100
und die Stelle war dann unbesetzt, wenn nicht die | vertraut ſei.
Frau den ganzen Dienſt kannte und den Mann ver-
treten konnte. Der Bahnmeiſter machte Börner auch
Da s B u < f ü x Al le.
Wenn ſsie die Dienſtvorſchriſten genau
kannte, konnte sie ſich zur Prüfung melden, und be-
Heft 4.
In den ersten acht Tagen der jungen Ehe war
allerdings noch nicht viel aus dem Unterricht geworden.
stand sie dieſe, ſo wurde sie als Hilfswärterin mit | Das junge Chepaar hatte ſich gar zu viel zu erzählen,
darauf aufmerkſam, daß sich eine Verbeſſerung des | einem kleinen Gehalt, das dem jungen Hausſtande ge-
Gehalts ergeben würde, ſobald Anna mit dem Dienſt | wiß willkommen war, angeſtellt.
und Anna mußte sich erſt in die neue Umgebung ein-
leben. Sie war ein wenig wie im Traum, ſie konnte
Der „„Jvion““, ein neuer Flugapparat, mit ausgebreiteten Iilügelu. (S. 99)
v s c z i t ts
so ganz anders waren, als zu Hauſe. Nur ſoviel hatte
Anna gelernt, mit der zuſammengerollten Fahne in der
Hand und mit umgehängtem Signalhorn vor der Thür
des Bahnwärterhäuschens zu stehen, wenn die Züge
vorbeifuhren, um anzudeuten, daß alles auf der Strecke
in Ordnung ſei. w
Es war in den erſten Nachmittagsſtunden. Der
Güterzug kam von Berghauſen heraufgekeucht und
schleppte ſich langſam an dem Bahnwärterhaus vor-
über. Der Zugführer ſtand in der Thür des Packwagens
und warf einen Brief heraus, den Anna, die neben
ihrem ſignaliſierenden Chemanne stand, geſchickt auf-
fing. Als der Zug vorüber war, wurde der Brief ge-
dftnet, und es ergab ſich, daß er vom Gericht kam.
Er war aus der Heimat Annas und enthielt die Auf-
forderung, Karl Börner solle als Ehemann Annas ſo-
fort eine Erklärung an das Gericht einſenden, daß er
sich mit der Auseinanderſegung Annas mit ihren An-
gehörigen betreffs Anteil an dem Grundbesitz und der
einstigen Erbschaft einverſtanden erkläre. Dieſes Ein-
verſtändnis hatte Karl bei der Hochzeit mündlich aus-
geſprochen, das Gericht verlangte aber noch eine ſchrift-
liche Erklärung. In der Provinz, aus der Anna
stammte, wurden bei der Verheiratung die Ansprüche
der aus dem Hauſe gehenden Frau und des neu in
die Familie eintretenden Schwiegerſohnes, sowie die
Anteile. an einer etwaigen Erbſchaft stets gerichtlich
festgeſtell. Das Amtsgericht schrieb auch noch, die
beglaubigte Unterſchrift Börners müſſe umgehend zu
be fUten eingereicht werden, da ſonſt unnütze Koſten
entſtünden.
Der Brief und seine Entzifferung verursachten dem
jungen Ehepaare ziemlich viel Kopfzerbrechen. Dann
wurde eifrig darüber verhandelt, was nun zu geſchehen
habe. Soviel stand feſt, die Sache war eilig und
mußte bald erledigt werden. Karl wußte, daß er die
Unterſchriftt in Gegenwart irgend einer Perſon, die
zur Führung eines amtlichen Siegels berechtigt iſt,
niederſchreiben mußte, und daß ein amltliches Siegel
die Unterſchrift zu bestätigen habe. Wenn er aber ert
an den Bahnmeiſter ſchrieb und den Brief einem Güter-
zug mitgab, was auf die Weiſe geſchah, daß Karl dem
Zug das Signal zum Langsamfahren gab und dann
Der „„Jvion“', ein neuer Filugapparat, mit zuſammengelegten Ilügeln. (S. 99)
den Brief in den Einſchnitt an der Spitze einer langen
Stange steckte, um ihn dem Zugführer beim Vorüber-
fahren zuzureichen, so vergingen mindestens achtundvierzig
Stunden, bis er Urlaub erhielt, um nach der nächsten
Lteyt ? fahren. Diese Verzögerung aber ſchien nicht
atthaft. :
_ Endlich wurde folgendes festgestellt: um ſechs Uhr
gabends kam der letzte Personenzug durch und zwar von
Sodenheim herunter. Dann kam um sieben Uhr noch
ein Güterzug, und dann gab es eine Pauſe bis mor-
gens sechs Uhr. Wenn der Perſonenzug vorüber war,
mußte Karl die Strecke für den Güterzug revidieren.
Er mußte hinaufgehen, um die oben gelegene Strecke
abzuſchreiten und an der Grenze seines Reviers die
Kontrollnummer, die auf einer Blechtafel feſtgemacht
war, an den dort vorhandenen Pflock zu hängen. In
der Zwiſchenzeit konnte der Güterzug ruhig vorbei-
fahren, wenn Karl auch nicht im Hauſe war, Anna
konnte vor der Thür des Wärterhauſes ſtehen bleiben
und mit zuſammengerollter Fahne das Signal: „Strecke
frei!“ geben. Karl befand ſich ja oberhalb, und war
dort irgend etwas nicht in Ordnung, so konnte er mit
der roten Fahne dem Güterzug das Zeichen zum Halten
geben. Wenn Karl gleich nach ſechs Uhr fortging, ſo
und die Stelle war dann unbesetzt, wenn nicht die | vertraut ſei.
Frau den ganzen Dienſt kannte und den Mann ver-
treten konnte. Der Bahnmeiſter machte Börner auch
Da s B u < f ü x Al le.
Wenn ſsie die Dienſtvorſchriſten genau
kannte, konnte sie ſich zur Prüfung melden, und be-
Heft 4.
In den ersten acht Tagen der jungen Ehe war
allerdings noch nicht viel aus dem Unterricht geworden.
stand sie dieſe, ſo wurde sie als Hilfswärterin mit | Das junge Chepaar hatte ſich gar zu viel zu erzählen,
darauf aufmerkſam, daß sich eine Verbeſſerung des | einem kleinen Gehalt, das dem jungen Hausſtande ge-
Gehalts ergeben würde, ſobald Anna mit dem Dienſt | wiß willkommen war, angeſtellt.
und Anna mußte sich erſt in die neue Umgebung ein-
leben. Sie war ein wenig wie im Traum, ſie konnte
Der „„Jvion““, ein neuer Flugapparat, mit ausgebreiteten Iilügelu. (S. 99)
v s c z i t ts
so ganz anders waren, als zu Hauſe. Nur ſoviel hatte
Anna gelernt, mit der zuſammengerollten Fahne in der
Hand und mit umgehängtem Signalhorn vor der Thür
des Bahnwärterhäuschens zu stehen, wenn die Züge
vorbeifuhren, um anzudeuten, daß alles auf der Strecke
in Ordnung ſei. w
Es war in den erſten Nachmittagsſtunden. Der
Güterzug kam von Berghauſen heraufgekeucht und
schleppte ſich langſam an dem Bahnwärterhaus vor-
über. Der Zugführer ſtand in der Thür des Packwagens
und warf einen Brief heraus, den Anna, die neben
ihrem ſignaliſierenden Chemanne stand, geſchickt auf-
fing. Als der Zug vorüber war, wurde der Brief ge-
dftnet, und es ergab ſich, daß er vom Gericht kam.
Er war aus der Heimat Annas und enthielt die Auf-
forderung, Karl Börner solle als Ehemann Annas ſo-
fort eine Erklärung an das Gericht einſenden, daß er
sich mit der Auseinanderſegung Annas mit ihren An-
gehörigen betreffs Anteil an dem Grundbesitz und der
einstigen Erbschaft einverſtanden erkläre. Dieſes Ein-
verſtändnis hatte Karl bei der Hochzeit mündlich aus-
geſprochen, das Gericht verlangte aber noch eine ſchrift-
liche Erklärung. In der Provinz, aus der Anna
stammte, wurden bei der Verheiratung die Ansprüche
der aus dem Hauſe gehenden Frau und des neu in
die Familie eintretenden Schwiegerſohnes, sowie die
Anteile. an einer etwaigen Erbſchaft stets gerichtlich
festgeſtell. Das Amtsgericht schrieb auch noch, die
beglaubigte Unterſchrift Börners müſſe umgehend zu
be fUten eingereicht werden, da ſonſt unnütze Koſten
entſtünden.
Der Brief und seine Entzifferung verursachten dem
jungen Ehepaare ziemlich viel Kopfzerbrechen. Dann
wurde eifrig darüber verhandelt, was nun zu geſchehen
habe. Soviel stand feſt, die Sache war eilig und
mußte bald erledigt werden. Karl wußte, daß er die
Unterſchriftt in Gegenwart irgend einer Perſon, die
zur Führung eines amtlichen Siegels berechtigt iſt,
niederſchreiben mußte, und daß ein amltliches Siegel
die Unterſchrift zu bestätigen habe. Wenn er aber ert
an den Bahnmeiſter ſchrieb und den Brief einem Güter-
zug mitgab, was auf die Weiſe geſchah, daß Karl dem
Zug das Signal zum Langsamfahren gab und dann
Der „„Jvion“', ein neuer Filugapparat, mit zuſammengelegten Ilügeln. (S. 99)
den Brief in den Einſchnitt an der Spitze einer langen
Stange steckte, um ihn dem Zugführer beim Vorüber-
fahren zuzureichen, so vergingen mindestens achtundvierzig
Stunden, bis er Urlaub erhielt, um nach der nächsten
Lteyt ? fahren. Diese Verzögerung aber ſchien nicht
atthaft. :
_ Endlich wurde folgendes festgestellt: um ſechs Uhr
gabends kam der letzte Personenzug durch und zwar von
Sodenheim herunter. Dann kam um sieben Uhr noch
ein Güterzug, und dann gab es eine Pauſe bis mor-
gens sechs Uhr. Wenn der Perſonenzug vorüber war,
mußte Karl die Strecke für den Güterzug revidieren.
Er mußte hinaufgehen, um die oben gelegene Strecke
abzuſchreiten und an der Grenze seines Reviers die
Kontrollnummer, die auf einer Blechtafel feſtgemacht
war, an den dort vorhandenen Pflock zu hängen. In
der Zwiſchenzeit konnte der Güterzug ruhig vorbei-
fahren, wenn Karl auch nicht im Hauſe war, Anna
konnte vor der Thür des Wärterhauſes ſtehen bleiben
und mit zuſammengerollter Fahne das Signal: „Strecke
frei!“ geben. Karl befand ſich ja oberhalb, und war
dort irgend etwas nicht in Ordnung, so konnte er mit
der roten Fahne dem Güterzug das Zeichen zum Halten
geben. Wenn Karl gleich nach ſechs Uhr fortging, ſo