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604

Da s Buch für Alle.

Heſt 25.















gab sorgſam darauf acht, damit ihrer nicht zu viele
wurden. Ein wenig eitel war er bei allen seinen
guten Eigenſchasten und trotz seiner an die Fünfzig
heranreichenden Jahre doh. ; ;
Ein kräftiger Schritt und eine fremde Stimme in
dem nebenanliegenden Comptoir ließ ihn aufhorchen,
und sein „Herein!“ auf das Klopfen an seiner Thür
klang unwillkürlich geſpannt.
Mit einem ſchnellen Blicke ß
äußere Erſcheinung des Eintretenden erfaßt + eines
hageren, schmalschulterigen Mannes, in guter Straßen-

hatte er Gestalt und

DBrofeſſor Dr. Bhicipp Zorn (Königsberg).

kleidung und mit Handſchuhen an den Händen, der
dem Schiffsmakler mit der Gleichmütigkeit eines alten
Bekannten zunickte.

„Eine verwünſcht feuchte Luft draußen, “ begann er
ohne weiteres, ,„ſchlimmer als bei mir zu Hauſe; viel
schlimmer, Sir." Er ſprach engliſch, eine in Schiff-
maklergeſchäften geläufige Sprache. „Sie können ein
Ilänct Veſchätt für mich erledigen, das heißt, wenn

ie wollenennn. :

Er zog einen Stuhl an den Tiſch heran, ſette ſich
mit ungenierter Gemätchlichkeit, ſuchte dann eine Minute
lang in den ſämtlichen Taſchen ſeines Ueberziehers
[y brachte ſchließlich eine kurze Holzpfeife zum Vor-

ein. . :

“ „Mit was kann ich dienen, Sir?“ erkundigte sich
Hinrichſen vorsichtig. „Jch weiſe nie ein Geſchäft zu-
rück, das in mein Fach einſchlägt und einen reellen
Verdienſt abwirft.“ :

„Ich habe ein Schiff zu verkaufen. 's iſt ein
famoſer Kaſten, nicht zu alt, dabei brillant getakelt,
ein tüchtiger Segler und so weiter.n.

. Der Schiffsmakler hob den Kopf.

| dings, “ erklärte er darauf.













Georg Herbert Graf zu Münſter-Ledenburg,
kaiſerlich deutſcher Botſchafter in Paris.

Die deutſchen Delegierten zu der JFriedenskouferenz
im Haag. (S. 603)

„Ein klein bißchen Verwunderung packte mich aller-
„Nicht etwa, weil Sie
den „Merkur“ wieder loswerden wollen ~ das mag
ja seine guten Gründe haben. Sie werden möglicher-
weiſe zu der Einſicht gekommen ſein, daß er für Ihre
Zwecke ungeeignet iſt. Ü"

„Nichts davon, Sir," unterbrach ihn Mr. Brayd;
„denn ich hatte überhaupt nicht die Absicht, ihn für
mich zu behalten. Sie werden mich vielleicht verſtehen,
wenn ich Jhnen sage, daß ich nur der Agent eines
dritten bin, und daß es galt, eine Konkurrenzreederei
zu übertrumpfen. Ohne Schiffsmakler von Beruf und
Gewerbe zu ſein, verstehe ich mich doch einigermaßen
auf dergleichen Sachen. Nun, davon ſpäter. Rück-
sichtlich des „Merkur“ haben ſich unerwarteterweiſe ver-
ſchiedene Umstände eingestellt, die den Wiederverkauf
des Schiffes wünschenswert erſcheinen laſſen.“

„Es wird nicht ſo leicht sein, den alten Kasten
anzubringen, “ bemerkte Hinrichſen nachdenklich. „Keinen-
falls wird es ohne einen beträchtlichen Verluſt gehen.
Wieviel haben Sie dafür bezahlt ?"

„Viertauſend Pfunnen.

„Den Kuckuck auch + viertauſend Pfund Ster-
ling?“ fuhr der Schiffsmakler empor. „Das iſt eigent-
lich ein bißchen viel!“ !

„Mag ſ\ein,“ sagte der Engländer mit ruhiger



Derartige Geſchäsfte gehören zur Klaſſe
der einträglichen + der Fremde ſrtieg
in seiner Achtung um ein Erkleckliches.
T eucmunziw Ww
die geringe Nachfrage dermaßen, daß “
„Ich weiß schon, kenne die Formel.
Hier handelt es ſich jedoch um keinen
ſchwimmenden Sarg, den man für ein
paar hundert Pfund losſchlagen muß,
sondern um ein ſeetüchtiges Fahrzeug
älterer, aber gediegener Bauart, ein
Schiff, das ich erſt vor einigen Tagen
käuflich erworben habe. Sein vorheriger
Eigentümer mag es nicht wieder zurück-
nehmen, obwohl ich es ihm um die
Hälfte des ihm bezahlten Kaufpreiſes
überlaſſen wollte. Sie werden vermutllich
den Kaſten kennen: es iſt der ,„Mer-
fur“, srüher Eigentum der hiesigen
Reederei Lundſtedt.“ 1.9
„Was,“ fragte Hinrichſen ungläubig,
aufgeregt, „ven „Merkur“ wollen Sie
verkaufen? Ja, weshalb haben Sie ihn
denn gekauft?“ –~ Und als ihm ein-
fiel, daß solche. Fragen füglich nicht am
Platze ſind in Geſchäftsangelegenheiten,
leutts er fin: „Sie ſind alſo nach alledem Mr. Brayd
~– hm, aber ~" ;
„Ich dachte es mir bereits, Sie würden etwas
überraſcht ſein, " sagte der Engländer, nach Streich-
hölzern Umschau haltend. „Feuer für meine Pfeife
haben Sie wohl hier?“ :
Hinrichſen reichte ihm ein brennendes Zündholz hin
und gewann dadurch Zeit, ſeine Faſſung zu erlangen.



Das „„Haus im Buſchs‘ im Haag, der Sitz der Friedenskonferenz.

Miene. „Ueberdies bar bezahlt, auf einen Check von
Huggins & Comp., Bankgeſchäft in London .. . Hier
ſind die erforderlichen Papiere, auf mich als den Er-
yerter lautend, Laſſungsurkunde, Hafenmeiſterscertifikat,
CÒŸCcþl- ttt L :

„Zweitauſend Pfund wäre ſc{on ein genügender
Preis für den alten Kaſten, " dachte Hinrichſen. „Wie
iſt es da nur möglich, daß ein Menſch das Doppelte







denn das?“

dafür bezahlt! Mein Freund hat ein Geſchäſt ſonder-
gleichen gemacht + der „Merkur“ ſcheint ihm doch
ans Herz gewachſen geweſen zu ſein; billig war er
ihm augenſcheinlich nicht feil.“ Sein ſcharfes Auge
musterte unauffällig das derbknochige Gesicht des Eng-
länders, der eifrig in ſeiner Brieftaſche klramte, wobei
tr eye Juke gor dazu benutzte, während die Rechte
: ielt.
î Er ſcheint linkshändig zu sein, “ dachte der Schiffs-
makler, eine Vermutung, die ſich jedoch bald als un-
zutreffend erwies. Mr. Brayds rechte Hand hielt näm-



Brofeſſor Dr. Kark Frhr. v. Stengel (München).

lich die Brieftaſche in eigener Weiſe umfaßt, bloß mit
Daumen und Zeigefinger; die übrigen drei Finger
standen gespreizt und unbeweglich davon weg, wie man
es öfters bei Personen mit halbgelähmten Händen ſieht.

Nachdenklich nahm Herr Hinrichſen die ihm dar-
gebotenen Schriftstücke entgegen. Ein altes Bild war
vor seinem geiſtigen Auge aufgetaucht, ein verblaßtes
Bild aus ferner, ferner Zeit. .

„Ich möchte Sie um strengste Verſchwiegenheit bis
auf weiteres bitten, “ sagte der Engländer in der Fort-
setzung der Unterhandlungen; „es iſt, um etwaigen Miß-
deutungen vorzubeugen. Trachten Sie hauptsächlich,
gtztuht eu hrrogttiqluu Ns s :
Baſsin aufliegen, da es dort die wenigsten Unkosten
verursacht. Ich laſſe im Einvernehmen mit meinem
Auftraggeber einige Ausbesserungen daran vornehmen
— Sie verſtehen mich wohl? ~ es iſt nur des beſſeren
Eindrucks wegen auf etwaige Kaufluſtige. Die Leute
müssen sehen, daß etwas gezimmert wird; etwas Innen-

bords - Inſtandſekung + Kajüte, Lade-
raumdecks und ſo weiter ~ wird auch
in Wirklichkeit nichts ſchaden. So ein
wenig oberflächliche Zimmermannsarbeit
~ die paar hundert Mark, wenn's hoch
kommt, will ich gern auslegen.“
„Meinetwegen, “ erwiderte der Schiffs-
makler, „wenr sich auch ſchwerlich je-
mand finden wird, der mehr als dreißig-
oder vierzigtauſend Mark für den „Mer-
kur“ bewilligt. Ein großer Verluſt
bleibt Ihnen immer.
Mr. Brayd erhob ſich, drückte Hin-
richſen die Hand, empfahl ihm nochmals
Umsicht und Verſchwiegenheit und verließ
dann das Comptoir, wie er gekommen

einem kurzen Gruße.

Der Schiffsmakler schüttelte den
Kopf. Plötzlich durchzuckte es ihn wie
eine Erleuchtung. „Wahrhaftig!“ mur-
melte er vor sich hin. „Der kann's
sein! Auch der Name ſcheint zu stim-
men; dann das Geſicht ~ nun, das hat
sich zwar verändert, aber es iſt auch ſchon
lange her ~ und dazu die merkwürdige
Haltung seiner rechten Hand; die ge-

ſpreizten, steifen Finger, gerade so, wie
er dazumal mit einem Buche hantierte.

So etwas bleibt im Gedächtnis haften und kommt dann

plötzlich wieder zum Vorschein ... Nun, was iſt

(S. 603)

Dieser Ausruf galt einem Blättchen Papier, das

unter dem Schreibtiſch an der Fußmatte lag und im

Schatten gelblich ſchimmerte. Der Engländer mochte es
jedenfalls aus seiner Brieftaſche verloren haben.
war ein Ausschnitt aus einer engliſchen Zeitung, aber





war ~ artig und nachläſſig zugleich in.

E


 
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