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278
tte verſezte Ines, ihrer Seelenqual kaum noch
errin.

„Hier iſt das Flacon, Madame," flüſterte Florence

demütig. „Ich warte nebenan.“
ie hatte den Vorhang noch nicht völlig hinter sich
geſchloſſen, als Jnes, den Glaspfropfen fortſchleudernd,

den Inhalt des Flacons auf einen Zug hinunterſtürzte.



m .

Nach grollenden Stürmen war's doch endlich Früh-
ling geworden. In der warmen Erdhülle regten ſich
die treibenden Kräfte, die nährenden Säfte. Hinauf
zum Licht ſproßte das dankbare Grün. : ;

Das Großſtadtleben drängte zum Thor hinaus ins
Freie, wo ſich der grüne Dom des Tiergartens zu
dichten begann. Um den Goldfiſchteich ſpielten lustige
Kinderſcharen. Ihr Jauchzen und Lachen schallte überall.

Den Fröhlichſten der Fröhlichen führte Greta an
der Hand. Der kleine Burſche im braunen Sammet-
röckchen wußte nichts mehr von der Angst, mit der
sein Vater ihn beim erſten Alarmruf im Zirkus an ſich
geriſſen. Niemand dachte überhaupt noch an das Vor-
kommnis, das keine ernsteren Unfälle im Gefolge ge-
habt hatte. '

s the Greta that's ohne Unterlaß. Sie wollte es
nicht, sie kämpfte dagegen. Aber ehe sie es gewahr
ward, spannen ihre Gedanken den Faden weiter.

Ihre Freunde meinten, der Schreck habe sie ver-
ſchüchtert und hielten deshalb alle Aufregungen von
ihr fern.

h Viel später, als es ſich vollzogen, erfuhr daher
Greta das Ereignis, welches eine Zeitlang das All-
gemeinintereſſe beherrſchte, bis neue Begebenheiten es
auslöſchten: Jnes' jähen Tod, der in der Nacht nach
dem Zirkusbrand an Herzſchlag erfolgt war.

So ward es bekannt gegeben und bedauert.

Auch eine andere Thatſache erfuhr Greta nicht, die
manches empfindſame Gemüt erſchütterte : daß Klauſſens

dunkles Haar vor Gram um den Verluſt der geliebten

Gattin gebleicht ſei.
So war's in der That geſchehen in jener Nacht
und in der darauf folgenden Morgenſtunde, welche
Klauſſen an das Lager Raoul Beauremonts führte.
Die Welt bekam nichts zu hören von Stlandal-
geschichten, nichts auch vom Wiederersſtehen eines Tot-
geglaubten. Der Tod breitete ſeine feierlichen Schwingen
über alles Geschehene. Die Siegel, welche er den
beiden Ueberlebenden, Hektor v. Beauremont und Hans
Klauſſen, auf die Lippen drückte, wurden nie verlett.
Nur das eine erfuhr Greta, daß Klauſſen bald dar-
auf Berlin verlaſſen habe, um ſeinen dauernden Wohnsitz
in München zu nehmen. Ebenſo, daß er vor ſeiner
Abreiſe den gesamten Hausrat bis auf das letzte An-

denken an die Verſtorbene unter den Hammer gebracht,

um keinen Zeugen ſeines zerſtörten Glückes in die neue
Heimat zu nehmen, ſagten die Leuee.

Die junge Frau nahm diese Nachrichten mit einer
Herzensruhe auf, die sie ſelbſt in Staunen ſette. Ver-
gebens rief ſie, sich dieſe Ruhe zum Vorwurf machend,
Erinnerungen wach, die ihr einſt teuer gewesen waren,
vergebens spornte ſie ihr Mitleid an. Die Stätte
ihres Herzens, darin Hans Klauſſen geherrſcht, war
leer. Sie konnte sich ohne Weh und ohne Wonne an
seine Seite zurückverſetßen, gleichwie sie ohne peinliches
Gefühl der Leidenschaft ihres Jugendfreundes Niklas
Meißner gedachte. .

Wie draußen die Natur ſich täglich herrlicher ent-
faltete, ſo fühlte Greta auch ihre Seele mit friſcher
Kraft ſich füllen, mit Lebensluſt und Lebensdrang.

Der Abend, welcher ihr beinahe das Leben gekoſtet
hätte, war ihr Frühling geworden. Was wohlver-
borgen in Olafs Bruſt ſich für ſie regte, die große
Herrſcherin Not hob es ans Licht. Ein flüchtiger Mo-
ment lüftete die Maske wunſchloſer Freundſchaft, ließ
Greta den Blick der Liebe ſehen. Und ſsiegreich war
er ihr ins Herz gedrungen.

Wie unermeßlich groß mußte eine Liebe sein, der
ein Vergehen mit ihr ſchöner dünkte als die Gewiß-
heit eines von Erfolg gekrönten Lebens ohne sie, die
ihre Flügel in der Gefahr um ſie gebreitet hatte, un-
erſchrocken und ſselbſtlos bis zum letten Atemzuge.

Andachtsvoll schaute die junge Frau zu dieſer Liebe
auf. Sie, die nichts kennen gelernt als das Ungeſtüm
und die Ungeduld entbrannter Leidenſchaft. Wie ein
Hauch tiefster Ruhe und Sicherheit überkam sie die
Empfindung immer von neuem, welche ſie in Olafs
Armen empfunden. Und ein Glücksgefühl ohne Grenzen
ließ sie mit Sehnſucht das Geständnis des geliebten
Mannes erwarten. – –~ -
Ö Ungeübt in Herzensſachen und mißtrauiſch gegen
ſich selber hatte Olaf, nachdem er im Drange eines
Augenblicks seine Liebe verraten, Greta gegenüber ein
Verhalten eingeſchlagen, von dem allein er ihr ferneres
Verbleiben im Hauſe seiner Freunde abhängig wähnte.
hz felt: ſie vergeſſen machen, ſie über seine Gefühle
äuſchen. ;

Die Röte ihrer Wangen, mit der sie an jenem



Das. Buc< für Alle.

Herbſtmorgen in der Pension Klauſſens gedachte, fiel
ihm immer aufs neue ein. Er hätte ein Weib nicht
für ſich begehren mögen, deſſen flüchtigſter Gedanke
auch nur einem Schatten vergangenen Glücks nacheilte.
Selbſt wenn dieſes Weib ihm Leben, Liebe, alles be-
deutete, was Gretas Beſit seinem Herzen verhieß.
Drum ging er entſchloſſen seinen Weg. Er ſchämte
ſich, ke Blick frei auf sie zu richten, ja er fürchtete
ich davor. ; j

| ) Enplich aber fühlte er seine ſittlichen Kräfte in dem
dauernden Kampf erlahmen und ſich in ſeiner Schaffens-
freudigkeit geſchwächt.

Am Sphpiätnachmittag eines ſonnendurchleuchteten
Maitags trat er in Frau Winters Gemach. Es war
leer. Auf der Schwelle des angrenzenden Zimmers
aber _" Gretas Gestalt. Als sie ihn erblickte,
errötete sie.

„Es ist niemand da, außer mir, " sagte sie. „Wenn
Sie etwas warten wollen –

„Ich könnte ſchon, “ sagte er unſchlüſſig. „Den
Abend wollte ich eben bei Winters +"

Ihr reizendes Antlitz ſenkte sich, die Freude zu ver-
bergen, welche darin aufleuchtete.

„Winters werden ſich gewiß sehr freuen. Jn-
zwiſchen ~ Sie ſind erhitzt - eine kleine Erfriſchung ~

„Ich bin nicht erhitzt,“ antwortete er, näher ſchrei- |

tend. „Für mich brauchen Sie keinen Gang zu thun.
Ich komme wieder. In einer Stunde geht der Junge
zu Bett, da muß Frau Winter zurück sein. Hier iſt
etwas" – er zog ein Päckchen aus der Bruſttaſche
„Damit mich der kleine Kerl nicht vergißt.“

„Vergißt?“ fragte Greta so raſch, als ob ihr der
Atem ſstocke. „Wie soll er vergeſſen "

„Ich habe noch auswärts zu thun. Ich

Er schämte ſich der wunderlichen Komödie. Seiner
unaufrichtigen Haltung ſchämte er sich in diesem Mo-
ment. War denn sein Gefühl nicht ehrenwert? Wann
hatte er je hinter dem Berge gehalten mit dem, was
er an sich zu ſchäten berechtigt war?

Mit einem tiefen Atemzuge warf er alle Bedenken
beiſeite und trat auf Greta zu.

„Ich denke, Frau Greta, daß nichts Unrechtes darin
liegt, wenn ein Mann, der mit seinem Herzen nie
leichtes Spiel gehabt hat, seine Stunde gekommen
fühlt. Nicht wahr, man kann irren? Das iſt ver-
zeihlich. Man muß nur nicht verleßen wollen. Und
davon iſt nie die Rede gewesen bei mir.“

Sie stand in nie gekannter Beklommenheit da, mit
ganzer Empfindungskraft den Worten lauſchend, welche
er mit gedämpfter Stimme ſprach.

„Wir ſind ja beide versſtändige Menschen. Wollen
'mal ganz ehrlich gegeneinander sein. Sie glauben
mir einigen Dank schuldig zu sein + nicht wahr?
Darin haben Sie vielleicht recht. Ich bin mit meinem
Gefühl weiter gegangen, damals im Zirkus. Warum
sollten Sie nicht wiſſen, daß Sie ein Herz beſaßen,
ein treues, Sie innig liebendes Männerherz, dem das
Leben ohne Sie ~ na, das iſt nun vorbei. Es thut
mir leid, daß ich Ihnen Unruhe verschafft habe, aber
die Wahrheit iſt + ich kann nun jetzt nicht anders,
als ehrlich sein ~

Die Blumen waren ihrer Hand entfallen. Sie war
sehr bleich geworden. :

Er trat ihr nicht näher. Aber durch ſeine Stimme
Hang das tiefe Weh, welches ihn aus Gretas Nähe
annte. ..

„Die Wahrheit ist,“ sagte er leiſer, „daß ich Sie

noch immer liebe und immer lieben werde. Es iſt

kein Unrecht, wenn ich Jhnen das bekenne und wenn
Sie's anhören. Ich möchte ~ es iſt das mein in-
nigſter Wunſch ~ Sie glücklich wiſſen. Deshalb gehe
ich. Es peinigt Ihr gutes Herz, ich weiß es, mich
mit leeren Händen ſo ~

Sie hielt ihm bebend die ihren entgegen. Er nahm
ſie –~ bis ins Jnnerſte erſchüttert, äußerlich sich ein
Lächeln aufzwingend. .

Sie"tdenlen, vat zz § . Si ? Fry engelzgut. 'oruu
sind Sie zu rein, zu edel. Also wir ſind nun klar
über uns, nicht wahr? Denken Sie auch nie, daß ich
Ihnen einen Vorwurf mache aus Ihrer Neigung für

„Für wen?“ fiel sie mit ſchwankender Stimme ein.
„Doch nicht für ihn, meinen Sie, der mir das Bitterſte,
das Ungerechteſte angethan, was einer Frau zuleide
gethan werden kann? Der mir — o, ſchweigen wir
davon! Es iſt vorbei, vergeſſen, verklungen, wie der
Name des Urhebers." Sie richtete ſich auf und sah
ihm frei ins Auge. „So konnte Ihre Liebe irren?
So ganz und gar mich verkennen? Wenn damals
beim erſten Wiedersehen meine erregten Gefühle inein-
her floſſen nach dem, was ich gelitten und ver-
oren :

Er drückte ihre Hände in glücklicher Beſtürzung.
„So iſt es nicht wahr? Nicht wahr, was mich ver-
zweifeln machte?"

„Wie könnte ich Ines Beauremonts Gatten lieben !“
sagte ſie, ſeinen Druck sanft erwidernd. „Jn dieſem
Augenblick haben Sie mir wehgethan. Ü



Heft 12.

„Greta!“ Er beugte sich nieder und küßte ihre
Höype, preßte ſie an ſeine Bruſt und ließ ſie plötzlich
ſinken.

„Verzeihen Sie –~

Es kostete ſie keinen Kampf, das Gesicht lächelnd
zu ihm zu erheben. „Der Mann, den ich mit aller
Kraft meines Herzens liebe + ſind Sieln.

Fs Er stieß einen Jubelſchrei aus, der ſie ſelig durch-
hauerte.

„Ich? Und du — mein? Mein!/ :

Er zog sie in seine Arme. Sie umſchlang ſeinen
Hals. So standen sie lange, unter der Fülle ihres
Glückes verſtummend.

Jahre rollten dahin.

In der Gemäldeaussſtellung am Cantianplay in

Berlin war wieder ein reger Menſchenzuſammenfluß.
Besonders wurde ein Gemälde umlagert, als deſſen
Schöpfer der Katalog den Namen Hans Klauſsen nannte.

Es war ein wunderbares Bild. Einfach in ſeiner
Erfindung, zauberhaft schön in seiner Ausführung.

Ein schlafendes Kind unter blühenden Roſenranken.

Man wollte wiſſen, der blondlockige, Ileine Schläfer
trage die Züge eines verſtorbenen Kindes des Meisters.
Er habe ſie aus der Erinnerung wiedergegeben. . . .

Durch den Eingang des Saales ſchritt eine junge
Frau am Arm ihres Gatten. Jedes ein Kind an der
Hand führend, Knabe und Mädchen.

Das liebliche Antlit des jungen Weibes deckte ein
dichter Schleier. Niemand ſah, was in ihren Zügen
sich widerſpiegelte. : f

Vor dem Gemälde blieben alle vier ſtehen.

q hztet: hob ihren Arm aus dem Olafs. Sie faltete
ie Hände.

Ganz so hatte ihr Hänschen an jenem letzten frohen
Abend ausgesehen, als ſie mit ihm am Fenſter ſtand
und die Lindenblätter im Winde ſpielten. So, ganz
so war er lächelnd in ſeiner Wiege entſchlummert.

Der ältere Knabe flüsterte ſeinem Vater ins Ohr.
„Papa, Mama weint ja!“

Das kleine Töchterchen aber klammerte ſich feſt an
der Mutter Hand. . .
r M Ltr Lt u

En d e.



Ams Geld.

Roman aus dem Wiener Leben.
Von Guſktav Iohannxes Kraut.

(Nachdruck verboten.)
Erltes Kapitel.

AY uf dem breiten Fahrdamm der Hauptallee des
Wiener Praters drängen ſich die Wagen. JFiater,
die ausſehen wie die Equipagen roſſekundiger

Grafen und Fürsten, Privatwagen, deren Ge-
spanne ſich vor einer kaiserlichen Prunkkaroſſe ſehen
laſſen könnten; dazwiſchen freilich hie und da einge-
sprengt ein mühſeliger, klapperiger Einſpänner von
jener Sorte, die der Wiener in halb unbewußtem
Spotte „Komfortables" nennt. In langſamem Schritte
rückt die sechsfache Wagenreihe vorwärts; eine will-
kommene Augenweide für die Scharen der Gaffer, die
in dichtem, ſchwarzem Gewimmel ſich rechts und links
der Fahrbahn drängen, wie zum Auszug sich ſammelnde
Bienenvölker.
Prangtag der berühmten Wiener Frauenſchönheit. Gin
Farbenrauſch heller, bunter Toiletten, alle mit eigen.
artigem, entzückendem Geschmack zuſammengeſtellt,
hrtlber blühende Wangen und blitzende, übermütige

ugen.

. Wiener iſt ein gutmütiger, neidloſer Gesell.
Die es nicht ſo gut haben, mitfahren und mitprunken
zu können, finden ſich leichten Herzens mit der That-
sache ab, „daß ja auch Leut’ zum Zuaſchau'n daſein
müſſen“, und bewundern aus Leibeskräften. Wenn
eine bekannte Persönlichkeit dahergefahren kommt, läuft
ihr Name neben ihrem Wagen her durch die Reihen der
Zuſchauer. Zumal die beliebten Schauſpielerinnen
genießen diese Ehre. Das fröhliche Plaudern und
Rufen aber weicht einer aufgeregten erwartungsvollen
Stille, wenn der Wagenſtrom sich vor dem Winken
und Rufen der berittenen Poliziſten rechts und links
zur Seite staut, um in der Mitte freie Bahn zu laſſen.
Dann erhebt ſich alles auf die Zehen und reckt die
Hälſe. Kommt dann durch die offene Gaſſe ein Hof-
wagen in gestrectem Trabe hergeſauſt, den federbuſch-
umwallten Leibjäger auf dem Bock neben dem olym-
pf err) Relenter lewaut te esl
Eci allem ,ein biſſel a Hetz“ ſein, selbst. beim Patrio-
ismus. : .. j
„So, jetzt hab’'n wir 'n Kaiser g'sehn, jeßt ſhaun.

Der erſte Mai iſt der Prunk. um


 
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