492
Das Buch für All e.
Hrst 20.
Merl'ei Keiratßsgründe-
Ein psychologisches Kapitel.
Von
Hugo Sternberg.
-lNvchdr. verboten.)
^H^bwohl bereits Milliarden Menschen
II I in den Ehestand getreten sind, und
jeder derselben zu diesem ernsten
Schritte einen ganz besonderen Grund ge-
habt haben kann, herrscht doch allenthalben
der Glaube vor, daß man die Heiraths-
gründe an den Fingern herzählen könne.
Liebe, Gefallen, kindliche Pflicht, Kon-
venienz, äußerer Zwang, Vernunft und
Berechnung, das ist, so heißt es gemeinig-
lich, das llm und Ans dieser Grunde. Denn
ans Haß, Mißfallen, bloßer Dummheit
oder gar ans Verzweiflung wurde und wird
sicherlich kein Ehebund geschlossen.
Und doch sind bereits nicht nur diese,
sondern auch viele andere, zum Theil
kaum für möglich gehaltene Heirathsgründe
dagewesen. Sogar die Nachtschwärmers
befindet sich darunter. Seinem eigenen Ge-
ständnisse zufolge hat nämlich ein Eng-
länder nur deshalb geheirathet, weil er
immer große Schwierigkeiten darin fand,
die Thnre aufzuschließen, wenn er spät
Nachts nach Hanse kam, und er Jemanden brauchte, der
ihn einließe. Ein Anderer wieder nahm aus dem allei-
nigen Grunde eine Fran, weil er es müde war, den Da-
men seiner Bekannten immer -Obst oder Zuckerbäckereien
zu kaufen und bei allerlei Vergnügungen als deren Ritter
zu fungiren, mit anderen Worten: der Mann war
bequem geworden, er wollte Ruhe haben, und da ihn
Ludwig IV., Großherzog von Hessen ff. sS. 491)
die Hoffnung, dieses kostbare Gut in der Ehe zu finden,
nicht trog und er zudem auch noch Geld ersparte, er-
thcilte er öffentlich allen Junggesellen den, Ivie er
meinte, guten Rath, seinen Heirathsgrund zu dem ihren
zu machen.
Dies scheint indessen nicht geschehen zu sein. Wenig-
stens hat sich keiner der vielen Ehemänner, welche die
von einem wißbegierigen Gelehrten gestellte
Anfrage: „Warum haben Sie geheirathet?"
crwiedert haben, in obigem Sinne geäußert.
Im Gegentheile, es kamen da wesentlich
andere Heirathsgründe zu Tage.
„Ich habe geheirathet, weil mich der
Vorwurf meines Vaters, trotz achtjähriger
Kurmacherei noch immer ledig zu sein,
furchtbar ärgerte und zu dem Beweise
drängte, daß mir von jeher nichts leichter
gewesen wäre, als eine Frau zu bekommen,
wenn ich nur gewollt hätte," schrieb Einer)
und ein Zweiter bekannte offen, sich in's
Ehejoch geschmiegt zu haben, weil Eveline
ihm sagte, fünf andere junge Herren hätten
ihr Heirathsanträge gemacht. Da konnte
unser Mann natürlich nicht Zurückbleiben.
Stand ja doch sein Ruf als Unwidersteh-
licher auf dem Spiele.
Hier wie dort war also, um das Ding
beim wahren Namen zu nennen, Eitelkeit
der eigentliche Heirathsgrund. Derselbe
kommt sehr oft vor und ist ebenso mensch-
lich, wie etwa die Gesundheitsrücksichten.
Die Gesundheitsrücksichten? Ja, ist es
denn möglich, daß auch diese unter den
Heirathsgründen figuriren? Gewiß, sie
stehen in der langen Reihe derselben, und
dies nicht erst seit dem Sommer 1890,
wo bekannt wurde, der eheschene Lord D.
habe sich plötzlich vcrheirathet, weil er eine
junge lebhafte Frau für das beste Mittel
gegen sein gemächliches Gebreste, die Me-
lancholie, hielt, sondern schon seit längerer
Zeit. Es sind nämlich wohlgezählte 25
Jahre vergangen, seitdem der edle Sir
Edward Spencer aus dem alleinigen Grunde
zu Hymens Fahne schwor, nm die Nervo-
sität los zu werden, in welche ihn die von
seiner nachmaligen Schwiegermutter un-
aufhörlich vorgebrachten Erzählungen vom
Eheglück versetzt hatten.
Diesen Heirathsgrund kann man am Ende noch
begreifen, wenn aber, wie dies in Irland geschah,
ein junger, schöner, über eine jährliche Rente von
20,000 Pfund Sterling verfügender Mann eine Fran,
die gut seine Großmutter hätte sein können, darum
heirathete, damit er von ihr in einer künftigen Krank-
heit eben so gut gepflegt werde, wie dies in der kürzlich
müssen, um ihre angegriffene Gesundheit zu
kräftigen, und der Gatte kommt nun, um voll
Sehnsucht sein langentbehrtes Weib und sein
herziges Töchterchen wieder zu uinarmeu und
seine Lieben wieder heimzuhole» nach dem Nor-
den. Die Ungeduld des Wiedersehens ist auf
beiden Seiten gleich groß und besonders die
Kleine späht schon lange nach dem Erwarteten
aus, obwohl es noch unmöglich ist, ihn unter
den Passagieren an Deck des nahenden Dampfers
zu erkennen.
Pas germanische Nationalmuseum iu Nürnberg. Nach einer Originalpholographie von CH. Müller in Nürnberg. (S. 491)
Das Buch für All e.
Hrst 20.
Merl'ei Keiratßsgründe-
Ein psychologisches Kapitel.
Von
Hugo Sternberg.
-lNvchdr. verboten.)
^H^bwohl bereits Milliarden Menschen
II I in den Ehestand getreten sind, und
jeder derselben zu diesem ernsten
Schritte einen ganz besonderen Grund ge-
habt haben kann, herrscht doch allenthalben
der Glaube vor, daß man die Heiraths-
gründe an den Fingern herzählen könne.
Liebe, Gefallen, kindliche Pflicht, Kon-
venienz, äußerer Zwang, Vernunft und
Berechnung, das ist, so heißt es gemeinig-
lich, das llm und Ans dieser Grunde. Denn
ans Haß, Mißfallen, bloßer Dummheit
oder gar ans Verzweiflung wurde und wird
sicherlich kein Ehebund geschlossen.
Und doch sind bereits nicht nur diese,
sondern auch viele andere, zum Theil
kaum für möglich gehaltene Heirathsgründe
dagewesen. Sogar die Nachtschwärmers
befindet sich darunter. Seinem eigenen Ge-
ständnisse zufolge hat nämlich ein Eng-
länder nur deshalb geheirathet, weil er
immer große Schwierigkeiten darin fand,
die Thnre aufzuschließen, wenn er spät
Nachts nach Hanse kam, und er Jemanden brauchte, der
ihn einließe. Ein Anderer wieder nahm aus dem allei-
nigen Grunde eine Fran, weil er es müde war, den Da-
men seiner Bekannten immer -Obst oder Zuckerbäckereien
zu kaufen und bei allerlei Vergnügungen als deren Ritter
zu fungiren, mit anderen Worten: der Mann war
bequem geworden, er wollte Ruhe haben, und da ihn
Ludwig IV., Großherzog von Hessen ff. sS. 491)
die Hoffnung, dieses kostbare Gut in der Ehe zu finden,
nicht trog und er zudem auch noch Geld ersparte, er-
thcilte er öffentlich allen Junggesellen den, Ivie er
meinte, guten Rath, seinen Heirathsgrund zu dem ihren
zu machen.
Dies scheint indessen nicht geschehen zu sein. Wenig-
stens hat sich keiner der vielen Ehemänner, welche die
von einem wißbegierigen Gelehrten gestellte
Anfrage: „Warum haben Sie geheirathet?"
crwiedert haben, in obigem Sinne geäußert.
Im Gegentheile, es kamen da wesentlich
andere Heirathsgründe zu Tage.
„Ich habe geheirathet, weil mich der
Vorwurf meines Vaters, trotz achtjähriger
Kurmacherei noch immer ledig zu sein,
furchtbar ärgerte und zu dem Beweise
drängte, daß mir von jeher nichts leichter
gewesen wäre, als eine Frau zu bekommen,
wenn ich nur gewollt hätte," schrieb Einer)
und ein Zweiter bekannte offen, sich in's
Ehejoch geschmiegt zu haben, weil Eveline
ihm sagte, fünf andere junge Herren hätten
ihr Heirathsanträge gemacht. Da konnte
unser Mann natürlich nicht Zurückbleiben.
Stand ja doch sein Ruf als Unwidersteh-
licher auf dem Spiele.
Hier wie dort war also, um das Ding
beim wahren Namen zu nennen, Eitelkeit
der eigentliche Heirathsgrund. Derselbe
kommt sehr oft vor und ist ebenso mensch-
lich, wie etwa die Gesundheitsrücksichten.
Die Gesundheitsrücksichten? Ja, ist es
denn möglich, daß auch diese unter den
Heirathsgründen figuriren? Gewiß, sie
stehen in der langen Reihe derselben, und
dies nicht erst seit dem Sommer 1890,
wo bekannt wurde, der eheschene Lord D.
habe sich plötzlich vcrheirathet, weil er eine
junge lebhafte Frau für das beste Mittel
gegen sein gemächliches Gebreste, die Me-
lancholie, hielt, sondern schon seit längerer
Zeit. Es sind nämlich wohlgezählte 25
Jahre vergangen, seitdem der edle Sir
Edward Spencer aus dem alleinigen Grunde
zu Hymens Fahne schwor, nm die Nervo-
sität los zu werden, in welche ihn die von
seiner nachmaligen Schwiegermutter un-
aufhörlich vorgebrachten Erzählungen vom
Eheglück versetzt hatten.
Diesen Heirathsgrund kann man am Ende noch
begreifen, wenn aber, wie dies in Irland geschah,
ein junger, schöner, über eine jährliche Rente von
20,000 Pfund Sterling verfügender Mann eine Fran,
die gut seine Großmutter hätte sein können, darum
heirathete, damit er von ihr in einer künftigen Krank-
heit eben so gut gepflegt werde, wie dies in der kürzlich
müssen, um ihre angegriffene Gesundheit zu
kräftigen, und der Gatte kommt nun, um voll
Sehnsucht sein langentbehrtes Weib und sein
herziges Töchterchen wieder zu uinarmeu und
seine Lieben wieder heimzuhole» nach dem Nor-
den. Die Ungeduld des Wiedersehens ist auf
beiden Seiten gleich groß und besonders die
Kleine späht schon lange nach dem Erwarteten
aus, obwohl es noch unmöglich ist, ihn unter
den Passagieren an Deck des nahenden Dampfers
zu erkennen.
Pas germanische Nationalmuseum iu Nürnberg. Nach einer Originalpholographie von CH. Müller in Nürnberg. (S. 491)