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8 — —















geft 6



Jahrg. 1900.





Im ewigen Schner.
Roman von Paul Pskar Bürker.

(Forffehung.)



Nachdruck verboten.)

Al n banger Spannung hatte Stephan den
— Bericht des Dieners angehoͤrt Soviel
* glaubte der Arzt als feſtſtehend be-
rrchten zu dürfen, daß der Mann nach
Mıt der Leute aus dem Volke erheb-
lich übertrieb. Denn ſelbſt wenn eine
innere Entzündung zu Fridaz kleinem Leiden ſich ge-
ſellt haben follte — ſo ungeheuerlich, wie Gaſton die
Sache ſchilderte, konnte die Krankheit ſich unmöglich
plötzlich anlaſſen!

Selbftverſtaͤndlich wollte Stephan aber keine Minute
länger zögern. Sobald das Tier geſattelt war, ſtieg
er aͤuf und rief dem Schwager, der hei der Sattelung
ſeines Reitpferdes ſelbſt Hand mit anlegte, bittend zu:
Begleiten Sie mich liebex nicht, Hubert! Der Ritt
nach Siders wäre unter dieſen Umſtänden eine zu
große Strapaze für Sie.
ſelbſt einen ziemlich leidenden Eindruck — alſo
pflegen Sie ſich lieber. Gott wird ja geben,
daͤß es bei der Kleinen nichts Schlimmes ift.“

Aber Leonard war ſchon aufgeſtiegen. „Ich
muß ja ſowieſo nach Siders. In einer halben
Stuͤnde iſt der Zug fällig — nach Genf, Sie
wiſſen ja. Mein, wie entſetzlich mir's iſt, ge-
rade in dieſer Stunde verreiſen zu müſſen!“

Sie ſprengten im ſcharfen Tempo durch das
Parkthor von Tomagnon. Gaſton folgte ihnen.

Ein wilder Nitf begann. Das rauſchende
Waſſer, das weite Strecken des Rhonethals wie
Seen erſcheinen ließ, reichte bis mitten auf
den Weg. Die Pferde ſcheuten fortgeſetzt. Salt
es über einen Graben zu ſetzen, ſo ſtiegen ſie,
und oftmals glitten ſie auf dem lehmigen Grund
aus. Stephan geriet einmal dadurch bis an den
Sattelknopf ins Waſſer.

Sie hatten Siders noch nicht erreicht, als
ſie bereits den Zug pfeifen hörten. In ſchnellſter
Faͤngart nahm Leonard nuͤn die letzte Strecke
bis zum Bahnhof.

Er entſetzte ſich vor dem Gedanken, durch
die Umſtände gezwwungen, etwa doch noch das
Haus des Schwagers aufſuchen zu müſſen.
Wälhrend ſie nebeneinander durch die Nacht
dahinflogen, auf die Lichterreihe zuhaltend, die
den Bahndamm bezeichnete, brachte Leonard in
abgeriſſenen Sätzen hervor: „Sie müſſen mich
eniſchuldigen, Stephan. Daheim dachte ich,
Sie bis zu Ihrem Haus begleiten zu können.
Aber leider, leider geht's jeßt nicht mehr. Ach,
und wie quälend iſt es für mich, ohne Gewißheit
abzureiſen! Ich hab gerade noch Zeit, vor dem
Baͤhnhof abauſpringen und das Pferd abzu-
liefern daͤnn heißt z einſteigen. Und dech
komm' ich ein paar Minuten ſpäter direkt an





Ihrem Haus vorüber. Mir ſagen zu müſſen: da drinnen
fiegt fie, die arme kleine Leidende — und ich weiß
nicht! wie es ihr 00i

Den Doktor quälten jetzt, je näher man der Stadt
kam, die grauſamſten Vorſtellungen. „Ia, was mag
es nur ſein, was ſie ſo leidend macht — was mag es
nur ſein?“ ſtöhnte er.

Man fam ſoeben auf’s Pflaſter. Die Funken ſtoben
unter den Hufen, die Pferde ſchnaubten. Es war
kaum mehr möglich, ſich zu verſtändigen.

„Hören Sie, Lugenz,“ ſtieß Leonard erregt hervor,
‚ich muß unbedingt erfahren, wie es bei Ihnen da-
heim ſteht. Geben Sie mir ein Zeichen, das ich von
der Bahn aus ſehen kann! Meine Reiſe iſt ja leider
wichtig — unaufſchiebbar, kang man ſagen — aber
wenn mit Frida wirklich etwas Schlimmes paſſiert ſein
ſollte, ſo würde ich die Fahrt für heute dennoch auf-
geben. Denn Sie kennen ja meine innige Liebe für
die arme Kleine!“

Er weinte faſt vor Aufregung.

Da war man am Bahnhof angelangt. Leonard
parierte ſein Pferd. „Icdh verlaſſe mich alſo darauf,
Qugenz: wenn es fchlimm {teht, erleuchten Sie das
linke Saalfenfter. Ich bitte Sie darum. Dann unter-







Stephan verſprach es Die Teilnahme des Schwagers
rührte ihn, regte ihn gleichzeitig aber auch nur um ſo
mehr auf.

„Wenn es ſchlimm fteht!“ preßte er zwiſchen den
Lippen hervor.

Er hieb auf das Pferd ein. Geſtreckten Leibes
jagte das zitternde Tier die Straße entlang. Wenige
Minuten ſpäter zügelte er es vor der Villa, aus deſſen
von flackernden Lampen ungleichmäßig erhelltem Portal
ihm ſeine Mutter entgegentrat: ernſt, ſtreng, ja hart
und geiſterbleichen Angeſichts.

„Schlaf dann ſelig und ſüß — ſchau im Traum
’3 Paradies,“ ſo Hatte e8 leiſe von den Lippen der
jungen Frau geklungen. Das Kind drehte ſich nach
der Wand, Marianne ſchloß die Balkonthür und ſchwei-
gend blieb ſie dann am Bettchen der Kleinen ſißzen,
ſelbſt müde und matt von den vielen Nachtwachen.
Der Wind haͤtte ſich draußen ſo ziemlich gelegt.
Man hörte es wohl noch in den Kronen der Bäume
droben im Wald überm Hauſe rauſchen, auch die neu-
entſtandenen Arme der Rhone unterbrachen mit ihren
wilden Abſtürzen über Felsgeſtein die Abendſtille nach
der Sturmflut der vorigen Nacht, aber hier im ſchwei-
genden Stübchen wie im ganzen Hauſe herrſchte ein
ſolcher Friede, daß Marianne verſucht war, den Kopf
im Fauteuil zurückzulehnen und ein wenig zu
ſchlummern.

Plötzlich aber ſchreckte ſie ein heftiges gu-
ſammenzucken und ein ängſtliches, faſt pfeifen-
des Atuien des Kindes aus ihrem Halbſchlaf-
empor. Sofort war ſie am Vett.

Die Kleine haͤtte ſich wie in einem Krampf
zuſammengekrümmt.! Ihre Augen waren weit
zeöffnet, ſie verdrehte ſie jetzt wie in wahn-
finnigem Schmerz. ;

„Frida — Kind, was iſt Div?“ entfuhr es
ſchreckhaft dem Mund der Pflegerin.

Die Kranke vermochte nicht zu antworten.
Als ſie endlich den Mund aufthat, entrangen
ſich ihrer Kehle langgezogene, wimmernde, dann
immer mehr anſchiellende Klagetöne, die in
unartikuliertes Geſchrei ausarteten,

Betty, Mariannes Jungfer, kam auf den
Lärm hereingeeilt und fragte was geſchehen ſei.
Marianne wußte ihr aber keine Antwort zu
geben. Sie war wie gelähmt vor Schreck über
die jähe Umwandlung.

Das ſind Herzkrampfe!“ meinte die Jungfer
ſofort wichtig. „Sehen Sie nur, Frau Dokkor,
wie ſie die Hände ringt und an die Bruſt drückt!“

Das Schreien wucdhs immer mehr an-
Marianne eilte auf den Flur und rief nach
Gaſton.

Schnell einen Arzt!“befahl ſie in höchſter Er-
regung./Dieſer Anfaͤll iſt ſo ſeltſam, ſo ſchreck-
lich! Um Goͤttes willen, ſchnell einen Arzt!“

Auch der Diener hatte den Lärm inzwiſchen
vernommen. Eilends ſtürmte er, durch das
Vorkommnis mit dem allſeitig beliebten „kleinen
Fräulein“ ſelbſt derart miterregt, daß er ganz
feiner Dienerſtellung vergaß, in das Kranken-
zimmer. ;
 
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