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Das Buch für Alle.

als die Flügelthüre von dem Diener geöffnet wurde,
und leise, um nicht zu stören, mit einer um Ent-
schuldigung bittenden Geberde zwei junge Männer ein-
traten. Mit dem großen, wie in weite Ferne schauen-
den Blick, der Carlotta beim Singen eigen war, blieben
ihre Augen auf einem von ihnen, einem dunkeläugigen,
brünetten, schlanken jungen Manne haften. Wie von
plötzlichem Erschrecken gelähmt, stockte ihre Stimme, sie
verwirrte sich, suchte ihre Bewegung zu bemeistern, fand
aber keinen Ton mehr in der Kehle.
Etwas ungeduldig über diese seltsame Anwandlung
suchte die Gräfin mit einem Scherz das Schweigen, das
sich des kleinen Kreises bemächtigt hatte, zu brechen
und den beiden Herren durch eine freundliche Begrüßung
über ihr peinliches Entree hinwegzuhelfen.
Als der junge Mann Carlotta als engerer Lands-
mann, Doktor Leonhard Turrach aus Triest, vorgestellt
Wurde, sah sie ihn ängstlich forschend an und suchte
zu lächeln, wie ein Kind, das, von einem eingebildeten
Schreckniß geängstigt, in der Nähe seinen Jrrthum be-
merkt und nun wieder der Vernunft Raum geben will.
Aber wenn sie sich auch nicht zu erklären vermochte,
warum das hübsche, sympathische Gesicht des jungen
Mannes ihr die Nerven erregte, ein banges Gefühl
blieb ihr auf dem Herzen, als käme ein unabwendbares,
niederschmetterndes Geschick an sie heran. Sie ver-
mied mit Turrach zu sprechen, wahrend sie mit dessen
Freund, einem blonden Südtiroler, Namens Albert
Pauly, rasch bekannt wurde und mit einer Lebhaftigkeit
plauderte, über die sich Gräfin Tina um so herzlicher
freute, je mehr dieselbe den Major zu verstimmen schien.
. Die beiden jungen Oesterreicher wurden trotz des
ersten, nicht gerade einladenden Empfanges, die getreuesten
Gäste der Donnerstagabende.
Die Freunde waren, in Anbetracht ihrer Jugend, von
ungewöhnlichem Ernst. Doktor Turrach, der Philologie
und Archäologie studirt hatte, war ein stiller, arbeitseifriger
Gelehrter, mit zäher Beharrlichkeit seinem Forschen er-
geben. Er hatte ein großes Werk über „Keltische Kunst-
ideen" begonnen, für welches er in der deutschen Stadt
bedeutendere Hilfsquellen fand, als in der Heimath, so
daß ihn die alten Ausgrabungen und die reichhaltige
Bibliothek wie ein Magnet festhielten. Sein Freund, der
noch auf der Universität chemische Vorlesungen hörte,
ehe er die Fabrik seines Vaters in der Nähe von Verona
übernahm, hatte zum ersten Male das Elternhaus ver-
lassen, und versicherte die Gesandtin stets auf's Neue
seiner Dankbarkeit, sich in ihrem Heim von dem Gast-
hausleben, das ihm ein Greuel war, erholen zu dürfen.
Tina empfing gerade diesen jungen Mann mit sich
steigernder, herzlicher Wärme. Sie wußte es einzu-
richten . daß Albert jedesmal bei Tisch an Carlotta's
Seite zu sitzen kam, ja daß das junge Paar, zwischen
dem sich in aller Kürze eine große Vertraulichkeit ent-
wickelt hatte, ab und zu ans Momente allein blieb,
wenn der Zufall gerade dazu half.
Als Tina eines Tages ein leises Zwiegespräch
zwischen den Beiden unterbrechen mußte, um Carlotta
an das Klavier zu rufen, fiel ihr auf, daß das junge
Mädchen rasch ein beschriebenes Blatt verbarg, in dem
sie gelesen hatte. Die Gräfin heuchelte harmloseste
Blindheit.- aber sie zweifelte nicht, daß es Verse ge-
wesen, die Carlotta von ihrem Verehrer erhalten hatte,
und fand nun ein besonderes Vergnügen daran, ein
heimliches Einverständniß zwischen den jungen Leuten
zu beobachten, ohne nur im Geringsten zu verrathen,
wie scharf ihre Augen und Ohren waren.
Dagegen Prickelte ihr ein ganz fieberhafter Zorn
durch die Adern, als sie einmal in dem nur durch die
Portisre verhängten Salon den Major, der neben
Carlotta am Klavier stand, in einem sehr bewegten
Tone sagen horte- „Wenn ich Sie ansehe, Fräulein
Carlotta, möchte ich die Verse Heinc's vor mich hin-
sprechen -
Du bist wie eine Blume,
So schön, so hold, so rein —"
„Aber, lieber Major," rief die Gräfin, die sich
nicht genug beherrschen konnte, nm zu schweigen, jedoch
weltgewandt genug war, nm lachen zu können, wenn
sie sich ärgerte, in einem neckenden Tone, „lieber Major,
überlassen Sie solch' wunderschöne Komplimente doch
einem anderen Munde, von dem Carlotta sie Wohl zur
Genüge hört, und ans dem sie ihr, bei aller schuldigen
Ehrfurcht vor Ihnen, doch mehr Freude machen werden."
Während sie sprach, hatte die Gräfin die Portisre
zurnckgeschlagen und stand nun mit einem so forschen-
den, verwirrenden Blick vor den: jungen Mädchen, daß
dieses erröthend ganz verlegen stammelte- „Ich wüßte
nicht, wer - wen Du meinst. Wer sollte denn
„Geh', Du Heuchlerin! Glaubst Du, ich sei nicht
auch einmal jung gewesen und könnte nicht nngefähr
errathen, was Dir Herr Pauly in's Ohr raunt, wenn
ihr so wichtig miteinander Plaudert."
„Aber Du irrst Dich vollständig! Nein gewiß, Du
thust Herrn Pauly Unrecht Er hat mir nie ein Wort
gesagt, das Du nicht hättest hören dürfen," widersprach
Carlotta sehr eifrig und energisch.
„Nun, ich wollte ihm ja gar keinen Vorwurf machen.

Wenn er Dir den Hof macht, das ist ja ganz nett;
warum denn nicht?"
„Aber er ist ja verlobt!"
„Verlobt! O, dann freilich finde ich sein Benehmen
ganz unerhört!"
„Aber — er erzählt? mir doch gleich von seiner
Braut und zeigte mir ihr Bild und gab mir einen
ihrer Briefe zu lesen, in dem sie mir Grüße schickte.
Er ist so glücklich, wenn er von ihr reden kann!"
Tina biß sich auf die Lippen. Der Major stand
von ihr abgewendet und trommelte auf dem Holz des
Flügels, scheinbar ganz in die Noten vertieft, die vor
ihm lagen.
Es war eine schwüle Pause.
Tina ärgerte sich unsagbar. Sie fühlte, daß Majvr
Rolfs sie nach dieser Scene durchschauen, ihren Wunsch,
Carlotta zu verheirathen, errathen mußte. Und umsonst
hatte sie ihre Absicht enthüllt! Die Erfüllung war wie-
der in weite Ferne gerückt. Das Mädchen blieb ihre
Hausgenossin, blieb ihm vor Augen!
Sie sagte sich in zorniger Verstimmung zum ersten
Male, daß Carlotta ja eine Fremde sei, daß sie keine
Ursache habe, ihr Opfer zu bringen. Sie war schon
entschlossen, das Mädchen zu einer Verwandten oder
mit einer Gesellschafterin auf Reisen zu schicken, als sich
bald darauf Doktor Turrach bei ihr melden ließ, uni
eine Unterredung bat und in aller Form um Carlotta's
Hand anhielt.
Tina fühlte sich auf's Höchste überrascht, denn der
junge Gelehrte hatte keineswegs den Eindruck eines Ver-
liebten und Werbenden gemacht und Carlotta war ihm
jedenfalls mit einer ganz auffallenden Scheu aus dein
Weg gegangen.
Gräfin Tina konnte nicht umhin, zu bemerken, daß
sie über die Gefühle ihrer Adoptivtocher gänzlich im
Unklaren sei und eigentlich bezweifeln müsse —
„Ich habe bisher jeden Versuch, die Gunst des
Fräuleins zu gewinnen, unterlassen, weil ich erst voll-
ständig klar sein wollte in nur selbst," unterbrach der-
jenige Mann sie mit seinem ruhigen Ernst. „Ich halte
es für unrecht, die Gefühle eines jungen Mädchens zu
erregen, so lange man nicht wohl erwogen hat, ob man
es auch ernst meint. Nun, da ich zu der festen Ueber-
zeugung gekommen bin, daß mich nicht blos ein flüchtiges
Wohlgefallen, sondern eine tiefe Neigung zu Carlotta
hinzieht, nun werde ich Alles thun, nm ihr Herz zu
erobern; und eben, weil ich das Mädchen sehr lieb
habe, darum glaube ich, daß mir dies auch gelingen
wird. Aber ich will nicht heimlich die Freiheit nützen,
die Sie mir durch Ihre Gastfreundschaft gewähren!
Ich hielt es für meine Pflicht, Ihnen zu sagen. Fran
Gräfin, daß ich mich Ihrer Pflegetochter als ein Werben-
der nähern möchte, für meine Pflicht auch. Ihnen meine
Verhältnisse klarzulegen. Ich besitze ein bescheidenes
Vermögen. Mein Vater ist allerdings, so viel ich weiß,
ein recht wohlhabender Mann; da er aber sehr unstät
lebt, sehr viel in der Welt herumreist, so war es von
jeher mein Bestreben, mehr auf mich selbst, als auf ihn
zu vertrauen und mir eine eigene, sichere Stellung zu
erwerben. Dies wird nur wohl in nächster Zeit ge-
lingen. Mehrere der maßgebenden Persönlichkeiten be-
günstigen meine Bewerbung nm den erledigten Direktor-
posten an dem hiesigen Museum. Wenn ich die Stelle
erhälte, werde ich wohl in der Lage sein, einer Frau
ein ganz behagliches Loos zu bieten."
„Carlotta ist nicht ohne Vermögen," warf Gräfin
Tina lächelnd ein und nannte die Summe, die sich in der
Brieftasche ihres Vaters vorgefunden hatte. „Das Kapital
hat sich in den zehn Jahren, seitdem das liebe Kind bei
uns weilt, ganz hübsch verzinst, und ist durch den Ver-
kauf der Villa bei Triest noch vergrößert worden. Da
auch ich nicht anfhören werde, Carlotta als meine
Adoptivtochter zu betrachten, so mag sie nach bescheidenen
deutschen Begriffen ja als Erbin gelten."
Doktor Turrach schien durch diese Mittheilung ent-
schieden überrascht, ja bestürzt.
„Davon wußte ich nichts, Frau Gräfin. Ich hätte
vielleicht, wenn ich von diesen Verhältnissen eine Ahnung
gehabt, nicht den Muth gefunden, so dreist um die
Hand der jungen Dame zu bitten. Von dem traurigen
Ereigniß, das Carlotta der Eltern beraubt, hatte ich
gehört; mir schien der Begriff Waise und arm identisch.
Ich wäre stolz darauf gewesen aus eigener Kraft für
mein Weib zu sorgen." Er schwieg eine Weile;
dann aber hob er den Kopf wieder froh empor -
„Diese äußeren Umstände können indeß an meiner
Empfindung nichts ändern. Ja ich muß mich, da ich
mir der vollen Uneigennützigkeit meiner Liebe bewußi
bin, im Grunde eher freuen, daß Carlotta, die in einem
so glänzenden Heim aufgewachsen ist, mir keine Opfer
zu bringen hat, wenn sie sich entschließt, meine Frau
zu werden."
Was er sagte, war frei von jeder prahlerischen
Phrase; es klang vertrauenerweckend und nach wohl-
thuender, frischer Jugendzuversicht.
Gräfin Tina's Lächeln ward immer Würmer, immer-
herzlicher. Das Auftreten des jungen Mannes gefiel
ihr ausnehmend gut. Ihr heimlicher Wunsch erfüllte

Hrst 20.
sich schöner, als sie nur zu hoffen gewagt. Wer konnte
besser zu dem ernsten Mädchen passen, als dieser hübsche,
junge Gelehrte mit dem sicheren Auftreten, dem ge-
diegenen Charakter? Sie entließ ihn mit dem Ver-
sprechen, seine Neigung auf's Wärmste beschützen zu wollen.
So ungeduldig brannte sie darnach, Carlotta's Herz
zu ergründen, daß sie bald, nachdem er sich entfernt
hatte, in das Zimmer des Mädchens eilte.
„Rathe, wer bei mir war, Schätzchen," frug sie leb-
haft, den Arm nm Carlotta's Taille schlingend.
„Herr Doktor Turrach war bei Dir. Ich errathe
es nicht, denn ich begegnete ihm im Vorzimmer," cr-
wiederte das Mädchen, auffallend erregt.
„Aber Du erräthst, daß er um Deinetwillen kam?"
„O, er sagte etwas dergleichen, mit einem Blick, wie
nie zuvor," beichtete Carlotta, mit gesenkten Augen vor
sich hinblickend, sichtlich noch unter dem verwirrenden
Eindruck der kurzen Scene.
„Nun, so wird es Dich kaum überraschen, liebes
Kind, wenn ich Dir wiederhole, was Dein Bewnnderer
mir mitgetheilt hat. Doktor Turrach —"
Sie hatte ihren Mund dein Ohr des Mädchens ge-
nähert, um mit der freudigen Erregung, welche der
kleine Roman ihr wachrief, die Liebesbotschaft zu flüstern,
aber Carlotta suchte sich mit einer leidenschaftlichen
Geberde aus ihren Armen zu befreien. Sic drückte ihr
hilfeflehend die Hand aus die Lippen; „Sag' es nicht!
Ich will es nicht hören! Liebste, Beste! Bitte, sei
gut — sprich nicht davon!"
Gräfin Tina machte eine ungeduldige Bewegung. „Du
solltest Deinen Nerven nicht so nachgeben, Carlotta," sagte
sie, beide Hände des Mädchens ergreifend, mit einem festen
Blick in das verwirrte junge Gesicht. „Du bist nun fast
zwanzig Jahre alt. In Deinem Alter muß ein Mädchen
hören können, daß ein Mann sie lieb hat, ohne solch' ein
entsetztes Gesicht zu machen. — Du kleine Thörin! Wir
sind nun einmal da, nur zu lieben und geliebt zu wer-
den. Turrach ist ein hübscher, gebildeter, unter der
heutigen Männerjugend ganz ungewöhnlich ehrenhafter
und strengdenkender Mensch. Es würde Dich manches
Mädchen nm den Freier beneiden."
Es klang eine Gereiztheit durch die Stimme Tina's,
welche dem feinfühligen Mädchen nicht entging.
„Sei mir nicht böse! O bitte! Ich weiß nicht, warum
mir ein so seltsamer Schauer über die Glieder fährt, wenn
Doktor Turrach in meine Nähe kommt; warum mein
Herz klopft, meine Gedanken sich verwirren, warum ich
ein Gefühl habe, als möchte ich die Hände auf das
Gesicht drücken, wenn er mich mit seinen ernsten Angen
anblickt - am allerliebsten aber fori laufen, weit fort von
ihm. Bei alledem aber bleibe ich regungslos, wie
erstarrt vor ihm, und es ist, als wäre mein Kopf plötz-
lich ganz leer geworden. Ich weiß gar nichts mehr;
ich gebe die albernsten Antworten und erscheine mir-
dumm wie ein Kind."
Die Gräfin lachte, ihr hellstes, heiterstes Lachen,
und drückte Carlotta wieder mit echter Zärtlichkeit,
die von jedem bitteren Beigeschmack befreit war, an
sich. Seit langer Zeit war sie dein Mädchen nicht
mehr so gut gewesen, wie in diesen: Augenblicke.
„Aber Du dummes Herzchen, Du bist einfach verliebt!
Gründlich verliebt bis über die Ohren verliebt!" rief
sie bald lachend, bald ihre vollen Lippen auf die glatten
Wangen des Mädchens pressend. „O, ich sehe wohl,
es gibt zwischen jungen Leuten ein stumme Verstän-
digung, die Niemand belauschen, kein fremdes Auge
sehen kann. Ich, die ich immer glaubte, ihr Beide
könntet euch nicht ansstehen! Ach, das ist ja köstlich!
Du willst nichts von ihn: hören, und was Du inir
gebeichtet hast, das sind doch die regelrechten Symptome
der schlimmen Krankheit Liebe, so wie sie bei jungen
Menschenkindern, wie Du, auftritt. Ich kann Dir als
erfahrene Kennerin versichern, Du brauchst gar keine
Angst zu haben über diese Verwirrung, dieses Herz-
klopfen; die Heilung findet sich! Er liebt Dich ja
wieder! Eine Lösung wie im Lustspiel! Ach, ich könnte
Dich fast beneiden, Carlotta. Weißt Du, wie's in den
schönen Versen Scheffel's heißt:
Süßer Kuß der ersten Vebe!
Dein gedenkend überschleicht mich
Freud' und Wehmuth: Freude, daß auch
Ich ihu einstma's küssen durste,
Wehmuth, daß er schon geküßt ist."
Sie verließ das Mädchen in ganz gehobener Stim-
mung, als habe sie süßen Wein getrunken. Was sic
so begeisterte, war theils die allgemeine weibliche Vor-
liebe für das Ehestiften, theils die Aussicht, Carlotta
nun bald den Angen, den Wünschen des 'Majors
entrückt zu sehen; ein klein wenig auch die wachgerufene
Erinnerung an ihre eigene erste, halb kindische Schwär-
merei für einen bildhübschen Italiener, mit dem sic
cinst am Ufer des blauen Mittelmeeres heimliche Küsse
getauscht hatte. _
4.
Carlotta saß nach der Unterredung mit ihrer
Adoptivmutter mit brennenden Augen, mit hämmernden
Schläfen, mit einem, schweren Druck auf dem Herzen
 
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