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532

D a F für Alle.

B u ch



Heft 22.









ich mich von der Erinnerung an die ent setzlichſte Tier-
marter, die ich geſehen habe, ohne helfe. zu können.

Ä ~ m UL = f . --f

Endlich lag der Chilcootpaß vor uns. Nach einer .
leidlichen Nacht in unseren Schlaf-

säcken erhoben wir uns, um ihn zu

und geſtorben, wie viele haben ſich hier durch das

Liegen auf dem kalten Schnee tödliche Krankheiten ge-
holt t i immer los, Franz!“ sagte ich ermutigend zu



erſteigen. Der ungeheure Wall des
Gebirges, über welches der Paß
führte, war troß der sommerlichen
Jahreszeit in Schnee gehüllt, und
der Weg hinauf zur Paßhöhe zog
ſich wie ein einziger ſchwarzer Strich
durch den Schnee vom Thal bis zum
Gipfel. Diesen Weg verfolgten in
faſt ununterbrochenem Zuge Tausende
von Menſchen, bei Tag und bei Nacht,
es war die Völkerwanderung der
Goldsucher, die in das gelobte nn
ziehen. Hunderte haben ihr Ziel:
nicht erreicht. Sie ſind geſtorben und
verdorben, weil sie den ungeheuren
Strapazen nicht gewachſen waren,
durch Krankheit, durch Erfrieren,
durch Lawinen, durch Verirren, durch
feindliche Hand zu Grunde gegangen.
' gti stundenlangem, keuchendem
Aufstieg ging es bis zur erſten Ter-
rat. Aber auf dieſem erſten Teil
des Weges war man noch auf einer
Art von Straße, so daß man aus-
weichen und aneinander vorbei
konnte. Von der Terraſſe zur Paß-
höhe führte nur ein ſchmaler Fuß-
steig, der weiter oben aus in das
Eis gehauenen Stufen bestand. Hier
konnte nur Mann hinter Mann gehen
und ſich an einem Seil zur Rechten.
feſthalten, das spekulative Indianer
ausgeſpannt hatten. Für das Festhalten an dem Seil
verlangten sie von jeder Person eine Gebühr von einem
Schilling. Wer auf den Eisstufen ermüdete, konnte
nicht zurückbleiben, er mußte ſich links von der Wege-

richtung auf den Schnee werfen und liegen bleiben, |

bis er wieder so viel Kraft hatte, um in die Reihe
der Stufensteiger eintreten und seinen Weg fortsetzen

zu können. Wie viele ſind hier erschöpft liegen hehliebes



Anſicht von Kranichferd nach dem Brande.

Nach einer t fufndhme von Hofphotograph Louis Held in Weimar. (S. 580) -

|

meinem Vetter, als wir den Aufstieg über die Eis-

ſtufen begannen.
gsi: lächelte matt.

[" Wer Aufs tieg über dies e Eis ſtufen, die sehr unregel.

Ihm war ja doch alles gleich-

mäßig und ſehr Uuer waren, war über alle Be:

griffe beſchwerlich.

Es giebt kein Wort, um ihn zu
beictcihen. . Franz ging voran, und ich folgte.

Wir





f

Die Heimkehr der .„„ZBulgaria'6

| hatten uns vorgenommen, wenn irgend möglich direkt bis
zur Paßhöhe zu steigen, da sowieso das Tempo, in dem
ich die Wanderer bewegten, kein allzu ſchnelles war.
Wir hatten wohl zwei Drittel des ſchrecklichen Weges
zurückgelegt, als eine rührende Gruppe
unseren Blick fesſſelte. Zur Linken
sahen wir eine Frauengeſtalt, dicht
eingehüllt, daſsitzen, und vor ihr lag,
mit dem Kopf in ihrem Schoß, ein
. alter Mann mit leichenblaſſem Ge-
ſicht und einem langen, grauen Bart,
der dem Antlitz des Zuſammenge-
brochenen etwas Ehrwürdiges gab.
Jetzt hob die Sitzende ihren Kopf und
warf einen hilfeflehenden Blick auf
die Reihe der Männer, die achtlos
an dem Erschöpften vorüberzog und
auch nicht einen Augenblick innege-
halten hätte in ihrem raſtloſen Vor-
wärtsſtreben, wenn ſelbst ein halbes
Dutzend Sterbender dort gelegen
hätte.

Welche ſugen waren in dieſem
Frauengesicht! Im erſten Augenblicke
hatie ich das Gefühl, diese Augen
und dieſes Gesicht ſchon einmal ge-
sehen zu haben, wohl auf einem
alten Gemälde. Es waren dunlle,
tiefe Augen, von fast überirdiſchem
Glanz, ein unbesſchreibliches Etwas
lag in ihrem Blick: es war kein
Hilfeheiſchen und kein Mitleidfor-
dern, keine Verzweiflung, kein To-
desmut allein, aber doch ven allem
etwas. Es lag wie eine ſtumme
Klage, wie die Ergebenheit einer

Sterbenden in dieſen dunklen Augen.
Franz mußte von dieſem Blick

| ebenſo bezaubert sein, wie ich, denn er trat aus der
Reihe an die Gruppe heran, und ich folgte seinem
Beiſpiel. Er war aber so gepackt von dem Antblick,
| der sich ihm bot, daß er ganz und gar vergaß, wo
l er war und miit. Freundlichkeit in deutſcher Sprache
tot: „Können wir Ihnen irgendwie behilflich
ein ?“

| Und merkwürdig, er erhielt auch deutsche Antwort :









Nach einer Photographie von H. Breuer in Hamburg.

Kapitän Guſtav Schmidt auf der Hk. Dauli»landungsbrücke.



(S. 531)




 
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