G wenigstens das Geld erhalten.“
Heft 21.
ſtalt eines großen, elegant gekteipcten Maganes, der
. dort offenbar auf ihr Wiedererſcheinen gewartet hatte.
_ yDas hat ja verwünſcht lange gedauert, Lilli,“
agte er, ſeine Stimme vorsichtig dämpfend, obwohl
rings umher kein menſchliches Weſen zu erblicken war,
das sie hätte belauſchen können. „Hoffentlich hast du
„Ja,“ erwiderte ſie, indem ſie ihm haſtig die Bank-
noten und den zerknitterten Pfandſchein reichte. ,„Aber
nicht um eine Million möchte ich das noch einmal thun,
Papa! Ich habe mich durch flehentliche Bitten vor
dieſen Leuten demütigen müſſen und dabei habe ich
noch eine Todesangst ausgestanden, daß sie mir die
Lüge vom Gesicht ableſen könnten, als ich ihnen zu
meiner Legitimation Melanies Visitenkarte gab.“
Der vornehm gekleidete Herr war in den Lichtkreis
einer Laterne getreten, um die Scheine zu zählen. Er
war ein Mann von vielleicht fünfundvierzig Jahren
ïlltohoovuuwattœwowooootittG]
gepflegtem, martialiſchem blonden Schnurrbart. Seiner
Haltung und seinem Aussehen nach hätte man ihn am
zheſten für einen in Zivil gekleideten Offizier halten
önnen.
Erst nachdem er ſich überzeugt hatte, daß die Summe
stimmte, antwortete er auf die Klage des jungen Mäd-
chens: „Ich kann mir wohl denken, daß es nicht ſehr
angenehm für dich war, mein armer, kleiner Liebling!
Aber wenn unſereiner mal in Geldverlegenheit gerät,
iſt er eben viel ſchlimmer daran als irgend ein armer
Teufel, dem es nichts ausmacht, wenn alle Welt von
seiner Bedrängnis erfährt. Ich konnte nicht ſelbſt hin-
gehen, um das Ding zu verſeten, das ſiehſt du doch
wohl ein, und ich durfte mich auch keinem anderen
anvertrauen. Du aber wirsſt mit dieſem ſchäbigen
Pfandleiher kaum jemals wieder in perſönliche Be-
rührung kommen, und da er deinen Namen nicht er-
fahren hat, ist es jezt ſchon ſo gut, als wäre es nie
geschehen. Er hat doch nicht etwa verſucht, dich aus-
ufragen?" j :
s Lilli verneinte, und für einen Moment war ſie in
Verſuchung, dem Vater von dem freundlichen Referen-
dar zu erzählen, ohne deſſen Verwendung sein Wunſch'
ſchwerlich in Erfüllung gegangen wäre. Aber eine
instinktive Scheu, über deren Ursache sie ſelbſt sich
keine Rechenschaft zu geben vermochte, hielt ſie davon
ab. Und der Herr mit dem blonden Schnurrbart war,
wie es ſchien, auch gar nicht ſehr neugierig, Näheres
über ihre Erlebniſſe. in Auguſt Imbergs Geſchäftslokal
gu erfahren.
.Ich denke, wir nehmen eine Droſchke,“ ſagte er,
„um deinen Koffer abzuholen und dann ſJogleich nach
dem Bahnhof zu fahren. Dein Zug geht zwar erſt
in einer Stunde, aber wir können ebensowohl im
HWarteſaal zu Abend speisen als in irgend einem Restau-
rant, wo wir doch möglicherweiſe auf Bekannte ſtoßen
könnten.“ :
„Und ich soll der Tante wirklich nicht lebewohl
agen? Wird ſie mir das nicht ſehr verübeln?"
„Ich will dich ſchon bei ihr entschuldigen. Sie
glaubt ja, daß du bereits heute früh gefahren biſt,
und in dieſem Glauben müssen darum ſelbſtverſtänd-
lich auch alle unsere Bekannten erhalten werden. Merke
dir das gut, liebes Kind! Und Fei überhaupt in deinen
Aeußerungen so vorsichtig als möglich. Zu keinem
Menschen, wer es auch sein mag, darfſt du jemals
von der Broſche sprechen. Denn um meine und um
deine Stellung in der Geſellſchaft wäre es rettungslos
geschehen, wenn irgend jemand von deinem Besuch bei
dem Kerl da“ =. und er wies mit einer Kopfbewegung
rückwärts =~ „erführe. "
ùLilli ſchwieg, und erſt als ſie dann in der von
ihrem Vater angerufenen Droſchke saßen, ſagte sie mit
. einem tiefen Seufzer: „Es ist doch eigentlich recht
schlimm, wenn man nicht reich iſt, Papa! Solche
Sachen, wie die von heute abend, ſind so widerwärtig. "
Der andere lachte etwas gezwungen. „„Zu den
Freuden des Daſeins gehören sie wenigstens nicht
das gebe ich dir gerne zu, mein Kind! Aber es wer-
den ja auch wieder besſſere Zeiten kommen, und du zu-
mal haſt alle Ursache, auf sie zu hoffen. Daß du dein
Herzchen jemals an einen armen Schlucker rerlieren
zyten tte ich doch wohl nicht zu befürchten
nicht wahr?" :
ih großer Entſchiedenheit ſchüttelte ſie den Kopf.
„Niemals, Papa! Ehe ich mich mein Leben lang ſolchen
abſcheulichen Notwendigkeiten ausgeſetzt ſehen möchte,
wie es die heutige war, möchte ich noch lieber mit
zwanzig Jahren ſterben.“
Zärtlich streichelte der Vater ihre Hand. „Aber
das eine wird so wenig nötig ſein als das andere,
mein Liebling] Wenn du dein Herz nur vor allen
Thorheiten zu hüten weißt, wird sich ſchon eines Tages
der Rechte einfinden, der dir das Los zu bieten ver-
mag, auf das mein Töchterchen Anspruch erheben darf.“
DWieder atmete Lilli tief auf, aber es klang dies-
mal wie ein Seufzer heißer Sehnſucht nach diesem
herrlichen Tage, und in den braunen Augen, die eben
im Vorüberfahren an den hellerleuchteten Fenſtern
Das Buch für Ntlle.
eines prächtigen Hauſes dahin ſtreiften, leuchtete es
wie glühendes Verlangen nach Glück und Genuß.
Bweites Kapitel..
. Es war eine Woche ſpäter. Auguſt Imberg befand
ſich allein in seinem Comptoir, als ein trotz ſeiner
bürgerlichen Kleidung ſehr soldatiſch aussehender Mann
in mittleren Jahren mit dem vertraulichen Gruße eines
alten Bekannten eintrat.
„Ah, Herr Fahrig!“ sagte der Pfandleiher, indem
er ihm über den Ladentiſch hinweg die Hand reichte.
„Habe ja ſeit beinahe einem Monat nicht mehr das
Vergnügen gehabt. Wieder einmal eine kleine Reviſion
des Pfandbuches – wie?“
„Diesmal nicht, Herr Imberg! Ich bringe Ihnen
nur einen Laufzettel über geſtohlene Sachen. Viel be-
ſonderes iſt nicht dabei ~ außer einem wertvollen
Brillantſchmuck, der einer Frau Theresſe Haller schon
vor acht Tagen gestohlen sein sol. Na, bei einem
Manne wie Sie werde ich ihn ja ſchwerlich finden,
das weiß ich im voraus."
Er hatte den gedruckten Zettel aus seinem Notiz-
buch genommen und ihn Imberg überreicht. Der über-
flog ihn raſch, um dann mit einem Ausruf des Schreckens
den Kopf zurückzuwerfen.
„Was — was iſt das?“ ſtieß er hervor. „Eine
Broſche aus Brillanten, Rubinen und Saphiren in
Form eines großen Schmetterlings – Etui von rotem
Leder ~ mit weißer Seide gefüttert und mit der Firma
eines Pariſer Juweliers! D Wenn Sie diesen Schmuck
nun doch bei mir fänden, Herr Fahrig ~ was würden
Sie dann ſagen?“ :
„Nun, - ich würde sagen, daß die Diebin es ver-
teufelt ſchlau angefangen haben muß, das Ding gerade
bei Ihnen anzubringen, “ entgegnete der Beamte ge-
laſſen. „Einen gewissenhafteren und vorſichtigeren
Mann giebt es ja nicht auf der ganzen Welt. Aber
laſſen Sie doch 'mal ſehen.“
Der Pfandleiher war bereits an den Geldſchrank
geeilt, in dem er die wertvolleren Pfandſtücke aufzu-
bewahren pflegte, und mit zitternder Hand öffnete er den
besonderen Verſchluß, der die allerwertvollsten enthielt.
Er drückte auf die Feder des roten Etuis, das er ihm
entnommen hatte, und las mit faſt versſagender Stimme:
„Armand Thiébaut, Paris! Es stimmt – stimmt
alles ganz genau. Und das mußte mir widerfahren
~ mir! Ah, es iſt niederträchtig ~ ſchändlich ~ es
iſt ein Nagel zu meinem Sarge!“
„Aber so beruhigen Sie sich doch, beſter Herr Jm-
berg. Das kann ja jedem paſſieren. Kein Menſch
wird Ihnen einen Vorwurf daraus machen, und da
Sie bei der Beleihung ohne allen Zweifel vollkommen
korrekt verfahren ſind, wird Ihnen auch kein Schaden
aus der Sache erwachſen. Mit dieser ſelbſt hat es
freilich offenbar seine Richtizkeit. Die Beſchreivung
paßt ja in allen Einzelheiten. Von wem haben Sie
denn nun den Schmuck bekommen?“
Der Pfandleiher war noch immer ganz faſſungs-
los, und der Beamte mußte seine Frage wiederholen,
ehe er Antwort erhielt.
„Von einem jungen Mädchen = einer Person, auf
deren Ehrlichkeit ich unbedenklich Gift genommen hätte."
„Na, in der Beziehung kann man ſich allerdings
gründlich täuschen, namentlich bei Frauenzimmern ~
davon wissen wir ein Lied zu singen. Unter welchem
Namen iſt sie denn aufgetreten?“
„Warten Sie = ich werde gleich nachſehen. Da,
hier ſteht es. Melanie v. Neuhoff, Parkſtraße 2.Ô"
Der Schutzmann lachte. „„Als ctwas Geringeres
mochte sie es wahrſcheinlich nicht thun. Den Herrn
v. Neuhoff und seine Familie kenne ich zufällig. Er
iſt ein pensionierter General und besitzt durch seine Frau
ein Vermögen von einigen Millionen. Das Fräulein
Melanie braucht alſo keine Schmuckſachen zu verſetzen,
und sie hat es noch weniger nötig, ſolche zu ſtehlen.
Wodurch hat sich denn die Diebin als Fräulein v. Neu-
hoff ausgewiesen ?" ;
August Imberg keuchte vor: Aufregung. Aber er
dachte nicht daran, sich mit einer Lüge herauszureden.
„Durch eine Viſitenkarte. Da = ich habe ſie noch
in meinem Pulte liegen."
Der Beamte muſterte den ſchmalen Kartonſtreifen,
und sein bis dahin recht vergnügtes Gesicht wurde
ernſier. ;
fs er das iſt doch keine Legitimation, Herr Jm-
berg! Sie werden ja vermutlich beſſere Ausweise von
ihr verlangt haben. ehe Sie ſich auf die Sache ein-
ließen.“
„Das iſt ja mein Unglück, daß ich es nicht gethan
habe,“ ächzte der Pfandleiher. „Jc< ~ ich ließ mich
eben bereden. Ü
Hann ſieht es sllervi.tgs srigcemaßen bederklic
für Ste es Äh ts ; t Jagen ? t a.gs
~ davor ſchützt Sie wohl die Matelloſigkeit Ihrer
bisherigen Geschäftsführung. Aber Sie werden viele
Scherereicen haben, und ich glaube auch nickt, daß die
567
Frau Haller unter ſolchen Umständen dazu verpflichtet
iſt, Jhnen das Geld, das Sie auf das Schmuckstück
geliehen haben, zu erſetzen. Ü :
Auguſt Imberg lief in dem kleinen Raum hinter
dem Ladentiſche umher, als würde er von heftigen
körperlichen Schmerzen gepeinigt. Er, deſſen Stolz
es gewesen war, daß er in dieſen langen dreißig Jahren
mit der Polizei niemals in unliebſame Berührung ge-
kommen, er sah sich da mit einemmal in eine An-
gelegenheit verwickelt, deren verhängnisvolle Tragweite
ſich noch gar nicht abſehen ließ. Der Gedanke an den
drohenden Verluſt der beträchtlichen Summe und an
alle die anderen damit verbundenen Möglichkeiten brachte
ihn ſchier zur Verzweiflung. ;
„Es ist gräßlich! Aber diese Perſon – wenn ich
ihrer habhaft werde ~ ich glaube, ich könnte sie er
eures... laſſen Sie doch lieber bleiben. Sie kriegt
ihre Strafe auch ſo. Nun wird ihr ja voraussichtlich
all ihr Leugnen nicht mehr viel helfen. “
Der Pfandleiher horchte hoch auf. „Man hat sie
gljo jar sefaptt Sie befindet sich hinter Schloß und
iege q z . -
„Ja – immer vorausgeſetzt, daß es die richtige iſt.
Die Beſstohlene, eine ſehr vermögende Witwe in der
Buchen-Allee, erklärte von vornherein, den Umständen
nach könne nur ihre Geſellſchafterin, eine gewiſſe Mar-
garete Williſen, den Schmuck entwendet haben. Ih
weiß nun zwar noch nicht, welche Verdachtsgründe gegen
das Mädchen vorliegen, denn ich habe mich bis jett
nicht viel um die Sache gekümmert. Aber das weiß
ich, daß die Williſen heute morgen von meinem Kollegen
Braun verhaſtet wurde. Sie beſtreitet bis jett auf das
entſchiedenſte ihre Schuld, aber wenn Sie im ſtande
ſind, sie zu rekognoszieren, iſt ſie natürlich geliefert. Ü
„D, ich will sie ſchon wieder erkennen, wie geschickt
sie sich auch vermummt hatte. Iſt mir's doch, als
ſähe ich ſie noch hier leibhaftig vor mir ſtehen.“
. y„cDeſto beſſer! Sie werden ja noch heute oder
späteſtens morgen vorgeladen werden, damit man Ihnen
die Person gegenüberſtellen kann. Den Schmuck nehme
ich natürlich in Beſchlag. Ü ..
Er fertigte dem Pfandleiher eine Empfangsbeſchei-
nigung aus und verabſchiedete ſich, äußerſt zufrieden
mit dem unerwartet ſchnellen und günſt:gen Ergebnis
seiner Nachforſchungen. ~
Als zwei Stunden ſpäter der Referendar Imberg
heimkehrte, fand er ſeinen Vater in so tieſer Belime
mernis, daß er beſorgt nach der Urſache ſeines Kum-
mers fragte. Der Alte sah ihn traurig an, wie wenn
es ihm ſchwer würde, mit der Sprache herauszukommen.
„Wir beide ſind ſchmählich hintergangen worden,
mein Junze!“ begann er endlich. „Die Perſon, die
vor acht Tagen den Brillantſchmetterling bei mir ver-
pfändete, war eine gemeine Diebin.“ :
Der Referendar wurde blaß vor Beſtürzung. „Das
iſt nicht wahr, Vater,“ erklärte er dann mit Beſtmmte.
heit. „Es kann nicht wahr ſein. Wenn man etwas
derartiges von ihr behauptet, ſo muß sie das unglück-
liche Opfer eines Irrtums oder einer Perſonenverwechs-
lung geworden Fein.“
„Und warum muß sie das? Weißt du denn mehr
von ihr als ih? Hatte ſie dir vielleicht doch Näheres
über ihre Verhältniſſe erzählt? Oder haſt du ſie ſeit-
dem wieder geſehen?t“".
„Nichts von alledem. Aber ich würde überhaupt
an keines Menſchen Rechtſchaffenheit mehr glauben
können, wenn dies Mädchen eine Diebin oder auch nur
eine Lügnerin gewesen wäre.“
August Imberg wiederholte ihm ſtatt jeder anderen
Antwort den Inhalt des Gespräches, das er vorjſn
mit dem Kriminalbeamten geführt hatte.
Wenn nun
der Referendar auch dadurch offenbar keineswegs über-
zeugt wurde, daß die junge Unbekannte einen Diebltahl
verübt habe, ſo machten ihn diese Mitteilungen doch
sehr niedergeſchlagen und nachdenllich.
Vater und Sohn ſaßen sich beim Mittageſſen viel
ernſter und ſchweigſamer gegenüber als ſonſt. Sie
berührten zur Verwunderung des Dienſtmädchens die
einfache Mahlzeit kaum, und obgleich des Brilluane.
schmetterlings zwiſchen ihnen zunächſt nicht weiter Er-
wähnung geschah, unterlag es doch keinem Zweifel,
daß ſich die Gedanken beider, wenn auch vielleicht in
sehr verſchiedener Weiſe, ausſchließlich mit ihm und
mit ſeiner Ueberbringerin beſchäftigten.
Wie der Kriminalſchut mann Fahrig es vorausgeſagt
hatte, wurde dem Pfandleiher noch am nämlichen Tage
durch einen uniformierten Schutzmann die Vorladung
übermittelt, die ihn für den nächſten Morgen in das
Amtszimmer des Unterſuchungsrichters Föhring be- .
schied. Davon sagte er ſeinem Sohne nichts, denn da
Rudolf ja der eigentliche Urheber des ganzen Unglücks
war, mußte er jede Erwähnung der Angelegenheit not-
wendig wie eine verſchleierte Anklage empfinden. Auguſt
Imberg liebte aber seinen Sohn, für den er ſeit einem
Bierteljahrhundert unermüdlich ſchaſſte und arbeitete,
um ihm den Weg zu Ehre und Ansehen zu ebnen,
viel zu zärtlich, a!s daß er niht darzuf bedaht gr-
Heft 21.
ſtalt eines großen, elegant gekteipcten Maganes, der
. dort offenbar auf ihr Wiedererſcheinen gewartet hatte.
_ yDas hat ja verwünſcht lange gedauert, Lilli,“
agte er, ſeine Stimme vorsichtig dämpfend, obwohl
rings umher kein menſchliches Weſen zu erblicken war,
das sie hätte belauſchen können. „Hoffentlich hast du
„Ja,“ erwiderte ſie, indem ſie ihm haſtig die Bank-
noten und den zerknitterten Pfandſchein reichte. ,„Aber
nicht um eine Million möchte ich das noch einmal thun,
Papa! Ich habe mich durch flehentliche Bitten vor
dieſen Leuten demütigen müſſen und dabei habe ich
noch eine Todesangst ausgestanden, daß sie mir die
Lüge vom Gesicht ableſen könnten, als ich ihnen zu
meiner Legitimation Melanies Visitenkarte gab.“
Der vornehm gekleidete Herr war in den Lichtkreis
einer Laterne getreten, um die Scheine zu zählen. Er
war ein Mann von vielleicht fünfundvierzig Jahren
ïlltohoovuuwattœwowooootittG]
gepflegtem, martialiſchem blonden Schnurrbart. Seiner
Haltung und seinem Aussehen nach hätte man ihn am
zheſten für einen in Zivil gekleideten Offizier halten
önnen.
Erst nachdem er ſich überzeugt hatte, daß die Summe
stimmte, antwortete er auf die Klage des jungen Mäd-
chens: „Ich kann mir wohl denken, daß es nicht ſehr
angenehm für dich war, mein armer, kleiner Liebling!
Aber wenn unſereiner mal in Geldverlegenheit gerät,
iſt er eben viel ſchlimmer daran als irgend ein armer
Teufel, dem es nichts ausmacht, wenn alle Welt von
seiner Bedrängnis erfährt. Ich konnte nicht ſelbſt hin-
gehen, um das Ding zu verſeten, das ſiehſt du doch
wohl ein, und ich durfte mich auch keinem anderen
anvertrauen. Du aber wirsſt mit dieſem ſchäbigen
Pfandleiher kaum jemals wieder in perſönliche Be-
rührung kommen, und da er deinen Namen nicht er-
fahren hat, ist es jezt ſchon ſo gut, als wäre es nie
geschehen. Er hat doch nicht etwa verſucht, dich aus-
ufragen?" j :
s Lilli verneinte, und für einen Moment war ſie in
Verſuchung, dem Vater von dem freundlichen Referen-
dar zu erzählen, ohne deſſen Verwendung sein Wunſch'
ſchwerlich in Erfüllung gegangen wäre. Aber eine
instinktive Scheu, über deren Ursache sie ſelbſt sich
keine Rechenschaft zu geben vermochte, hielt ſie davon
ab. Und der Herr mit dem blonden Schnurrbart war,
wie es ſchien, auch gar nicht ſehr neugierig, Näheres
über ihre Erlebniſſe. in Auguſt Imbergs Geſchäftslokal
gu erfahren.
.Ich denke, wir nehmen eine Droſchke,“ ſagte er,
„um deinen Koffer abzuholen und dann ſJogleich nach
dem Bahnhof zu fahren. Dein Zug geht zwar erſt
in einer Stunde, aber wir können ebensowohl im
HWarteſaal zu Abend speisen als in irgend einem Restau-
rant, wo wir doch möglicherweiſe auf Bekannte ſtoßen
könnten.“ :
„Und ich soll der Tante wirklich nicht lebewohl
agen? Wird ſie mir das nicht ſehr verübeln?"
„Ich will dich ſchon bei ihr entschuldigen. Sie
glaubt ja, daß du bereits heute früh gefahren biſt,
und in dieſem Glauben müssen darum ſelbſtverſtänd-
lich auch alle unsere Bekannten erhalten werden. Merke
dir das gut, liebes Kind! Und Fei überhaupt in deinen
Aeußerungen so vorsichtig als möglich. Zu keinem
Menschen, wer es auch sein mag, darfſt du jemals
von der Broſche sprechen. Denn um meine und um
deine Stellung in der Geſellſchaft wäre es rettungslos
geschehen, wenn irgend jemand von deinem Besuch bei
dem Kerl da“ =. und er wies mit einer Kopfbewegung
rückwärts =~ „erführe. "
ùLilli ſchwieg, und erſt als ſie dann in der von
ihrem Vater angerufenen Droſchke saßen, ſagte sie mit
. einem tiefen Seufzer: „Es ist doch eigentlich recht
schlimm, wenn man nicht reich iſt, Papa! Solche
Sachen, wie die von heute abend, ſind so widerwärtig. "
Der andere lachte etwas gezwungen. „„Zu den
Freuden des Daſeins gehören sie wenigstens nicht
das gebe ich dir gerne zu, mein Kind! Aber es wer-
den ja auch wieder besſſere Zeiten kommen, und du zu-
mal haſt alle Ursache, auf sie zu hoffen. Daß du dein
Herzchen jemals an einen armen Schlucker rerlieren
zyten tte ich doch wohl nicht zu befürchten
nicht wahr?" :
ih großer Entſchiedenheit ſchüttelte ſie den Kopf.
„Niemals, Papa! Ehe ich mich mein Leben lang ſolchen
abſcheulichen Notwendigkeiten ausgeſetzt ſehen möchte,
wie es die heutige war, möchte ich noch lieber mit
zwanzig Jahren ſterben.“
Zärtlich streichelte der Vater ihre Hand. „Aber
das eine wird so wenig nötig ſein als das andere,
mein Liebling] Wenn du dein Herz nur vor allen
Thorheiten zu hüten weißt, wird sich ſchon eines Tages
der Rechte einfinden, der dir das Los zu bieten ver-
mag, auf das mein Töchterchen Anspruch erheben darf.“
DWieder atmete Lilli tief auf, aber es klang dies-
mal wie ein Seufzer heißer Sehnſucht nach diesem
herrlichen Tage, und in den braunen Augen, die eben
im Vorüberfahren an den hellerleuchteten Fenſtern
Das Buch für Ntlle.
eines prächtigen Hauſes dahin ſtreiften, leuchtete es
wie glühendes Verlangen nach Glück und Genuß.
Bweites Kapitel..
. Es war eine Woche ſpäter. Auguſt Imberg befand
ſich allein in seinem Comptoir, als ein trotz ſeiner
bürgerlichen Kleidung ſehr soldatiſch aussehender Mann
in mittleren Jahren mit dem vertraulichen Gruße eines
alten Bekannten eintrat.
„Ah, Herr Fahrig!“ sagte der Pfandleiher, indem
er ihm über den Ladentiſch hinweg die Hand reichte.
„Habe ja ſeit beinahe einem Monat nicht mehr das
Vergnügen gehabt. Wieder einmal eine kleine Reviſion
des Pfandbuches – wie?“
„Diesmal nicht, Herr Imberg! Ich bringe Ihnen
nur einen Laufzettel über geſtohlene Sachen. Viel be-
ſonderes iſt nicht dabei ~ außer einem wertvollen
Brillantſchmuck, der einer Frau Theresſe Haller schon
vor acht Tagen gestohlen sein sol. Na, bei einem
Manne wie Sie werde ich ihn ja ſchwerlich finden,
das weiß ich im voraus."
Er hatte den gedruckten Zettel aus seinem Notiz-
buch genommen und ihn Imberg überreicht. Der über-
flog ihn raſch, um dann mit einem Ausruf des Schreckens
den Kopf zurückzuwerfen.
„Was — was iſt das?“ ſtieß er hervor. „Eine
Broſche aus Brillanten, Rubinen und Saphiren in
Form eines großen Schmetterlings – Etui von rotem
Leder ~ mit weißer Seide gefüttert und mit der Firma
eines Pariſer Juweliers! D Wenn Sie diesen Schmuck
nun doch bei mir fänden, Herr Fahrig ~ was würden
Sie dann ſagen?“ :
„Nun, - ich würde sagen, daß die Diebin es ver-
teufelt ſchlau angefangen haben muß, das Ding gerade
bei Ihnen anzubringen, “ entgegnete der Beamte ge-
laſſen. „Einen gewissenhafteren und vorſichtigeren
Mann giebt es ja nicht auf der ganzen Welt. Aber
laſſen Sie doch 'mal ſehen.“
Der Pfandleiher war bereits an den Geldſchrank
geeilt, in dem er die wertvolleren Pfandſtücke aufzu-
bewahren pflegte, und mit zitternder Hand öffnete er den
besonderen Verſchluß, der die allerwertvollsten enthielt.
Er drückte auf die Feder des roten Etuis, das er ihm
entnommen hatte, und las mit faſt versſagender Stimme:
„Armand Thiébaut, Paris! Es stimmt – stimmt
alles ganz genau. Und das mußte mir widerfahren
~ mir! Ah, es iſt niederträchtig ~ ſchändlich ~ es
iſt ein Nagel zu meinem Sarge!“
„Aber so beruhigen Sie sich doch, beſter Herr Jm-
berg. Das kann ja jedem paſſieren. Kein Menſch
wird Ihnen einen Vorwurf daraus machen, und da
Sie bei der Beleihung ohne allen Zweifel vollkommen
korrekt verfahren ſind, wird Ihnen auch kein Schaden
aus der Sache erwachſen. Mit dieser ſelbſt hat es
freilich offenbar seine Richtizkeit. Die Beſchreivung
paßt ja in allen Einzelheiten. Von wem haben Sie
denn nun den Schmuck bekommen?“
Der Pfandleiher war noch immer ganz faſſungs-
los, und der Beamte mußte seine Frage wiederholen,
ehe er Antwort erhielt.
„Von einem jungen Mädchen = einer Person, auf
deren Ehrlichkeit ich unbedenklich Gift genommen hätte."
„Na, in der Beziehung kann man ſich allerdings
gründlich täuschen, namentlich bei Frauenzimmern ~
davon wissen wir ein Lied zu singen. Unter welchem
Namen iſt sie denn aufgetreten?“
„Warten Sie = ich werde gleich nachſehen. Da,
hier ſteht es. Melanie v. Neuhoff, Parkſtraße 2.Ô"
Der Schutzmann lachte. „„Als ctwas Geringeres
mochte sie es wahrſcheinlich nicht thun. Den Herrn
v. Neuhoff und seine Familie kenne ich zufällig. Er
iſt ein pensionierter General und besitzt durch seine Frau
ein Vermögen von einigen Millionen. Das Fräulein
Melanie braucht alſo keine Schmuckſachen zu verſetzen,
und sie hat es noch weniger nötig, ſolche zu ſtehlen.
Wodurch hat sich denn die Diebin als Fräulein v. Neu-
hoff ausgewiesen ?" ;
August Imberg keuchte vor: Aufregung. Aber er
dachte nicht daran, sich mit einer Lüge herauszureden.
„Durch eine Viſitenkarte. Da = ich habe ſie noch
in meinem Pulte liegen."
Der Beamte muſterte den ſchmalen Kartonſtreifen,
und sein bis dahin recht vergnügtes Gesicht wurde
ernſier. ;
fs er das iſt doch keine Legitimation, Herr Jm-
berg! Sie werden ja vermutlich beſſere Ausweise von
ihr verlangt haben. ehe Sie ſich auf die Sache ein-
ließen.“
„Das iſt ja mein Unglück, daß ich es nicht gethan
habe,“ ächzte der Pfandleiher. „Jc< ~ ich ließ mich
eben bereden. Ü
Hann ſieht es sllervi.tgs srigcemaßen bederklic
für Ste es Äh ts ; t Jagen ? t a.gs
~ davor ſchützt Sie wohl die Matelloſigkeit Ihrer
bisherigen Geschäftsführung. Aber Sie werden viele
Scherereicen haben, und ich glaube auch nickt, daß die
567
Frau Haller unter ſolchen Umständen dazu verpflichtet
iſt, Jhnen das Geld, das Sie auf das Schmuckstück
geliehen haben, zu erſetzen. Ü :
Auguſt Imberg lief in dem kleinen Raum hinter
dem Ladentiſche umher, als würde er von heftigen
körperlichen Schmerzen gepeinigt. Er, deſſen Stolz
es gewesen war, daß er in dieſen langen dreißig Jahren
mit der Polizei niemals in unliebſame Berührung ge-
kommen, er sah sich da mit einemmal in eine An-
gelegenheit verwickelt, deren verhängnisvolle Tragweite
ſich noch gar nicht abſehen ließ. Der Gedanke an den
drohenden Verluſt der beträchtlichen Summe und an
alle die anderen damit verbundenen Möglichkeiten brachte
ihn ſchier zur Verzweiflung. ;
„Es ist gräßlich! Aber diese Perſon – wenn ich
ihrer habhaft werde ~ ich glaube, ich könnte sie er
eures... laſſen Sie doch lieber bleiben. Sie kriegt
ihre Strafe auch ſo. Nun wird ihr ja voraussichtlich
all ihr Leugnen nicht mehr viel helfen. “
Der Pfandleiher horchte hoch auf. „Man hat sie
gljo jar sefaptt Sie befindet sich hinter Schloß und
iege q z . -
„Ja – immer vorausgeſetzt, daß es die richtige iſt.
Die Beſstohlene, eine ſehr vermögende Witwe in der
Buchen-Allee, erklärte von vornherein, den Umständen
nach könne nur ihre Geſellſchafterin, eine gewiſſe Mar-
garete Williſen, den Schmuck entwendet haben. Ih
weiß nun zwar noch nicht, welche Verdachtsgründe gegen
das Mädchen vorliegen, denn ich habe mich bis jett
nicht viel um die Sache gekümmert. Aber das weiß
ich, daß die Williſen heute morgen von meinem Kollegen
Braun verhaſtet wurde. Sie beſtreitet bis jett auf das
entſchiedenſte ihre Schuld, aber wenn Sie im ſtande
ſind, sie zu rekognoszieren, iſt ſie natürlich geliefert. Ü
„D, ich will sie ſchon wieder erkennen, wie geschickt
sie sich auch vermummt hatte. Iſt mir's doch, als
ſähe ich ſie noch hier leibhaftig vor mir ſtehen.“
. y„cDeſto beſſer! Sie werden ja noch heute oder
späteſtens morgen vorgeladen werden, damit man Ihnen
die Person gegenüberſtellen kann. Den Schmuck nehme
ich natürlich in Beſchlag. Ü ..
Er fertigte dem Pfandleiher eine Empfangsbeſchei-
nigung aus und verabſchiedete ſich, äußerſt zufrieden
mit dem unerwartet ſchnellen und günſt:gen Ergebnis
seiner Nachforſchungen. ~
Als zwei Stunden ſpäter der Referendar Imberg
heimkehrte, fand er ſeinen Vater in so tieſer Belime
mernis, daß er beſorgt nach der Urſache ſeines Kum-
mers fragte. Der Alte sah ihn traurig an, wie wenn
es ihm ſchwer würde, mit der Sprache herauszukommen.
„Wir beide ſind ſchmählich hintergangen worden,
mein Junze!“ begann er endlich. „Die Perſon, die
vor acht Tagen den Brillantſchmetterling bei mir ver-
pfändete, war eine gemeine Diebin.“ :
Der Referendar wurde blaß vor Beſtürzung. „Das
iſt nicht wahr, Vater,“ erklärte er dann mit Beſtmmte.
heit. „Es kann nicht wahr ſein. Wenn man etwas
derartiges von ihr behauptet, ſo muß sie das unglück-
liche Opfer eines Irrtums oder einer Perſonenverwechs-
lung geworden Fein.“
„Und warum muß sie das? Weißt du denn mehr
von ihr als ih? Hatte ſie dir vielleicht doch Näheres
über ihre Verhältniſſe erzählt? Oder haſt du ſie ſeit-
dem wieder geſehen?t“".
„Nichts von alledem. Aber ich würde überhaupt
an keines Menſchen Rechtſchaffenheit mehr glauben
können, wenn dies Mädchen eine Diebin oder auch nur
eine Lügnerin gewesen wäre.“
August Imberg wiederholte ihm ſtatt jeder anderen
Antwort den Inhalt des Gespräches, das er vorjſn
mit dem Kriminalbeamten geführt hatte.
Wenn nun
der Referendar auch dadurch offenbar keineswegs über-
zeugt wurde, daß die junge Unbekannte einen Diebltahl
verübt habe, ſo machten ihn diese Mitteilungen doch
sehr niedergeſchlagen und nachdenllich.
Vater und Sohn ſaßen sich beim Mittageſſen viel
ernſter und ſchweigſamer gegenüber als ſonſt. Sie
berührten zur Verwunderung des Dienſtmädchens die
einfache Mahlzeit kaum, und obgleich des Brilluane.
schmetterlings zwiſchen ihnen zunächſt nicht weiter Er-
wähnung geschah, unterlag es doch keinem Zweifel,
daß ſich die Gedanken beider, wenn auch vielleicht in
sehr verſchiedener Weiſe, ausſchließlich mit ihm und
mit ſeiner Ueberbringerin beſchäftigten.
Wie der Kriminalſchut mann Fahrig es vorausgeſagt
hatte, wurde dem Pfandleiher noch am nämlichen Tage
durch einen uniformierten Schutzmann die Vorladung
übermittelt, die ihn für den nächſten Morgen in das
Amtszimmer des Unterſuchungsrichters Föhring be- .
schied. Davon sagte er ſeinem Sohne nichts, denn da
Rudolf ja der eigentliche Urheber des ganzen Unglücks
war, mußte er jede Erwähnung der Angelegenheit not-
wendig wie eine verſchleierte Anklage empfinden. Auguſt
Imberg liebte aber seinen Sohn, für den er ſeit einem
Bierteljahrhundert unermüdlich ſchaſſte und arbeitete,
um ihm den Weg zu Ehre und Ansehen zu ebnen,
viel zu zärtlich, a!s daß er niht darzuf bedaht gr-