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_ über dieſe Rede.

_ meier wär’ doch der elendeste Menſch

mit bitterem Lächeln. h z .

Der Vater antwortete halblaut: ,„Merkst du schon, |
_ daß du ziemlich allein stehſt mit deinen Ansichten?
îDa hilft nichts, mein Lieber. Man muß ſtill halten
und ſich sein Teil denken. Die Welt ändern kann man

Jräulein Eva Rauſche.

398

Da s Buch für Alle.

Heft 17.



Die betrübte Mutter, die alle ihre Ueberredungs-
kunst zu Schanden werden ſah, mußte ſich endlich bei
ihrem Manne Unterſtützung holen.

î Vater Rauſcher ſprach dann auch ſein Machtwort.
fs! kommst mit, und wirst dich höflich benehmen,
basta !“ ;

Zum Mittagessen wurde Katherl wieder aus dem

Ertxil berufen. Frau Leuckhardt konnte sich's trotz aller

Scheu, die ſie davor hatte, die Nachbarin zu beſuchen,
während der Mann zu Hauſe war, doch nicht ver-
ſagen, mit herüberzukommen, um zu hören, wie ſich
der noble Herr betragen habe. Die Equipage mit dem
livrierten Kutſcher auf dem Bock hatte sie natürlich von

. ihrem Fenster aus bewundert.

Der Anblick des Geſchmeides ließ sie förmlich zur
Salzsäule erstarren. „Jeſſes na!“ rief ſie ein über
das andere Mal. „Everl . . . Fräulein Eva! So was
hab’ ich doch mein Lebtag nit g' sehn. Dö Perlen!

îSoco ein Glück!“

Karl hatte der ſchwatzhaften Alten mit ſichtlichem
Verdruß zugehört. Nun ſagte er ſcharf: „Auch diese
îDPerlen bedeuten Thränen, Frau Leuckhardt. Die
Thränen weint jetzt ein armer Kerl, dem die Eva ſehr
schlimm mitgespielt hat für dieſes Halsband da.“
Frau Leuckhardt machte beinahe einen thätlichen
Angriff auf den jungen Mann, so entrüſtet war ſie
„Aber Herr Karl . .. ich verſteh'
Ihnen gar nit! Hätt’ die Eva . .. gönnen S’ denn
Ihrer bluteigenen Schwester ihr Glück net? Der Neu-
g wesen, wenn
er da nit z'rücktreten wär'.“
. Frau Rauſcher zog die Aufgeregte ſchnell in ein
gangelegentliches Geſpräch über Evas ,„Trouſseau, “ den
der Bräutigam besorgen wollte, und verhütete dadurch,

daß die lebhafte Alte den Funken ins Pulverfaß spielte. |

Vater und Sohn sahen sich bedeutungsvoll an.
„Volkes Stimme, Gottes Stimmel"

tit Rt man's probiert, macht man sich nur
y Da klingelte es draußen. Man hörte Fanny, die

in die Küche zurückgegangen war, etwas fragen und

eine weibliche Stimme antworten, dann klopfte es.
„Herein!“ rief Herr Rauſcher. ; :
Cine fremde junge Dame trat ein. Sie war äußerſt

_ chic, nur ein wenig zu bunt gekleidet. Der Hut, der
kühn auf dem künſtlich verwirrten Haare saß, ſchien

aus einem der hängenden Gärten der Semiramis ge-

macht zu sein, ſo viel Blumen gab es darauf..
Die Dame verneigte ſich zierlich und fragte nach
„Die bin ich, " sagte Eva. f y

die Uetdt crhlcheth? ityf Hoehe g stthorett

mir Herr v. Hohenberger von der Figur des uu er

Fräuleins gemacht hat. Ich bin Direktrice im Atelier

_ der Madame Jaquemar am Graben, und bringe eine

j Auswahl von Soireetoiletten. Den Brief hier soll ich
it Auger. der beiden alten Frauen funkelte
eine ſo heiße Neugier, daß Eva den Brief sofort vor-

las. Sie las halblaut, damit nur die neugierig Her-

angedrängten sie verſtanden, die Fremde aber und die
feindſelig dareinſchauenden Männer nicht. ;

„Mein süßes Everl! –~ Mir fällt gerade ein, daß
t Uh LU Ku ml: dt. Lett da MO
“s ft trägst. Ich ſchicke dir daher eine Auswahl

_ von Toiletten. Such dir aus, was dir am besten zu-
Jſagt. Dein Rudi. :

Frau Rauſcher und Frau Leuckhardt ſahen ſich mit
verzückten Augen an. „Wie lieb er schreibt !“

„Da sieht man, was ein wirklich nobler Mann is!“

Während der Vorleſung hatte die Direktrice einem
Jungen, der sehr viel goldene Treſſen auf Jacke und
Müyte hatte, die großen Kartons, mit denen er ſich
zur Thür hereinschob, abgenommen. Die alten Frauen
begleiteten die Eröffnung der einzelnen Schachteln mit
immer neuen Ausrufen des Entzückens, während Eva

die Gewänder mit vieler äußerer Ruhe prüfte. Nur
î die glänzenden Augen verrieten ihre innere Aufregung.
_ Die beiden Männer hatten der Scene den Rücken
î HZgekehrt und sahen, nebeneinander stehend, zum Fenster

hinaus. Dabei hörten sie das leiſe Kniſtern und

Rauſchen der Seide hinter ihrem Rücken, das Wun-

dern der Frauen und die halblaute Erörterung zwiſchen

Eva und der Direktrice.

„Das muß man der Eva lassen, “ bemerkte der
Vater leise, ,„ſie findet ſich ſchnell in die Sach). Dem
Weibsbild hat ſie ſchon imponiert. Wie 's kommen
is, war 's hinter der Ladenmamſellenhöflichkeit ganz
gehörig frech. Jetzt is 's ſchon ganz kleinlaut. Hör

nur, Karl, wie das geht: Gnädiges Fräulein vorn,

gnädiges Fräulein hinten."

murmelte Karl

| flötend.





Der Sohn atmete tief auf. „Ich finde das Ganze
empörend, " stieß er heraus.

Rauſcher nickte. „Und das Schönſte is die Selbſt-
verſtändlichkeit, mit der das alles zugeht. Das Extra-
zimmer beim Sacher war ſchon beſtellt, und der Herr
Direktor ſchon eing'laden, bevor der Hohenberger noch
zu mir kommen is. Und die Schneiderin da hinten
htt ti doch auch heut' vormittag oder gar noch gestern

'ſtellt... .'
„Da ſiehſt du jett, was du von deiner Nachgiebig-

keit haſt,“ raunte der Sohn zornig. „Hätt'ſt du den |
Kerl bei der Thür hinausgeworfen.“

“ pvDu redſt, wie ... na, halt wie ein Student.

| Tags drauf wär’ ich bei einer anderen Thür hinaus-

g flogen, bei der Thür der , Viktoria“. Und die Eva
wär’ auf einmal aus 'm Haus verſchwunden g wesen,
und in einem halben Jahr’ bei ein’ Theater als Schau-
ftielerth aufgetaucht mit kleine Roll'n und große Toi-
etten.“

Da ließ ſich hinter ihnen das dünne Stimmchen

der kleinen Kathi vernehmen: „Du, Evi, is dein neuer
Piguiigegr. ein Sſsneider, daß er so viele ßöne Klei-

Die Frauen lachten. Die Mutter ſuchte das Kind

zum Schweigen zu bringen. Aber wenn Katherl ein-
mal ins Reden kam, ließ sie ſich so leicht nicht ab-
V'. krähte sie, „jeßt hat die Evi ßwei Bräu-
ttt . Scqume der Unschuld brach jäh ab; offenbar
hatte die Mutter ihrer Jüngsten die Hand auf den
Mund gelegt. Dann ging die Thür. Katherl wurde
in eine neue Verbannung geschickt, hinaus in die Küche
zu vun ue . Der Vater schüttelte aber den Kopf.
„Es steht nit gut in ein' Haus,“ seufzte er ge-
preßt, „wo man sich vor dem fürchten muß, was die

unſchuldigen Kinder reden.“

Da zupfte ihn von rückwärts seine Frau am Aermel.
„Schau dir doch an, was die Eva ſich ausg sucht
hat, “ flüsterte ſie bittend. „Es ist wegen der Direktrice.

Es ſchaut doch so komiſch aus, wenn der Vater ſo zeigt,

daß er nit recht einverſtanden is. Die Leut’ haben
so viel feine Kundſchaften, da red t ſich's dann herum.
Wir dürfen den Hohenberger nicht so blamieren. Das
ſiehſt doch ein, Alter?" |

Das ſah Rauſcher ein; er ging an den Tiſch, auf
dem die von Eva ausgewählten Sachen lagen, und
beſah sie flüchtig. .

„Sehr ſchön,“ sagte er.

Die Direktrice, die mit Hilfe des betreßten Jungen

ihre Kartons wieder packte und ſchloß, sah von ihrer

Arbeit auf.

„Das Fräulein Tochter hat aber auch einen aus-

gezeichneten Geschmack, Herr v. Rauſcher, " sagte sie
„Gerade die Toilette und den Abendmantel
hat das gnädige Fräulein gewählt, die ich für sie be-
ſtimmt hätte, wenn mir das überlassen geblieben wäre.
Und dieser Wuchs! Das reine Modell! Die Taille
itt wie für das gnädige Fräulein nach Maß an-
efertigt. “ :

H Sie empfahl sich mit vielen Verbeugungen; die
Nachbarin folgte ihr, nachdem sie jedem einzelnen, so-
gar dem rauhborsſtigen Karl, zu dem Glück, das Eva
machte, nochmals gratuliert hatte.

Bei Tiſche erwog Frau Rauſcher die wichtige Toi-

lettenfrage für den heutigen Abend.

„Ich zieh. mein Grauſeidenes an. Die Fanny hat
ja den Winter erſt fürs Beamtenvereinskränzchen ein
neues Kleid kriegt. Die is aus 'm Wasser. Du,
Vater, und der Karl, ihr müßt's den Frack anzieh’n.
Der Hohenberger hat der Everl eine dekolletierte Soiree-

toilett' g'ſchickt, folglich kommen die Herren im Frack." |

„Du red'ſt ja, als wärſt d’ ſchon einmal Zeremo-
nienmeiſterin bei Hof g wesen,“ spottete Rauſcher.
„Natürlich ziehn wir den Frack an. Die zwei Herren
werden zwar im Smoking kommen, aber das geht uns
nix an. Erstens haben wir keine und zweitens g'hört
ſich's ſchon ſo, wenn die Großen und die Kleinen zu-

ſammenkommen, daß die Kleinen feierlicher angezogen

c U
Uu die Stadt müssen wir auch noch!“ klagte die
Ur. us V hct. ten tte. trier altehans

wendig ein paar lichte, hohe Handſchuhe. .. .
. „Hat der Herr Schwiegersohn mir doch 'was übrig

g'laſſen?" fragte Rauſcher wie verwundert. „Na, das
is ſchón von ihm. Eſſen wir halt g ſchwind. Und
ihr nehmt dann einen Comfortable, damit ihr mit der
Zeit auskommt. “

Die Mutter hatte aber noch etwas auf dem Herzen.
„Die Katherl laſſen wir, denk’ ich, doch lieber z’ Haus.
So Was is nix für Kinder. Es wird Champagner

geben, der möcht' ihr ins Köpferl geh'n. Spät wird's

auch werden . . . ;

„Und vor allem anderen könnt’ die Katherl un-
bequeme Sachen reden!“ fiel der Sohn ſpöttisſch ein.
„Ja, ja, laßt die Kleine nur zu Haus. So was iſt



fits für Kinder. Dazu ſind die Kinder noch zu ehr-
i

Fanny und Eva beteiligten ſich an dem Geſpräche
nicht. Die Aeltere sah ernſthaft auf ihren Teller nie-
der, die Jüngere war offenbar mit ihren Gedanken weit
weg. Sie saß am Tiſche. wie eine . fremde, große
Dame, die sich vor einem Gewitterregen zu diesſen
kleinen Leuten hereingeflüchtet hatte.

Nach dem Eſſen wurde Katherl wieder zur Nach-
barin geschickt. Sie war äußerſt ungehalten darüber,
daß ſie zu Hauſe bleiben sollte, und mußte durch um-
fangreiche Versprechungen von Naſchwerk und Spielzeug

bewogen werden, dem Lauf ihrer Thränen Halt zu ge.
bieten. Dann fuhr Frau Rauſcher mit Fanny uuan
Eva in die Stadt, die beiden Männer aber gingen ins

Kasfeehaus, um die Stunden bis zum Abend tot zu
ſchlagen. Etwas Vernünftiges anzufangen vermochten
ſie doch nicht; dazu waren sie zu unruhig. '

Als sie um sieben Uhr wieder nach Hauſe kamen,
fanden ſie die Damen ſchon im vollen Antlleidefieber.
Selbst Fanny, die doch nur gezwungen mitging, war
diesem Zuſtande verfallene. So mußten Vater und
Sohn ſich allein ſchön machen, was ihnen ungewohnt.
genug war: :

Schlag acht Uhr fuhr Hohenbergers Wagen am
hase vor. Ein leerer „Unnumerierter“ hielt hinter
ihm. : ;

Rudi sah womöglich noch eleganter aus als am
Morgen, und war die Liebenswürdigkeit sſelbſt. Dem
Vater ſchüttelte er die Hand, als wären sie mindestens
seit zwanzig Jahren die beſten Freunde. Karl, der
sich ein wenig zeremoniös verneigte, versicherte er, wie
sehr er ſich freue, den Bruder ſeiner teuren Braut
kennen zu lernen und fragte ihn, was er studiere.

„Chemie,“ antwortete Karl kurz. ; ;

„Das iſt ſchön, das iſt recht!“ sagte Hohenberger
befriedigt. „Da haben Sie wenigstens ein Fach, in
dem Sie etwas leiſten können für die Welt. Bei einem
Doktor der Philosophie frag’ ich immer nach dem Fach.
Denn klassiſche Philologie und solche Sachen . .. na,
Streuſand drüber. Hat er aber seinen Doktor als
Chemiker, Phyſiker oder so etwas gemacht, ſo zieh’ ich
den Hut vor ihm. Das ind die Leute, die die Welt
vorwärts ſchieben in ihrem Geleiſ'.“

Durch dieſe Lobrede auf das von ihm erwählte

Wissensfach fühlte Karl seinen Groll dahinſchwindee.

wie Knabenweltschmerz vor einem Mädchenlächeln. Der
Geck, das Gigerl, der Geldprotz ſchien doch auch seine
guten Seiten zu haben. Der gefärbte Schnurrbart,
die nachgezogenen Augenbrauen, die vorsichtig verteilten
Haare auf dem Scheitel waren freilich deshalb um
nichts weniger lächerlich. ;

Hohenberger machte es Spaß, den widersſpenſigen

Jungen für sich einzunehmen. Im Grunde war es
ihm ja sehr gleichgültig, wie solches Studentchen ſich
zu ihm ſtellte, so gleichgültig, wie ihm die ganze Fa-
milie Rauſcher wax, zu der er künftig um. dieſer ver-
teufelten Eva willen gehören ſollte. Er betrachtete das
Gespräch mit dem Burſchen als eine Art Schachpartie,
die ihm die Wartezeit verkürzte.
ſich's leichter mit dem Jungen als mit dem in ſich ge-
kehrten, hartnäckig in die einmal gefaßten Ansichten
verbiſſenen Alten. . :
Er verlegte ſich alſo darauf, Karl zu verblüffen,

indem er Verſtand entwickelte. Von der Chemie ging
er aus, gelangte zur angewandten Chemie und begann
dann von dem Berufe zu reden, den das Kapital darin
qt lig Macht in den Dienst neuer Entdeckungen
zu ſtellen. § ; ;

; „Sehen Sie ſich einmal die Farbwerke draußen im
Deutſchen Reiche an,“ sagte er. „Was die für die
Wissenschaft leiſten, und für den Staat, und für das
Volk. Man kann ruhig sagen, daß die paar Geldleute,
die diese Unternehmen geſchaffen haben, an und für
sich ſchon die Theorie von der Schädlichkeit der großen
Vermögen widerlegen. Durch sie iſt die chemiſche In-
dustrie Deutſchlands die Beherrſcherin des Weltmarkts

geworden. Wiſſen Sie, was das heißt, wenn en

Staat in irgend einem bedeutenden Induſtriezweige
allen anderen voraus iſt? Das iſt mehr wert für

| ihn als ein gewonnener Krieg! Und was es erſt

noch nach innen bedeutet! Cine ganze Bevölkerungs-
schichte gut bezahlter, ihres Wertes bewußter Arbeiter,

weithin wirkende Befruchtung aller verwandten Be-

triebszweige, fortſchreitende Verbesſſerung der Lebens-
bedingungen des Gesamtvolks. Ja, ja + das liebe
Geld! So, wie es heute mißbraucht wird, iſt es frei-
lich ein Unsegen. Die es haben, benutzen die Macht,
die es verleiht, um. immer neues Kapital zuſanmen-
zuſchlagen. Sie machen „Geſchäfte“, das heißt, sie be-
treiben Unternehmungen um des Profits willen und

auf den Profit hin. Und das ist die Quelle alee|

Uebels. Wenn die Leute erſt dahin kommen, das Unter-
nehmen um ſseiner selbſt willen zu betreiben, weil es

der Förderung wert erſcheint, und den Unternehmer-

gewinn nur als angenehmes Nebenprodukt ihrer Thätig-
keit zu betrachten, dann wird vieles anders sein. Dann
wird auch kein Erfinder mehr zu Grunde gehen, weil

Jedenfalls verkehrte.
 
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