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Heft 1. dJIunltrirte

Tamilien-Zeitung. Jahrg. 1899.





Das Dorflüind.

Roman

von

Gruorg Bartwig.



. f (Nachdruck verboten.)
Erltes Kapitel.
; w im älteſten Teile von Genf, am Boule-



vard de Plainpalais, lag die Villa Beaure-

:S LJ] mont wie ausgeſtorben unter dem Herbſtmond.
U IF Er stand hoch am Himmel, von nebligen
G |. . Dùüngten umzirkelt, die seine leuchtende Scheibe

V z allmählich verhüllten. Quer über den Bürger-
F steig und Fahrdamm warf er den Schräg-

ſchatten eines engstäbigen Gitters, hinter dessen
Schutz eine Gruppe Kastanien finſter aus dem Boden des
Vorhofes aufragte.

In äußerer Prunklosigkeit breitete das Wohngebäude
seine kurzen Seitenflügel um diesen Hof, durch kein Merkzeichen
der Welt die fürſtliche Pracht verratend, welche die Marquis
v. Beauremont hinter dieſen düſteren Mauern aufgehäuft hatten.

Wie ausgestorben lag das Haus da. Doch hinter den ge-
ſchloſſenen Vorhängen des oberen Stockwerkes regte ſich Leben.
Ein trauriger Reſt verbrauchten Lebens freilich war's, das in
der von prunkvollem Baldachin gekrönten Bettsſtatt unfrei-
willigen Abſchied von dieſer Erde nahm.

Der Tod stand an der Schwelle des Gemaches. Nur
einzutreten brauchte er noch.

Erneſt Beauremont empfand seit kurzem seine Nähe. Starren
Blickes, erwartend und fürchtend zugleich, heftete er die trüben
Greiſenaugen auf den Eingang. Ruhebedürfnis und Angſt-
beklemmungen bewegten abwechselnd sein Herz.

Plötzlich, mit einem Hilferuf, streckte er beide Hände von ſich.

Zwei ſtarke Männerarme hoben sanft und ſorglich seinen
Oberkörper aus den Kissen.

„Lehnen Sie ſich feſt an meine Bruſt, Herr Marquis !“

„Es geht ſchneller, als ich dachte, “ flüsterte Beauremont.
„Ich hoffte den Morgen noch zu erleben. “

_ y„Soll ich die Dienerſchaft wecken?“

„Welche Stunde ist's ?"

„Es geht auf Mitternacht. “ ;

„Setzen Sie ein Telegramm auf an meinen Bruder Raoul, “
ſagte der Marquis mit zitternder Stimme.

Ein raſches Aufleuchten glitt über das Antlitz des jungen
Mannes. Vorsichtig ließ er den Kranken in die Kissen gleiten.

„Der Herr Marquis ist seit heute mittag aus Paris unter-
wegs," erwiderte er leise.

Die blassen Lippen des Sterbenden bewegten ſich schneller.
„Ich muß Raoul noch sprechen. Seine Hand will ich versöhnt
noch einmal drücken. Dazu rief ich ihn her. Ich warte
nur auf seine Gegenwart –

„Nur noch etwas Geduld,“ fiel der junge Mann un-
ſicheren Tones ein, „bald wird er hier sein!“

„Und wo werde ich sein?“ flüsterte Beauremont, seine
Augen schließend.

. Das Leben, welches er verlaſſen mußte, rollte noch einmal
seine buntbewegten Bilder vor ihm auf. Er ſaÿ sie dahin-
fließen auf dem Strome der Vergänglichkeit. Einem dunklen,
unbekannten Ziele näherte er ſich selbſt Schritt für Schritt.

„Nehmen Sie Papier + ſchnell!“ rief er, ſich dem wohl-














CJ]Jie Schwestern ſchwingen ſich im Reigen
H Dort drüben bei dem Feet.

Hat keiner dich zum Tanz geladen,

Du Jüngste aus dem Neſt ?

Es Klingen lockend hell herüber
Die Töne der Schalmein:

Das Mauerblümchen iſt den andern
Zum Tanzen wohl zu klein?

Wohl zuckt’s dem Wädchen in den Iüßen,
Doch lacht es hell und ſpricht :

„Wir iſt es recht! Ich mag zum Tanzen
Die dummen Buben nicht!

Käm’ aber einer juſt herüber

And fragte höflich an,

Dem wollt’ ich es dann ſchon beweiſen,
Wie gut ich tanzen kann.‘

Ei, wie die Schelmenaugen leuchten!
Wenn ich ein Tänzer wär’,

Da bliebe unsre liebe Jüngſte

Kein Wauerblümchen mehr.

e



Mauerblümchen.
Gedicht von W. Ströse. Agnarell von Hans Ströſe.
 
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