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Jahrg. 1900.





Lieben und Zchweigen.
Roman von L. Haidheim.

(Forffekung.)

Gachdruck verboten.)

e famen Sie an mein Bett?“ fuhr Sigurd

Lpor. Daß Lias liebe Stimme, ihre
. || Worte ihm wohlthaten, hatte ſie aus
|| feinen Zügen gelefen. ;

„Ich war mit der Gräfin Ola ge-
fommen, die Ihren Bruder Frederik begleitete. Jene
beiden gingen zum Arzt —“

„Aber was wollte dieſer Satan in Weibsgeſtalt
bei mir? Ha! Hätten Sie gehört, mit welchem Hoch-
genuß, welcher teufliſchen Freude ſie mir vor ein pgar
Stunden entgegenfchrie, daß —. Jedes Wort ein Dolch,
und ſie lachte, indes ſie mir das Herz aus dem Leibe
KB ;
„Sie kann nur haſſen oder lieben! Mich haßt ſie
auch!“ ſagte Lia. „Mid wollte ſie im Verein mit
meinem Vormund Ahrenkiel auch unglücklich machen.“

„Ahrenkiel, mein Richter, iſt Ihr Vormund?
Sein Haß gilt meines Vaters Sohn, doch mit meinem
Unglück hat er nichts zu ſchaffen, auch ſie nicht, das
teufliſche Weib; nur — nur, daß ſie ſich ſo grimmig
freute, mich zu Boden zu ſchlagen!“

„Baron Reſen! Jeder Menſch handelt aus ſeinem
innerſten Weſen heraͤus. Klariſſa that es, weil ſie
einſt Nun, Sie wiſſen das! Aber reden wir
von Ihnen! Auch Sie handeln aus Ihrer Natur
heraus, heute und ftets. Sie haben ſich ſchweigend
unglücklich machen laſſen. Sie leiden für andere!
Das iſt gewiß —, das iſt ja ſchon bewieſen durch
den Tod diefes unglücklichen Erikſen.?

„Wieſo bewieſen? Was meinen Sie?

Wiſſen Sie es nicht? Er war der Dieb jener
Geheimalten. Er hat fie verkauft und den Erlös ver-
ſpielt, und ſchließlich ſich erſchoſſen.“

„Kein Wort weiß ich! Mein Gott! Erikſen war
Ahrenkiels Liebling!“

„Um ſeinetwillen wurden Sie angeklagt und ver-
urteilt; aber Ahrenkiel ſelbſt hat Sie jetzt freiſprechen
müſſen. Ich weiß alles vom Grafen Guldberg. Und
ſo wird Ihrem jetzigen Unglück die Befreiungoͤſtunde.
bald ſchlaͤgen! Sie wollten die Schuldigen nicht ver-
raten, der Himmel wird Sie dennoch retten, und ich
hoffe, in Ihrer tiefen Unglücksnacht iſt es Ihnen eine
Woͤhlthat zu wiſſen, daß es viele Menſchen giebt, in
deren Augen Sie ein Unglücklichex, aber kein ſchlechter
Nenſch ſind. Demnach, Herr Baron: iſt es wohl
richtig und logiſch, daß Sie die Schuld anderer
büßen? Sie büßoͤn nicht allein — Ihre alten Eltern —“

„O, ſchweigen Sie, Fräulein! Es iſt zu ſpät!
Es iſt zu ſpät! Ich kann nicht mehr zurück.“

Er ſchlug die Hände vors Geſicht, und Die erften
erleichternden Thraͤnen ſtürzten ihm aus den Augen.
Doch ſchnell hatte er dieſe Regung bezwungen.

„Sehen Sie! Nun weine ich'doch! Was rühren






Sie auch alle Saiten meines Herzens an, die noch
nicht zerriſſen ſind? Wie ein Engel kommen Sie mir
vor, den Gott mir in meiner tiefften Nat ſchickt, wie
eine lichte Himnielsgeſtalt, die mir das Dunkel meiner
Zukunft erhellen wird! Beten Sie um Frieden für
mich, Frieden iſt Tod, Fräulein! Mein Leben iſt ver-
nichtet, ich habe zu ſehr — zu blind geliebt!“

„Ach, ſagen Sie nicht ſo! Laſſen Sie nicht Ihr
Herz verbittern, Baron Reſen, denken Sie an die
Barmherzigkeit Gottes, der Ihnen das edle Herz ſo
überreich mit Liebe erfüllte! Das wax doch die reichſte
Segnung, die er Ihnen mitgeben konnte, und Sie
haben das Schönſte und Beſte damit gethan; aber nun
werden Sie nicht bitter darum, daß Sie alles gaben,
und nichts ernteten als Verrat! Laſſen Sie ſich den
Herzkeim nicht ausbrechen, Baron Reſen! Das, was
ein Menſch Hohes und Heiliges in ſich trägt, das ſoll
er hüten und hoͤchhalten in allen Stürmen des Lebens.“

Er hatte ſie immer aufmerkſamer und ſichtlich be-
einflußt angehört. Jetzt war er es, der ihre Hände
ergriff: „Wer biſt du, Mädchen? Wie kommen dir
Gedanken und Worte, wie ich ſie nie von einem Weibe
hörte? Was bringt dich daͤzu, Erbarmen zu fühlen
mit einem, den alles verlaſſen hat? Ich habe nicht
Weib, noch Eltern, noch Geſchwiſter mehr, da trittſt
du zu mir und redeſt vom Himmel, als wäreſt du dort




daheim, ſprichſt von dem Hohen und Heiligen im
Herzen, als wüßteſt du, wie keiner ſonſt, was es damit
iſt? Woher kommt dir dieſer liebevolle Ton, der
meine zerriſſene Seele durchbebt? Woher?“
Sie blickte ihm frei und voll in die melancholiſch



fragenden Augen, der letzte Abendſchein fiel auf ihr


Liebe. „Woher? Ich weiß es nicht, mein Herr! Ich
denke wohl: aus meinem Herzen!“

„Sei geſegnet, du Engel! Ich werde nie vergeſſen,
welch liebe Hand mich aus der Verzweiflung zurück-
geführt zu mir ſelbſt und auf den rechten Weg.“ — —

Eine alte Frau trat aus dem Gehöft, das ſie jetzt
erreicht hatten, und ſchaute neugierig und forſchend
zu ihnen hin-

Das brachte beide zurück in die Proſa des Alltags-


leben Sie wohl, mein Fräulein, Gott geleite Sie! Ich

kann nicht ſagen: Auf Wiederſehen! Vergeſſen werde

ich Sie nie! Beten Sie für mich! Und noch einmal:

Dank, innigen Dank.“

„O Gott, Baron Reſen, wohin?“

Zurück in mein Gefängnis, mein Fräulein!“
Im nächſten Moment ſah ſie nichts mehr von
ihin.. — —

Es war inzwiſchen dunkel geworden, und erft jetzt,
da Lia auf den Wagen wartele, um den ſie die alte
Frau gebeten, erſt jetzt kam die ganze Wucht des Er-
lebten über ſie alle ihre Nerven zitterten bei der Er-
innerung. Der Todesſchrecken, als ſie ausglitt, und ſich
nicht halten konnte, und dann die Beſinnungsloßgkeit,

das Aufwachen daraus und über ihr dies Antlitz,
das ihr ſo bekannt ſchien, dieſe ſorgenden dunklen

Augen und das ſympathiſche Mienenſpiel! Wie
ſeltfam — ganz weißes Haar, und der Mann war
doch jung?

Und dann war er es, Sigurd Reſen, der in
ihren geheimſten Gedanken ſchon lange eine ihr
ſelbſt unerklärliche Rolle ſpielte, an den ſie ohne
jeden Anlaß ſo oft denken mußte.

Ein wirkliches Abenteuer haͤtte ſie erlebt! Jetzt,
wo er fort war, kam ſie erſt zum Denken über ihn.
Sie mußte plötzlich weinen, hätte ihn rufen mögen!
Welche Sympathie flößte er ihr ein! Wie bewegte
ſeine Stimme ihr Herz! Und dieſe Augen, ſo leid-
voll, ſo troſtlos! Und dann ſchämte ſie ſich der
Regung, wies ſie von ſich.

Ein Gefangener war er! Wie kam er denn dort
an den See? Und wohin eilte er ſo ſehr? Hatte
er fliehen wollen? Und ſie hielt ihn auf? O Himmel,
und ſie fingen ihn nun wieder ein? Nein, er hatte
geſagt: „Zurück, in mein Gefängnis.“
ſie ſeine Flucht vereitelt? — Da kam der Wagen


nicht länger zu beunruhigen.

Zu derſelben Zeit erſchien vor dem Thor der
Strafanſtalt Sigurd v. Reſen und forderte Einlaß.
Cr wunderte ſich, daß niemand von ſeiner Flucht
Aufhebens machte.
„Gräfin Klariſſa hatte Ihnen die Erlaubnis zu
Spaziergängen in der Umgegend gebracht,“ ſagte der
Direktor und verſchwieg rückfichtsvoll, daß dieſer erſte
Spaziergang allerdings eine ſonderbare Aehnlichkeit
mit einer Flucht gehabt.

Dann fiel ihm noch etwas ein: „Sie hat ſofortige
Meldung Ihrer Rückkehr befohlen.“

Sigurd ließ ihn gar nicht ausſprechen. „Sie will


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