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w kämpft, General," antwortete der Häuptling.

66

Da s B uch für Alle.

Heſt 3.



der Dornenlirone.

Roman in drei Pürchern.
Von

Anter



> Fed or v. Z ob eltigt:.
Ö (Fortſehung.)
(Nachdruck verboten.)

§ hie Offiziere starrten einander an. Selbſt
p M & Frascalan war bleich geworden. Das
hatte noch gefehlt! Es war faſt unmög-
lich, mit der geringen, durch Entbeh-
rungen und Anſtrengungen geſchwächten,
ſeit Wochen ſoldloſen Truppenmacht, die
der General zur Verfügung hatte, dem
; ungeheuren Schwarm dieſer wilden und
raubluſtigen JIndianerſtämme ſstandzuhalten, zumal
wenn von der anderen Seite die Juariſten drängten,
die sicher auch noch aus den eigenen Reihen Verſtär-
. kung heranziehen würden. :
„Tausend Donnerwetter!" fluchte der General, „das
wär’ unser Untergang! Und Sie ſind ſicher, Fleeps,
daß Sie nicht getäuſcht worden ſind ?" ;
. „Ganz sicher. Aber sehen wir uns! Gebt mir
cinen Schluck Wein, Kameraden ~ mir iſt die Zunge
trocken geworden. “ Y i
Man beeilte sich, ihm einen Feldbecher zu füllen.

Inzwischen hatte Fleeps eine Karte aus der Taſche ge-

zogen und auf dem Tiſche ausgebreitet. Aber ein er-
neuter Lärm im Lager ſchnitt ihm das Wort ab, als
er soeben beginnen wollte. Zwei der vor drei Tagen
gausgeſandten Kundſchafter waren zurückgekehrt, Jn-
dianer Taoris, die für den Spionendienſt wie geboren
waren. Frascalan empfing sie und fragte ſie aus.
_ „Nun — iſt es euch gelungen, den Oberst Arevolo
aufzufinden?“ y
Statt jeder Antwort schüttete der eine der Indianer
die Ledertaſche, die er an der Hüfte trug, auf dem
Tiſche aus. Eine Anzahl Kleinigkeiten fiel heraus:
ein Messer, ein Stück Brot, eine Pfeife, ein zerbrochener

t Handſpiegel, einige Wallnüſſe und Zigaretten.

; Es war die echte Handtaſche eines armen Indianers,
der am Wege auflieſt, was ihm gerade gefällt. Die

: drei Zigaretten ſchob der Spion dem General zu.
| Frascalan wußte Bescheid. Er löſte sorgfältig die |

cäußere Hülle ab und ließ die Tabakbrocken, die oben
und unten die Hülſe füllten, auf die Erde fallen. Da-
zwischen fand sich ein zuſammengerolltes Stückchen
Seidenpapier, das mit Ziffern und Buchstaben be-
schrieben war. Der General trug den Schlüſſel zu der
Chiffreſchrift in ſeinem Taſchenbuche. Er verglich, machte
sich einige kurze Notizen und nickte dann heiter lächelnd
mit dem Kopfe. .

„Fürwahr, meine Herren, das kommt uns gut zu

ſtatten, “ sagte er. „Arevolo hat die Banden des Mar- |

tinez bei Satenaripa völlig aufgerieben und ſie in die
. Sierra getrieben. Der Weg nach Guaymas iſt frei.“
Er öffnete noch die beiden anderen Zigaretten; ſie
enthielten nur Tabak. Dann wandte er ſich an den
zweiten Spion. :
„Wo kommſt du her?“ ;

_ „Von Tecoripa, Excellenza. General Alamos NPes-
queira hält die Stadt besetzt. Seine Truppen ſind in

_ das Gebiet der. Yaquis eingefallen, haben ihre Dörfer

niedergebrannt und gemordet, was ihnen in den Weg
kam. Sechshundert Yaquis haben ſich in der Stille
bei Cocoril gesammelt und mich beauftragt, Excellenza
zu sagen, daß sie bereit ſind. ohne Sold unter die
Fahnen der Regierung zu ..eten.“

Es war ein inteligenter Burſche, der diese Mel-
dung brachte. Frascalan wandte ſich an Taori.
y„gſt den Yagquis zu trauen?"

„Ich habe mehr als einmal an ihrer Spitze ge-

„sind tapfer, klug und treu. “ ;
„Gut, so werden wir die Sechshundert von Cocoril

mit uns nehmen. Und dann mögen die Apachen und

Comanchen kommen !“ ; :
„Sie werden nich t kommen, Frascalan, “ sagte

Fleeps ernſt. „Hört meinen Rat, ihr Herren !“
_ Der General verabschiedete die Spione. Dann nahm
man wieder am Tiſche vor der entfalteten Karte Play.
„Ich denke, wir teilen uns. General Langberg
rückt mit den Österreichern über Belem direkt nach
. Guaymas und besetzt die Citadelle, während wir der
. Hacienda Don Palacios unſeren Beſuch machen. Aber
auch das mit Vorsicht. Taori mit seinen Indianern
mag die Vorhut bilden und die sechshundert Yaquis
mitnehmen. Sie haben nichts weiter zu thun, als die
Hacienda so eng von allen Seiten zu umſchließen, daß
êſich keine Maus herausrühren kann. Inzwiſchen mag

Herr van der Smiſſen nach dem Val San Euſtachio

rücken und das Comanchengesindel gefangen nehmen,
das dort auf Assawoum wartet ~ wenn es nicht längſt

Reißaus genommen hat. Wir, General, Sie, Ihr



„Sie



Adjutant und ich, folgen Taori mit einem Freicorps
und nehmen Juarez gefangen.“

„Und wohin mit ihm?"

„Ich habe hoch oben im Gebirge eine Eſtancia,
ein Felſenneſt, das uneinnehmbarer iſt als die ſtärkſte
Festung im Reiche. Dahin werde ich Juarez zunächst
[att laſſen. Er soll verſchwinden, das iſt meine

i t.!

t starrte den Sprechenden an und brach
dann in ein helles Lachen aus. Der tollkühne Plan
gefiel dem alten Landsknecht.

Nicht so dem Rittmeiſter v. Megau. „Ich bitte
gehorſamſt um Verzeihung, wenn ich mir einen Ein-
wurf erlaube,“ sagte er. „Versprechen Sie ſich von
der Gefangennahme Juarez’ günſtige Folgen für uns,
Mister Fleeps? Die Regierung hätte, wie ich beſtimmt

weiß, mehrfach Gelegenheit haben können, ſich der

Person des Diktators zu bemächtigen; sie hat es ab-
ſichtlich unterlaſſen, um nicht eine allgemeine Revo:
lution heraufzubeſchwören. '

Der Amerikaner legte ſeine Hand auf die Schulter
des jungen Mannes. „Die Regierung hat Rücksſichten
WG c GR

der Freiheitsberaubung anklagen + ich nehm's auf

mich! Im übrigen verſpreche ich mir von dem Ver-
ſchwinden Juarez’ auch in der That viel für die Weiter-
entwickelung des Krieges. Mit ihm wird die Seele
des Ganzen fehlen ~ und alle die kleineren Löwen um
ihn werden ſich gegenseitig auffreſſen. Warten wir's
ab! . .. Schließlich ein leßtes, Herr v. Megau. Mein

Vaterland, die Union, will Ihren Kaiſer nicht an-
erkennen; sie ſteht ihm feindlich gegenüber. Aus Pa-

triotismus müßte ich eigentlich das Empfinden meiner
Regierung teilen. Ich thue es nicht – weil ich Juarez
glühend haſſe, haſſe wie keinen anderen Menſchen auf
der Felt ~ ~ und deshalb ſoll er mein Gefangener
werden !" :
Er wandte sich wieder an die Generale zurück.
„Alo, meine Herren ~ ſind Sie einverſtanden?"
Einen Moment ſchwankte Frascalan, dann ent-
„Einverſtanden!“ Er riß den Zelt-
„Megau, laſſen Sie das Signal zum

gegnete er feſt.
vorhang zurück.

.: Aufbruch geben!“

Eine Minute später klangen in kurzen Pauſen
dreimal drei Pfiffe durch das Thal, ſchrill, ſcharf-
tönend und abgebrochen, dem Käuzchenſchrei ähnlich.

Eine ungeheure Bewegung entsland im Lager. Im
Nu waren die Feuer gelöſcht, die Kochgeſchirre zuſammen-
gepackt und die Waffen ergriffen. :

Taori war noch einen Augenblick wie ſinnend am
Zelteingang stehen geblieben. Seine Lippen murmelten

etwas Leiſes und Unverſtändliches; seine rechte Hand

berührte das Zeichen des Totems auf seiner nackten

heult: cps, der ſich bereits auf sein Pferd geſchwungen

hatte, ſah ihn erſtaunt an. „Betest du, Taori ?“
Der Häuptling erwiderte: „Jch ſprach zu mir ſelbſt

und horchte der Stimme, die mir ſagte, daß ich noch

heute nacht Aſſawoum töten werde.“

„D du heidniſcher Spitzbube!“" rief Fleeps, halb
lachend, halb ärgerlich; „laß deine innere Stimme und
sorge lieber für deine braunen Burſchen !“

Er ſprengte zu Frascalan, der, von ſeinen Offizieren

umgeben, hoch zu Roß inmitten des abgebrochenen
Lagers hielt.

Beim Mondenſcheine formierten sich die Truppen.
General Langberg rückte zuerſt ab, auf leidlich bequemen
Wegen das Terraſſenland hinunter in die Niederung,
vie bei dem anhaltend trockenen Wetter der letzten Zeit
unschwer zu paſſieren war. Als der melancholiſche
Mann sich von Frascalan und Megau verabſchiedete,
scheute plötzlich sein Pferd und bäumte so gewa".ig

auf, daß sein Reiter die Bügel verlor und bei einem

Haar aus dem Sattel geworfen worden wäre.

Ä gels. Kubetg! rief Frascalan, „was sind das

z Gt [Ursel kUupfte beſänftigend den schlanken Hals

seines Braunen, der unruhig hin und her tänzelte und

nicht vom Platze zu bekommen war. i
„Sie ſehen ja,“ ſagte Langberg mit eigentümlich

wehmütigem Lächeln, „mein braver Troilus fürchtet

„sich anscheinend vor Guaymas. Wenn ich abergläubiſch

wire titte ich seinen Widerſtand für ein böſes Vor-
eichen halten.“ : ss
ß “„Tröſten Sie sich, “ antwortete Frascalan mit ab-
sichtlich rauher Stimme, als suche auch er einer fatalen
Regung Herr zu werden; ,ich folge Ihnen nach Guay-
mas, und wenn uns die Juariſten überrumpeln ſollten,
dann haben wir in unseren Revolvern noch immer ein
paar Kugeln übrig, die uns die Schande einer Hin-
richtung erſparen ſollen! Auf Wiederſehen, Kamerad,
ſo Gott will! – Oberſt van der Smissen !“ ;

Der dicke Offizier ſprengte heran. ,„Ercellenz? !“

„Kennen Sie die Wege?“

„Bis zur Paſo del Cabo, Excellenz. “ .
Ent; §s f§uy Die Karte “ ZUalito vott Val (Fat



Bringen Sie Ihre Gefangenen zu Langberg nach
Guaymas und erwarten Sie mich dort; d.e Truppen
sollen in Bürgerquartiere gelegt werden, ſoweit es an-
cht, her im Freien lagern . . . Gott befohlen - rücken
Sie ah!

Ein paar halblaute Kommandos, Waffenblitzen im
Mondenlicht ~ die Kolonne der Belgier rückte in
langer Linie durch das Thal.

Frascalan wandte ſich an Fleeps. „Wo treffen wir
Ihre Leute?“

„fluf unfersu Wege; sie lagern beim Dorfe Ariba. “

„Gut! ~ Taori !"

Der Häuptling stand bereits neben dem Pferd des
Kommandierenden.

„Du kennst deine Weiſungen. Die Hacienda ſoll
lautlos umzingelt werden. Warne die Yaquis vor
Angriff und Ueberfall, ehe. ich bei euch bin. Ihr
nehmt den Weg durch den Wald. Vorwärts!“

Taori stieß einen ſchrillen Ruf aus, und wie mit
einem Zauberſchlage zerſtob seine Horde. Hierhin und
dorthin huſchten die dunklen Gestalten ~- das tiefe
Schwarz der Eichen und Nußbäume nahm ſie auf.

Die Herren ſprengten davon. Das Thal lag ver-
laſſen und einſam da wie zuvor. Aus den Tempelruvinen
schlich sich mit ſachtem Zögern ein ſpitzſchnauziges Tier,
dem ein zweites, sein Weibchen, folgte: ein Paar
Prairiewölfe, die der Geruch des gebratenen Fleiſches
angelockt hatte. Aus luftiger Höhe, eine ſcharf um-

riſſene ſchwarze Silhouette im Mondenflimmer, senkte _

sich mit weitgesſpannten Flügeln ein Geier herab. Jm
Graſsſe begannen wieder die Grillen zu zirpen. Ein
Käuzchen schrie auf, und auch im Hackbeerenwäldchen
rauſchte ese. Das Nachtleben im Thale begann von
neuem.



4.

Das Geläute der Kirchenglocken durchdrang die
ganze Hauptstadt und setzte die ſonnenwarme Luft in
Schwingungen. Es klang wie ein ungeheurer Choral,
den tauſend Hände auf einer Rieſenorgel sſpielten. Aus
der herrlichen Kathedrale, diesem Meisterwerk ſpaniſch-
amerikaniſcher Baukunst, deren maſſive Türme ſ|tolz
zum Himmel streben, ſtrömten die Menſchen über die
Plaza. Auch in dem Sagrario, der älteſten Pfarr-
kirche Mexikos, die sich dicht neben der Kathedrale er-
hebt und deren imponierenden Eindruck beeinträchtigt,
war der Gottesdienſt beendet, und so herrſchte denn
um dieſe Zeit ein lebhaftes Gedränge auf dem weiten
Platz. Es hatte ſich noch verſtärkt, da in den umlie-
genden Straßen das Gerücht verbreitet worden war,
das Kaiſerpaar hätte zu Fuß die Kathedrale beſucht.

Die zahlloſen Müßiggänger, die um dieſe Zeit auf den

Paſeos, den großen, mit ſchönen Anlagen geschmückten
Boulevards umherſchlenderten, eilten, von qüdländiſcher
Neugier getrieben, von allen Seiten herbei, und auch

| die Wagen und Reiter, welche die öffentlichen Prome-

naden belebten, bogen auf die Plaza mayor ein, ſo daß
die überall verstreuten Poliziſten Mühe hatten, Ord-
nung zu ſtiften. : ;
Es war ein in tauſend Farben ſchillerndes, wun-
derbar maleriſches Bild. Die großen, ſchwerfälligen
Karossen, zum Teil mit bunt aufgeſchirrten Maultieren
beſpannt, konnten nur langſam vorwärts kommen, trotz

des gellen Geſchreis der sie leitenden Kutſcher. Hie

und da ſah man Reitergeſtalten neben den Wagen-
ſchlägen, im Gegensatz zu der europäiſchen Tracht der
Jußgänger in vollem Glanze des Nationalkoſtüms,
kurzer Jacke, reichgeſticktten Lederhoſen>xden breitlräme
pigen Sombrero auf dem Haupt — die meiſt eolen
und lebhaften Gäule mit Franſen und Schlei en 09
schmückt und mit ſchwerem, ſilberbeſchlagenem Sattel
von dem ſchwarze Ziegenfelltaſchen herabhingen. Auf
den Bürgersteigen die dichte Masſe der die Kirchen

verlaſſenden Bevölkerung: elegante Damen in modernſer
Toilette, meiſt bildſchön, geſchmeidig und zierlich, mit
einer Fülle ſchwarzblauer Haare und leuchtenden Augen,

aber alle barhäuptig, hie und da einen Zipfel des
Rebozos, des spitzenbeſetten Schultertuchs über den
Kopf geschlagen ~ Stuyher in ſchwarzen langen Röcken,
hellen Handſchuhen und Cylinderhut – Offiziere der
Nationalarmee in ihren ſchimmernden Uniformen, da-
zwiſchen das Volk in seinen typiſchen Vertretern, heute
feiertäglich geputzt. Die Läden waren des Feiertags
wegen geſchloſſen, aber auf den Straßen blühte der
Handel trot der Kirchenſtunde. Zigeunerhaft aus-
ſchauende Indianerweiber boten Bananen, Erdbeeren
und Orangen feil, die Waſſerträger in weiten Leinen
hoſen, gestreiſtem Hemde und riesigem Strohhut ſchrieer
ihre Limonaden aus; ein Kuchenbäcker drängte ſich mit

seinem kleinen Handwägelchen durch das Gewühl. gefouen.

von einem Schwarm halbwüchſiger Jungen. An den

Straßenecken flegelten ſich die Laſtträger auf den Prell-

steinen, würfelten ein paar Leperos, die Lazzaroni vm
Mexiko, um eine Pinte blauen Weins, hielten sich die'
Blumenverkäuferinnen auf mit ihren großen flachen
Baſtkörben voll duftender Blüten. Ueberall standen

plaudernde Gruppen umher; gleich dem Italiener liebt
 
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