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Das Buch für Alle.

Heft 21.


um in Paris zu Gunsten seines Neffen Schritte zu
thnn. Da die Sache dem Minister zur Entscheidung
vorgelegt werden sollte, wollte der Abbö gleichzeitig
mit den Akten, die sich auf seinen Neffen Lajolais be-
zogen, in Paris eintreffen,
um den Minister von der
Unschuld Lajolais' zu über-
zeugen.
Er hatte einen Bekannten
im Ministerium des Innern,
und auch der Minister des
Innern und der Polizei,
Savary, der Nachfolger des
berüchtigten Fouchs, war
dem Abba persönlich bekannt.
Es handelte sich nur darum,
ob sich der Minister der
flüchtigen Bekanntschaft noch
erinnern werde, welche weiter
als zwanzig Jahre zurücklag.
Damals, im Jahre 1790,
war Savary, der jetzige Poli-
zeiminister, in das Heer ein-
getreten und lag in Lyon
in Garnison. Der Abbs und
der junge Lffizier waren
mehrfach in gesellschaftlichen
Verkehr miteinander gekom-
men und hatten manchen
Abend zusammen verplau-
dert. Der Abbs aber war
das geblieben, was er vor
zwanzig Jahren gewesen,
nämlich ein descheidenerWelt-
priester, während Savary
in den Feldzügen Napoleon'--
General und endlich Minister
geworden war. Immerhin
schienen die Aussichten, die
Abbs Coquet für seinen Besuch hatte, nicht ungünstige. !
Er hoffte, er würde eS durchsetzen, daß der Neffe
aus der Haft entlassen und daß ihm Gelegenheit
geboten würde, sich zu vcrtheidigen und von dem Ver-
dacht zu reinigen, daß er ein Verschwörer gegen das
Leben des Kaisers sei.
Am dritten Morgen nahm man auf einer kleinen

Ansicht von Thun. (S. 511t

Der Fremde öffnete seinen Rock ein wenig, so daß
unter demselben die blauweißrothe Seidenschärpe sichtbar
wurde, die er nm den Leib geknüpft trug.
„Ich bin Agent der Sicherheitspolizei," erklärte
er, „und verhafte Sie hier-
mit."
„Mich?" fragte entsetzt
der Geistliche.
„Ja," entgegnete der
Agent, „im Auftrage meines
Chefs, des Herrn v. Sar-
tines."
Der Abbs erbleichte. Der
Name Sartines hatte einen
schrecklichen Klang für alle
Leute, welche mit der Po-
lizei in Verbindung kamen.
Sartines galt für den ge-
schicktesten Polizeibeamtcn,
den je die französische Haupt-
stadt besessen. Das Spio-
nensystem, das er eingeführt
hatte, überstieg alle Be-
griffe und brachte den Pariser
Polizeidirektor gewisserma-
ßen in den Ruf der All-
wissenheit und Unfehlbarkeit.
„Und weshalb werde ich
Verhaftet?" fragte der Abbs.
„Fragen Sie Ihr Ge-
wissen!" entgegnete der
Agent. „Ich hoffe. Sie wer-
den mich nicht zwingen, Ge-
walt anzuwenden. Folgen
Sie mir augenblicklich nach
der Polizei, wo man weitere
Verfügungen über Sie tref-
fen wird."
Der Agent nahm das
Gepäck des Abbs's, rief einen Wagen herbei, und dieser
brachte Beide nach dem Hause, in dem der Polizeichef
von Paris seine Amtszimmer und seine Wohnung
hatte.
In einem Vorzimmer, in dem eine Anzahl von
Polizeidienern wartete, wurde der Abbs einen Augen-
blick untergebracht; dann kam der Agent, der ihn

Station ein eiliges Frühstück ein, dann ging die Fahrt
weiter bis Paris, wo man Nachmittags gegen zwei
Uhr cintraf.
Als der Abbs Coquet im Hofe des Postgebäudes

aus der Lyoner Postkutsche stieg, näherte sich ihm ein
Herr, der ihm die Hand auf die Schulter legte und
ihn leise fragte' „Habe ich die Ehre, den Herrn Abbs
Coquet aus Lyon zu sehen?"
„Der bin ich," sagte erstaunt der alte Herr. „Mit
wem habe ich die Ehre zu sprechen und womit kann
ich dienen?"

Hsterkcsuch in einem russischen ffiesangnissc zu Moskau. (S. 511)
 
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