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188

Da s Buch für Alke.

Heft 5.



Abe als hochbetagter Geiſtlicher. Da er den Geſpielen
der Jugend bereits ſehr leidend und in düſterer Stim-
mung fand, suchte er ihn aufzuheitern und erinnerte ihn
unter anderem an die Epiſode der geraubten Charlotte.
Da richtete ſich Vanderbilt ein wenig aus ſeinem
Polster empor, ein Lächeln umſpielte seine Lippen und
er ſagte: „Abe, du magſt ein trefflicher Seelſorger sein,
aber als Commis hätte ich dich niemals brauchen kön-
nen. Du hätteſt mir jedes Geſchäft verdorben. Wie
konnieſt du ohne ſchriftliche Anweiſung die Charlotte
in fremde Hände geben! Ja, du hatteſt nie Geſchäfts-
talent, alter Knabe.“ ;
„Die Gaben des Himmels sind eben verſchieden, “
sagte der ſchwarze Prediger würdevoll. Und darin
hatte er ſicherlich recht.

Volksspiele in Siam.
(Siehe die beiden Bilder auf Seite 125 )
ie Siamesen, neben den Birmanen das kulturell an
höchſten stehende und intelligenteſte Volk Hinterindiens,
. sind von ſchlankem, kräftigem Körperbau, aber unſchönen,



eines edleren Ausdrucks entbehrenden Geſichtszigen. Im
allgemeinen sind für den Europäer Mann und Frau kaum
zu unterſcheiden. Beide tragen ein um die Hüften geſchlungenes
Stück Zeug von farbiger Seide oder Baumwolle, das ,Lan-
guti," ein Lendentuch, welches zwiſchen den Beinen durch-
gezogen und durch Einstopfen der Zipfel feſtgehalten wird.
Dazu kommt meiſt noch eine helle Jacke. Schmuck oder Zie-:
rat iſt nicht Mode, selbſt bei den Frauen nicht. Die Haupt-
U rg tcſeht ars nes mit gs Geruſer ur qrutster.
ſchlechtern Betel und Tabak. Die Frauen haben, wie in
allen rein buddhistiſchen Ländern, große Freiheit, werden gut
behandelt und teilen keineswegs das Los der meisten orien-
taliſchen Frauen, verachtet zu sein. Auch die Volksbildung
steht auf hoher Stufe, da die Kinder in den buddhistischen
Klöstern durchweg lesen, schreiben und rechnen lernen. Neuer-
dings nehmen sogar die Vornehmen nach dem Vorbilde des
Königs, der bekanntlich vor kurzem erſt die europäiſchen
Länder beſuchte, europäiſche Kultur an, und Volksspiele und

Sports aller Art stehen bei den heiteren, stets zu Scherz und

Kurzweil aufgelegten Siameſen seit alters her in Blüte. Zwei
der beliebtesten dieser Volksspiele stellen die Bilder auf S. 125
dar, den Fauſtkampf und das Fechten mit Bambusſtangen.
Ersterer wird ganz ähnlich wie der engliſche Boxkampf nach



aus dem Kampfsſspiele hervorgeht.



feſlſtehenden Regeln ausgefochten. Die mehr geſchmeidigen
als herkuliſchen Fauſtkämpfer tragen dabei gepolsterte Hand-
schuhe an den Händen, damit keine Verletzungen vorkommen.
Das rohe, einander die. Gesichter zu blutigen Klumpen zer-
schlagende Boxen der Engländer kennt man nicht. Ebenso
harmlos, wie der Fauſtkampf, nur als Spiel der Geſchicklich-
keit und Gewandtheit, verläuft das Fechten mit Bambus-
stangen. Die Fechter treten stets in Gruppen zu vier auf
und tämpfen zwei gegen zwei. Die Sieger haben ſich ſtets
aufs neue zu messen, bis zuletzt einer als Sieger über alle
Die Zuſchauer hocken
während des Spieles, bei dem eine heimiſche Kapelle mit
Trommeln, Pauke und Flöte anfeuernde Musik macht, rings
auf dem Boden und verfolgen eifrig den Fortgang des
Kampfes , wobei es an zahlreichen Wetten nicht fehlt, denn
die Wettleidenſchaft iſt in Siam ebenso ausgebildet, wie in
England und Amerika.

Der Wirbelſturm bei Köln.

(Siehe das unlernstehende Bild.)
{n manchen Gegenden von Nordamerika sind die auf ihren
Wege alles zerſtörenden Tornados oder Wirbelstürme so
häufig, daß man dort unterirdiſche Zufluchtstätten erbaut hat,















Der Virbelſlurm bei Köln: Gasanſtalt der Kölner Maſchinenfabrik in Wayentjzalk. Nach einer Photographie von A. Sch mitz, Hofphotograph in Köln.
G 16 (Der Gasometer links iſt aus ſeiner Grube geriſſen, wie eine Papierdüte zuſammengeknüllt und auf das Dach im Hintergrunde geworfen worden.)

wohin sich die Bewohner beim Herannahen eines ſolchen
Unwetters retten. Sehr selten dagegen ſind Wirbelstürme
in unseren Breiten; um ſo bemerkenswerter iſt es daher, daß
ein ſolcher am Sonntag den 7. Auguſt 1898 in verschiedenen
Gegenden Deutschlands aufgetreten iſt. Die größten Ver-
heerungen hat das Unwetter zwiſchen 4 und 5 Uhr nachmit-
tags in und um Köln angerichtet. Dort brach ein Gewitter
mit Hagelſchlag aus, der unzählige Tauſende von Fenſter-
ſcheiben zertrümmerte und von einem Sturm begleitet war,
welcher im Süden der Stadt vollſtändig den Charakter eines
Tornados zeigte. Dieser Wirbel zog in Gestalt eines aus
den Wolken bis zur Erde reichenden ſchmalen grauen Bandes
von Nordweſten kommend über Süden nach Östen und war
nur ſchwach von Regen und Hagel begleitet. Am meiſten
haben von ihm Bayenthal und das auf dem rechten Rhein-
ufer gelegene Poll gelitten. In Bayenthal lag der Gebäude-
komplex der Kölnischen Maſchinenbau-Attiengesellſchaft Bayen-
îthal gerade im Zentrum des MWirbelsſturmes, und hier sind
auch seine Verheerungen am augenfälligſten gewesen. Der
Tornado warf vier mächtige Schornſteine und die lange, drei
Meter hohe Umfassungsmauer um, deckte alle Dächer ab, riß
ſchwere Stirn- und Brandmauern ein und hob einen Gaſo-

meter aus seiner Grube, um ihn wie eine Papierdüte zuſam-

mengeknüllt auf ein Nachbarhaus zu werfen (ſiehe unser vor-
stehendes Bild). Nachdem der Wirbel in Bayenthal binnen

wenigen Minuten auf einer Strecke von 209 bis 250 Meter

Breite alles verwüſtet hatte, sette er über den Rhein, das
Wasser in Gischt verwandelnd , der ſich wie Dampf über den



Strom legte und jede Fernſicht hinderte. In Poll wurde
die Kirche arg verwüſtet, deren Turm einſtürzte. Von der
Kirche strich der Wirbel die Sandbergſstraße entlang , kein
Haus verſchonend , die einen eindrückend, die anderen nach
allen Richtungen auseinanderreißend. Ein großer Balken
wurde 200 Meter weit über das Feld gegen ein Haus ge-
ſchleudert, daß deſſen Mauer barſt. Am Ausgange des Ortes
wurde vor dem kleinen Anwesen einer armen Witwe ein
mächtiger Baum aus der Erde geriſſen, über den Wurzeln
abgedreht und auf das Haus geschleudert.

Witwe mit zwei Kindern, von denen ein ſiebenjähriger Knabe
am anderen Tage starb. Weiter iſt kein Menſchenleben der
Katastrophe zum Opfer gefallen, wenn auch zahlreiche Ver-
wundungen vorkamen An einem Wochentage aber wären
zweifellos allein in der Maſchinenfabrik Hunderte von Men-
schen umgekommen. Im Norden von Köln haben auf dem
linken Rheinufer die Bürgermeiſtereien Bergiſch-Gladbach und
Odenthal beträchtlich durch Sturm und Hagel gelitten. ;

Hamſter und Iltis.

Gtzt;t (Siehe das Bild auf Seite 129.)
D': Lieblingsaufenthaltsorte des zu den Nagern gehörigen
Hamſters bilden Getreidefelder in fruchtbaren Gegenden
des gemäßigten Europas und Miens. Dort graben ſie ſich
Baue mit mehreren Kammern, in denen sie im Herbſte Nah-

Dies brach unter
der Wucht zuſammen und begrub unter seinen Trümmern die

irdiſche Vorratskammer.



rungsvorräte aufspeichern. Will der Hamſter seinen Bau ver-
lassen, so streckt ſich zunächst der weiße Kopf aus der Deffnung
hervor und wittert sorgſam nach allen Seiten. Bald folgt
ein dickleibiger, plumper, braungelber Körper mit kurzen
Beinen. Er ſetztt ſich auf die Hinterbeine, erhebt den Vorder-

körper und blickt nach allen Seiten um ſich. Nichts Verdäch-

tiges läßt sich erſpähen. Beruhigt beginnt er jett sich zu
putzen, denn Reinlichkeit iſt eine hervorragende Eigenschaft
des Hamſters. Nachdem die Toilette beendigt ist, läßt er
sich mit den Vorderfüßen zur Erde herab und wandert nun
umher, um Nahrung zu suchen. Er sammelt Getreidekörner,
steckt sie in die Backentaſchen und trägt sie in seine unter-
Aber der Hamſster iſt nicht aus-
ſchließlich Vegetarier. Er nimmt auch gern tieriſche Nah-
rung, Würmer, Insekten, Cidechſen, Schlangen, und zuweilen
gelingt es ihm auch, mit hüpfendem Sprunge einen jungen
Vogel oder eine flinke Maus zu erhaſchen, die er alsdann mit
Wohlbehagen verzehrt. Unser Hamster iſt auf seiner Wan-
derung bis zum Waldesrand gekommen. Plöztlich bleibt er
stehen und erhebt den Kopf. Er hat ein verdächtiges Geräuſch
gehört und sieht jett zwiſchen Baumwurzeln halb verborgen
seinen schlimmsten Feind, den Iltis. Einen Augenblick scheint
er zu überlegen, ob er sein Heil in der Flucht ſuchen oder
den Angriff des Feindes erwarten soll. Doch Feigheit gehört
nicht zu den Untugenden des Hamſters. «Trotz seiner Klein-
heit beſißgt er ein mutiges Herz. Greift er doch sogar den
Menschen an, fährt ihm nach den Beinen und verbeißt ſich
darin. Auch unser Hamlter hat sich für den Kampf entschieden.
 
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