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314

haben möcht'! Und aufg regt war ſie! –~ Da hat sie

ſchon g'ſagt, wenn ein Millionär käm’, ſie würd' ihn
nehmen. Wir haben g stritten . . ."

Fanny stockte und wurde glühend rot. Jhr war
eingefallen, welchen Vorwurf ihr Eva bei jenem Streite
ins Gesicht geſchleudert hatte. Einen Herzſchlag lang
kam sie ſich ganz verworfen vor, daß ſie hier neben
Franz ging und die Schwester schlecht machte.

Dann ſc<üttelte ſie die Regung zornig ab. Unsinn!
Was sie that, war Menſchenpflicht. Und ihre Pflicht
mehr als die irgend eines anderen. Die Schwester der
Frevlerin mußte doch das arme Opfer stützen, daß es
unter dem Streiche nicht zuſammenbrach. Und ſie that
das ohne jeden eigenſüchtigen Hintergedanken. Zwiſchen
ihr ſelbſt und Franz konnte es nie mehr geben, als eine
kühle Freundſchaft. Sie war häßlich, ja, und Eva
war ſchön ~ aber deshalb brauchte ſie noch nicht den
Mann zu nehmen, der vor ihren Augen um Eva ge-
weint hatte..

"het kommt's mir vor,“ sagte ſie weiter, „als
hätt' ich's gewußt, damals schon, was geschehen war.
Tag's drauf war eine Annonce in der Zeitung, die
Un f He hto cost het: mp hay het Fc 42
Und wie ich einen Fuß aus 'm Haus gſſett hab’, hat

ie Brief g'ſchrieben. Vor meinen ſcharfen Augen
hat sie ſich g'hütet. Sie hat g'merkt, daß ich ſie durch-

ſchau! Na und heut’ hat ſie's ſelber an den Tag

'bracht, was sie die ganze Zeit so fein g'ſponnen hat.

Schnell hat sie ihn übrigens verrückt gemacht, den
reichen dummen Kerl.“
Neumeier hatte so ruhig zugehört, als ginge die
Sache einen anderen an, einen ganz Fremden.
Das ging Fanny auf die Nerven.
doch was !“ fuhr sie ihn faſt zornig an.
„Was ſoll ich ſagen?" antwortete der junge Mann
trübe. „Jch kann Ihnen nur danken, Fanny, für
Ihren guten Willen. Und ich glaub’, Sie haben mir
wirklich eine Wohlthat erwieſen, daß Sie mir das er-
zählt haben. Wenn ich so ganz ahnungslos zu ihr
gekommen wär’, und sie hätt’ mir meinen Ring wie-
dergegeben, es wär’, glaub’ ich. . ."
"Er brach ab; Fanny sagte nichts und wartete, ob
er weiter ſprechen würde. Das that er auch nach einer

„Weile. -

„Schaun S’, Fanny, während Sie mir jett er-
zählt haben, wie sie . . . die Eva, mich betrogen hat,
hinter meinem Rücken mit dem anderen angefangen
hat ~ = ich hab’ Jhnen zugehört, gewiß, jedes Wort
hab' ich g'hört ! ~ Aber zugleich hab' ich zurückgedacht,
an die ganze Zeit unſerer Verlobung. Und da bin ich
inne worden, daß ich eigentlich immer so etwas er-

wartet hab’, ohne es ſelber recht zu wiſſen. Nicht,

daß sie ſo ſchlecht gegen mich ſein würde ~ das ist
mir unerwartet gekommen, ſehr unerwartet, und hat
mir sehr weh gethan ~ aber daß ſie niemals meine
Frau werden würde. Sie iſt mir immer sſo anders
vorgekommen als ich, ſo nicht zu mir paſſend. Ich,
ſo ein einfacher Menſch, nichts weiter als ehrlich und
rechtſchaffen, aber ſo gar nicht nobel und vornehm. Und
sie – wie eine verkleidete Prinzeſſin. So schön –
und so geſcheit! Am deutlichſten hab' ich's g fühlt,
wenn ich nicht mitkommen hab' können mit ihren Ein-
fällen und Reden. ~~ Und schaun S’, Fanny, wenn
ich's ſo recht überleg’, kann ich ihr ihre Schlechtigkeit
nicht einmal übel nehmen. Wer's in seiner Natur
hat, daß er oben ſtehen kann und ſoll, und das Leben

hat ihn unten hing. stellt, ſo wie die Eva, ich glaub,

in dem muß so ein wilder Trieb sein, so eine Art
Heißhunger. Hinauf, hinauf ~ kost's, was 's koſt't.
. Und wenn ſich ſo einem dann eine Möglichkeit zeigt,

î hinaufzukommen, wenn er nur ein biſſel ſchlecht und

hart sein will, ein Herz zertreten, oder ſo was, dann
sragt er nicht viel. Er kann gar nicht lang fragen.
Es reißt ihn fort, ob er will oder nicht. ~ Und so
iſt's, glaub’ ich, der Eva 'gangen.“

Seine Stimme war gegen das Ende ſeiner Rede
immer leiſer geworden, wie im Selbstgeſpräch. Jetzt
schwieg er ganz und roch wieder mechaniſch an seinen
Maiglöckchen.

Fanny schritt neben ihm her, die Augen auf das
Pflaſter geheftet, die Unterlippe so fest zwiſchen die
Zähne gezogen, daß ihr Kinn ein wunderlich verkürztes
Ausſehen bekam. In ihrer Bruſt war ein tobender
Sturm der widerſprechendſten Gefühle. Sie haßte den
Mann an ihrer Seite, daß sie ihn am liebſten mit
Zähnen und Nägeln angefallen hätte, weil er den
Schimpf so weichmütig und heduldis hinnahm und die
Verbrecherin noch entſchuldigte. arum? HWeil ſie
ſchön war, dieſe Eva. Und vielleicht gerade deshalb,
weil ſie ihn so ſchlecht behandelte. Die Menſchen ſind
wie ſchlechte Hunde. Der ſie streichelt, den beißen ſie,
und kriechen vor dem, der ſie prügelt. Der Say zuckte
ihr ſo durch den Sinn. Sie wußte nicht, ob ſie ihn
irgendwo geleſen hatte, oder ob er ihr ſelbſt eingefallen

wor Sic glaubte diesen Franz zu haſſen, und zugleich
fühlte sie ſich zu ihm hingezogen. Denn diese Art,

„So reden S'



. Da s V u < für. Alle.

den Schmerz in sich zu verarbeiten, das Bittere, das
ihm widerfuhr, ſo zu betrachten, als wäre es einem
anderen geschehen, darüber nachzudenken und durch das
Nachdenken ihm den Stachel zu nehmen, war ihr wie
ein Widerſchein, wie eine Rücksſtrahlung des eigenen
Wesens. Es lag vielleicht nicht ursprünglich in ihr,

aber sie war allmählich dazu erzogen worden, durch

die tauſend Demütigungen und Zurückſetzungen, die
das Leben neben der ſchönen und begabten Schweſter
ihr von Jugend auf faſt täglich gebracht hatte. ~ Sie
fühlte die innere Verwandtſchaft zwischen ſich ſelbſt und
Franz, dieſe Verwandtschaft, die faſt eine Gleichheit
war, und das Gefühl hatte etwas wehmütig Süßes
für ſie. Aber troßhdem ~ er durfte nicht ſo sein, er
war ja ein Mann!

Die feindselige Stimmung bekam wieder die Ober-
hand in ihr, als ihr Franz den Ring, den er ſich vom
Finger gezogen, jetzt hinreichte.

HGeben S’ ihr den Ring zurück, Fräul’'n Fanny.
Den meinigen kann sie mir ſchicken. Und ich laß ihr
alles Gute wünſchen . . .

Sie fuhr ihn barſch an: „Das werd ich bleiben
laſſen! Gehen Sie nur ſelber zu ihr. Soll ihr auch
das erſpart bleiben, Jhnen ins Gesicht bekennen zu
müſſen, daß sie falſch und heimtückiſch war gegen Sie?
So leicht darf man den Leuten die Schlechtigkeit nicht
machen. Auch den verkleideten Prinzeſſinnen nicht.
Gehen Sie nur ſelber. Wenigstens ſeh'n Sie ſ’ noch
einnal. Die Sehnſucht danach schaut Ihnen ja aus
'n Augen heraus.“

Er hörte ihre bitteren Worte mit geſenktem Haupte
sf Dann sagte er tief Atem holend: „Gehen wir
alſo.

Frau Rauſcher, die den beiden öffnete, ſchoſſen beim
Anblicke Neumeiers die Thränen in die Augen.

„Jeſſes, Jeſſes . . . Herr Neumeier! ~ Haſt du's
ihm ſchon erzählt, Fanny?"

Das Mädchen nickte, und die alte Frau haſchte
ha der Hand des Mannes, der schweigend vor ihr
tand.

„Sie armer Mann! ~ Ich weiß gar nicht, wo
mir der Kopf steht! – 's is ja wahr, ſie macht ihr
Glück, .i. Eva, was man so ſein Glück machen heißt
rr aber... :

Die Stimme versagte ihr. Sie drückte nur Neu-
meiers Hand wieder und wiede.

Er sagte ruhig: „Laſſen S' nur, Frau Rauſcher!
Sie können ja nichts dafür. Vielleicht die Eva auch
nicht. Es hat halt ſo kommen müssen, wie's kommt."

„Mir iſt's so hart!“ wehklagte die alte Frau.

Um den Mund des Mannes zuckte ein trauriges
Lächeln. „Mir noch mehr. Aber was hilft das? Man
yu überwinden. Und jetzt will ich hineingehen
zu ihr.“ :



Zwölftes Kapitel.

Als Neumeier zu Eva in das Zimmer trat, ſtand
ſie inmitten des Raumes und sah ihm voll entgegen.
Ihr Gesicht war etwas bleich, ihre Augen glänzten
ein wenig aufgeregt. Aber der Ausdruck ihrer Züge
verkündete feſte Entſchloſſenheit.

Ein paar Augenblicke lang standen sich die beiden
Menſchen stumm gegenüber in dem durch die Fenſter
hereinflutenden Sonnenschein. Dann brach Eva als
Erſte das Schweigen. :

„Ich seh' dir's an, Franz,“ ſsagte sie, „daß du
ſchon weißt, wovon wir reden werden.“

Er nickte. „Deine Schwester iſt mir begegnet. Die
hat mir's geſagt. Ü ;

„Sie iſt dir entgegengegangen, " ſagte Eva mit Be-
tonung, „und hat dir die Sache dargeſtellt, wie ſie ſie
ferſeht Und sie versteht sie nicht richtig. Sie ist zu
ehr Partei.".

„Doch höchſtens Partei für dich?“

„Nein, Franz!“ antwortete das Mädchen bestimmt.
„Für dichi Wenn du es nicht weißt ~ ich hab'
mir's lang gedacht und neueſtens weiß ich's, daß sie
dich liebt von allem Anfang an. Und ich bin auch
überzeugt, daß auch du ſie geliebt hättest, daß du heute
ihr Verlobter wärst und nicht der meine, wenn ...
wenn eben ich nicht dazwiſchen gekommen wäre. Ü

Die Eröffnung wirkte wie ein Keulenſchlag auf
Neumeier, trotz des ruhigen Tones, in dem sie gemacht



arme Mensch. „Nie! Ich hab' mir gesagt, wie ich
das gehört habe: Ich verſteh' nicht, wie das hat lom-
men können, und es thut mir weh. Aber wenn's
! Eva thut, kann's nicht gemein sein. Nur hart...
ehr hart !“ ;

, gts blickte zu Boden. Leise ſagte ſie: „Und jett
stell’ dir vor, wie alles gekommen iſt. Im Anfang,
wie wir uns verlobt haben, hab’ ich natürlich nichts
gewußt. Sonst hätte ich dir nie mein Jawort ge-
geben, so gern ich dich gehabt hab'. Dann hat mich
das veränderte Weſen der Fanny darauf gebracht. Sie
hat dich ja zuerſt kennen gelernt. Ich hab' ſie beob-
achtet und ihr auf den Zahn gefühlt, und hab' bald
Gewißheit gehabt. – Von dem Augenblick hab ich
keine Freud’ mehr gehabt von unserer Liebe. Mehr
als einmal hab’ ich zurücktreten wollen. Aber ein
Mädchen schaudert vor ſo etwas zurück. Ich hab' den

| Mut nicht g'habt. Da iſt mir der andere in den Weg

getreten. Und ich hab' mir gedacht: fang' mit dem
an, dann kommt alles andere von ſelber nach. Und
dann ~ ich hab’ mir gedacht, wenn ich ſchon in der
Lieb’ kein Glück hab’, so will ich wenigstens reich ſein,
reich und mächtig. Daß er ein alter Mann iiſt,
mein Zukünftiger, iſt mir gerade recht. Mir iſt's
ja nicht um ihn zu thun. Um ſeine Stellung in der
Welt iſt mir's und um ſein Vermögen. Ich will ihm
eine brave Frau sein dafür, ſo daß er immer noch
keinen schlechten Handel macht.“

Sie mußte abbrechen. Ihr Atem ging stürmisch.

| Faſt hätte ſie ſelbſt über das rührende Bild geweint,

das ihre Handlungsweise in dem raffiniert gewählten
Lichte, in das sie die Sache ſtellte, darbot.
Franz weinte wirklich. Seine Augen waren naß;

.das stürmiſche Hervorbrechen der Thränen konnte er
nur mit Mühe zurückhalten. Er ſtand vor Eva in :

t! Haltung, als wäre er der Verbrecher, und sie die
ichterin.

Das Mädchen zog den Verlobungsring vom Finger.
„Und jett wollen wir uns Adieu ſagen, Franz. Nicht
in Böſem, sondern wie zwei Menſchen auseinander-
gehen, die das Schicksal halt auseinander treibt.“

Franz hatte, wie mechaniſch nachahmend, was sie
that, seinen Ring gleichfalls abgeſtreiſt. Dabei be-
merkte er, daß er ſeinen Maiglöckchenſtrauß immer noch
in der Hand hatte. Als die Reifen ausgewechſelt
waren, hielt er Eva die Blumen hin.

„Nimm sie,“ sagte er bittend. „Wie ich ſie heut'
früh gekauft hab', warst du noch meine Braut. Sie
gehören dir. Und . . . und möcht' es dir recht, recht
wohl gehen.“ /

Er wandte sich kurz ab. Ehe Eva, die mit dem
Strauß in der Hand ganz erstaunt daſtand, noch ant:
worten konnte, hatte er das Zimmer in fluchtähnlicher
Eile verlaſſen. Und gleich darauf fiel auch draußen
die Wohnungsthür ins Schloß.

Eva trat mit nachdenklichem Geſicht ans Fenſter
und sah ihm nach, wie er mit langen Schritten die
Straße hinabeilte. Als er um die Ecke gebogen und
ihren Blicken entſchwunden war, trat ſie vom Fenſter
weg und besah den Strauß in ihrer Hand, als wollte
ſie die weißen Blütenköpfchen an den Dolden zählen.
„Ein ſeelenguter Menſch !“ dachte sie und roch an
Uu mes „Gegen ihn bin ich doch das richtige

euſal. “ :

Aber gleich darauf warf sie unmutig den Kopf in
den Nacken. Kam die thörichte Sentimentalität ſchon
wieder? Wollte sie ihr jezt, da das Ziel erreicht war,
die Siegesfreude vergällen? Und wer ſagte ihr denn,
daß sie wirklich ſchlecht gehandelt hatte gegen ihn?
Vielleicht war das Märchen, das sie ihm erzählt hatte,
jet leſi Regtrh ſesteit die Mahrttt. vi tis en
im Wege stand, war der innere Antrieb ihres Han-
delns gewesen.

So klar freilich war ihr die Sache nicht. Aber ihr
ſelbſt unbewußt mochte sie in ihrer Seele gewirkt haben.

Und selbſt wenn es ein Märchen war, was sie ihm

erzählt hatte, ſo war es ein wohlthätiges. Wolhlthätig

für Eva ſelbſt, für Franz und für Fanny. Es er.
leichterte allen dreien das, was kam, weil es kommen

"tt: gelang ihr überraſchend ſchnell, ihrer inneren
Unruhe Herrin zu werden. Als der störende Anfall

von Gewissensregungen vorbei war, lachte ſie über ſch

elbſt.

wurde. Er wurde blaß und wieder rot. Seine blauen | ſelbst

Augen sahen Eva flehend an, mit einem hilflosen,
gequälten Ausdruck, wie die eines geängſtigten Kindes.
; :2 hit dich, Eva . . .!“ stieß er hervor, „ſag'
as nicht!“

„Ich muß es dir sagen,“ antwortete das Mädchen
iu f?tiden Tone. Aber ihre Augen wichen den ſeinigen
abei aus.
„Du würdest ja ſonsſt nicht verſtehen, wie das ge-
kommen iſt. In mir, meine ich. Und so viel liegt
mir immer noch an dir, Franz, daß ich in deinen
Augen nicht als eine ganz ſchlechte, verworfene Perſon
dastehen will, die du verachteſt. “

„Das hätt' ich nie gethan, Eva, “ murmelte der

„Ich muß dir's sagen,“ wiederholte ſie. |



„Mir ſcheint, ich hab' mich wirklich mit der Runen.

herumſchlagen müssen, statt mich zu freuen, daß die

notwendige Operation vorüber iſt. Die Vergangenheit

iſt tot, es lebe die Zukunft !“

Sie setzte raſch ihren Hut auf und eilte nach dem
nächsten Telegraphenamt. Sie depeſchierte an Herrn
Hohenberger: „Alles geregelt. Du kannst fonimern.“....

Zwei Stunden später hatte sie das Antworttelee. ;

gramm in der Hand. Es lautete: „Bitte deinen Vater,
mich morgen um Zwölf zu Hauſe zu erwarten. Schönsten
br: Ke..: gemütlich im Hause Rauſcher an
diesem Nachmittag. Als der Vater nach Hauſe kam,

gZefl le.





ztüüittiäu tj su; i e.. th t t.




 
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