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Da s B uch für Alle.
Heft 26.
dem Altmeister Gounod gehöre, und da unser Kom-
mandeur ein großer Verehrer Gounods war, so hatte
er den Befehl gegeben, des Meiſters Eigentum wenn
möglich zu schonen. Schließlich aber, da fortwährend
von dort noch gefeuert und mancher Tapfere aus un-
seren Reihen niedergeſtrect wurde, mußten wir uns
doch entschließen, eine unserer Batterien auf die Villa
zu richten. Zugleich aber wurde die tapfere Schar,
die sie verteidigte, zur Uebergabe aufgefordert. Der
Anführer, ein hochgewachſener Mann mit dem breto-
nischen Kreuz auf der Mütze, trat nach kurzer Be-
ratung mit den Seinen heraus, um wegen der Bedin-
gungen der Uebergabe zu unterhandeln, und da ihm und
den Seinen freier Abzug zugebilligt wurde, komman-
dierte er ſogleich sein kriegeriſches Häuflein zum Auf-
bruch. Noch aber hatte der legte Franzoſe das Gehöft
nicht verlaſſen, da drangen plötzlich durch das Waffen-
geklirr die weichen Töne eines Flügels an unſer Ohr,
auf dem die Melodie des eben gehörten Blumenliedes
mit meiſterhaftem Ausdruck gespielt wurde. Die Wir-
kung war eine geradezu ergreifende. Die abziehenden
Franzosen standen einen Moment wie gebannt, und
ich ſah, wie dem Anführer die hellen Thränen über
die gebräunten Wangen rannen. Der aber so wir-
kungsvoll im Hauſe Gounods dieſes Lied gespielt hatte,
war der Hauptmann v. Rahden, der einzige Bruder
unseres Oberſtleutnants, dem wir alle mit Leib und
Seele zugethan waren. Beſonders aber hing ſein jün-
gerer Bruder an ihm, bei dem er nach dem frühen
Tode der Eltern Vaterſtelle vertrae. – Zwei Tage
darauf bei einem Ausfall fand er seinen Heldentod;
das Blumenlied, das er auf Gounods Flügel in ſo
teihecole: Stunde geſpielt, war sein Schwanenlied
Wir alle ſchwiegen tief ergriffen.
Nur der Graf bemerkte nach einer Pauſe: „Jhre
Erzählung, lieber Oberſt, giebt mir die Erklärung für
des Oberſtleutnants verſchloſſenes, aller Freude unzu-
gängliches Wesen. So tiefe Schatten, die auf die
Jugend fallen, verwiſchen sich nie völlig. Steht Herr
v. Rahden ganz allein in der Welt?“
„Ganz allein, Herr Graf. Mit seinem Bruder
begrub er alles, was er beſaß, in der fremden Erde,
Auf sich selbſt gestellt in jungen Jahren, mußte er ſich
unter den mißlichſten Vermögensverhältnissen allein
durchs Leben ſchlagen. Und er hat's mit Kraft und
Energie gethan, das muß ihm der Neid lasſſen.“
Des Obersten Blick flog dabei wie mahnend zu
uns herüber. Wußte er doch, wie unbeliebt der Oberſt-
leutnant im Regimente war. Wollte er unſerer Jugend
damit die Lehre geben, nicht zu raſch im Urteil zu ſein?
Der Hauplſaak des Wiener Ralhauskellers. Nach einer photographiſchen Aufnahme von R. Leth n ex (Wilh. Müller) in Wien. (S. 626)
Draußen hatte die Muſik geendet, der Graf mahnte ;
zum Aufbruch. Die jungen Damen ſtanden ſchon in
ihren Reitkleidern unſerer harrend auf der Freitreppe
des Schlosſes. :
Leokadia sah sehr stolz und schön aus in ihrem
dunkelblauen Reitkleide, mit dem Reithut auf der feinen,
von einigen kecken Löckchen umflatterten Stirn. Sie
grüßte mich freundlich mit einem etwas melancholiſchen
Zug um den reizenden Mund, während ihre Freundin
Anna ganz strahlende Freude war.
Als ich mich auf das mir aus dem gräflichen Stalle
zur Verfügung gestellte Pferd geſchwungen hatte, ritt
der Graf an meine Seite.
. unDer Gaul ist ein wenig unruhig,“ bemerkte er,
„ich bitte Sie daher, acht zu geben, besonders aber das
sttiuacn hu ves da er ſich dabei oft ſchon wider-
etlich gezeigt hat. “
_ nDhne Sorge, Herr Graf, als Sohn eines Kavalle-
; kiſten habe ich gelernt, mit jedem Pferde fertig zu
werden.'
. Der Graf ſah mich etwas zweifelnd an, was mich
verletzte. Ich wußte ja, daß ein Infanterieoffizier nur
in zweiter Linie rangiert, und man ihm besonders
in der Reitkunst sehr wenig zutraut. Es reizte mich,
die Unrichtigkeit dieses Urteils zu beweiſen. So ließ
ich denn meinen Blick über das Gelände ſchweifen. ~
Eine meterhohe Hecke, die eine Schonung vor dem
Walde umgrenzte, schien mir der geeignete Play zu
dem geplanten Wagnis. Mit kurzem Entsſchlusſe setzte
ich dem Gaul die Sporen ein = ein lautes Rufen
hinter mir umſchwirrte noch mein Ohr — dann flog er
mit mächtigem Änsatz über die Hecke fort, um jenſeits
derſelben schnaubend in die Kniee zu ſinken. Ein
Schenkeldruk! er ſchnellte wieder in die Höhe und
jagte in raſendem Galopp mit mir davon. Aber auch
jeht gelang es mir, seiner Herr zu werden, und zu-
rückwendend ritt ich in gemeſſenem Trabe den Zurück-
gebliebenen entgegen. ; _
„Bravo, Herr Leutnant!“ rief mir der Graf ſchon
von weitem zu. „Ich mache Ihnen mein Kompliment,
Sie ſind ein famoſer Reiter. Ü
Auch der Obersſt ſchmunzelte vergnügt; nur eine
spendete mir keinen Beifall, eine, von der ich ihn am
meisten ersehnte.
„Wozu solche Kunstſtücke, Herr Leutnant?“ sagte
Leokadia vorwurfsvoll, als ich an ihre Seite ritt. „Es
iſt ein Zufall, daß es glückte.“ L
„Ich war meiner Sache ziemlich sicher, “ entſchul-
digte ich mich. „Das Wagnis war nicht ſo groß, als
es den Anſchein hatte.“ ..!
„Mir aber hat es die Stimmung verdorben, “ klagte
sie, die ſchóönen Augen mit einem Ausdruck zu mir
aufschlagend, der mich in Entzücken versetzte. .
„Und wenn es thöricht von mir war,“ sagte ich,
mich zu ihr neigend, „es giebt Augenblicke, wo man
mit innerer Gewalt zu Außergewöhnlichem getrieben
wird.. Das sei meine Entſchuldignntn.
ih S1§ verſtand mich, denn eine heiße Röte stieg in
ihre Wanke...
EO] Ihnen denn verziehen, “ lächelte sie mir
mit anmutiger Neigung des Kopfes zu. ~ „Nun aber
nichts weiter davon. Genießelt wir den Augenblick.
| Nichts Schöneres, als so dahinzujagen in die Friſche
des Morgens, um uns das Wogen und Rauſchen der
Bäume, über uns des Himmels Blau.“
Und ihrem Pferde mit der Reitgerte einen leichten
Da s B uch für Alle.
Heft 26.
dem Altmeister Gounod gehöre, und da unser Kom-
mandeur ein großer Verehrer Gounods war, so hatte
er den Befehl gegeben, des Meiſters Eigentum wenn
möglich zu schonen. Schließlich aber, da fortwährend
von dort noch gefeuert und mancher Tapfere aus un-
seren Reihen niedergeſtrect wurde, mußten wir uns
doch entschließen, eine unserer Batterien auf die Villa
zu richten. Zugleich aber wurde die tapfere Schar,
die sie verteidigte, zur Uebergabe aufgefordert. Der
Anführer, ein hochgewachſener Mann mit dem breto-
nischen Kreuz auf der Mütze, trat nach kurzer Be-
ratung mit den Seinen heraus, um wegen der Bedin-
gungen der Uebergabe zu unterhandeln, und da ihm und
den Seinen freier Abzug zugebilligt wurde, komman-
dierte er ſogleich sein kriegeriſches Häuflein zum Auf-
bruch. Noch aber hatte der legte Franzoſe das Gehöft
nicht verlaſſen, da drangen plötzlich durch das Waffen-
geklirr die weichen Töne eines Flügels an unſer Ohr,
auf dem die Melodie des eben gehörten Blumenliedes
mit meiſterhaftem Ausdruck gespielt wurde. Die Wir-
kung war eine geradezu ergreifende. Die abziehenden
Franzosen standen einen Moment wie gebannt, und
ich ſah, wie dem Anführer die hellen Thränen über
die gebräunten Wangen rannen. Der aber so wir-
kungsvoll im Hauſe Gounods dieſes Lied gespielt hatte,
war der Hauptmann v. Rahden, der einzige Bruder
unseres Oberſtleutnants, dem wir alle mit Leib und
Seele zugethan waren. Beſonders aber hing ſein jün-
gerer Bruder an ihm, bei dem er nach dem frühen
Tode der Eltern Vaterſtelle vertrae. – Zwei Tage
darauf bei einem Ausfall fand er seinen Heldentod;
das Blumenlied, das er auf Gounods Flügel in ſo
teihecole: Stunde geſpielt, war sein Schwanenlied
Wir alle ſchwiegen tief ergriffen.
Nur der Graf bemerkte nach einer Pauſe: „Jhre
Erzählung, lieber Oberſt, giebt mir die Erklärung für
des Oberſtleutnants verſchloſſenes, aller Freude unzu-
gängliches Wesen. So tiefe Schatten, die auf die
Jugend fallen, verwiſchen sich nie völlig. Steht Herr
v. Rahden ganz allein in der Welt?“
„Ganz allein, Herr Graf. Mit seinem Bruder
begrub er alles, was er beſaß, in der fremden Erde,
Auf sich selbſt gestellt in jungen Jahren, mußte er ſich
unter den mißlichſten Vermögensverhältnissen allein
durchs Leben ſchlagen. Und er hat's mit Kraft und
Energie gethan, das muß ihm der Neid lasſſen.“
Des Obersten Blick flog dabei wie mahnend zu
uns herüber. Wußte er doch, wie unbeliebt der Oberſt-
leutnant im Regimente war. Wollte er unſerer Jugend
damit die Lehre geben, nicht zu raſch im Urteil zu ſein?
Der Hauplſaak des Wiener Ralhauskellers. Nach einer photographiſchen Aufnahme von R. Leth n ex (Wilh. Müller) in Wien. (S. 626)
Draußen hatte die Muſik geendet, der Graf mahnte ;
zum Aufbruch. Die jungen Damen ſtanden ſchon in
ihren Reitkleidern unſerer harrend auf der Freitreppe
des Schlosſes. :
Leokadia sah sehr stolz und schön aus in ihrem
dunkelblauen Reitkleide, mit dem Reithut auf der feinen,
von einigen kecken Löckchen umflatterten Stirn. Sie
grüßte mich freundlich mit einem etwas melancholiſchen
Zug um den reizenden Mund, während ihre Freundin
Anna ganz strahlende Freude war.
Als ich mich auf das mir aus dem gräflichen Stalle
zur Verfügung gestellte Pferd geſchwungen hatte, ritt
der Graf an meine Seite.
. unDer Gaul ist ein wenig unruhig,“ bemerkte er,
„ich bitte Sie daher, acht zu geben, besonders aber das
sttiuacn hu ves da er ſich dabei oft ſchon wider-
etlich gezeigt hat. “
_ nDhne Sorge, Herr Graf, als Sohn eines Kavalle-
; kiſten habe ich gelernt, mit jedem Pferde fertig zu
werden.'
. Der Graf ſah mich etwas zweifelnd an, was mich
verletzte. Ich wußte ja, daß ein Infanterieoffizier nur
in zweiter Linie rangiert, und man ihm besonders
in der Reitkunst sehr wenig zutraut. Es reizte mich,
die Unrichtigkeit dieses Urteils zu beweiſen. So ließ
ich denn meinen Blick über das Gelände ſchweifen. ~
Eine meterhohe Hecke, die eine Schonung vor dem
Walde umgrenzte, schien mir der geeignete Play zu
dem geplanten Wagnis. Mit kurzem Entsſchlusſe setzte
ich dem Gaul die Sporen ein = ein lautes Rufen
hinter mir umſchwirrte noch mein Ohr — dann flog er
mit mächtigem Änsatz über die Hecke fort, um jenſeits
derſelben schnaubend in die Kniee zu ſinken. Ein
Schenkeldruk! er ſchnellte wieder in die Höhe und
jagte in raſendem Galopp mit mir davon. Aber auch
jeht gelang es mir, seiner Herr zu werden, und zu-
rückwendend ritt ich in gemeſſenem Trabe den Zurück-
gebliebenen entgegen. ; _
„Bravo, Herr Leutnant!“ rief mir der Graf ſchon
von weitem zu. „Ich mache Ihnen mein Kompliment,
Sie ſind ein famoſer Reiter. Ü
Auch der Obersſt ſchmunzelte vergnügt; nur eine
spendete mir keinen Beifall, eine, von der ich ihn am
meisten ersehnte.
„Wozu solche Kunstſtücke, Herr Leutnant?“ sagte
Leokadia vorwurfsvoll, als ich an ihre Seite ritt. „Es
iſt ein Zufall, daß es glückte.“ L
„Ich war meiner Sache ziemlich sicher, “ entſchul-
digte ich mich. „Das Wagnis war nicht ſo groß, als
es den Anſchein hatte.“ ..!
„Mir aber hat es die Stimmung verdorben, “ klagte
sie, die ſchóönen Augen mit einem Ausdruck zu mir
aufschlagend, der mich in Entzücken versetzte. .
„Und wenn es thöricht von mir war,“ sagte ich,
mich zu ihr neigend, „es giebt Augenblicke, wo man
mit innerer Gewalt zu Außergewöhnlichem getrieben
wird.. Das sei meine Entſchuldignntn.
ih S1§ verſtand mich, denn eine heiße Röte stieg in
ihre Wanke...
EO] Ihnen denn verziehen, “ lächelte sie mir
mit anmutiger Neigung des Kopfes zu. ~ „Nun aber
nichts weiter davon. Genießelt wir den Augenblick.
| Nichts Schöneres, als so dahinzujagen in die Friſche
des Morgens, um uns das Wogen und Rauſchen der
Bäume, über uns des Himmels Blau.“
Und ihrem Pferde mit der Reitgerte einen leichten