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Ausnahme derer, die täglich gebraucht wurden, auf
das ſorgfältigſte, “ erwiderte Biſchof.
„Sie erzählten mir doch vorhin, werte Frau, Ü suhr
Adomat fort, „daß Hellebrandt Ihnen alljährlich im
Februar oder März einen Geſchäftsabſchluß und eine
Bilanz vorgelegt habe. Jedenfalls waren dieſelben
gefälſcht, denn die richtige Grundlage für dieſe Auf-
ſtellungen, die vollſtändige Buchführung, fehlte. Haben
Sie denn jemals eine solche Bilanz unterſchrieben '
„Nein, nein,“ entgegnete Frau Frerichs. „Helle-
brandt las mir nur die Zahlen der
Bilanzen vor. Ich vernahm in jedem
Jahre den Ausdruck ſeiner Befriedi-
gung darüber, daß das Geſchäft sich
wieder gehoben und das Geſchäftsver-
mögen zugenommen habe.“
„Der mag Ihnen nette Sachen
vorgeſchwindelt haben !“ brummte Ado-
mat. „Aber da er Ihnen doch Bi-
lanzen vorgelegt hat, so ſind dieſe
vielleicht zu finden. Wir wollen ein-
mal das Innere des Geldſchrankes
und seinen Schreibtiſch durchſuchen. Es
iſt doch möglich, daß wir irgend etwas
entdecken. Ü
Im Geldſchrank fand sich nichts
von Bedeutung, auch nicht in den
Schubkästen des Schreibtiſches, die bis
auf einen, den der Prokurist für ſeine
Privatſachen benutzte, nicht verſchloſen..
waren. Dieſer letztere mußte in Er-
mangelung eines paſſenden Schlüſſels
gewaltſam erbrochen werden. Er war
leer, enthielt weder Bücher noch
Schriſtstücke, die wohl gefliſſentlich
daraus entfernt worden waren. Als _
der Kasten ganz herausgezogen wurde,
fiel indes ein Stückchen Papier zur
Erde, das an der Rückwand des
Schubkastens eingeklemmt gewesen ſein
Die drehbare Eiſenbahnbrücke in Rotterdam (offen und geſchſoſſen). Nach Photographien von J. Grünf eld in Zürich. (S. 78)
mußte. Frau Frerichs hob es auf. Es war ein Poſt-
einlieferungsſchein über 300 Mark, die am 23. Dezem-
ber des vorigen Jahres an ein Fräulein Mathilde Unger,
Weinholzstraße Nr. 83 abgeſandt waren. Die Dame
îſ\teckte den Schein zu ſich.
„Also es iſt nichts da, “ sagte Adomat mißmutig.
„Auch keine Inventur; kein Lagerbuch! Das iſt dumm!
Dann müssen wir uns ſelbſt durch Abſchätzung des
Lagers eine ſolche annähernd verſchaffen. “ ;
Dies geſchah. Als man damit fertig war, wendete
Adomat sich an die Geſchäftsinhaberin. .
S U E S S 3
müſſen auf das Schlimmſte gefaßt sein! Der Stand
Da s Buch für Alle.
des Geschäftes iſt ein derartiger, daß keine Hoffnung
vorhanden iſt, es weiter betreiben zu können. Die
Unterbilanz beläuft sich, ſelbſt wenn wir einen Lager-
bestand von 60,000 Mark annehmen, auf über 100,000
Mark. Die Schulden betragen nämlich 246,000 Mark,
die Außenstände dagegen 34,500 Mark, der Ueberſchuß
Ihres Hauſes 40,000 Mark. Der Schuft, der Helle-
brandt, muß Sie. ſeit langer Zeit bestohlen haben.
Außerdem scheint er wagehalſige Geschäfte sür Jhre
Rechnung gemacht zu haben, denn ſonſt könnte nicht
das gesamte Vermögen, das bei dem Tode Jhres
Mannes mindeſtens 150,000 Mark betrug, verwirt-
ſchaftet sein. Bei alledem kann ich es Jhnen leider
nicht ersparen, liebe Frau Frerichs, Sie müſſen morgen
Konkurs anmelden. Denn der Termin in der Wechſel-
klage ist ſchon in drei Tagen, und Sie müssen bei der
traurigen Sachlage ſo handeln, daß Ihre geſamten
Aktiva Ihren Gläubigern gemeinſam zur teilweisen
Befriedigung dienen können!" :
Trotz der ſeit dem Morgen Schlag auf Schlag über
die Geſchäftsinhaberin hereingebrochenen ſchmerzlichen
Enttäuſchungen und der Aufregungen der inzwiſchen
verlebten Stunden, übten die ohne Umſchweife ihr ge-
gebenen Aufklärungen des alten Freundes doch eine
Heft 3.
entſetzliche Wirkung auf die Dame aus. Sie, die an-
gesehene Kaufmannsfrau, die sich heute früh noch im
Besitz eines alten ſicheren Geschäftes, eines anständigen
Vermögens glauben durfte, sollte am folgenden Tage
dem Richter erklären, daß die Firma F. C. Frerichs jun.,
die [is jeut zu den solideſten der Stadt zählte, ban-
rerott ſei.:!
Und um wen? Um einen Mann, den ſie geachtet,
dem sie vertraute, ja, den sie im ſtillen ſchon an dem
Platze geſehen, den ihr verſtorbener Gatte ſo lange
mit Ehren eingenommen hatte! Aber
andererseits konnte sie nur dem Rate
des alten Freundes gemäß handeln,
wenn sie nichts Schlimmeres über ſich
heraufbeſchwccen wollte. So bat sie
nach kurzem Beſinnen den Freund, sie
morgen bei dem ſchweren Gang auf
das Gericht zu begleiten, und ihr auch
fernerhin beizuſtehen.
Der alte Herr ſagte beides mit
großer Bereitwilligkeit zu. . . .
Der Konkurs der bekannten Firma
erregte großes Aufsehen, mehr aber
noch die Veruntreuungen und die
Flucht des Prokuriſten Hellebrandt.
Jeder hatte den immer elegant auf-
tretenden Herrn, den man allgemein
für den zukünftigen Chef angesehen,
für einen Ehrenmann gehalten. Nie-
mand konnte ſich auch erklären, was
Hellebrandt mit dem veruntreuten
Gelde angefangen. Er hatte seit
Jahren eine einfache Junggeſellen-
wohnung in der Vorſtadt inne, er
lebte solid, huldigte keinen noblen
Paſsionen. Kurz, die Bewohner von
H. standen vor einem Rätſel.
Die Staatsanwaltſchaft leitete die
Verfolgung des Flüchtigen ein, der
indes mehr als zwei Tage Vorſprung
hatte und jedenfalls ſchon längst über
die Grenze gelangt war. Ein Steck-
brief wurde erlaſſen, dem ein genaues Signalement
beigefügt war. Das Geſchäftspersonal, Frau Frerichs
und andere Perſonen wurden vernommen. Doch es
vergingen vierzehn Tage, von Hellebrandt war keine
Spur zu entdecken. f
. v . . Ä s . . â ~ . t k
Eines Vormittags ſaß Frau Frerichs in der Woh-
1z:g threr geearhs. her Hrar Peliehltcutereatt uur
Untere MV cuî des Flüchtigen. gute
„Man wundert sich allgemein, “ ſprach Frau Wedder-
holm, „daß bis jetzt noch nicht der leiſeſte Anhalt de-
für ermittelt iſt, wozu Hellebrandt das Geld verwendet
hat. Es giebt in dieſer Angelegenheit zwei Parteien
Ausnahme derer, die täglich gebraucht wurden, auf
das ſorgfältigſte, “ erwiderte Biſchof.
„Sie erzählten mir doch vorhin, werte Frau, Ü suhr
Adomat fort, „daß Hellebrandt Ihnen alljährlich im
Februar oder März einen Geſchäftsabſchluß und eine
Bilanz vorgelegt habe. Jedenfalls waren dieſelben
gefälſcht, denn die richtige Grundlage für dieſe Auf-
ſtellungen, die vollſtändige Buchführung, fehlte. Haben
Sie denn jemals eine solche Bilanz unterſchrieben '
„Nein, nein,“ entgegnete Frau Frerichs. „Helle-
brandt las mir nur die Zahlen der
Bilanzen vor. Ich vernahm in jedem
Jahre den Ausdruck ſeiner Befriedi-
gung darüber, daß das Geſchäft sich
wieder gehoben und das Geſchäftsver-
mögen zugenommen habe.“
„Der mag Ihnen nette Sachen
vorgeſchwindelt haben !“ brummte Ado-
mat. „Aber da er Ihnen doch Bi-
lanzen vorgelegt hat, so ſind dieſe
vielleicht zu finden. Wir wollen ein-
mal das Innere des Geldſchrankes
und seinen Schreibtiſch durchſuchen. Es
iſt doch möglich, daß wir irgend etwas
entdecken. Ü
Im Geldſchrank fand sich nichts
von Bedeutung, auch nicht in den
Schubkästen des Schreibtiſches, die bis
auf einen, den der Prokurist für ſeine
Privatſachen benutzte, nicht verſchloſen..
waren. Dieſer letztere mußte in Er-
mangelung eines paſſenden Schlüſſels
gewaltſam erbrochen werden. Er war
leer, enthielt weder Bücher noch
Schriſtstücke, die wohl gefliſſentlich
daraus entfernt worden waren. Als _
der Kasten ganz herausgezogen wurde,
fiel indes ein Stückchen Papier zur
Erde, das an der Rückwand des
Schubkastens eingeklemmt gewesen ſein
Die drehbare Eiſenbahnbrücke in Rotterdam (offen und geſchſoſſen). Nach Photographien von J. Grünf eld in Zürich. (S. 78)
mußte. Frau Frerichs hob es auf. Es war ein Poſt-
einlieferungsſchein über 300 Mark, die am 23. Dezem-
ber des vorigen Jahres an ein Fräulein Mathilde Unger,
Weinholzstraße Nr. 83 abgeſandt waren. Die Dame
îſ\teckte den Schein zu ſich.
„Also es iſt nichts da, “ sagte Adomat mißmutig.
„Auch keine Inventur; kein Lagerbuch! Das iſt dumm!
Dann müssen wir uns ſelbſt durch Abſchätzung des
Lagers eine ſolche annähernd verſchaffen. “ ;
Dies geſchah. Als man damit fertig war, wendete
Adomat sich an die Geſchäftsinhaberin. .
S U E S S 3
müſſen auf das Schlimmſte gefaßt sein! Der Stand
Da s Buch für Alle.
des Geschäftes iſt ein derartiger, daß keine Hoffnung
vorhanden iſt, es weiter betreiben zu können. Die
Unterbilanz beläuft sich, ſelbſt wenn wir einen Lager-
bestand von 60,000 Mark annehmen, auf über 100,000
Mark. Die Schulden betragen nämlich 246,000 Mark,
die Außenstände dagegen 34,500 Mark, der Ueberſchuß
Ihres Hauſes 40,000 Mark. Der Schuft, der Helle-
brandt, muß Sie. ſeit langer Zeit bestohlen haben.
Außerdem scheint er wagehalſige Geschäfte sür Jhre
Rechnung gemacht zu haben, denn ſonſt könnte nicht
das gesamte Vermögen, das bei dem Tode Jhres
Mannes mindeſtens 150,000 Mark betrug, verwirt-
ſchaftet sein. Bei alledem kann ich es Jhnen leider
nicht ersparen, liebe Frau Frerichs, Sie müſſen morgen
Konkurs anmelden. Denn der Termin in der Wechſel-
klage ist ſchon in drei Tagen, und Sie müssen bei der
traurigen Sachlage ſo handeln, daß Ihre geſamten
Aktiva Ihren Gläubigern gemeinſam zur teilweisen
Befriedigung dienen können!" :
Trotz der ſeit dem Morgen Schlag auf Schlag über
die Geſchäftsinhaberin hereingebrochenen ſchmerzlichen
Enttäuſchungen und der Aufregungen der inzwiſchen
verlebten Stunden, übten die ohne Umſchweife ihr ge-
gebenen Aufklärungen des alten Freundes doch eine
Heft 3.
entſetzliche Wirkung auf die Dame aus. Sie, die an-
gesehene Kaufmannsfrau, die sich heute früh noch im
Besitz eines alten ſicheren Geschäftes, eines anständigen
Vermögens glauben durfte, sollte am folgenden Tage
dem Richter erklären, daß die Firma F. C. Frerichs jun.,
die [is jeut zu den solideſten der Stadt zählte, ban-
rerott ſei.:!
Und um wen? Um einen Mann, den ſie geachtet,
dem sie vertraute, ja, den sie im ſtillen ſchon an dem
Platze geſehen, den ihr verſtorbener Gatte ſo lange
mit Ehren eingenommen hatte! Aber
andererseits konnte sie nur dem Rate
des alten Freundes gemäß handeln,
wenn sie nichts Schlimmeres über ſich
heraufbeſchwccen wollte. So bat sie
nach kurzem Beſinnen den Freund, sie
morgen bei dem ſchweren Gang auf
das Gericht zu begleiten, und ihr auch
fernerhin beizuſtehen.
Der alte Herr ſagte beides mit
großer Bereitwilligkeit zu. . . .
Der Konkurs der bekannten Firma
erregte großes Aufsehen, mehr aber
noch die Veruntreuungen und die
Flucht des Prokuriſten Hellebrandt.
Jeder hatte den immer elegant auf-
tretenden Herrn, den man allgemein
für den zukünftigen Chef angesehen,
für einen Ehrenmann gehalten. Nie-
mand konnte ſich auch erklären, was
Hellebrandt mit dem veruntreuten
Gelde angefangen. Er hatte seit
Jahren eine einfache Junggeſellen-
wohnung in der Vorſtadt inne, er
lebte solid, huldigte keinen noblen
Paſsionen. Kurz, die Bewohner von
H. standen vor einem Rätſel.
Die Staatsanwaltſchaft leitete die
Verfolgung des Flüchtigen ein, der
indes mehr als zwei Tage Vorſprung
hatte und jedenfalls ſchon längst über
die Grenze gelangt war. Ein Steck-
brief wurde erlaſſen, dem ein genaues Signalement
beigefügt war. Das Geſchäftspersonal, Frau Frerichs
und andere Perſonen wurden vernommen. Doch es
vergingen vierzehn Tage, von Hellebrandt war keine
Spur zu entdecken. f
. v . . Ä s . . â ~ . t k
Eines Vormittags ſaß Frau Frerichs in der Woh-
1z:g threr geearhs. her Hrar Peliehltcutereatt uur
Untere MV cuî des Flüchtigen. gute
„Man wundert sich allgemein, “ ſprach Frau Wedder-
holm, „daß bis jetzt noch nicht der leiſeſte Anhalt de-
für ermittelt iſt, wozu Hellebrandt das Geld verwendet
hat. Es giebt in dieſer Angelegenheit zwei Parteien