Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
486

dem Entſchluß, Franz gleich gehen zu laſſen, aber auch
zu dem weiteren, ihm die Bemerkung in ſein Dienst-
huch zu ſchreiben, daß er ohne Innehaltung der Kün-
digungsfriſt den Dienst aufgegeben habe.
_ Sie ließ dem Diener durch das Hausmädchen ſagen,
er möge sich mit seinem Dienſtbuch bei ihr einfinden.
Franz aber war in seiner Stube und im ganzen Hauſe
nicht zu finden. Der Gärtner hatte ihn vor einiger
Zeit den Weg nach der Stadt einſchlagen ſehen.

Franz Breidling hatte ſich nun einmal vorgenom-
men, Kaſsſenbote zu werden, mochte es im übrigen
werden, wie es wollte. Er hatte ſich daher ſchleunigſt
hauf den Weg gemacht, um Herrn v. Allerts bis zu der
von ihm vorgeſchriebenen Stunde ſeine Zuſage zu brin-
. gen, und durfte keine Zeit verlieren, wenn er bis elf
Uhr bei dem Herrn ſein wollte.
_ Als Frau Hilde erfuhr, daß Franz nicht zu finden
sei, glaubte sſie annehmen zu müſſen, daß er einfach
seine Sachen gepackt und auf und davon gegangen
sei. Um sich davon zu überzeugen, begab ſie ſich ſelbſt
in das Dienerzimmer. Dort hingen jedoch noch seine
Kleider, und der Koffer stand vor dem Fenster. Auf
dem Tiſche sah sie einen kleinen Holzkaſten, in dem
der Schlüſſel steckte. Vielleicht lag das Dienſtbuch
darin, und wenn das der Fall war, konnte ſie gleich
dem vorbeugen, daß Franz etwa die Vorlegung des
Diienſtbuches verweigerte. Sie ſchloß das Käſtchen auf.
Zu oberſt lag das Dienstbuch, das sie an ſich nahm.
Darunter ſah sie mehrere Goldſtücke und einige Thaler
liegen. G

ber.: dem Anblick des Geldes kam Frau Hilde plöt-

lich die Erinnerung an jene zwanzig Mark, die ſie
dem Diener vor einigen Wochen geſchenkt hatte. Zu-
gleich fiel ihr ein, wiederholt gehört zu haben, daß
man ein Geſchenk zurückfordern könne, wenn der Be-
schenkte dem Geber mit Undank lohne. Dies traf hier
zu. Die günſtige Gelegenheit, dem Diener zu Gemüte
zu führen, daß er sich undankbar erwieſen, wollte ſie
nicht unbenugtt vorübergehen laſſen. Sie entnahm alſo
î Dem Käſtchen ein Zwanzigmarkstück und verſchloß den
Behälter wiede. :

Enzius war inzwiſchen ausgegangen, um einen Be-
such zu machen. Frau Hilde nahm daher nicht erſt
Rückſprache mit ihm, in welche Form ſie das Zeug-
nis für Franz kleiden solle. Sie ſchrieb in das Dienſt-

buch: „Franz war fleißig und ehrlich, auch im ganzen
zuverläsſig. Er hat jedoch ſeinen Dienſt bei mir ver-

s ohne die verabredete Kündigungszeit inne zu

alten. Ü .

_ ald darauf ſah ſie Franz zurückkommen und ließ
ihn sofort rufen. ;

' „Hier haben Sie Ihr Dienſtbuch,“ sagte sie ihm.
„Ich habe es mir aus Ihrem Zimmer geholt. Da
Sie nirgends zu finden waren, ſo mußte ich annehmen,
daß Sie bereits fortgegangen sſeien und Ihre Sachen

î mitgenommen hätten."

„Gnädige Frau, “ erwiderte der Diener, „ich mußte

unbedingt zur Stadt, wenn ich mir die Stellung ſichern

wollte.! .

_ HjSie können ſofort gehen. Jedenfalls aber ſollen

Sie für Ihr unverantwortliches Benehmen die Strafe

haben, daß Ihr Dienstbuch den Vermerk enthält, Sie

seien ohne Kündigung von uns gegangen.“
Franz zuckte leichthin die Schultern. Ein Dienſt-

huch brauchte er hoffentlich in seinem ganzen Leben |

"iht hrt h ut, fuhr Frau Enzius fort. „Sie
haben noch für die letzten vierzehn Tage Lohn zu er-
halten, die ich Ihnen eigentlich unter den vorliegenden

Umständen nicht zu zahlen gewillt war. Doch, hier

ſind fünfzehn Mark. Dagegen widerrufe ich hiermit
das Geſchenk von zwanzig Mark, das ich Ihnen an-
fangs Juli gemacht habe, weil ich annahm, daß Sie
noch lange Zeit hier bleiben würden. Sie haben ſich
undankbar gezeigt. Ich habe die zwanzig Mark vor-
hin aus Ihrem Kasten genommen.“

„Damit kann ich mich nicht einverſtanden erklären, :

gnädige Frau, “ entgegnete der Diener, indem er das
Dienſtbuch und den Lohnbetrag in Empfang nahm.
„Ich habe das Geſchenk als Belohnung dafür angesehen,
daß ich bei weitem mehr Arbeit hier vorfand, als mir
von Ihnen bei meiner Anſtellung angegeben wurde.
Ich muß bitten, daß Sie mir das Geld wiedergeben.
Ich habe mich zu nichts verpflichtet.“ :

„Ich denke nicht daran! Für mich iſt die Sache
erledigt, Sie können gehen.!“

Franz Breidling wollte noch etwas erwidern, doch

die gnädige Frau hatte bereits das Zimmer verlaſſen.

So begab er sich denn in sein Gemach, packte seine
Sachen zuſammen, nahm Abſchied von den anderen
Dienſstboten, belud sich mit seinem Koffer und machte
ſich auf den Weg zur Stadt. :
Hier war ihm von ſeiner Soldatenzeit her ein
kleines Gaſthaus bekannt, in dem er für einige Tage,
bis er ein Zimmer gefunden, Unterkunft haben konnte.



Franz Breidling fand ſich am nächſten Vormittag
zu Beginn der Geſchäftszeit in dem Bantlhauſe ein,



|

Das Buch für Alle

dem er ſeine aus der Erbſchaft herrührenden Wert-
papiere anvertraut hatte, um ſie abzuheben. Dann
begab er sich, der ihm von dem Generaldirektor ge-
wordenen Weiſung gemäß, nach der Unteren Krug-
ſtraße in das Geſchäſtslokal des Herrn v. Allerts.

Dieſer nahm die Papiere in Empfang, ſchloß sie
gleich in den Geldſchrank, wobei er bemerkte, daß ſie
dort so ſicher aufbewahrt seien, wie irgendwo anders,
und stellte dem jetzigen Kaſſenboten eine Empfangs-
bescheinigung darüber aus.

Franz teilte seinem neuen Herrn mit, auf welche
Weiſe er noch im letzten Augenblick durch Frau Enzius
um zwanzig Mark gekommen ſ|ei.

„An und für ſich, Breidling, iſt der Schaden für
Sie ja nicht groß. Sie sollen nur sehen, wenn das
Geſchäft hier so weiter geht, dann werden Sie ſchon
nach wenigen Monaten eine Gehaltszulage von mir
erhalten, welche Sie die zwanzig Mark verſchmerzen
laſſen wird. Aber trotdem dürfen Sie ſich das nicht
gefallen laſſen. Wiſſen Sie, was das iſt, wenn Ihnen
jemand, wer es auch ſei, Geld aus Ihrem Behälter
nimmt? Das iſt ein klarer Diebſtahl. Mein Prinzip
iſt, daß jede strafbare Handlung zur Anzeige. gebracht
werden muß. Die Dame ſoll nicht glauben, daß ſie
ſich gegen ihre Dienſtboten dergleichen erlauben darf.
Sie handeln im Intereſſe Ihrer Kollegen, wenn Sie
die Sache bei der Polizei anzeigen.“

ſttats nahm sich vor, den Rat des Generaldirektors
zu befolgen. .

Darauf begann für ihn die geſchäſtliche Thätigkeit.
Der Generaldirektor holte wieder die großen Brief-
pakete aus dem Geldſchrank und beauftragte Franz,
deren Aufſchriften, die Adreſſen, die Verſicherungs-
ſummen, die Prämienbeträge, die Nummern und ſo
weiter in ein Buch einzutragen. Die ungewohnte
Arbeit, die nur langſam von |tatten ging, beſchäſtigte
ihn bis zum Beginn der Mittagspauſe.

Herr v. Allerts ſagte, als die Uhr vom nahen
Kirchturm Eins ſchlug: „Sie können jett gehen, Breid-
ling. Für heute nachmittag habe ich für Sie nichts
weiter zu thun. Morgen früh beginnt Ihre eigentliche
Thätigkeit, Sie ſollen dann die Policen forttragen und
die Prämienbeträge einkaſsieren. “

Der freie Nachmittag gefiel Franz ausgezeichnet.
Er nahm ſich vor, die Zeit ordentlich auszunutzen und
einige alte Bekannte aufzuſuchen.

Kaum hatie er das Geſchäftslokal verlaſſen, da

ſtand ſchon einer von ihnen vor ihm. Und zwar ſein

früherer Vorgeſetter, der Sergeant Möbius, der ihn
als Rekruten einerxerziert hatte. Jett trug er die
Uniform eines Polizeibeamten. Das Wiederſehen gab
Veranlaſſung, es bei einem Glaſe Bier zu feiern, und
bald saßen beide in einer Kneipe. Nach den gegen-
ſeitigen Fragen über woher und wohin gedachte Franz
auch seines Erlebniſſes von geſtern, des Eingriffes der
Frau Enzius in seine Erſparniſſe und des Rates des
Generaldireltors. Der Polizeibeamte war gleichfalls
der Meinung, daß Franz Breidling sein Recht gegen
die Dame ſuchen Jollte. i . ;

„Konmmen Sie um drei Uhr auf das Polizeibureau
in der Admiralstraße, " riet er. „Dort habe ich Dienst.
Ich werde Sie dem Wachtmeiſter vorſtellen, der nimmt
das Protokoll über die Geſchichte auf, und damit iſt
die Sache erledigt.“ §
_ Hranz fand ſich zur angegebenen Zeit auf dem
Polizeibureau ein. Der anwesende Wachtmeiſter nahm
die Ausſage des Geſchädigten auf und ſagte Franz,
daß er bald weiteres hören werde.

„Und welche Adreſſe soll ich für Sie angeben?“
fragte der Beamte.. >

Franz gab das Comptoir des Generaldirektors v. Al-
lerts in der Unteren Krugſtraße 24 als den Ort an,
wo ihn Mitteilungen antreffen würden.

Der Wachtmeiſter ſtutzte. „Stehen Sie in irgend

welchen Beziehungen zu dieſem Herrn?Ú

,Ich bin ſeit heute früh als Kaſſenbote bei ihm

angestellt. "
t Kaſſenbote?r Hm! Da haben Sie auch wohl
eine Kaution geſtellt?"

„Ja. Ich habe Herrn v. Allerts heute morgen
zweitauſendfünfhundert Mark als Kaution übergeben. “

„Donnerwetter! rief der Wachtmeister ſo laut, daß
die übrigen Beamten überraſcht von ihrer Arbeit auf-
ſahen. „Warten Sie. doch einen Augenblick!“

Der Wachtmeiſter ging hinaus und kam nach fünf
Minuten mit dem als Reviervorſtand fungierenden
Polizeihauptmann und dem Kriminalbeamten des Re-

viers zurück. Diesen mußte Franz die Geſchichte seines

Engagements genau erzählen und die Perſon des Ge-

neraldirektors beſchreiben.

„Kein Zweifel,“ erklärte der Kriminalbeamte, ,das

iſt derselbe Kerl. Leider ſind Sie da einem Schwindler

in die Hände gefallen, Breidling. Dieſer Menſch iſt ein
früherer Militär, der kaſſiert und seitdem unzähligemal
wegen Kautionsſchwindeleien beſtraft worden iſt.“

Franz Breidling ſaß mit offenem Munde da. „Das

iſt nicht möglich! Dieser feine Herr "
„Berlaſſen Sie ſich darauf, wir kennen den ſauberen



|

Heft 20.0
Patron ganz genau. Das iſt ja das Gefährliche, daß
er ein ſo Vertrauen erweckendes Aeußere hat. Da
müſſen wir uns beeilen, wenn wir Ihr Geld retten
ü meine Herren!“ rief Franz. „Sie irren
ſich diesmal ganz ſicher. Er hat meine Papiere in
[tutt Gezenrart in ſeinen großen Geldſchrank ein-
sethteie Sie fort waren, wird er ſie ſchon wieder
herausgenommen haben. Das kennen wir. Ich werde
mit Ihrer Erlaubnis, Herr Hauptmann, das Nötige
gleich telephoniſch bei dem Polizeipräsidium veranlassen.

JInzwiſchen bleiben Sie hier, Breidling !“

Der Kriminalbeamte holte noch zwei Kollegen herbei
und unterhandelte durch den Fernſprecher mit seiner
Behörde. „So,“ sagte er dann, „jetzt kann die Reise
losgehen. Wir gehen nach der Unteren Krugſtraße.
Drei Beamte ſind inzwiſchen vom Kriminalkommissariat
nach der Privatwohnung des Herrn in der Langenſtraße,
um dort das Nesſt zu durchſuchen. Sie, Breidling,
kommen mit in das Geschäftslokal Ihres sauberen Herrn
Generaldirektors. “ i

Das Comptoir war verſchloſſen. Ein herbeigeholter
Schloſſer öffnete die Thür, und die Beamten und Franz
betraten die Geſchäftsräume.

Der alte Schreiber mußte für den Nachmittag wohh

auch Urlaub erhalten haben. Er kam nicht. Die umher-
liegenden Papiere gewährten keinerlei Aufschluß über
die von dem „Generaldirektor“ betriebenen Geſchäfte.
Die „Erste Allgemeine Deutſche Unfall- und Haftpflicht-
Versicherungsgeſellſchaft“ war jedoch keinem der Beamten
bekannt. Da der Geldſchrank nicht angreifbar war, ſo
mußten die Beamten warten, bis Nachricht aus der
Langenſtraße über den Erfolg des Beſuches der übrigen
Kriminalbeamten eingetroffen war. i

Die Zuverſicht, mit der die Beamten auftraten,
begann Franz jetzt auch mit Sorge zu erfüllen. Wenn
ſie recht behielten, dann war sein Geld wahrſcheinlich
verloren. Doch wollte es ihm immer noch nicht in
den Kopf, daß jemand, der ein so großartig eingerich-
lets ſzisatcerupteir ausſtatten konnte, ein Schwindler
ein sollte. :

In der Thür erſchien ein älterer Mann. j
„Ah, Herr Tiſchlermeiſter Fiſcher, “ sagte einer der
Beamten. „Was haben denn Sie hier zu hunn.
jJiſcher ſtutte beim Anblick des ihm wohlbekannten
Kriminaliſten. „Jc<h möchte Herrn Generaldirektor

v. Allerts ſprechen."n. :

„Sie wollen wohl Geld von ihm haben?“

„Ich bin ſchon ein halbes Dutzend Mal hier ge-
weſen. Ich habe die Einrichtung für das Privatzimmer
geliefert. Er hat mir geſagt, ich ſolle heute bestimmt
Geld hctomme.n.... ;

g' Beamten tauſchten einen Blick des Einverſtänd-
niſſes aus. : .. -

„Ihr Geld werden Sie ſchwerlich erhalten. Wenn
das Glück Ihnen gut iſt, können Sie vielleicht die
Sachen bald wieder abholen laſſen. Warten Sie nur

noch kurze Zeit hier. Sie werden dann gleich Beſcheid

bekommen können,“ erwiderte der Beamte.
: „Na, so eine Gaunerei !“ rief entrüſtet der Hand-
werksmeiſter. „Und unten steht der Buchhalter der
belzih.enthsbrit .. der ebenfalls zu heute nachmittag
eſtellt iſt.'

In dieſem Augenblick brachte einer der nach der
Langenſstraße entsendet gewesenen Beamten die Nach-

richt, daß der Generaldirektor bereits vor einer Stune

nach der Bahn gefahren Fei.
Franz stieß einen Schrei aus. „Und mein Geld –
meine Erbſchaft?“ stotterte er.

. Der Beamte zuckte die Achſeln. „Wenn wir den

Gauner noch rechtzeitig erwiſchen und ihm das Gelb
abnehmen können, kriegen Sie es wieder, ſonſt & e.

wandte sich dem Geldſchrank zu.

Dieser wurde geöffnet. Die großen Briefcouverts :
waren ſehr geſchickt zu dem von dem Generaldirektor
inſcenierten Schwindel präpariert. Ihr Inhalt bestand

aus Zeitungspapier.

_ Danmit war der volle Beweis geliefert, daß v. Allers

nur auf diesen Schwindel ausgegangen war.
Zu Franzens Glück wurde Allerts ſchon wenige

Tage ſpäter in Trieſt verhaftet und an die Heimat.
behörde ausgeliefert. Er wurde Franz Breidlingn af.
der Polizei gegenübergeſtellt. Wo war die ſelbſtbewukte..
Haltung, das stramme Auftreten des Verbrechers ge.
blieben? Zuſammengeſunken und mullos gab er alles

zu, was Franz über ihre Zuſammenkunſt und ihe.
Unterhaltung aussagte.

geliefert. Der arme Burſche mußte froh ſein, daß er -

mit einem Verluſlte von 600 Mark davonkam. Er lee.
reute bitter ſeine Vertrauensſeligkeit, und es erſchen
ihm jett ſselbſt als thöricht und unrecht, daß er ds

Haus seiner Dienſtherrſchaft so plötlich verlaſſen hatte.
Wie gern wäre er jetzt wieder dahin zurückgekehrt..
Dunrch Verwendung des Kriminalbeamten erhielt er

Das Konto des Schurke. wer
so ſehr belaſtet, daß ihm eine mehrjährige Zuchthauen.
ſtrafe ſicher war. Von den Franz geſtohlenen Papieeen
besaß er noch 1900 Mark. Dieſe erhielt Franz auen


 
Annotationen