358
„Ist mir noch nicht Vvrgekommen!" brummte der
Knmmcrjnnkcr.
„Mir aber!" glühte sie auf. „Ich werde jeden
Tag schlechter. Neid und Haß und Feindseligkeit wach-
sen in mir auf, ich habe früher nicht einmal gewußt,
was das ist!"
Ihr kamen Thränen in die Augen, sie hatte
Mühe, nicht zu weinen.
„Das thut der verwünschte Prozeß!" sagte der alte
Herr und sah sie ganz mitleidig an. Dann aber setzte
er tröstend hinzu: „Weißt Du, Kleine, der Heinz kriegt
Damenbesuch, dann wird es besser für Dich; es ist so
eine alte Klostertante, die mit ihres Bruders Tochter
kommt, ich denke mir, Heinz soll sie heirathcn — die
Nichte natürlich!"
„Aber ich setze keinen Fuß in's Schloß, bis es
mit gehört," rief Helia entrüstet. „Ich will nicht
Gast sein, wo ich Herrin sein müßte, und wenn Baron
Heinz die junge Dame hcirathen will, so mag er's thun,
mich soll nur wundern, ob sie ihn will!"
„Kind, Kind, es ist wahrhaftig unnatürlich, den
braven Jungen so zu verabscheuen! Ich begreife es gar
nicht," sagte der Kammerjunker, den Kopf schüttelnd.
„Sie nicht?" rief das junge Mädchen und fuhr
dann, blaß und roth werdend, in leidenschaftlichem Eifer
fort c „Ja, daß ich's ehrlich sage, ich begreife Sie auch
nicht! Mir kommt es so schrecklich vor, daß auch Sie sich
zu ihm wenden! Wie haben Sie ihn damals unge-
fähren! Und dann sind Sie so gut Freund mit ihm
geworden, und Sie kennen ihn doch! Unter Ihren
Angen - —"
Sie brach ab. Nein, von der Castaroni konnte sic
nicht sprechen. Unmöglich! So setzte sie nur mit sin-
kender Stimme hinzu: „Der Erfolg ist eben der große
Götze der Welt!"
Der Alte stellte die Pfeife aus der Hand. „Na,
nun schlag aber doch - ! Mädchen! Helia! Was weißt
Du denn von der Welt! Recht hast Du ja so im All-
gemeinen, aber was den Heinz betrifft, den Du so gar
nicht ausstehcn kannst, so machte er mir gleich damals
wider Erwarten einen sehr guten männlichen Eindruck,
und so weit ich bis jetzt uriheilen kann, ist er zehnmal
besser wie der Fuchs, wenn er Dir auch nicht schön
thut."
Helia ärgerte sich, am meisten empörte sie die
letzte Insinuation des Kammcrjunkers, aber der Alte
verhielt sich ihrem jugendlichen Mißfallen gegenüber so
st philosophisch wie immer und ließ sie bald mit ihren
Gedanken allein.
. Hätte sie nur hören können, wie eben auf Orda-
. brunn über sie gesprochen wurde.
7 Ernster als sonst trat Bodo in seines Bruders
Zimmer, der eben erst von einem entfernteren Pacht-
hofe zurückgekommen war, und den er gestiefelt und
gespornt am Fenster sitzend fand, finster und bedrückt
aussehend, wie in dieser letzten Zeit öfters.
„Ich kam eigentlich, uni mit Dir zu sprechen, Alter,
. wenn Du aber nicht guter Laune bist, so warte ich
lieber!" begann Bodo.
. „Sprich nur!" sagte Heinz und stand auf, schritt
im Zimmer hin und her und fuhr sich mit der Hand
über die Stirn, als wollte er quälende Gedanken ver-
scheuchen.
„Es ist eine Geschüftssache, Heinz, die doch 'mal
zwischen uns erledigt werden muß. Ich habe die
Kleine drüben sicher, aber ich will mich nicht binden,
wenn ich nicht muß, und dann — nimm's mir nicht
übel, lieber Alter — möchte ich doch auch klar scheu
wegen meiner Stellung. Ich habe nichts dagegen, daß
Du Ordabrunn bewirtschaftest und Hcsselrvdeburg
auch. — Finde mich brüderlich ab und laß mich
laufen!"
„So? Du hast sie sicher? Hast Du schon mit ihr
gesprochen?"
Es fiel Bodo nicht weiter auf, daß sein Bruder
nur dies aus seinen Worten heraushörte, und daß er
so eigenthümlich heiser und gepreßt sprach.
„Endgiltig noch nicht, aber ich brauche nur den
Finger hinzuhalten, so fliegt das Vögelchen darauf.
Ein gutes, kleines Ding ist sie! Sie hat's ganz ernst-
lich darauf abgesehen, mich zu bessern und zu ver-
edeln!" lachte Bodo in seiner leichten Weise.
„So? Lieb hast Du sie also nicht?"
„Ra, zum Heirathen genügt's natürlich! Todtschic-
ßen würde ich mich um sic nicht! Wenn ich sie aber
nicht gleich ganz allerliebst gefunden hätte, würde ich
mich nicht zu Deinem Plane hcrgegeben haben. Ich
sage Dir, sic ist reizend; so frisch, so rasend einfältig.
Sonst nicht gerade mein Genre, ich denke aber, man
muß auch 'mal eine kleine Abwechslung haben."
Baron Heinz hielt im Auf- und Abgehen inne, stützte
den Kopf gegen die Wand und stöhnte laut.
„Was ist Dir denn? Wenn Du so starkes Kopf-
weh hast, reden wir ein andermal weiter," unterbrach
sich der Fuchs.
„Also liebt sie Dich?" fragte mit müder Stimme
Baron Heinz.
Bodo antwortete zuversichtlich lächelnd mit einem
Das B u ch für All c.
Kopfnicken. Dann lehnte er sich an einen Tisch und
sah den Bruder blinzelnd an, indem er sprach: „Ich
möchte, daß Du mir sagtest, Heinz, wie Du Dir unsere
Auseinandersetzung denkst. Du übernimmst die Güter;
ich bin's zufrieden, daß Du mich auszahlst, aber ehr-
lich gestanden, finde ich, daß Du berücksichtigen solltest,
welches Opfer ich bringe. Eigentlich hängt doch von
meiner Bereitwilligkeit Alles ab — Alles! Das kannst
Du mir wohl anrechnen. Der alte Ouestenhorst hat
außer dem Grundbesitz das große Vermögen hinter-
lassen; weißt Du, mehr als zwanzig Jahre hat das
Kuratorium Zins auf Zins gehäuft, und ich meine, es
ist nicht unbillig, wenn auch ich meine Rolle in der Welt
spielen möchte. Dazu gehört natürlich ein großes Ver-
mögen."
„Ich würde vorziehcn, das Kapital zu verwalten
und Dir Deine Zinsen zu zahlen! Gebe ich es Dir in
die Hände — Du kennst Dich selbst, Bodo — so wäre
es bald in alle Winde."
„Tas Kapital festhalten? Danke! Dann führe Du
nur Deinen Prozeß ohne mich weiter! Das sollte mir
einfallen! Mir eine Frau auf den Hals zu hängen und
mich dann mit zweifach gebundenen Händen — na,
das könnte mir gefallen! Die Adele hab' ich Dir zu
Liebe schießen lassen, um die kleine Helia zu heirathcn.
Weißt Du, Du kommst mir ganz sonderbar vor, Alter!
Du bist aber nicht Majoratserbc — Du hast gar kein
Recht, so mit mir zu reden! Und wenn alle Stricke
reißen, so "
Sowie Bodo den trotzigen, zornigen Ton anstimmte,
war Heinz ihm mit ebenso trotzigem Aufwcrfen des
Kopfes entgegen getreten. Seine düster flammenden
Augen, der unbeugsame Ausdruck, der über seine ganze
Erscheinung sich gebreitet hatte, reizte den Jüngeren bis
zur Wuth, und Zorn lag auch in des Aelteren Blicken.
„So -?" wiederholte Baron Heinz herausfordernd.
„Ich habe nicht die Absicht, mich mit Dir zu er-
zürnen. Gib mir eine halbe Million bar, so viel
kommt mir zu —"
„Bist Du wahnsinnig? Kenne ich Dich nicht hinrei-
chend? Ich zahle Dir Hunderttausend bar; das klebrige
bleibt unter meiner Verwaltung; ich wist nicht, daß Dein
Weib und Deine Kinder einmal betteln gehen sollen."
„Protze nur nicht so. mein Bester! Vorläufig kann
Helia noch immer den Prozeß gewinnen; Du bist sogar
sehr in Sorge, daß sie ihn gewinnen wird, das gestehe
nur ganz offen ein! Ich hoffe, Du bist vernünftig ge-
nug, sehr froh zu sein, wenn ich in unserem gemein-
samen Interesse das Mädchen hcirathe; denn, vergiß
nicht, lieber Alter, ich könnte auch als ihr Gemahl diesen
Prozeß gegen Dich gewinnen!"
Es lag ein Ton unbeschreiblichen Triumphes in
diesen Worten.
„Bodo!" rief Heinz in maßloser Ueberraschung und
Heftigkeit.
Um so ruhiger war jetzt dieser. Nie hatte der
ältere Bruder so tief in die Fuchsnatur des Jüngeren
geblickt. Ganz sanft, mit falsch flimmernden Äugen
sagte dieser: „Natürlich, lieber Alter, thue ich das nicht,
wenn Du mit Dir reden läßt. Aber das wirst Du ein-
sehen, meine Chancen stehen so gut, daß ich schon ein
rechter Esel sein müßte, meinen Borthcil nicht währzu-
nehmen !"
Auch Heinz hatte seine Selbstbeherrschung wieder
gewonnen, aber er sah aus, wie wenn er plötzlich um
zehn Jähre gealtert wäre.
„Ich gäbe viel darum, Bodo, Du hättest dies Alles
nicht gesprochen," sagte er dnmpf.
„Mein lieber Alter, in Geldsachen hört bekanntlich
die Gcmüthlichkcit auf," war die leicht hingeworfene
Erwiederung.
Der Fuchs fühlte gar nicht, wie unheilbar seine
Worte des Bruders Herz verwundet hatten.
Da Heinz schwieg und wieder auf und ab ging —
eine Beute der qualvollsten Erkenntniß, begann Bodo
von Neuem: „Du mußt mir zugeben, Heinz, daß Du
faktisch nicht das mindeste Recht hast, mir mein Erb-
theil vorznenthalten."
„Um so mehr habe ich die moralische Pflicht dazu!
Einem notorisch leichtsinnigen Manne gibt kein ver-
nünftiger Mensch solche Summen in die Hände."
„Seit wann bist Du denn auf einmal so viel
besser als ich, mein Lieber?" höhnte Bodo. Dann aber,
wieder bemüht, auf gütlichem Wege zum Ziel zu
gelangen, fügte er hinzu: „Alter, die Kleine will mich
ja bessern! Sie hat es sich allen Ernstes vorgenom-
men, und was ein Weib aus einein Mann im Guten
und Schlimmen machen kann, das soll ja in's Un-
glaubliche gehen."
„Er lügt, er heuchelt! Jedes Wort ist Falsch-
heit!" sagte sich Heinz. Und daß ihm dies geschah,
daß er Bvdo's schlimmsten Charakterzug heute gegen
sich selbst gerichtet fand, das war ihm, als Hütte der
Bruder ihm ein Messer in's Herz gebohrt. Aber um
so weniger sollte es Bodo gelingen.
„Laß es genug sein. Du kennst mich!" sagte Heinz
finster und machte eine Handbcwegnng, die so viel hieß
als: „Ich will nichts mehr von der Sache hören."
Ljrft 15.
Bodo war an das Fenster getreten. Er sagte sich
mit einem geheimen Erstaunen über sich selbst, daß er
das, womit er seinen: Bruder gedroht, noch nie zuvor
gedacht. Jetzt war es ihm, als habe er, vermöge seiner
größeren Schlauheit, instinktiv ein feines Spiel gespielt
und alle Treffer in der Hand! Gleich heute Nachmittag
sicherte er sich Helia, und dann mußte der gute Heinz
zahlen, Alles bar auszählen, eine halbe Million auf
einem Brett! Er wollte nicht solch' ein Narr sein, sich
noch länger bevormunden zu lassen!
„Also, ich habe die Trümpfe in der Hand!"
dachte er noch einmal. Zu Heinz sagte er gelassen,
das Gespräch noch einmal rekapitülirend: „Ich wünsche
nicht mit Dir zu streiten, lieber Alter, aber ich bin
ebenso entschlossen, meine Stellung zu wahren. Eine
halbe Million bar sicherst Du nur zu, und binnen
zwei Monaten, oder, wenn Du lieber willst, vier Wochen,
ist die Kleine meine Frau. Weigerst Du Dich, so
zwingst Du mich, meine Chancen lediglich für mich aus-
zunutzen. Du wirst dann Derjenige sein, der von
meinem Gerechtigkeitssinn eine Abfindung erbitten
muß, die zu fordern Du nicht einmal ein Recht hast,
die ich Dir aber mit Zustimmung meiner Frau bewilligen
werde."
„Bodo, schweig! Keine Silbe weiter!" donnerte
Heinzens Stimme in die kaltblütige Rede des Andern
hinein.
Noch nie war der Fuchs vor einen: Menschen er-
schrocken, Feigheit gehörte nicht zu seinen Fehlern, in
diesen: Augenblick stockte ihm aber doch der Herzschlag,
und er wurde kreideweiß, ja er hob, wie um sich zu
decken, den gebogenen rechten Arn: über seinem Kopfe.
Doch ebenso schnell schleuderte Heinz den marmornen
Briefbeschwerer, den er vom Schreibtisch anfgcgriffen
hatte, in die fernste Ecke des Zimmers, wo er ii: Stücke
zersprang.
„Geh'! Geh' sofort! Ich will kein Wort mehr hören!"
keuchte er uud zeigte dabei mit jo gefährlich funkelnden
Blicken nach der Thür, daß Bodo wirklich schweigend
ging.
Aber an der Thür konnte er es doch nicht lassen,
sich noch einmal umzuwenden.
„Ich hoffe. Du wirst in ein Paar Stunden ver-
nünftig geworden sein!" sagte er mit der vollen Sicher-
heit, daß er das Spiel in der Hand hielt.
Als er über den Hausbur schritt, sah er einen
Wagen, mit Koffern und Kisten bepackt, auf den Hof
fahren.
„Nun schlag' doch gleich das Wetter drein, das ist
die Tante!" rief er, auf das Unangenehmste berührt.
Richtig, der Wagen fuhr vor das Haus, zwei Damen-
hüte wurden sichtbar.
Mit wenigen raschen Schritten war Baron Bodo
an seiner Thür, verschwand dahinter und schob den
Riegel vor.
„Mag er sehen, wie er mit den alten Schachteln
fertig wird!" murmelte er und horchte.
Ein scharfes Klingeln hallte durch's Hans. Das
war Heinzens Glockenzug. Da liefen auch Martin und
Jobst herbei und da -- wahrhaftig, Heinz kam schon
die Treppe herab, half den Damen aus dein Wagen
und führte sic hinauf.
„Ich speise nicht mit, Jobst," sagte Bodo zu den:
Diener, den er, als die Gäste und Hein; verschwunden
waren, leise herbei rief. „Sagen Sie, ich sei direkt von
meinen: Bruder weg auf die Entenjagd gegangen. --
Mag der Alte sich mit ihnen allein abqnülcn!"
dachte Bodo nicht ohne Schadenfreude. „Das macht ihn
mürbe. Kommt mir ganz gelegen. Ich werde die
Kleine inzwischen zu treffe:: suchen und sie so in mich
verliebt machen, daß sie sich für ein Glückskind hält,
wenn ich sie zur Baronin v. Hessclrode erhebe. — Pah,
die Weiber! Man muß sie nur kennen und zu nehmen
wissen!" _
Zehntes Aapitel.
Die Haushälterin in Ordabrunn lief brummend
und scheltend in der Küche auf und ab. Kann: waren
nach der Abreise des vielen Herrenbesuchs die Zimmer
in Ordnung gebracht, so kamen nun gar Damen! Eine
Frau Tante und mit ihr eine Jüngere, die sicherlich
Herrin ans Ordabrunn werden wollte!
Trotz ihrer Unruhe und ihres Aergers sorgte sic
aber doch für ein verständiges Mittagsbrvd und schlich
sich dann aus der Küche herauf, um heimlich durch die
Thürspalte sich die „Zukünftige" des gnädigen Herrn
anzusehen, welche das ganze Dienstpersonal in Auf-
regung versetzte.
Na, die Schönste war die freilich nicht! Aber gewiß
hatte sie Geld!
Ein blasses Gesicht, nicht hübsch, nicht häßlich, blaue
Helle Augen, die blonden Haare überaus schlicht ge-
scheitelt und hinten am Kopf in einen Knoten gedreht,
dazu einen ganz einfachen Anzug, ohne jeden Besatz.
Der Hausherr machte bei der Schwester seiner ver-
storbenen Mutter den aufmerksamen Wirth. Er merkte
wohl, die Tante Helene sah ihn heimlich beobachtend
immer wieder an, offenbar gewährte sie seine Traurig-
„Ist mir noch nicht Vvrgekommen!" brummte der
Knmmcrjnnkcr.
„Mir aber!" glühte sie auf. „Ich werde jeden
Tag schlechter. Neid und Haß und Feindseligkeit wach-
sen in mir auf, ich habe früher nicht einmal gewußt,
was das ist!"
Ihr kamen Thränen in die Augen, sie hatte
Mühe, nicht zu weinen.
„Das thut der verwünschte Prozeß!" sagte der alte
Herr und sah sie ganz mitleidig an. Dann aber setzte
er tröstend hinzu: „Weißt Du, Kleine, der Heinz kriegt
Damenbesuch, dann wird es besser für Dich; es ist so
eine alte Klostertante, die mit ihres Bruders Tochter
kommt, ich denke mir, Heinz soll sie heirathcn — die
Nichte natürlich!"
„Aber ich setze keinen Fuß in's Schloß, bis es
mit gehört," rief Helia entrüstet. „Ich will nicht
Gast sein, wo ich Herrin sein müßte, und wenn Baron
Heinz die junge Dame hcirathen will, so mag er's thun,
mich soll nur wundern, ob sie ihn will!"
„Kind, Kind, es ist wahrhaftig unnatürlich, den
braven Jungen so zu verabscheuen! Ich begreife es gar
nicht," sagte der Kammerjunker, den Kopf schüttelnd.
„Sie nicht?" rief das junge Mädchen und fuhr
dann, blaß und roth werdend, in leidenschaftlichem Eifer
fort c „Ja, daß ich's ehrlich sage, ich begreife Sie auch
nicht! Mir kommt es so schrecklich vor, daß auch Sie sich
zu ihm wenden! Wie haben Sie ihn damals unge-
fähren! Und dann sind Sie so gut Freund mit ihm
geworden, und Sie kennen ihn doch! Unter Ihren
Angen - —"
Sie brach ab. Nein, von der Castaroni konnte sic
nicht sprechen. Unmöglich! So setzte sie nur mit sin-
kender Stimme hinzu: „Der Erfolg ist eben der große
Götze der Welt!"
Der Alte stellte die Pfeife aus der Hand. „Na,
nun schlag aber doch - ! Mädchen! Helia! Was weißt
Du denn von der Welt! Recht hast Du ja so im All-
gemeinen, aber was den Heinz betrifft, den Du so gar
nicht ausstehcn kannst, so machte er mir gleich damals
wider Erwarten einen sehr guten männlichen Eindruck,
und so weit ich bis jetzt uriheilen kann, ist er zehnmal
besser wie der Fuchs, wenn er Dir auch nicht schön
thut."
Helia ärgerte sich, am meisten empörte sie die
letzte Insinuation des Kammcrjunkers, aber der Alte
verhielt sich ihrem jugendlichen Mißfallen gegenüber so
st philosophisch wie immer und ließ sie bald mit ihren
Gedanken allein.
. Hätte sie nur hören können, wie eben auf Orda-
. brunn über sie gesprochen wurde.
7 Ernster als sonst trat Bodo in seines Bruders
Zimmer, der eben erst von einem entfernteren Pacht-
hofe zurückgekommen war, und den er gestiefelt und
gespornt am Fenster sitzend fand, finster und bedrückt
aussehend, wie in dieser letzten Zeit öfters.
„Ich kam eigentlich, uni mit Dir zu sprechen, Alter,
. wenn Du aber nicht guter Laune bist, so warte ich
lieber!" begann Bodo.
. „Sprich nur!" sagte Heinz und stand auf, schritt
im Zimmer hin und her und fuhr sich mit der Hand
über die Stirn, als wollte er quälende Gedanken ver-
scheuchen.
„Es ist eine Geschüftssache, Heinz, die doch 'mal
zwischen uns erledigt werden muß. Ich habe die
Kleine drüben sicher, aber ich will mich nicht binden,
wenn ich nicht muß, und dann — nimm's mir nicht
übel, lieber Alter — möchte ich doch auch klar scheu
wegen meiner Stellung. Ich habe nichts dagegen, daß
Du Ordabrunn bewirtschaftest und Hcsselrvdeburg
auch. — Finde mich brüderlich ab und laß mich
laufen!"
„So? Du hast sie sicher? Hast Du schon mit ihr
gesprochen?"
Es fiel Bodo nicht weiter auf, daß sein Bruder
nur dies aus seinen Worten heraushörte, und daß er
so eigenthümlich heiser und gepreßt sprach.
„Endgiltig noch nicht, aber ich brauche nur den
Finger hinzuhalten, so fliegt das Vögelchen darauf.
Ein gutes, kleines Ding ist sie! Sie hat's ganz ernst-
lich darauf abgesehen, mich zu bessern und zu ver-
edeln!" lachte Bodo in seiner leichten Weise.
„So? Lieb hast Du sie also nicht?"
„Ra, zum Heirathen genügt's natürlich! Todtschic-
ßen würde ich mich um sic nicht! Wenn ich sie aber
nicht gleich ganz allerliebst gefunden hätte, würde ich
mich nicht zu Deinem Plane hcrgegeben haben. Ich
sage Dir, sic ist reizend; so frisch, so rasend einfältig.
Sonst nicht gerade mein Genre, ich denke aber, man
muß auch 'mal eine kleine Abwechslung haben."
Baron Heinz hielt im Auf- und Abgehen inne, stützte
den Kopf gegen die Wand und stöhnte laut.
„Was ist Dir denn? Wenn Du so starkes Kopf-
weh hast, reden wir ein andermal weiter," unterbrach
sich der Fuchs.
„Also liebt sie Dich?" fragte mit müder Stimme
Baron Heinz.
Bodo antwortete zuversichtlich lächelnd mit einem
Das B u ch für All c.
Kopfnicken. Dann lehnte er sich an einen Tisch und
sah den Bruder blinzelnd an, indem er sprach: „Ich
möchte, daß Du mir sagtest, Heinz, wie Du Dir unsere
Auseinandersetzung denkst. Du übernimmst die Güter;
ich bin's zufrieden, daß Du mich auszahlst, aber ehr-
lich gestanden, finde ich, daß Du berücksichtigen solltest,
welches Opfer ich bringe. Eigentlich hängt doch von
meiner Bereitwilligkeit Alles ab — Alles! Das kannst
Du mir wohl anrechnen. Der alte Ouestenhorst hat
außer dem Grundbesitz das große Vermögen hinter-
lassen; weißt Du, mehr als zwanzig Jahre hat das
Kuratorium Zins auf Zins gehäuft, und ich meine, es
ist nicht unbillig, wenn auch ich meine Rolle in der Welt
spielen möchte. Dazu gehört natürlich ein großes Ver-
mögen."
„Ich würde vorziehcn, das Kapital zu verwalten
und Dir Deine Zinsen zu zahlen! Gebe ich es Dir in
die Hände — Du kennst Dich selbst, Bodo — so wäre
es bald in alle Winde."
„Tas Kapital festhalten? Danke! Dann führe Du
nur Deinen Prozeß ohne mich weiter! Das sollte mir
einfallen! Mir eine Frau auf den Hals zu hängen und
mich dann mit zweifach gebundenen Händen — na,
das könnte mir gefallen! Die Adele hab' ich Dir zu
Liebe schießen lassen, um die kleine Helia zu heirathcn.
Weißt Du, Du kommst mir ganz sonderbar vor, Alter!
Du bist aber nicht Majoratserbc — Du hast gar kein
Recht, so mit mir zu reden! Und wenn alle Stricke
reißen, so "
Sowie Bodo den trotzigen, zornigen Ton anstimmte,
war Heinz ihm mit ebenso trotzigem Aufwcrfen des
Kopfes entgegen getreten. Seine düster flammenden
Augen, der unbeugsame Ausdruck, der über seine ganze
Erscheinung sich gebreitet hatte, reizte den Jüngeren bis
zur Wuth, und Zorn lag auch in des Aelteren Blicken.
„So -?" wiederholte Baron Heinz herausfordernd.
„Ich habe nicht die Absicht, mich mit Dir zu er-
zürnen. Gib mir eine halbe Million bar, so viel
kommt mir zu —"
„Bist Du wahnsinnig? Kenne ich Dich nicht hinrei-
chend? Ich zahle Dir Hunderttausend bar; das klebrige
bleibt unter meiner Verwaltung; ich wist nicht, daß Dein
Weib und Deine Kinder einmal betteln gehen sollen."
„Protze nur nicht so. mein Bester! Vorläufig kann
Helia noch immer den Prozeß gewinnen; Du bist sogar
sehr in Sorge, daß sie ihn gewinnen wird, das gestehe
nur ganz offen ein! Ich hoffe, Du bist vernünftig ge-
nug, sehr froh zu sein, wenn ich in unserem gemein-
samen Interesse das Mädchen hcirathe; denn, vergiß
nicht, lieber Alter, ich könnte auch als ihr Gemahl diesen
Prozeß gegen Dich gewinnen!"
Es lag ein Ton unbeschreiblichen Triumphes in
diesen Worten.
„Bodo!" rief Heinz in maßloser Ueberraschung und
Heftigkeit.
Um so ruhiger war jetzt dieser. Nie hatte der
ältere Bruder so tief in die Fuchsnatur des Jüngeren
geblickt. Ganz sanft, mit falsch flimmernden Äugen
sagte dieser: „Natürlich, lieber Alter, thue ich das nicht,
wenn Du mit Dir reden läßt. Aber das wirst Du ein-
sehen, meine Chancen stehen so gut, daß ich schon ein
rechter Esel sein müßte, meinen Borthcil nicht währzu-
nehmen !"
Auch Heinz hatte seine Selbstbeherrschung wieder
gewonnen, aber er sah aus, wie wenn er plötzlich um
zehn Jähre gealtert wäre.
„Ich gäbe viel darum, Bodo, Du hättest dies Alles
nicht gesprochen," sagte er dnmpf.
„Mein lieber Alter, in Geldsachen hört bekanntlich
die Gcmüthlichkcit auf," war die leicht hingeworfene
Erwiederung.
Der Fuchs fühlte gar nicht, wie unheilbar seine
Worte des Bruders Herz verwundet hatten.
Da Heinz schwieg und wieder auf und ab ging —
eine Beute der qualvollsten Erkenntniß, begann Bodo
von Neuem: „Du mußt mir zugeben, Heinz, daß Du
faktisch nicht das mindeste Recht hast, mir mein Erb-
theil vorznenthalten."
„Um so mehr habe ich die moralische Pflicht dazu!
Einem notorisch leichtsinnigen Manne gibt kein ver-
nünftiger Mensch solche Summen in die Hände."
„Seit wann bist Du denn auf einmal so viel
besser als ich, mein Lieber?" höhnte Bodo. Dann aber,
wieder bemüht, auf gütlichem Wege zum Ziel zu
gelangen, fügte er hinzu: „Alter, die Kleine will mich
ja bessern! Sie hat es sich allen Ernstes vorgenom-
men, und was ein Weib aus einein Mann im Guten
und Schlimmen machen kann, das soll ja in's Un-
glaubliche gehen."
„Er lügt, er heuchelt! Jedes Wort ist Falsch-
heit!" sagte sich Heinz. Und daß ihm dies geschah,
daß er Bvdo's schlimmsten Charakterzug heute gegen
sich selbst gerichtet fand, das war ihm, als Hütte der
Bruder ihm ein Messer in's Herz gebohrt. Aber um
so weniger sollte es Bodo gelingen.
„Laß es genug sein. Du kennst mich!" sagte Heinz
finster und machte eine Handbcwegnng, die so viel hieß
als: „Ich will nichts mehr von der Sache hören."
Ljrft 15.
Bodo war an das Fenster getreten. Er sagte sich
mit einem geheimen Erstaunen über sich selbst, daß er
das, womit er seinen: Bruder gedroht, noch nie zuvor
gedacht. Jetzt war es ihm, als habe er, vermöge seiner
größeren Schlauheit, instinktiv ein feines Spiel gespielt
und alle Treffer in der Hand! Gleich heute Nachmittag
sicherte er sich Helia, und dann mußte der gute Heinz
zahlen, Alles bar auszählen, eine halbe Million auf
einem Brett! Er wollte nicht solch' ein Narr sein, sich
noch länger bevormunden zu lassen!
„Also, ich habe die Trümpfe in der Hand!"
dachte er noch einmal. Zu Heinz sagte er gelassen,
das Gespräch noch einmal rekapitülirend: „Ich wünsche
nicht mit Dir zu streiten, lieber Alter, aber ich bin
ebenso entschlossen, meine Stellung zu wahren. Eine
halbe Million bar sicherst Du nur zu, und binnen
zwei Monaten, oder, wenn Du lieber willst, vier Wochen,
ist die Kleine meine Frau. Weigerst Du Dich, so
zwingst Du mich, meine Chancen lediglich für mich aus-
zunutzen. Du wirst dann Derjenige sein, der von
meinem Gerechtigkeitssinn eine Abfindung erbitten
muß, die zu fordern Du nicht einmal ein Recht hast,
die ich Dir aber mit Zustimmung meiner Frau bewilligen
werde."
„Bodo, schweig! Keine Silbe weiter!" donnerte
Heinzens Stimme in die kaltblütige Rede des Andern
hinein.
Noch nie war der Fuchs vor einen: Menschen er-
schrocken, Feigheit gehörte nicht zu seinen Fehlern, in
diesen: Augenblick stockte ihm aber doch der Herzschlag,
und er wurde kreideweiß, ja er hob, wie um sich zu
decken, den gebogenen rechten Arn: über seinem Kopfe.
Doch ebenso schnell schleuderte Heinz den marmornen
Briefbeschwerer, den er vom Schreibtisch anfgcgriffen
hatte, in die fernste Ecke des Zimmers, wo er ii: Stücke
zersprang.
„Geh'! Geh' sofort! Ich will kein Wort mehr hören!"
keuchte er uud zeigte dabei mit jo gefährlich funkelnden
Blicken nach der Thür, daß Bodo wirklich schweigend
ging.
Aber an der Thür konnte er es doch nicht lassen,
sich noch einmal umzuwenden.
„Ich hoffe. Du wirst in ein Paar Stunden ver-
nünftig geworden sein!" sagte er mit der vollen Sicher-
heit, daß er das Spiel in der Hand hielt.
Als er über den Hausbur schritt, sah er einen
Wagen, mit Koffern und Kisten bepackt, auf den Hof
fahren.
„Nun schlag' doch gleich das Wetter drein, das ist
die Tante!" rief er, auf das Unangenehmste berührt.
Richtig, der Wagen fuhr vor das Haus, zwei Damen-
hüte wurden sichtbar.
Mit wenigen raschen Schritten war Baron Bodo
an seiner Thür, verschwand dahinter und schob den
Riegel vor.
„Mag er sehen, wie er mit den alten Schachteln
fertig wird!" murmelte er und horchte.
Ein scharfes Klingeln hallte durch's Hans. Das
war Heinzens Glockenzug. Da liefen auch Martin und
Jobst herbei und da -- wahrhaftig, Heinz kam schon
die Treppe herab, half den Damen aus dein Wagen
und führte sic hinauf.
„Ich speise nicht mit, Jobst," sagte Bodo zu den:
Diener, den er, als die Gäste und Hein; verschwunden
waren, leise herbei rief. „Sagen Sie, ich sei direkt von
meinen: Bruder weg auf die Entenjagd gegangen. --
Mag der Alte sich mit ihnen allein abqnülcn!"
dachte Bodo nicht ohne Schadenfreude. „Das macht ihn
mürbe. Kommt mir ganz gelegen. Ich werde die
Kleine inzwischen zu treffe:: suchen und sie so in mich
verliebt machen, daß sie sich für ein Glückskind hält,
wenn ich sie zur Baronin v. Hessclrode erhebe. — Pah,
die Weiber! Man muß sie nur kennen und zu nehmen
wissen!" _
Zehntes Aapitel.
Die Haushälterin in Ordabrunn lief brummend
und scheltend in der Küche auf und ab. Kann: waren
nach der Abreise des vielen Herrenbesuchs die Zimmer
in Ordnung gebracht, so kamen nun gar Damen! Eine
Frau Tante und mit ihr eine Jüngere, die sicherlich
Herrin ans Ordabrunn werden wollte!
Trotz ihrer Unruhe und ihres Aergers sorgte sic
aber doch für ein verständiges Mittagsbrvd und schlich
sich dann aus der Küche herauf, um heimlich durch die
Thürspalte sich die „Zukünftige" des gnädigen Herrn
anzusehen, welche das ganze Dienstpersonal in Auf-
regung versetzte.
Na, die Schönste war die freilich nicht! Aber gewiß
hatte sie Geld!
Ein blasses Gesicht, nicht hübsch, nicht häßlich, blaue
Helle Augen, die blonden Haare überaus schlicht ge-
scheitelt und hinten am Kopf in einen Knoten gedreht,
dazu einen ganz einfachen Anzug, ohne jeden Besatz.
Der Hausherr machte bei der Schwester seiner ver-
storbenen Mutter den aufmerksamen Wirth. Er merkte
wohl, die Tante Helene sah ihn heimlich beobachtend
immer wieder an, offenbar gewährte sie seine Traurig-