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94

D a s B u ch f ür Alle.

Heſt 4.



Anter der Dornenkrone.
Roman in drei Büchen.

Fe d ox v. Zobelt ißt.

(Fortſehung.)



ü f (Nachdruck verboten.)
gil S eider ſind die Auslagen für die von unſeren
G ; Fs Truppen unternommene Expedition ſeither
HL Y noch nicht zurückerstattet worden, " fuhr Sail-
EG! lard fort. „Seit Jahresfrist ſind die Zahlungen

t gänzlich ins Stocken geraten und meiner Re-

K gierung dadurch ſchwere Unannehmlichkeiten er-
wachsen. In der Kammer, im Volke und in der Preſſe
fordert man gebieteriſch eine Beendigung dieses unhalt-
baren Zuſtandes, der Frankreich Opfer auferlegt, die es
auf die Dauer der Zeit nicht ertragen kann ~ Opfer, die
uns, es muß gesagt sein, auch im Intereſse des Landes
nicht lohnend ſind und die ſchließlich ſelbſt Eurer Majestät
nicht einmal nützen. Aus all diesen Gründen habe ich den
Befehl, Eurer Majeſtät mitzuteilen, daß hochdero Regie-
rung nicht mehr auf eine weitere finanzielle Unterſtützung
seitens Frankreichs rechnen kann, daß meines gnädigſten
Kaiſers Majestät dagegen in Bälde ein Arrangement der
Verpflichtungen, die Mexiko uns gegenüber eingegangen
ist, erwartet und erhoſft ~ und weiterhin, daß der
Rückzug unserer Okkupationstruppen ſpätesſtens bis zum
Frühjahr nächſten Jahres vollendet sein ſoll. Der
Kaiſer Napoleon in seiner Fürsorge für das glorreiche
Werk Eurer Majestät und seiner warmen Sympathie
für Mexiko unterläßt nicht, Ihnen, Sire, vorzuſchlagen,
auch die ſonstigen Fremdenlegionen Ihres Heeres zu
entlaſſen und statt deſſen mit einer Reorganiſation der
Nationalarmee zu beginnen; sollten Eure Majestät da-
mit einverstanden sein, ſo würde mein Kaiser und Herr
es gern ſehen, wenn dies ſchwierige Werk in allſeitigem
Intereſſe in die bewährten Hände des Marſchalls Ba-
zaine gelegt würde.“

Der Baron verneigte sich.

Maximilian hatte ihm zugehört, ohne eine Miene
P e s eis s ft e I. ;! k a ger u ju
dann wieder, wie ermüdet, langſam Play.

„Zunächſt, mein Herr Geſandter, “ antwortete er,



„bitte ich Sie, Seiner Majestät Ihrem Kaiser meinen

Dank für die Kundgebung auszusprechen, mit welcher

er mich seiner Sympathien versichert. Die Freund-
ſchaft Frankreichs kann dem Werke, das ich mit ſeiner

Untersſtitung begonnen habe, nur dienlich ſein, auch
wenn es sich genötigt ſieht, mir diese Hilfe gerade in
dem Augenblicke zu entziehen, da ich ihrer am drin-
gendſsten bedarf. Doch ich habe noch eine Thatſache
anzuführen, die ich nicht zu verſchweigen brauche,
. da sie den anweſenden Herren bekannt iſt, wenn man
auch seiner Zeit aus gewichtigen Gründen auf Veröffent-
lichung verzichtet hat. Der Vertrag von Miramar ent-
hält noch drei Geheimparagraphen, deren zweiter be-
ſagt, daß Kaiser Napoleon ſeine hieſigen Truppen nur

in drei, durch die Dauer je eines Jahres getrennten

Terminen zurückziehen darf. Herr Baron Saillard,
t:: Ihren dürfte dieſe Vereinbarung kein Geheimnis
Fit. iſt es in der That nicht, “ bemerkte der Ge-
sandte, „doch mögen mir Eure Majestät in tiefster
Ehrfurcht auch andererseits geſtatten, zu bemerken, daß

_ Mexiko in erſter Linie den kontraktlich übernommenen

Verpflichtungen in keiner Weise gerecht geworden iſt.
Ich muß, ſo peinlich es mir ist, noch einmal darauf
hinweiſen, daß Mexiko seine Schulden an Frankreich
fts. éutequuutlis. in letter Zeit aber überhaupt nicht
eglichen hat. Ü

„Ich habe mich darüber unterrichtet, " rief der Kaiser
mit lauterer Stimme als zuvor, und man sah, wie
ihm das Blut in die Wangen ſchoß; ,in dieſem Augen-
blick ſchulde ich Ihrer Regierung viermalhunderttauſend
Franken! Fürwahr + eine Rieſenſumme für ein Land
von den Einnahmequellen Frankreichs! Volk und Armee
haben gehungert und gedarbt, damit ich meinen Ver-
pflichtungen gegen Kaiſer Napoleon, wenn auch nicht
pünktlich, denn das vermochte ich nicht, doch aber that-
sächlich und endgültig nachkommen konnte – und nun
kommen Sie, Baron Saillard, und stellen wegen dieser
Bagatelle namens Ihrer Regierung die Kabinetts-
frage! Herr Dano hat mir Andeutungen gemacht, daß

_ Jrantreich sich vielleicht noch zu einem weiteren Kredit

verſtehen würde, wenn wir ihm die Hälfte der Zoll-
einnahmen von Tampico und Veracruz übertragen

wollten. Damit aber würde ich meine Regierung der
letzten flüſſigen Hilfsmittel berauben = ich lehne also
diese Forderung rundweg ab.“

In diesem Augenblick erhob ſich der Marſchall Ba-
zaine geräuſchvoll. „Verzeihung, Sire," sagte er, ,jetzt
iſt der Moment gekommen, wo auch ich verpflichtet
bin, mich in die Unterredung zu miſchen. Ich habe



ausdrückliche Weiſung seitens meines Herrſchers em-
pfangen, die Räumung Mexikos auf der Stelle zu be:
ginnen, wenn Eure Majestät sich mit der verlangten
Üebertragung der Zolleinnahmen nicht einverſtanden
erklären Follten. “

Eine Bewegung ging durch die Reihe der Miniſter.
Der Kaiſer starrte den Marſchall an. Seine Zähne
waren fest aufeinander gebiſſen, seine Wangen fahl ge-
worden –~ dennoch ſchwieg er zu der Bemerkung Ba-
s und wandte sich von neuem an den Baron

aillard.

„Ich habe keine Veranlaſſung, der französischen Re-
gierung Schwierigkeiten in den Weg zu legen, Herr
Gesandter,“ sagte er, „mag ſie thun, was sie für gut
und richtig erachtet und ~ was ſie verantworten kann.
Aber, Herr Baron, melden Sie gefälligſt auch das,
was ich nunmehr auszusprechen gezwungen bin, Seiner
Majestät Ihrem Kaiſer. Die franzöſiſche Regierung
kann erklären, daß sie den Vertrag von Miramar nicht
t s zue zul t u
nichteten Lande nicht im stande war, meine Zahlungs-
termine pünktlich einzuhalten. Kaiser Napoleon aber
darf nicht die Hand von mir abziehen, denn zwiſchen
ihm und mir exiſtieren noch private Abmachungen —
und ich bitte, ihm zu vermelden, daß man dieſe Ab-
machungen auch in London kennt. Wer regiert nun
in Frankreich: die Herren Rouher und Drouyn de
Lhuys ~ oder Seine Majestät der Kaiser?“

Es war sehr still im Saale geworden. Selbst in
das kalte Geſicht des Barons Saillard flackerte ein
leiſes Rot bei dieser Erklärung des Monarchen. Aber
er behielt seine Geistesgegenwart und erwiderte mit
anscheinender Ruhe: „Ich bin persönlich nicht in der Lage,
Kenntnis von den Abmachungen zu besitzen, auf die Eure
Majestät hinzielen, zweifle indeſſen keinen Augenblick da-
ran, da sie für die Minister des Kaiſers Napoleon kein
Geheimnis mehr sind. Denn der Kaiser und ſeine
Räte regieren in Frankreich ~ und diese große, ge-
meinsame und einheitliche Regierung würde Eurer Maje-
stät ganz gewiß nicht durch mich haben Vorschläge
unterbreiten laſſen, wenn selbige im Gegenſatz zu ehe-
mals getroffenen Vereinbarungen ſtehen würden. Ich
kann mich ſehr wohl in das Empfinden Eurer Majestät
hineinversezen, muß andererseits Eurer Majestät aber
immer wieder von neuem verſichern, daß mein gnädiger

. Herrſcher wie meine Regierung ganz besonders in Be-

{ts quf Jhre guaudt: levericht Peſon d §cſt.1r
zus s Eurer Majestät hiermit ehrfurchtsvoll wieder-
gebe: daß ſchleunigſt Veranstaltungen getroffen werden
nyßte Ihre Person, Sire, jeglicher Gefährdung zu
entrücken. “

Der Baron hatte kaum beendet, als Velasquez
de Leon, den Gesandten mit funkelnden Blicken meſſend,
ausrief: „Das heißt, abzudanken !?“ :

Ein leichter Tumult erhob sich, aber eine Handbewe-
gung Maximilians beschwichtigte ſofort die erregten Ge-
müter. Bazaine hatte ſich erhoben, ernſt und würde-
voll, beide Hände auf den Knauf ſeines Säbels gelegt.

„Eure Majestät mögen mir in Gnaden zu dem,
was Baron Saillard ausführte,“ so sagte er, „einige
Bemerkungen gestatten. Das verhängnisvolle Wort
Abdankung ist ausgeſprochen worden. Noch vor wenigen
Monaten würde ich darüber in ähnliche Erregung ge-
raten sein, wie die versammelten Herren Minister.
Heute nicht mehr. Die Verhältnisse haben eine Wen-
dung genommen, die das Schlimmſte befürchten läßt.
Ich brauche nicht des näheren darauf einzugehen ~ es
iſt genug über die Verwirrung im Finanzdepartement
geſprochen worden, die ſchließlich auch I M
des Landes den Juariſten in die Arme treiben wird.
Als alter Soldat bin ich gewohnt, bis zum letten
Augenblick auf dem Posten zu verharren. Mein Blut

iſt nichts wert – wohl aber das Eurer Majestät! Die
Meinung meines Kaiſers, daß Sie, Sire, nunmehr.
auch für die Sicherung Ihrer Perſon Sorge tragen

müssen, teile ich aus vollem Herzen; Eure Majestät
haben die Pflicht, sich Ihrem glorreichen Hauſe ~ und
Ihrer hohen Gemahlin, der Kaiserin, zu erhalten !“

„Die Pflicht, Herr Marschall, “ versettte Maximilian
mit eigentümlicher Betonung, „hält mich wie Sie auf
meinem Poſten feſt. Den Ansprüchen, die ich an
mein Haus stellen konnte, habe ich entſagt, ehe ich den
Fuß auf Mexikos Boden setzte; meine Gattin aber iſt
eine Kriegersfrau – wie die Ihre, Herr Marschall.
Ich trage meine Pflicht im Herzen, und mein Herz
gehört Mexiko. Auch ich werde bis zum letzten Augen-
blick ausharren, und zwingt mich die Macht der Ver-
hältnisse dennoch zu einer ehrenvollen Kapitulation
gut denn, so werde ich abdanken, aber nur, um von
neuem an die Spitze des Landes zu treten ~ als
Präſident der Republik Mexiko !“

Mit erhobener Stimme hatte der Kaiser dieſe letzten
Worte gesprochen. Der Eindruck, den sie hervorriefen,
war unbeschreiblich. Die meiſten der Herren ſprangen
von ihren Stühlen auf. Bazaine, Saillard und Dano
starrten Maximilian wie entgeiſtert an; der alte Ve-



lasquez war totenbleich geworden, Lacunza rang nach

Atem. Nur Don Ramiros, der Miniſter des Aeußeren,

der aus seinen republikaniſchen Sympathien kein Hehl

machte, troßdem aber ein vorzüglicher Beamter war,

i§atte tqu unverſchleierter Bewunderung zu ſeinem
aiſer auf.

Bazaine war der erſte, der Worte fand.

„Majestät,“ rief er, „vor welche neuen Verwirrungen
stellen Sie uns da! Sie – Sie, Sire ~ ein Habs-
burger, der Sproß eines uralten Dynaſtengeſchlechts,
an der Spitze einer Republik? !“

Nun hatte sich auch Baron Saillard von ſeinem
erſten Schrecken erholt und setzte wieder die Diplomaten-
miene auf. „Befehlen Eure Majestät, " fragte er, „daß
ich diese ebenſo überraſchende wie ~ wie befremdliche
Mitteilung als offiziell auffaſſen soll ~ oder vielleicht
nur als eine gelegentlich hingeworfene Aeußerung ?"

„Wie es Ihnen beliebt, Herr Gesandter, “ erwiderte
der Kaiser. Er richtete ſich ſtraff und hoch auf. „Ich
kann die Vorschläge der franzöſiſchen Regierung in
Bezug auf die Zolleinnahmen zu meinem Bedauern
nicht annehmen und überlaſſe Seiner Majestät dem
Kaiſer Napoleon die weiteren Entſchlüsse. . . . Ich werde
mich freuen, Herr Gesandter, Sie noch beim Mittag-
éjet begrüßen zu können. . .. Meine Herren, ich danke
Ihnen !“

Er verneigte ſich leicht. Der französſiſche Gesandte
riß die Thür vor dem Kaiſer auf.



6.

In der Hacienda des Don Palacio war man eisſrig
damit beschäftigt, die Verteidigungsmaßnahmen gegen
einen etwaigen Ueberfall zu verſtärken. Palacio wußte,
daß man ihn nicht ſchonen würde; man hatte aller-
dings eine gewiſſe Furcht vor ihm, der Gouverneur
der Provinz hütete sich, mit dem gefährlichen Mann
anzubinden und ließ ihn lieber seiner Wege gehen ~
aber in der Armee teilte man dieſe Scheu nicht. Ein
Sieg der Kaiserlichen konnte ſein Schickſal besiegeln.
Daß er in juariſtiſchen Diensten spionierte, war all-
gemein bekannt, und mit Spionen pflegte man auch
auf Seite der Regulären nicht ſanft zu verfahren.

Ein Troſt für Palacio war die Thatsache, daß die
Hacienda dank ihrer Lage nicht im Handumdrehen zu
nehmen war. Sie war zudem ſtark befeſtigt, und die
Besatzung bestand aus einer Truppe Vacqueros, deren
Tüchtigkeit Palacio mehr als einmal erprobt hatte.

Es war also keine unmittelbare Gefahr im Ver-
zuge. Trotzdem prüfte der Haciendero nochmals per-
sönlich die getroffenen Vorsichtsmaßregeln. Es war
alles in bester Ordnung ; die Thore waren verrammelt,
die Posten ausgeſtellt, die Lichter verlöſcht, die man
etwa von weitem hätte sehen können. Die Hacienda
schien in tiefem Schlummer zu liegen. Nur hin und
wieder tönte das Brüllen eines Stiers durch die Nacht.
Gleich den Pferden waren auch die Viehherden ein-
getrieben worden, wenigstens die besten und wert-
vollſten; sie blieben in der Umzäunung, die das Ge-
höft auf der am ſchwächſten befestigten Seite umgab,
und verstärkten deren Sicherheit in gewissem Sinne.
Bei einer unvermuteten Ueberrumpelung ſollten die
Pforten geöffnet und die Rinder ins Freie gelaſsen
werden. Es waren meiſtens wilde und ungezügelte
junge Stiere, die auch eine feſtgeſchloſſene Truppen-
macht in Unordnung zu bringen und auseinanderzu-
reißen vermochten.

Nach beendetem Rundgang kehrte der Haciendero
zu seinen Beſuchern zurück.

Er hatte in der kleinen Halle des Hauſes ein Mahl
herrichten laſſen. Vorsichtshalber brannte nur eine
Lampe in dem ziemlich geräumigen Gemach, deſſen
Wände aus dunkelbrauner, faſt ſchwarzer Holztäfelung
bestanden, an der zahlloſe Waffen verſchiedenſter Art
hingen, ein ganzes Arsenal, in dem der Widerſchein

des Lichts einen Sprühregen glitzernder Funken ent-

zündete. In der Mitte des Zimmers stand der Tiſch
gedect, blendend sauber im Schmuck seines weißen
Damaſts, mit feinstem Porzellan und silbernen Auf.
sätzen ~ ein eigentümlicher Gegensatz zu dem Wildnis-
leben ringsum. Auch das Mahl ſelbſt hätte einem
weltstädtiſchen Koch zur Ehre gereichen können; die
Schildkrötenſuppe, die Filets von Seezunge, die frischen
Gemüse, der Hirſchbraten und der Nachtiſch : die Ba-
nanen, Weintrauben und duftenden Erdbeeren, die
zwiſchen großen Feigenblättern in silbernen Schalen

schimmerten – das alles war ausgezeichnet und be-

wies, daß man in der Hacienda auf feine Küche hielt.
Mehr vielleicht noch auf einen guten Keller; Palacio
hatte es ſich denn auch nicht nehmen laſſen, seinen
Freunden das Beſte vorzuseßen, das er in den weiten,
in die Felsen eingeſprengten Höhlenräumen unter ſeinem
Hause aufbewahrte. Aber die Gäste tranken wenig;
Assawoum miſchte seinen Wein mit Wasser, und Juarez
begnügte sich mit einigen Gläsern Champagner, der
draußen in eiskaltem Brunnengeriesel gekühlt wurde.

Es war ein ſeltſames Bild: an einem Ende der
 
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