Ansatz zum wirklichen Fortschritt
gethan; das Herumtappen im Dunkeln hatte aufgehört.
Man kannte den Verursacher der furchtbaren Krankheit,
nun galt es, seine Eigenschaften kennen zu lernen, ihn
zu studiren und die Mittel ausfindig zu machen, die
ihn vernichten. Es galt ferner, ihn außerhalb des
I menschlichen Körpers zu bekämpfen, um die Verbreitung
der Epidemie zu verhüten, und ihn im Körper des
Kranken zu lähmen und so die Ursache des Leidens
aufzuheben, die Heilung herbeizuführen.
Diese Bacillen sind in ihren Lebensbedingungen,
wie die meisten Parasiten, anspruchsvoll. Sie gedeihen
nicht in jeder Flüssigkeit, nicht auf jeder feuchten
Substanz, sie verlangen einen besonderen, für ihre
Bedürfnisse günstigen Nährboden; sie wachsen auch
nicht bei jeder Temperatur, bei Wärme von unter
24" 6. und über 42" C. verfallen sie in einen
Zustand der Ruhe. Sie sterben aber dabei keines-
wegs ab; im Gegentheil, sie können noch lange,
Wochen- und monatelang, ihre Entwickelungsfähig-
keit beibehalten und wachsen, sobald sie in günstige
Bedingungen versetzt werden, von Neuem. Bemerkens-
werth ist es, daß sie in der Feuchtigkeit sich länger
erhalten und, in der Trockenheit rascher zu Grunde
gehen. Daraus erhellt ja, daß feuchte Wohnungen
zu Brutstätten der Diphtherie werden können, und die
tägliche Erfahrung der Aerzte stimmt wirklich mit
diesen Thatsachen überein.
Auf Grund der erworbenen Kenntnisse suchten
nun die Aerzte Verhaltungsmaßregeln aufzustellen,
um der Ausbreitung der Diphtheritisepideniien Einhalt
zu gebieten. Es ist nicht schwierig, den Bacillus
außerhalb des menschlichen Körpers zu zerstören;
die beschmutzte Wäsche kann man kochen, den Auswurf