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182

Das B uch für Alle.

Heft 3.



kämſt du zur Buße! Wir werden hier mit offenen
Armen empfangen. Anregungen, die ich vermißt habe
~ ja, drohe nur! - Jelbſt neben dir, erwarten mich.
Ich lechze danach. Jch bin ſchlaff geworden im Er-
folg. Es muß 'mal wieder ein sriſcher Wind, ein Neid-
wind meinethalben, um mich wehen. Ich möchte mich
"mal so recht von Herzensgrund herunterreißen hören.“

„Das will ich beſorgen, “ rief Jnes lachend. „Soll
es gleich ſein? Oder kann ich erſt meine Reiſekleider
ablegen? Du thuſt es wohl lieber auch erſt. Also
auf Wiederſehen, hier bei dir!“

Sie nickte ihm zu und verſchwand mit Florence.

Klauſſens äußere Wandlung ging raſch von statten.
Seine Ungeduld wuchs mit jeder Minute. Er wollte
allein sein, was ihm, dem sonſt alles zu Gebote ſtand,
am wenigſten erreichbar war. t

Das Wesen der Liebe, welche ihn umſchlungen hielt,
dieſe leidenſchaftlich ihn umzitternde und umzüngelnde
Glut einer eiferſüchtigen, unerſättlichen Liebe, zehrte,
ob sie für Stunden ihn auch beglückte, an seinem In-
nern durch den Zwang, welchen sie seiner jede Feſſel
haſſenden Natur aufnötigte.

Als er wie ein Haſchiſchträumer damals in die
Arme der ſchönſten Frau, in die Wunderwelt ihrer
Macht und Liebe getaumelt war, als er in vollen Zügen
den süßen Rauſch in sich einſog, den Jnes nicht müde
ward, ihm zu würzen und zu reichen, damals hatte er
sein Daſein als das glücklichſte der Erde gepriesen.

Er ſah dieſes herrliche Weib zu seinen Füßen, er
las das Wonnegefühl seines Besitzes in ihren Blicken,
und willig legte sein belaſtetes Gewissen in die ver-
langend ausgestreckten Hände der Geliebten, was ſie
seiner ſchwachen Willenskraft abforderte: das Ver-
ſprechen, jede weitere Beziehung zu Greta ihr, Jnes,
zu übertragen. :

Von nun an hatte ſie die noch notwendigen Ver-
handlungen in Klauſſens Namen geführt. An ſie
adreſſierte der Rechtsanwalt seine Schreiben, an ſie
auch die Anfrage, was in Betreff des mit Geld be-
schwerten Briefes Gretas zu geſchehen habe..

Nichts! Er ſolle aufbewahrt bleiben, bis man ihn
abzufordern käme, entſchied ſie.

Dieſe Anfrage fiel juſt in die Zeit, wo Jnes die
Fernhaltung ihres Gatten von der Heimat weislich noch

zu verlängern wußte, indem sie ihn von Schottland

nach Kairo führte. ;

Die Nachricht von des Kindes Tod und Gretas
Verſchwinden, welche sie gleichfalls allein erhielt, und
die für ihr Intereſſe ein günſtiges Ereignis bedeutete,
verſchwieg sie, um nicht Klauſſens Mitleid oder gar
Reue zu erwecken. :

Mit Beharrlichkeit ſchaffte er damals an ſeiner
Kleopatra. Die Geliebte war sein Modell. Als er
ſpäter für sein Gemälde „Das tanzende Fellahmädchen“

eine Dorfſchöne in sein Atelier laden wollte, legte

Ines ſcherzend Verwahrung dagegen ein. Dieſer Wider-
spruch ſchmeichelte seiner Eitelkeit, aber die einſtige
Yatquils v. Beauremont wußte wohl, weshalb ſie
es that. ;

Es konnte ihr nicht einfallen, der Beſtändigkeit eines
Mannes zu trauen, der ihretwegen ſchon einmal einen
Treubruch begangen hatte und desſen leicht entflammte
Phantasie sie kannte.

Als sie ihn dieſe Zweifel zum erstenmal fühlen
ließ und die goldenen Feſſeln klirrten, flog der Haſchiſch-

rauſch langſam, aber ſtetig davon.
; Damit trat dem jett tauſendfach Beneideten in-

mitten allen Ruhmes und Glanzes ein graues Ver-
gangenheitsbild nahe, vor dem er freilich die Augen

ſchloß, um es in Jnes’ Armen zu vergesſſen, das aber

immer näher vor ihn trat: das Bild der verlaſſenen

. Frau, des verlaſſenen Kindes.

Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen und wie
Steine aufs Herz.

_ Sc lange hatte er keine Erkundigungen über beide

t s S
wuchs die ſchwüle Temperatur seiner Ehe. Jnes be-
wachte jede ſeiner Mienen. Von jedem Wort, jedem
Blick heiſchte ſie Rechenschaft, zärtlich, herriſch, ver-
leßend, bezaubernd. ,

Noch bis zum Frühling hatte sie vermocht, ihn in
Kairo feſtzuhalten. Dann eilte sie mit ihm nach Kon-
ſtantinopel. Hier war's, wo Klauſſen ein unwider-
ſtehliches Verlangen in ſich erwachen fühlte und gel-
tend machte, Berlin, seine zweite Heimat, wiederzu-
ſehen. So waren ſie hierher gekommen.

Ein praſſelnder Feuerbrand im Kamin ſtob in
Funkengarben empor. Hans Klauſſen erwachte aus
tiefer Gedankenlaſt. Aber der Bann zerriß nicht. Seine
Phantasie malte ihm Gretas Heim in trauter Behag-
lichkeit vor, und darin aufwachſend voll blühender Kraft
sein Knabe, ſein Hänschen.

f ghet wo war dieſes Heim? Wollte, durfte er es
uchen f ;

Der Vorhang rauſchte zur Seite. Jnes trat ein.
_ Noch lag der Friſiermantel um ihre Schultern, aber

im Haar flimmerten ſchon blitzende Steine.

legt soeben drüben alles zurecht. “

|] Schimmer über ihre wundervolle Bläſſe.



„Sieh, Hans, was ich drüben fand! Aber weshalb
langweilſt du dich hier allein? Ist das eine Jdee!
Sieh ‘mal her! Von meiner Couſine Lobmirska ein
Billet. Ganz überraſchend treſffen wir uns hier. ~
Aber weshalb ſiehſt du so ernſt aua? Das darfſt du
nicht. Sage mir, was du ſoeben gedacht haſt.“

„Quälgeist!“ sagte er wieder lächelnd und nahm
den Brief in die Hand. „Gieb her. Was weiß ich
von dieſer Couſine Lobmirska !“

Sie zog einen kleinen Sessel an seine Seite und

| drückte ſich dicht neben ihn.

„Sieh mich an!“ flüsterte ſie zärtlich. „Du Follſt
nicht solche ernſten Augen machen, das verdirbt mir
die Laune. Wir sind nun hier und wollen verſuchen,
uns zu amüsieren. Morgen kannst du müde ſein,
heute nicht. Juliette erwartet uns bestimmt zu ihrem
erſten Empfang. Lies !"

Seine Blicke überflogen gleichgültig die Zeilen.
Verdrießlich ließ er das Billet fallen.

„Heute nicht. Es iſt mir nicht möglich !"

„Nicht möglich?“ rief sie lebhaft, ohne den Kopf
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zeige, wie glücklich ich bin? Daß ich = ja, bleib
ruhig sitzen – mit meinem berühmten Manne prahlen
kann? Denn das thue ich."

Ich bitte dich, Jnes ~

„Und hörſt es doch gern. Ich möchte wissen,
welcher Mann ſsich nicht gern angebetet wüßte, “ ſcherzte
sie, seine Hand umfassend. „Du biſt dieser Mann
nicht. Der Reiz des Lebens iſt der Wechſel. Das
haſt du selbſt gemerkt. Es ist ſtets ein wonniger Reiz
für mich, sich ſcheinbar unter Fremden zu verlieren.
Je größer die Menge, deſto reicher der Gewinn. Un-
geduld und Erwartung sind so schön." Sie zog ihn
zu sich herab und küßte seine Lippen. „Und dann
mitten aus dem Glanz, aus dem Geſchwirr, aus dem
Zwang in die lauſchige Stille ~

Ines ſprang auf. :

„Du mußt Toilette machen. Ich auch. Florence
Er hielt ihre Hand fest. „Es iſt mir wirklich un-
möglich, ich bin wie gerädert. Was kann dir an ſolchem
Theegeſchwätz liegen? Ich bin zu abgespannt, deiner
schmeichelhaften Erwartung zu entſprechen. Man könnte
höchſtens staunen über deinen ſchlechten Geſchmack an
einem ſo langweiligen Mann.“ :

Ihre dunklen Augen verfinſterten sich. Auf der
ganzen Reiſe hatte ſie den Nutzen ihrer Nachgiebigkeit
in Zweifel gezogen, dieſer Aufenthalt in Berlin blieb
ihr in tiefster Seele zuwider. Sie hatte das inſtink-
tive Bewußtsein, eine Thorheit begangen zu haben.

„Das ſollſt du nicht sagen, " rief sie, ihre Rechte
befreiend. „Du ſollſt dich nicht in meine Gefühle
miſchen. Du haſt vollauf mit den deinigen gegen mich
zu thun. Da halte Umſchau. Ich fürchte, es ist da
manches nicht so, wie du es verantworten kannſt.“

Ihre eiferſüchtige Leidenſchaft wehte tn grun

as begin-
five Zucken der Naſenflügel deutete den eg.
urm an.

„Ich bitte dich, Ines, “ fiel er gereizt ein, „martere
uns nicht mit dieſen Phantaſtereien. Das einzige,

wonach mich verlangt, iſt Ruhe.“

Sie kreuzte die Arme über der Bruſt, während ihr
Blick ihm bis ins Herz zu flammen ſchien.
„Du biſt kalt wie Eis. Und warum? Was habe

ich dir gethan? Willst du eine betrogene Frau aus mir

machen? Du vernachläſſigſt mich in empörender Weide.
Und du meinſt, daß ich das ertrüge von einem Mann,

dem ich den Himmel in meiner Liebe geſchenkt habe?

Weshalb ſchweigſt du? Rede! Ich will, daß du
ſprichſt. Die Müdigkeit iſt's nicht, die dich quält, das
ſitt tiefer. Es macht dir keine Freude mehr, mich

heiter zu sehen, du kannst dir kein Opfer mehr für

mich auferlegen. Wozu auch? Ich bin ja deine Frau,
ich bin dir langweilig, ich “
„Du übersteigst die Grenzen, Jnes !“ rief er finſter.
ng?" rief ſie leidenschaftlich. „Du, du überſteigſt
die Grenzen meiner Geduld. O, wäre ich ein Modell
von der Straße, nur dein widerwärtiges Melonenweib
mit der Geiernaſe, es würde Leben in deine Augen

kommen! Aber was liegt dir daran, mir dein Bild

in her Seele feſtzubannen, wie es vor mir stand da-
mals –~ :
_ Wenn du mich wirklich liebſt, “ unterbrach er ſie,
die Hand gegen die Schläfen drückend, „so ſchweige.“
„Wenn!“ Sie riß ihm bitter lachend das Wort
vom Mund. „Wenn! Das iſt das höchſte, mir Mangel
an Liebe vorzuwerfen! Mir, die ich mich auflöse in
Sehnſucht nach dir! Aber ich bin nicht dazu geſchaffen,

Sklavin zu spielen, ich bin kein gelehriger Pudel, ich
will auch nicht büßen für meine Nachgiebigkeit, dir

hierher gefolgt zu sein. Laß mich in dein Herz ſehen!
Ich will wiſsen, weſſen ich mich von dir zu versehen
habe. Die Thoren, die unſer Glück bewundern, hierher
müßten sie ſehen, in dein gleichgültiges, heuchleriſches
Angesicht, damit sie den großen Künſtler, der den



Frauen die Köpfe verdreht, in seiner wahren Geſtalt
sehen, – ein Abscheulicher, ein Tyrann, ein herzloſes
Ungeheuer! O, es ist zu viel!“

Sie glühte vor Leidenschaft. Ihr ganzer Körper
zitterte. Sie war herrlich anzuſehen. Aber über
Klauſſens Stirn glitt kein Aufleuchten der Bewunde-
rt. ſo, wenn du kannst,“ sagte er tonlos,
seinen bewegten Herzschlag durch tieferes Aufatmen
unterdrückend.

Der Zornrauſch verſank bei dieſem Zugeständnis.
Sie breitete die Arme aus und stürzte an seine Bruſt.
Mit beiden Händen umſchlang sie ihn wie eine Beute,
welche keine Macht der Welt ihr rauben ſollen.

„Du -- dul! Stchilt mich! Ich will's, du |ſoallſt
schelten! Das Ungeheuer bin ich ſelbſt. Meinſt du,
ich könnte dir weh thun? Ich“ ~ ſie preßte ſich an
ihn - „ich liebe dich ja ſo über alle Maßen. Biſt
du böse jetzt? Das darfst du nicht sein. Ich ertrag 's
nicht. Ich will ja nur, daß du mich lieb haſt, lieber
noch als deine Kunſt, lieber als dein Leben. Sieh
mich an – und küſſe micht Wenn du's jetzt nicht
thuſt – ah, endlih, – ~

Klauſſen, sein inneres Widerſtreben bewältigend,
hatte ihre heißen Lippen mit den ſeinen berührt.

Sie jauchzte auf, eine Folge von flammenden Küſſen
auf seinen Mund drückend.

„Was marterſt du uns?“ fragte er halb erstickt von
dieser glühenden Reue. „Mußt du ewig an meinem
Herzen zerren? Ewig Dornen zwiſchen die Roſen deiner
Fiss ſcn. die mich verwunden, wo ich Glück empfin-
en sollte?"

Wie er sie in den Armen hielt, ihren verſchleierten
Blick in den seinen verſinken ſah, den wildflutenden
Strom ihrer Leidenſchaft über sich hinbrauſen fühlte,
wandelte sich sein Unmut in Zärtlichkeit. Er zog ſie
auf seine Kniee, die tauſend Liebespoſſen, mit welchen
f lch und ihn übersſchüttete, durch Liebkloſungen ver-
eltend. |
y „Laß uns daheim bleiben, du süße Quilerin!"
flüsterte er, ihren Arm um ſseinen Hals legend. „So
wie jezt! Was kann's Schöneres geben?“

Sie dachte nicht daran, nachzugeben, nur ein Zu-
geständnis wollte ſie bewilligen.

„Wenn du so müde biſt, ſchlafe!“ flüsterte ſie, ſich
an ihn ſchmiegend. „Ich fahre voran, du folgſt. Aber
um zehn Uhr mußt du bei Juliette sein. Ich zähle
die Minuten. Eine, zwei ganze Stunden Ruhe ſchenke
ich dir. Willſt vu? Sagſst du nein, nehme ich dich
gleich mit mir.“

Der Rauſch verflog. Eine ſchmerzende Kälte ging
ihm abermals durchs Herz und ein tiefes, unendliches
Sehnen nach Einsamkeit. :

„Ich komme!“ ſagte er, ſie von ſeinem Knie gleiten
laſſend.

Sie lachte, drohte ihm mit dem Finger und ging

aus dem Zimmer. In der nächſten halben Stunde

htte er ihren Wagen unter seinem Fenſter vorüber-
rollen.

Allein!

Klauſſen warf sich auf den Diwan. Die Jeſſeln,
mit welchen Jnes ihn umspann, ſchnitten ihm tief ins
Fleiſch. Der Schmerz dauerte noch fort. Durch die
geſchloſſenen Augen glaubte er Jnes' Doppelbild so klar
zu erkennen, ihr ſchmelzendes und rachſüchtiges Lächeln,
ihre Hingabe und Fühllosigkeit, daß ihm die Lider
davon zu brennen begannen.

Eine Zeit gab's, da beleuchtete die Sonntagsmorgen-
sonne ein Madonnenantlitz unter Heckenroſen. :

Seine Phantasie stellte auch dieſes Bild so greifbar

deutlich vor ihn hin, daß. seine Bruſt mit wachſender

Pein sich zuſammenſchnürte. .
Sein sanftes, geduldiges Weib, an dem seine Leiden:

schaft zum Verbrecher geworden! Sein verlaſſener Sohn!

Wo weilten sie? Er hatte ein Recht, nach dieſem Knde

zu verlangen, ein gesetzliches und natürliches Recht.
Er durfte es ſehen und ~ das flüſterte ihm der Wwunſh

ins Ohr ~ mit ihm die Mutter.
. Der Reuepfeil, der unter seinem Herzen ſtak un
fortzitterte, deſſen Gift ihm schon lange die Adern dureh _

floß, ließ ihn aufspringen.
Die heiße Luft im Zimmer, das züngelnde Glüh-

rot im Kamin, der Fliederduft, welchen JInes' Um- s
armung zurückgelaſſen, benahmen ihm den Atem. Er
trat in den Gang hinaus, ließ sich den Mantel um

werfen und eilte die Stufen hinab, ins Freie. .
Der Herbſtwind fegte durchs Brandenburger Tnſe

die Linden entlang. Klauſſen, den Schlapphut feſtee.
in die Stirn drückend, verfolgte beflügelten Schritte.
die Richtung, welche seine Gemütsverfaſſung ihm be.
An der Ecke rief er ene
Droſchke heran, nannte sein Ziel und warf sich hinzän.
Fort ging's auf dem glatten Asphaltpflasſter des Dr
mes, die Friedrichſtraßzke hin. .

dingungslos vorſchrieb.

Klauſſen sah finster über die Köpfe der vorüber.

gleitenden Menſchengesſtalten hinweg. Plötlich aber
erſchütterte eine heftige Bewegung seinen ganzen Körphee.

Diese Hünengeſtalt mit dem blonden Vollbart, dieses .


 
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