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608

die eines Mädchens als das Gegenteil angesehen wird. Aermere
seßen daher vielfach die weiblichen Kinder gleich nach der Ge-
burt aus, ohne ſich darum zu kümmern, was aus ihnen wird.
Das Aussetzen und selbſt das Töten von Kindern weiblichen
Geschlechts soll in den großen Seeſtädten des Südens besonders
î Hhùäufig vorkommen, wenn die Eltern zu arm ſind, um eine größere
Anzahl von Kindern zu ernähren. Bekanntlich findet man
ja in keinem anderen Lande der Erde ein ſo ſchreckliches
Elend wie gerade im „Reiche der Mitte“. Alljährlich stirbt
bald hier, bald dort eine erſchreckende Menge vor Hunger;
unzählbar ist die Menge derer, die notdürftig von einem
Tage zum anderen zu leben haben. Mißrät durch Ueber-
schwemmung, Dürre u. s. w. in irgend einer Provinz die
Ernte, so sind zwei Drittel der Bevölkerung allen Schrecken
der Hungersnot ausgeſeßt. Dieſer Umstand und die unge-
meine Uebervölkerung des Landes verursachen die Aussetzung
oder Tötung neugeborener Mädchen, denen die chriſtlichen
Missionen nach Möglichkeit zu steuern suchen. Ueberall, wo
ſie Niederlaſſungen besitzen, hat man es wenigstens erreicht,
daß die armen Wesen nicht getötet, ſondern ihnen aus-
geliefert werden. Die französiſche „Oeuvre de la Sainte-

Unfkance“ allein brachte im verfloſſenen Jahre 3800 Kinder | -
bei eingeborenen Ammen unter, nahm 10,000 in ihren -
Waiſenhäuſern, Schulen und Pachtgütern auf und verſchaffte | /
12,000 Aufnahme in criſtlichen Familien. Vielen Tauſen- |
den von Neugeborenen wurde durch andere Missionsgesell- | -
schaften die gleiche Wohlthat zu teil. Unser Bild auf S. 605 | :

stellt eine Kinderkrippe in China dar, deren die Lazariſten
mit Hilfe der Schwestern des heiligen Vincenz von Paula
und die Väter der Geſsellſchaft der fremden Missionen eine
große Anzahl in den verſchiedenen Provinzen des „himmliſchen
Reiches" eingerichtet haben. Die Anzahl der Schwestern und
Nonnen würde aber bei weitem nicht hinreichen, um den von

den Ihren preisgegebenen Kleinen die mütterliche Pflege zu

erſeßen. Deswegen haben die Missionen Kongregationen von
chinesischen Ordensschwestern ins Leben gerufen. Solche ,chriſt-
liche Jungfrauen“, wie sie gewöhnlich genannt werden, ſsehen
wir auf unserem Bilde damit beschäftigt, die zum großen
Teil noch in Wiegen liegenden mutterlosen Kinder zu warten
und zu pflegen. ;



; îCanile Krantz,
der neue franzöſiſche Kriegsminilter.

(Siehe das nebenstehende Porträt.) .;
Säiiden die Dreyfus-Angelegenheit auf der Tagesordnung

steht, kann sich kein Kriegsminister in Frankreich mehr
lange halten. Allein während der letten 18 Monate haben fünf
Kriegsminister ihre Entlaſſung genommen: Billot, Cavaignac,
Zurlinden, Chanoine und am 6. Mai 1899 auch de Freycinet.
Letzterer hat als Ursache seines Rücktritts aus dem Ministerium

Dupuy, dem er seit dem 1. November 1898 angehörte, den |.

Zwischenfall bei der Kammerdebatte am 5. Mai über die
Interpellation Gonzys angegeben, als er durch die Oppo-
sition unterbrochen und am Weiterreden verhindert wurde.
Der wahre Grund ſoll dagegen in einer Meinungsverſchieden-
heit über die Behandlung der Dreyfus-Angelegenheit zwischen
Freycinet und ſeinen bisherigen Kollegen zu ſuchen sein. Die
teilweiſe Kriſis, die sein Rücktritt bedeutete, hat Minister-
präsident Dupuy ſchnell beſchworen, indem er den bisherigen
Bautenminister Krantz an de Freycinets Stelle sette, während
Senator Moneſtier das Portefeuille des letteren übernahm. –
Camille Krant, der neue franzöſiſche Kriegsminister, dessen
Porträt wir obenstehend bringen, iſt am 24. Auguſt 1848
zu Dinozé im Vogesendepartement geboren. Er machte die
polytechniſche Schule in Paris durch, die kein Polytechnikum

in unserem Sinne, sondern gleichzeitig auch eine Kriegsſchule

iſt und Aspiranten der Artillerie, des Ingenieurfaches und
des Berg- und Wegebaues aufnimmt. Den deutſch-fran-



Warllett Tripp,

der amerikaniſche Spezialkommiſsſar für Samoa.

zöſiſchen Krieg hat Krant als Artillerieleutnant mitgemacht,
dann wurde er Ingenieur der Staatsmanufakturen und
Lehrer an der Brücken- und Straßenbauſchule. Sein Ontel,
der kürzlich verſtorbene Senator Krantz, machte ihn zu seinem
Kabinettschef, als er selbſt zum Generalkommissar der Pariser
Weltausstellung von 1878 ernannt worden war. Das gleiche
Amt wurde Camille Krant 1889 wieder übertragen, und auf
der Weltausstellung in Chicago war er als Generalkommissar



Da s Buh für Al!e.
der franzöſiſchen Abteilung thätig. Von 1879 bis 1891 war

er Berichterſtatter über die Bittſchriften beim Staatsrat. |
hinein gethan, doch schon die nächſten fallen mutiger aus

1891 als Deputierter des ersten Wahlkreiſes von Epinal an
der Mosel, dem Vorort seines Heimatsdepartements, in die
Kammer gesandt, wurde Krant 1893 und 1898 wieder ge-
wählt; er war zuletzt Hauptberichterſtatter der Budgetkom-
mission und Vizepräsident der Kammer, sowie Präſident der















Camille Krantz, ;
der neue französiſche Kriegsminister.

Fraktion der progressiſtiſchen Republikaner, der er seit seinem

Eintritt ins Parlament angehört. Seit dem 30. Oktober 1898

war Krantz Bautenminiſter im Ministerium Charles Dupuy.



Die nach Samoa geſandte Kommiſſion der
| Vertragsmächte.

_ Siehe die 2 untenstehenden Porträts.)

t t cus ratte u! qt Nertot tet qe:
Vertragsmächten nach Samoa gesandten Kommission, des
Freiherrn Speck v. Sternburg. Untenstehend lassen wir nun
auch noch die Bildnisse seines engliſchen und seines ameri-
kaniſchen Kollegen folgen. Charles Norton Edgcumbe Eliot
iſt einer der vorzüglichſten Sprachenkenner im diplomatiſchen
Corps Großbritanniens, dem er seit dem Jahre 1881 an-

gehört. Bartl ett Tripp, der amerikanische Spezialkommissar, |
war. früher Gesandter der Vereinigten Staaten von Nord-

amerika in Wien, und ist seinem Berufe nach Jurist. –
Die drei Kommissare ſind am 26. April 1899 an Bord des

amerikaniſchen Dampfers „Badger“ von San Francisco in |

See gegangen, um auf dem Samoaarchipel die Ordnung
wiederherzuſtellen. Ihre Aufträge und Befugnisse hat Staats-
sekretär v. Bülow in seiner Beantwortung der Interpellation
von Dr. Lehr und Genossen am 14. April im Reichstag in
Kürze folgendermaßen zuſammengefaßt: Die im Hinblick auf
die in Samoa ausgebrochenen Unruhen und zum Zweck der
Wiederherſtellung der Ruhe und Ordnung daselbst durch die

| drei Mächte der Berliner Samoaakte ernannte Kommission

wird die provisoriſche Regierungsgewalt über die Samoa-

| inseln übernehmen und zu diesem Zweck die höchste Amts-

gewalt ausüben. Alle und jede anderen amtlichen Personen

daselbst, sei es, daß deren Amtsgewalt durch Beſtimmungen |

der Berliner Generalakte oder anderweit hergeleitet iſt, haben

ſich dieser Kommission unterzuordnen. Keine Maßregel, die |

getroffen wird, soll rechtsgültig sein, wenn nicht alle drei
Kommissare der Maßnahme zuſtimmen. Es gehört zu den
Aufgaben der Kommissare, zu erwägen, welche Bestimmungen
ſie für die zukünftige Landesregierung oder für die Ab-
änderung der Berliner Schlußakte für notwendig halten, und
darüber nach ihrer Auffaſſung an die Regierungen zu be-
richten. – Mittlerweile haben die aus London und Washington
auf Samoa eingegangenen Befehle, die Feindseligkeiten ein-
zustellen, dort einen Waffenstillſtand zuwege gebracht. Mataafa
hat die von dem britischen und amerikanischen Kommandanten
in Erwartung der Ankunst der Kommission angebotene Waffen-
ruhe angenommen und ist westwärts in das Innere der
Insel Upolu hinter eine vereinbarte Linie zurückgegangen.
Die Mitglieder der Samoakommission beabsichtigen, ungefähr
vier Monate auf der Inselgruppe zu bleiben und dann
zuſammen nach Waſhington zurückzukehren, wo der gemein-
ſame Schlußvertrag abgefaßt werden ſoll.



Kinder im Walde.

(Siehe das Bild auf Seite 609.)

101 lockt doch der Wald, inmitten dessen der feudale
Herrensit liegt, ſo eigen und mächtig mit seinem Rauſchen
und Flüſtern, mit seinen vieltönigen Stimmen, seinen spielen:
den Farben und Lichtern! Eines Tages treibt es die beiden
Kinder der Schloßherrſchaft, in die Wunder des Waldes, die
ringsum weben, einzudringen, seinen Geheimnissen nachzu-



Heft 25.

gehen, ob sie nicht vielleicht eines erlauſchen. Scheu und
zaghaft iſt der erste Schritt von dem Rande in den Wald

und endlich werden sie ganz keck und ſicher. Alles geheime
Bangen ist überwunden. Was giebt es auch alles zu sehen
und zu hören! Da der goldglänzende Schmetterling; mit
weit ausgebreiteten Flügeln ruht er auf einer blauen Blume,
es iſt ſo wie im Zauberland, wie im Märchen + o, wer den
fangen könnte! Da iſt er schon fort auf Nimmerwiedersehen.
Und horch, hoch oben im Baum ſitzt ein kleines Vögelchen,
und wie es mit ſeinem kleinen Kehlchen zu pfeifen und zu
ſingen weiß, daß es im weiten Walde schallt, es iſt eine Luft,
daß man gleich mit einstimmen möchte. Aber wie der kleine
Karl die Lippen spitzt und einen Pfiff ertönen läßt, iſt es
gleich fort, es will sich doch in seinem Liede nicht stören
laſſen. Die Blumen rechts und links ~ wer die alle pflücken
könnte – kaum können die Kinderhände die Sträuße noch
faſſen. Und was regt sich dort oben in der Tanne ? O Wunder ~
ein Eichkätchen! Wie es ſo poſſierlich hockt und Männchen
macht, und jetzt, wie es klettert und ſpringt, gerade als flöge
es durch die Luft! Und wie der braunpelzige, langſchwänzige
Seiltänzer dort oben lustig von Ast zu Ast fliegt, so trippeln
eilfertig die kleinen Füßchen auf dem weichen mooſigen Wall-
grund nach. Doch nun ist auch das Eichkätzchen im dichten
Laubgebüſch verſchwunden. Hochaufatmend bleiben die Kinder
ſtehen und schauen sich um. Was ist das? Ringsum nichts
als tiefer dunkler Wald. Kein Blick ins Freie, kein Aus-
blick auf das Schloß! Sie laufen vorwärts und rückwärts,
ſie laufen rechts und links – kein Weg, kein Steg, überall
nur dichter wilder Wald! Da ſsteigt doch in den kleinen

Herzen höher und höher ein Gefühl beklemmender Angst,

verwirrenden Bangens. Und nun müssen ihnen gerade noeh
zur Unzeit all die bösen, sonst so gern gehörten Geſchichten

einfallen von bösen Hexen und schlimmen Räubern, von

fürchterlichen Riesen und tückiſchen Zwergen, von gefährlichen
Lindwürmern und Drachen. Und kaum denken sie daran,
ſo ſcheint sich auch ſchon der Wald geheimnisvoll zu beleben.
Das Rauſchen klingt so ſchaurig, jedes Raſcheln so unheim-
lich, hinter jedem Baum scheint ein Räuber zu lauern. Von
ferne her raſchelt es, dürre Aeſte knacken. Die beiden Kin-
der drücken sich aneinander und hocken sich auf einen
Baumſtamm nieder. Das kleine Mädchen iſt ängſtlich,
aber der ältere Bruder zieht das Schwesterchen an sich, um
es zu schützen gegen alle Ungeheuer der Welt, und seine
großen Kinderaugen ſehen trotzig und geſpannt dem entgegen,
was kommen ſoll (ſiehe das Bild auf S. 609). Und näher
kommt's und näher, eine dunkle Gestalt wird zwischen den
Stämmen sichtbar ~ nun ist sie heran! Ach, die freuiize.

| Ueberraschung, es iſt der alte langbärtige Forſtwart, der den

Kindern seines Herrn ſo manches schöne Spielzeug geschnitzt
hat und der jett die kleinen Abenteurer aus den dunklen
Geheimnissen des Waldes in das Licht des Tages, der Wire.
lichkeit zurückführen wird.



lerkwürdige Gelbſttiuſchungen.

V ſychologi ſche Skizze von V. Berthold.
: : (Nachdruck verboten.)

ört' ich das Pförtchen nicht gehen? Hat nicht
H: Riegel geklirrt?“ Dieser Anfang des



Schillerſchen Gedichtes „die Erwartung“ kann
auch als Ausgangspunkt unserer Betrachtung
dienen. Gerade eine auf etwas wartende Person iſt
nämlich zu Selb sttäuſchun g en, von denen im
Nachſtehenden die Rede sein soll, besonders geneigt.

Sie iſt bereit und disponiert, gerade die Dinge zu



Charkes Norton Edgcumbe Eliot,

der britiſche Spezialkommiſsſar für Samoa.

hören oder zu ſehen, die ſie erwartet, die ſie gern hören
oder ſehen möchte oder w ill. ;
Damit iſt zugleich erklärt, welche Art von Selbst-
täuſchungen wir hier näher zu beſprechen gedenken.
Es ſoll nämlich nicht von solchen Täuſchungen die Rede
sein, die durch unſere Augen, Ohren oder Nasen her-
vorgerufen werden, den sogenannten Sinn es täu-






 
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