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daß er den inneren Rapport, in dem ſie

im Traume verſprochen hatte:

_ HDVenedig hatte Doktor Verghini am nächsten





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Heft 22.

Ilnu]t

rirte Familien-Zeitung.



Jahrg. 1899.





Ams Geld.

Roman aus. dem Wiener Leben.

Von
Guſkav Iohannes Kraut.
(Fortsetzung.)
t (Nachdruck verboten))
M- Dreiundzwanzigltes Kapitel. :
( ) va konnte die Nacht vor Erregung kaum
MH)), ſchla fen. Immer und immer wieder dachte
V sie den merkwürdigen Abend in allen ſei-
nen Einzelheiten durch; von dem Augen-
êH blicke, da Doktor Verghini an ihrer Seite
ſich niedergelaſſen hatte, bis zur Verabſchie-
dung am Thore ihres Palazzo, wo er ihr
die Hand kräftiger drückte, als man ſonſt




t

einer Dame thut, die man eben erſt kennen gelernt

hat, und in bedeutungsvollem Tone ſagte: „Also
cauf morgen!“

Sie wiederholte ſich jeden seiner Blicke, jede Ge-
bärde, jedes Wort, den Ton jedes Wortes.
Und sie kam immer wieder zu dem Schlusse,

mit dern rterkwürdigen Manne zu ſtehen
ſchien, ebenfalls wahrnahm, so wie ſie ſich
bemühte, dieſen Rapport aufrecht zu erhal-
ten und weiter zu führen. Es war ein wort-
loſes Sichverſtehen zwiſchen ihnen, wie es
sonst kaum zwischen Liebenden vorkommt.
Sie liebte aber diesen Menſchen nicht; eher
graute ihr vor ihm. Und er ſah ihr nicht
danach aus, als ob er überhaupt der Liebe
fähig sei + und erſt recht nicht einer Liebe

auf den erſten Blick!: .

Es war da also etwas Uebernatürliches,
Unirdiſches, das in ihr Leben eingriff.
Seltſam war auch die felſenfeſte Gewiß-
heit in ihr, daß dieser Mann halten könne
und halten werde, was ſein Een it?

e Ö e
dir! .

Sie wiederholte sich das Wort unzäh-
ligemal, bis ſie endlich in der erwartungs-
vollen, mit ein wenig Schaudern vermiſch-

ten Glückſeligkeit einschliekf, mit der ein
Kind entſchlummert, das seine Schuhe vor
die Thür gestellt hat, damit der heilige
Nikolaus sie ihm mit Zuckerwerk fülle.

Auf der Kreuz- und Querfahrt durch

Vormittag wenig aufmerkſame Zuhörer
für ſeine geschichtlichen Erläuterungen. Von
dem Ehepaare hatte jedes für den leben-
digen anderen tauſendmal mehr Interesse,
als für sämtliche tote Dogen und Doga-
reſſen der berühmten Republik. und Eva
Hieberte dem Großen, Geheimnisvollen, das
Ua len utun Fo begsb et it



seinem heimlichen Händedrücken, in seinen verliebten
Blicken und ſüßen Redensarten weder von Eva beob-
achtet, noch von dem Erklärer geſtört sein wollte, in
der geräumigen Gondel so weit von den beiden anderen
zurückzog, daß ein leiſe geführtes Gespräch von keiner
der beiden Gruppen zur anderen gehört werden konnte.

Sowie das geſchehen war, begann Doktor Verghini
leiſe zu Eva allein zu reden. Dabei war es ſeltſam
zu sehen, wie er bald mit der Rechten auf einen
ruinenhaften Palazzo, bald mit der Linken auf ein

verwitterndes Relief wies, das sich über die ganze

Front des Gebäudes hinzog, an dem die Gondel eben vor-
überglitt, und dabei von ganz anderen Dingen redete.
Er hatte ſein Thema längst gewechselt.
„Venedig iſt immer wirßder intereſſant, meine Gnä-

dige," sagte er, „und seine Geschichte iſt lang und reich.

Manchmal iſt mir aber ein Menſchenkind interessanter,
als alle Kunstschätze des Quattrocento, und seine kurze
Geschichte wiegt mir die lange der Republik auf. Darf
ich Sie etwas fragen, gnädige Frau?“ i
In Eva spannte sich jeder Nerv. Jett kam's.
„Fragen Sie,“ antwortete sie kurz. j
Verghini deutete mit einer Erklärergebärde auf die
schön gewölbte steinerne Rialtobrücke, die vor ihnen



G. Hoſfmanu-HKulſchke. (S. 522)



den Kanal überſprang, und fragte dabei leiſe: „Wie
kommen Sie zu diesem Manne? Sie ſind so ſchön
und jung und haben Feuer in der Seele, und er iſt
alt und brüchig und abgelebt. Dabei hat er die Laſter

verbrauchter Lebemänner, die am Abend ihres Lebens .

ein junges Weib freien. Er iſt eiferſüchtig, läßt Sie
mit niemand umgehen, erbricht Ihre Briefe, möchte
am liebſten mit der Laterne in Ihr Haupt und in
Ihr Herz hineinleuchten und Ihre Gedanken revidieren.
Und geizig iſt er im Grunde auch, wenn das auch
nicht ſo ſehr in die Erſcheinung tritt, weil der Prahler
in ihm den Knicker niederringt. Stimmt das?“

Es kam Eva gar nicht in den Sinn, sich zu fragen,
woher der ſeltſame Mann das alles wußte. Er mußte
es ja wissen, sonſt wäre er nicht das Wunder ihres
Lebens gewesen, das er war. :

Sie antwortete einfach: „Ja.“ :

„Sie haben ihn nur seines Reichtums wegen ge-
nommen?" flüſterte Verghini weiter. H

„Ja !“ antwortete Eva.

„Und was thun Sie jetzt an seiner Seite?“

Eva zuckte die Achſeln. „Ich warte.“

In den dunklen Augen Verghinis flammte es auf.
„Sie warten auf seinen Tod. Sind Sie denn ſicher,
daß Sie ihn beerben?" ;

„Er hat in meiner Gegenwart das Teſta-
ment unterſchrieben, in dem er mich zur
Universalerbin einsetzte,“ erwiderte Eva.

Fernnöscn beträgt über sechs Millionen
ulden. “
DVenghini lächelte teufliſch. „Ein wun-
derliches Volk, diese Deutſchen. Da ſſsett
ſolch ein Alter sein junges Weib zur Erbin
seines fürstlichen Vermögens ein, so daß
nichts mehr zwiſchen ihr und dem vollen,
reichen, brauſenden Leben steht als seine
erbärmliche Person. Ein Italiener würde
das nicht wagen.“ |

„Giebt es in Italien keine Aerzte und
keine Juriſten?“ fragte Eva. „Sind hier
bei euch die Toten ſtumm ? Bei uns reden
ſie. Sie reden zu dem ſezierenden Auzte,
und der ſagt's dem Richter.“

„Die giebt's auch bei uns“", erwiderte
Verghini. ,Aber die Italienerinnen haben
ſtarke Seelen. Sie zerfließen nicht über
den Tod eines Huhns in Thränen. Das
iſt der Unterſchied. “

Eva ſah ihm voll in die Augen. „Sie
legen mir die sonderbarſten Fragen vor,
und ich beantworte ſie Ihnen ganz offen,“
sagte sie. „Wiſſen Sie, warum? Sie ſind
mir in einer Nacht, in der ich dieſe Dinge
ſtill für mich überlegt hatte, im Traum
erſchienen. In meiner Wohnung in Wien,
vor einem Vierteljahre Zug für Zug
ſah ich Sie vor mir wie jett; ich erkannte
Sie gestern sofort. Und Sie ſagten mir:
„Ich helf’ dir!) Komm!“ Daher chabe ich

. das Vertrauen, Ihnen zu antworten. Was
aber giebt Ihnen das Vertrauen, mich zu
fragen? Haben Sie auch von mir geträumt?“ .

Nach einer Pauſe fügte ſie hinzu: „Das
 
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