8-- Va5 Luch für VIle — l^eft 1
Sonntagsstaat für gänzlich ungeeignet zur Feier des
im Juni stattfindenden Stiftungsfestes erklärte.
„Man erscheint in Weiß. Wir werden die hohe
Ehre haben, die Protektorin der Anstalt, die Fran
Herzogin Hoheit, unter uns zu sehen. Ein Rosen-
reigen, von sämtlichen Zöglingen aufgeführt, wird
die hohe Frau begrüßen. Die Toilette muß gleich
für alle sein, wir werden ein Geschäft damit betrauen.
Unterrichten Sie Ihre Tante davon, Fräulein Mia."
Bei diesen Ankündigungen verlor Mia fast das
Gleichgewicht. Angst und Jubel gingen mit ihr
durch, als Fräulein Helling sich mit den ehrgeizigen
Bestrebungen der Vorstandsdamen einverstanden
erklärte.
Im Bewußtsein ihrer Sprachunkenntnis und weil
die Herzogin vielleicht eine Probe der erlangten
Fertigkeit durch eine diesbezügliche Anrede fordern
konnte, lernte Mia Englisch und Französisch, daß
ihr der Kopf glühte.
In der Gesangstunde, wo der ordensüchtige
Musikdirektor eiuen selbstkomponierten Hymnus eiu-
paukte, sang sie herzbrechend falsch, aber mit einem
strahlenden Eifer.
Die Zwischenpausen füllte eine alte dicke Tanz-
meisterin aus, welche mit Hilfe eines geigespielen-
den Knaben die unglaublich steifen Bewegungen der
jungen Damen in Grazie umzuwandeln sich befliß.
Hier war der Punkt, wo das Heidekind seine
geschmeidige Anmut unwissentlich entfaltete und wie
ein Schmetterling durch alle Verschlingungstouren
hingaukelte.
Daraufhin und da noch keine Wahl getroffen
war, entzückten sich die Vorstandsdamen an der
Aussicht, das Begrüßungsgedicht durch Mia-Mieze
vorgetragen zu hören.
Sträuben war nutzlos. Von der Geschichtsstunde
dispensiert, lernte Mia von Huldigungen überströ-
mende Strophen, darin stille Hoffnungen auf ein
Verdicnstkreuz lebenskräftig emporkeimten.
Endlich ging alles wie am Schnürchen. Liebe
und Jubel, Unschuld und Jugend waren, wie die
erste Vorstandsdame erklärte, in schönster Harmonie
vereint zum Empfang der Landesmutter.
Punkt vier Uhr erwartete man das Erscheinen
der Herzogin, welche großes Interesse an einer An-
stalt bewahrte, deren Vorsteherinnen einst Er-
zieherinnen ihrer Töchter gewesen waren. Punkt
vier Uhr stand Mia in ihrem weißen Kleide, den
frischen Rosenkranz im Haar, einen Rosenstrauß
krampfhaft in der Hand haltend, zwischen den Vor-
standsdamen anr Treppenaufgang, während die an-
deren Zöglinge Spalier bildeten bis in den Emp-
fangssaal hinein.
Jetzt — der herzogliche Zug war eingelaufen.—
Man rechnete nach Sekunden.
Ein Rollen von Wagen — dann tiefe, erwar-
tungsvolle Stille.
Durch die weitgeöffneten Türflügel trat eine
ältliche, etwas gebeugte Dame, gefolgt von einem
Kammerherrn und einer Hofdame. Eine rauschende
Kniebeugung ging durch die Reihen.
Und jetzt trat, unbeschreiblich reizend in ihrer
schamhaften Erregung, Mia-Mieze vor, die Augen
zu Boden geschlagen, und sagte her, was sie wußte.
Ein Seufzer der Erleichterung folgte der Strauß-
übergabe — danach ein gütiges Dankeswort von
feiten der Herzogin.
Nach dem Hymnus und der Teedarreichung wurde
der Rosenreigen aufgeführt, bei welchem Mia durch
die Anmut ihrer Bewegungen wiederum das aller-
höchste Wohlwollen in dem Maße erregte, daß die
Herzogin sich bei der beglückten Vorstandsdame nach
ihren Familienverhältnissen erkundigte.
„Ein Fräulein Marie Helling, Hoheit. Sehr gut
empfohlen durch Herrn Pastor Seiler, der seinerzeit
in Elbental amtierte."
„Ah so! Ich erinnere mich — jawohl. Der ver-
storbene Baron Mersbach hielt große Stücke auf ihn."
„Ganz recht, Hoheit. Sie lebt mit ihrer Tante
in einem weltverlassenen Heidedörfchen und wird
auch dorthin zurückkehren."
„Schade! Ein reizendes Kind!-Helling!
Es gab eine freiherrliche Familie dieses Namens —
soviel ich weiß aber ausgestorben."
„Jawohl, Hoheit. Dieses ältere Fräulein Hel-
ling nun ist anscheinend untergeordneter Art. Was
ich so von Mia hörte, deutet wenigstens daraufhin.
Sie selbst trägt entschieden Höheres in sich."
„Aber zweifellos, liebe Brinkmann. — Finden
Sie nicht auch, liebe Saldern?"
Die Hofdame, welche gleichgültig in die fröhliche
Mädchenschar gesehen, verneigte sich beipflichtend.
„Durchaus, Hoheit!"
„Ich werde ihr ein Andenken zugehen lassen,
liebe Brinkmann. — Erinnern Sie mich doch daran,
liebe Saldern, daß ich wegen der Hellingschen Fa-
milie nachschlagen lasse."
»Zu Befehl, Hoheit!"
Der Kammerherr meldete das Vorfahren des
Wagens.
„Dann also — auf Wiedersehen, liebe Brink-
mann! Es war eine reizende Stunde. — Leben
Sie Wohl, meine jungen Damen! Ich danke Ihnen
allen für das Gebotene."
Freundlich grüßend ging die hohe Frau durch
die knicksenden Reihen. Als sie an Mia vorüber-
schritt, reichte sie der tief Errötenden gnädig die
Hand zum Kusse. —
Jetzt wurde es lustiger. Erst Schokolade und ganze
Berge von Kuchen, in welche dreißig Wettbewerberin-
nen Bresche legten. Dann trat derTanzinseine Rechte.
Mia war ganz außer sich vor Freude und Glück.
Sie wirbelte wie ein Blatt umher mit heißen Wangen
und lachenden Augen — bewundert und beneidet.
Das Leben lag wie eine Sonne vor ihr, in deren
Strahlen sie nicht hineinsehen konnte ohne ein Über-
maß von Jubel.
Die Vorstandsdamen, jetzt zwanglos teilnehmend
an dem allgemeinen Vergnügen, erfuhren eine Stö-
rung durch die Meldung, daß der Telegraphenbote
eine Depesche abzugeben habe.
„Jedenfalls noch ein Glückwunsch! Willst du
lesen?"
Fräulein Laura erbrach die Depesche. Plötzlich
ward sie bleich. „Luise! Ich bitte dich! — Von
Pastor Seller. Lies nur!"
Fräulein Luise uahm das Blatt. „Marie Hel-
ling sofort zurückkehren. Tante erkrankt. Erwarte
sie morgen früh Bahnhof Zernow — Seller."
„Das ist doch gar nicht möglich," seufzte Fräu-
lein Luise, mehr an die allgemeine Störung als an
Mias Schreck denkend. „Vor morgen früh ist doch
keine Rede —"
„Doch. Um zehn Uhr geht ein Zug. Ich werde
gleich nachsehen. Das arme Kind! So aus allem
Jubel heraus —" (Fortsetzung folgt )
Del' Lesuch.
(Tiehe die lluastbeüage.)
as prächtige Buntdruckbild nach einem Gemälde von
V. March, das die erste Kunstbeilage des gegenwärtigen
Heftes bildet und in seiner vortrefflichen Ausführung den ganzen
Reiz des Originals besitzt, versetzt uns in den Hof eines ehe-
maligen spanischen Palastes, der aber längst seinen Eigentümer
gewechselt hat, und jetzt armen Landleuten und Handwerkern
als Stätte ihrer Tätigkeit dient. Wir befinden uns in der
Zeit des Direktoriums (1795—1799), jener Übergangsperiode,
in der sich, nachdem die Schreckensmänner der französischen
Revolution abgewirtschaftet hatten, das Aufsteigen deS napo-
leonischen Gestirns vorbereitete. Spanien stand damals völlig
unter französischem Einflüsse, die Regierung folgte blindlings
den Befehlen des Direktoriums, während das eigentliche Volk
den Französlingen mit verbissener Feindseligkeit begegnete,
wenn es sich auch noch nicht aufzulehnen wagte. Der Besuch
des nach Art der Pariser Stutzer, der sogenannten „Jn-
croyables", gekleideten jungen Herrn und seiner schönen
Begleiterin bei den einfachen Leuten erregt denn auch bei dem
einen Teil bewunderndes Staunen, bei dem anderen, der
Gesellschaft zur Linken, die gerade ein kleines Fest feiert,
offenbar abfällige Kritik. Der Künstler hat die Personen
vortrefflich charakterisiert und bei den Kostümen wie bei der
Umgebung sich bis in die kleinsten Einzelheiten einer unge-
meinen Naturtreue befleißigte Die Komposition wirkt äußerst
lebendig, und unsere Leser werden dies farbenreiche, malerische
Stück spanischen Lebens, das sich hier ihren Augen darstellt,
sicherlich mit lebhaftem Vergnügen betrachten.
Luine 8tl-ernö an bei- Waag.
(Tiehe das Süd auf Teile 4.)
on großem landschaftlichen Reiz ist der Oberlauf der
Waag, deren Quellflüsse im Süden der Hohen Tatra
und im Norden des Liptauer Gebirgs entspringen, und die
in großem, erst westlich, dann südlich gerichteten Bogen der
Donau zufließt, in die sie bei Komorn, zwischen Preßburg
und Budapest, mündet. Kommt man von Breslau her über
Oderberg nach Oberungarn, so bedarf es von dieser Station
nur einer weiteren Fahrt von wenigen Stunden, und man
erreicht den Fluß, ganz in der Nähe der malerischesten und
großartigsten Partie seiner Ufer. Zwischen den Stationen
Darin (Varna) und Ruttek (Ruttka) bildet die Waag starke
Stromschnellen und den romantischen, 5 Kilometer langen und
vielfach gewundenen Streznüer Engpaß, der den 1700 Meter-
hohen Gebirgsstock des Großen Kriwan durchschneidet. Auf
steil emporragenden Uferfelsen liegen hier die gewaltigen
Ruinen der zwei Burgen Streznä und Ovar einander gegen-
über, von denen dis erstere dem Engpaß den Namen gab.
Die Ruine Streznä thront auf hoher Felsenstirn und bietet
dein unten Vorüberwandernden ein Bild von überwältigender
Großartigkeit. In früheren Zeiten hatten die Burgen, da sie
den einzigen Zugang zu den Komitaten Oberungarns von
Norden her vollkommen beherrschten, eine hohe strategische Be-
deutung. Die eigentliche „Enge" liegt zwischen den Felsen Mar-
gitta und Berna Skala; zahllose aus dem Wasser ragende Blöcke
verhindern jeden Schiffsverkehr; dafür ist der rauschende und
tosende Strom oft durch künstlich gefügte Flöße belebt, die
eine bedeutende Tragkraft besitzen und von den Schiffern,
meist Slowaken, sehr geschickt gesteuert werden. Die Eisen-
bahn durchschneidet kühn den Engpaß, indem sie teils daS
Flußbett selbst benützt, teils in einem Tunnel sich durch den
Berg windet. Auch die Stationsorte Darin und Ruttek sind
malerisch gelegen; von Parin aus gelangt man in die wild-
romantische Vratnaschlucht; bei Ruttek ist die Mündung der
reißenden Turöcz in die Waag. Es ist sehr lohnend, diese
interessante Gebirgsszenerie, die als eine der schönsten Gegen-
den Ungarns gilt, zu durchwandern. Wird mancher Ver-
gnügungsreisende bei dem Besuch auch den gewohnten Kom-
fort vermissen, so wird ihn doch angenehm die Biederkeit
und Gastfreundlichkeit der Umwohner berühren.
A john Mat-nai-d. Ts
(Tiehe das Süd auf Teile 5.)
^,.--7 Aus „Theodor Zonta ne, Gedichte".
Stuttgart, I. G. Lotta'sche Buchhandlung Nachfolger.
UM) ohn Maynard!
„Wer ist John Maynard?"
„John Maynard war unser Steuermann,
Aushielt er bis er das Ufer gewann,
Er hat uns gerettet, er trägt die Aron',
Lr starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard."
Die „Schwalbe" fliegt über den Lrie-See,
Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee,
Voll Detroit fliegt sie nach Buffalo —
Die Herzen frei und froh,
Und die Passagiere, mit Rindern und Frau'n
Im Dämmerlicht schon das Ufer schau'n
Und plaudernd an John Maynard heran
Tritt alles: „Wie weit noch, Steuermann?"
Der schaut nach vorn und schaut in die Rund':
„Noch dreißig Minuten . . Halbe Stund'."
Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei —
Da klingt's aus dem Schiffsraum her wie Schrei,
„Feuer" war es, was da klang,
Litt (pualm aus Aajütt' und Luke drang,
Lin (pualm, dann Flammen lichterloh,
Und noch zwanzig Minuten bis Buffalo.
Und die Passagiere, buntgemengt,
Am Bugspriet stehn sie zusammengcdrängt,
Ain Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht,
Anr Steuer aber lagert sich's dicht,
Und ein Jammern wird laut: Wo sind wir? wo?
Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo.
Der Zugwind wächst, doch die (pualmwolke steht,
Der Aapitän nach dem Feuer späht,
Lr sieht nicht mehr seinen Steuermann,
Aber durchs Sprachrohr fragt er an:
„Noch da, John Maynard?"
„Ja, Herr. Ich bin."
„„Auf den Strand. In die Brandung.""
„Ich halte drauf hin."
Und das Schiffsvolk jubelt: „Halt ans. Hallo."
Und noch zehn Minuten bis Buffalo.
„„Noch da, John Maynard?"" Und Antwort schallt's
Mit ersterbender Stimme: „Ja, Herr, ich halt's."
Und in die Brandung, was Alippe was Stein,
Jagt er die „Schwalbe" mitten hinein,
Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so.
Rettung: der Strand von Buffalo.
Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt.
Gerettet alle. Nur einer fehlt!
Alle Glocken gehn; ihre Töne schwell'n
Himmelan aus Airchen und Aapell'n,
Lin Alingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt,
Lin Dienst nur, den sie heute hat:
Zehntausend solgen oder mehr,
Und kein Äug' im Zuge, das tränenleer.
Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,
Mit Blumen schließen sie das Grab,
Unö mit goldncr Schrift in den Marmorstein
Schreibt die Stadt ihren Danksxruch ein:
„Hier ruht John Maynard. In ÜZualm und Brand
Hielt er das Steuer fest in der Hand,
Lr hat uns gerettet, er trägt die Aron',
Lr starb für uns, unsre Liebe sein Lohn. r
John Maynard." 7^
Vie ffanskuttul- in Veutsch-Ostasrika.
(Tiehe die 7 Lüder aus Teile ö und 7.)
^7eben der Kultur von Kaffee und Kokospalmen hat man
1 I sich in unserer ostafrikanischen Kolonie in den letzten
Jahren auch mit Erfolg der Hanfkultur zugewandt. Nach
den Erfahrungen in anderen Koloniallündern begnügt sich
eine Reihe von Agavenarten, die äußerst brauchbare, starke
und lange Fasern für allerhand Tau- und Flechtwerk liefern,
mit Bodenarten, auf denen sonst kaum eine für Europäer
nutzbringende Kultur betrieben werden kann. Da wir nun
in Ostafrika, besonders in den Küstengegenden, weite Striche
ziemlich unfruchtbaren Bodens haben, lag es für das Gou-
vernement sowohl, als für die dorr arbeitenden Privatgesell-
schaften nahe, es mit der Anlage von Agavenpflanzungen
zu versuchen. Zwei Agavenarten kommen für Ostafrika in
erster Reihe in Frage, und zwar die, von denen der Mauritius-
hanf und der Sisalhanf gewonnen wird. Beide Pflanzen
gedeihen in Ostafrika anscheinend sehr gut. Die Beschaffung
von Pflanzenmaterial hat zwar in der ersten Zeit Schwierig-
Sonntagsstaat für gänzlich ungeeignet zur Feier des
im Juni stattfindenden Stiftungsfestes erklärte.
„Man erscheint in Weiß. Wir werden die hohe
Ehre haben, die Protektorin der Anstalt, die Fran
Herzogin Hoheit, unter uns zu sehen. Ein Rosen-
reigen, von sämtlichen Zöglingen aufgeführt, wird
die hohe Frau begrüßen. Die Toilette muß gleich
für alle sein, wir werden ein Geschäft damit betrauen.
Unterrichten Sie Ihre Tante davon, Fräulein Mia."
Bei diesen Ankündigungen verlor Mia fast das
Gleichgewicht. Angst und Jubel gingen mit ihr
durch, als Fräulein Helling sich mit den ehrgeizigen
Bestrebungen der Vorstandsdamen einverstanden
erklärte.
Im Bewußtsein ihrer Sprachunkenntnis und weil
die Herzogin vielleicht eine Probe der erlangten
Fertigkeit durch eine diesbezügliche Anrede fordern
konnte, lernte Mia Englisch und Französisch, daß
ihr der Kopf glühte.
In der Gesangstunde, wo der ordensüchtige
Musikdirektor eiuen selbstkomponierten Hymnus eiu-
paukte, sang sie herzbrechend falsch, aber mit einem
strahlenden Eifer.
Die Zwischenpausen füllte eine alte dicke Tanz-
meisterin aus, welche mit Hilfe eines geigespielen-
den Knaben die unglaublich steifen Bewegungen der
jungen Damen in Grazie umzuwandeln sich befliß.
Hier war der Punkt, wo das Heidekind seine
geschmeidige Anmut unwissentlich entfaltete und wie
ein Schmetterling durch alle Verschlingungstouren
hingaukelte.
Daraufhin und da noch keine Wahl getroffen
war, entzückten sich die Vorstandsdamen an der
Aussicht, das Begrüßungsgedicht durch Mia-Mieze
vorgetragen zu hören.
Sträuben war nutzlos. Von der Geschichtsstunde
dispensiert, lernte Mia von Huldigungen überströ-
mende Strophen, darin stille Hoffnungen auf ein
Verdicnstkreuz lebenskräftig emporkeimten.
Endlich ging alles wie am Schnürchen. Liebe
und Jubel, Unschuld und Jugend waren, wie die
erste Vorstandsdame erklärte, in schönster Harmonie
vereint zum Empfang der Landesmutter.
Punkt vier Uhr erwartete man das Erscheinen
der Herzogin, welche großes Interesse an einer An-
stalt bewahrte, deren Vorsteherinnen einst Er-
zieherinnen ihrer Töchter gewesen waren. Punkt
vier Uhr stand Mia in ihrem weißen Kleide, den
frischen Rosenkranz im Haar, einen Rosenstrauß
krampfhaft in der Hand haltend, zwischen den Vor-
standsdamen anr Treppenaufgang, während die an-
deren Zöglinge Spalier bildeten bis in den Emp-
fangssaal hinein.
Jetzt — der herzogliche Zug war eingelaufen.—
Man rechnete nach Sekunden.
Ein Rollen von Wagen — dann tiefe, erwar-
tungsvolle Stille.
Durch die weitgeöffneten Türflügel trat eine
ältliche, etwas gebeugte Dame, gefolgt von einem
Kammerherrn und einer Hofdame. Eine rauschende
Kniebeugung ging durch die Reihen.
Und jetzt trat, unbeschreiblich reizend in ihrer
schamhaften Erregung, Mia-Mieze vor, die Augen
zu Boden geschlagen, und sagte her, was sie wußte.
Ein Seufzer der Erleichterung folgte der Strauß-
übergabe — danach ein gütiges Dankeswort von
feiten der Herzogin.
Nach dem Hymnus und der Teedarreichung wurde
der Rosenreigen aufgeführt, bei welchem Mia durch
die Anmut ihrer Bewegungen wiederum das aller-
höchste Wohlwollen in dem Maße erregte, daß die
Herzogin sich bei der beglückten Vorstandsdame nach
ihren Familienverhältnissen erkundigte.
„Ein Fräulein Marie Helling, Hoheit. Sehr gut
empfohlen durch Herrn Pastor Seiler, der seinerzeit
in Elbental amtierte."
„Ah so! Ich erinnere mich — jawohl. Der ver-
storbene Baron Mersbach hielt große Stücke auf ihn."
„Ganz recht, Hoheit. Sie lebt mit ihrer Tante
in einem weltverlassenen Heidedörfchen und wird
auch dorthin zurückkehren."
„Schade! Ein reizendes Kind!-Helling!
Es gab eine freiherrliche Familie dieses Namens —
soviel ich weiß aber ausgestorben."
„Jawohl, Hoheit. Dieses ältere Fräulein Hel-
ling nun ist anscheinend untergeordneter Art. Was
ich so von Mia hörte, deutet wenigstens daraufhin.
Sie selbst trägt entschieden Höheres in sich."
„Aber zweifellos, liebe Brinkmann. — Finden
Sie nicht auch, liebe Saldern?"
Die Hofdame, welche gleichgültig in die fröhliche
Mädchenschar gesehen, verneigte sich beipflichtend.
„Durchaus, Hoheit!"
„Ich werde ihr ein Andenken zugehen lassen,
liebe Brinkmann. — Erinnern Sie mich doch daran,
liebe Saldern, daß ich wegen der Hellingschen Fa-
milie nachschlagen lasse."
»Zu Befehl, Hoheit!"
Der Kammerherr meldete das Vorfahren des
Wagens.
„Dann also — auf Wiedersehen, liebe Brink-
mann! Es war eine reizende Stunde. — Leben
Sie Wohl, meine jungen Damen! Ich danke Ihnen
allen für das Gebotene."
Freundlich grüßend ging die hohe Frau durch
die knicksenden Reihen. Als sie an Mia vorüber-
schritt, reichte sie der tief Errötenden gnädig die
Hand zum Kusse. —
Jetzt wurde es lustiger. Erst Schokolade und ganze
Berge von Kuchen, in welche dreißig Wettbewerberin-
nen Bresche legten. Dann trat derTanzinseine Rechte.
Mia war ganz außer sich vor Freude und Glück.
Sie wirbelte wie ein Blatt umher mit heißen Wangen
und lachenden Augen — bewundert und beneidet.
Das Leben lag wie eine Sonne vor ihr, in deren
Strahlen sie nicht hineinsehen konnte ohne ein Über-
maß von Jubel.
Die Vorstandsdamen, jetzt zwanglos teilnehmend
an dem allgemeinen Vergnügen, erfuhren eine Stö-
rung durch die Meldung, daß der Telegraphenbote
eine Depesche abzugeben habe.
„Jedenfalls noch ein Glückwunsch! Willst du
lesen?"
Fräulein Laura erbrach die Depesche. Plötzlich
ward sie bleich. „Luise! Ich bitte dich! — Von
Pastor Seller. Lies nur!"
Fräulein Luise uahm das Blatt. „Marie Hel-
ling sofort zurückkehren. Tante erkrankt. Erwarte
sie morgen früh Bahnhof Zernow — Seller."
„Das ist doch gar nicht möglich," seufzte Fräu-
lein Luise, mehr an die allgemeine Störung als an
Mias Schreck denkend. „Vor morgen früh ist doch
keine Rede —"
„Doch. Um zehn Uhr geht ein Zug. Ich werde
gleich nachsehen. Das arme Kind! So aus allem
Jubel heraus —" (Fortsetzung folgt )
Del' Lesuch.
(Tiehe die lluastbeüage.)
as prächtige Buntdruckbild nach einem Gemälde von
V. March, das die erste Kunstbeilage des gegenwärtigen
Heftes bildet und in seiner vortrefflichen Ausführung den ganzen
Reiz des Originals besitzt, versetzt uns in den Hof eines ehe-
maligen spanischen Palastes, der aber längst seinen Eigentümer
gewechselt hat, und jetzt armen Landleuten und Handwerkern
als Stätte ihrer Tätigkeit dient. Wir befinden uns in der
Zeit des Direktoriums (1795—1799), jener Übergangsperiode,
in der sich, nachdem die Schreckensmänner der französischen
Revolution abgewirtschaftet hatten, das Aufsteigen deS napo-
leonischen Gestirns vorbereitete. Spanien stand damals völlig
unter französischem Einflüsse, die Regierung folgte blindlings
den Befehlen des Direktoriums, während das eigentliche Volk
den Französlingen mit verbissener Feindseligkeit begegnete,
wenn es sich auch noch nicht aufzulehnen wagte. Der Besuch
des nach Art der Pariser Stutzer, der sogenannten „Jn-
croyables", gekleideten jungen Herrn und seiner schönen
Begleiterin bei den einfachen Leuten erregt denn auch bei dem
einen Teil bewunderndes Staunen, bei dem anderen, der
Gesellschaft zur Linken, die gerade ein kleines Fest feiert,
offenbar abfällige Kritik. Der Künstler hat die Personen
vortrefflich charakterisiert und bei den Kostümen wie bei der
Umgebung sich bis in die kleinsten Einzelheiten einer unge-
meinen Naturtreue befleißigte Die Komposition wirkt äußerst
lebendig, und unsere Leser werden dies farbenreiche, malerische
Stück spanischen Lebens, das sich hier ihren Augen darstellt,
sicherlich mit lebhaftem Vergnügen betrachten.
Luine 8tl-ernö an bei- Waag.
(Tiehe das Süd auf Teile 4.)
on großem landschaftlichen Reiz ist der Oberlauf der
Waag, deren Quellflüsse im Süden der Hohen Tatra
und im Norden des Liptauer Gebirgs entspringen, und die
in großem, erst westlich, dann südlich gerichteten Bogen der
Donau zufließt, in die sie bei Komorn, zwischen Preßburg
und Budapest, mündet. Kommt man von Breslau her über
Oderberg nach Oberungarn, so bedarf es von dieser Station
nur einer weiteren Fahrt von wenigen Stunden, und man
erreicht den Fluß, ganz in der Nähe der malerischesten und
großartigsten Partie seiner Ufer. Zwischen den Stationen
Darin (Varna) und Ruttek (Ruttka) bildet die Waag starke
Stromschnellen und den romantischen, 5 Kilometer langen und
vielfach gewundenen Streznüer Engpaß, der den 1700 Meter-
hohen Gebirgsstock des Großen Kriwan durchschneidet. Auf
steil emporragenden Uferfelsen liegen hier die gewaltigen
Ruinen der zwei Burgen Streznä und Ovar einander gegen-
über, von denen dis erstere dem Engpaß den Namen gab.
Die Ruine Streznä thront auf hoher Felsenstirn und bietet
dein unten Vorüberwandernden ein Bild von überwältigender
Großartigkeit. In früheren Zeiten hatten die Burgen, da sie
den einzigen Zugang zu den Komitaten Oberungarns von
Norden her vollkommen beherrschten, eine hohe strategische Be-
deutung. Die eigentliche „Enge" liegt zwischen den Felsen Mar-
gitta und Berna Skala; zahllose aus dem Wasser ragende Blöcke
verhindern jeden Schiffsverkehr; dafür ist der rauschende und
tosende Strom oft durch künstlich gefügte Flöße belebt, die
eine bedeutende Tragkraft besitzen und von den Schiffern,
meist Slowaken, sehr geschickt gesteuert werden. Die Eisen-
bahn durchschneidet kühn den Engpaß, indem sie teils daS
Flußbett selbst benützt, teils in einem Tunnel sich durch den
Berg windet. Auch die Stationsorte Darin und Ruttek sind
malerisch gelegen; von Parin aus gelangt man in die wild-
romantische Vratnaschlucht; bei Ruttek ist die Mündung der
reißenden Turöcz in die Waag. Es ist sehr lohnend, diese
interessante Gebirgsszenerie, die als eine der schönsten Gegen-
den Ungarns gilt, zu durchwandern. Wird mancher Ver-
gnügungsreisende bei dem Besuch auch den gewohnten Kom-
fort vermissen, so wird ihn doch angenehm die Biederkeit
und Gastfreundlichkeit der Umwohner berühren.
A john Mat-nai-d. Ts
(Tiehe das Süd auf Teile 5.)
^,.--7 Aus „Theodor Zonta ne, Gedichte".
Stuttgart, I. G. Lotta'sche Buchhandlung Nachfolger.
UM) ohn Maynard!
„Wer ist John Maynard?"
„John Maynard war unser Steuermann,
Aushielt er bis er das Ufer gewann,
Er hat uns gerettet, er trägt die Aron',
Lr starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard."
Die „Schwalbe" fliegt über den Lrie-See,
Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee,
Voll Detroit fliegt sie nach Buffalo —
Die Herzen frei und froh,
Und die Passagiere, mit Rindern und Frau'n
Im Dämmerlicht schon das Ufer schau'n
Und plaudernd an John Maynard heran
Tritt alles: „Wie weit noch, Steuermann?"
Der schaut nach vorn und schaut in die Rund':
„Noch dreißig Minuten . . Halbe Stund'."
Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei —
Da klingt's aus dem Schiffsraum her wie Schrei,
„Feuer" war es, was da klang,
Litt (pualm aus Aajütt' und Luke drang,
Lin (pualm, dann Flammen lichterloh,
Und noch zwanzig Minuten bis Buffalo.
Und die Passagiere, buntgemengt,
Am Bugspriet stehn sie zusammengcdrängt,
Ain Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht,
Anr Steuer aber lagert sich's dicht,
Und ein Jammern wird laut: Wo sind wir? wo?
Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo.
Der Zugwind wächst, doch die (pualmwolke steht,
Der Aapitän nach dem Feuer späht,
Lr sieht nicht mehr seinen Steuermann,
Aber durchs Sprachrohr fragt er an:
„Noch da, John Maynard?"
„Ja, Herr. Ich bin."
„„Auf den Strand. In die Brandung.""
„Ich halte drauf hin."
Und das Schiffsvolk jubelt: „Halt ans. Hallo."
Und noch zehn Minuten bis Buffalo.
„„Noch da, John Maynard?"" Und Antwort schallt's
Mit ersterbender Stimme: „Ja, Herr, ich halt's."
Und in die Brandung, was Alippe was Stein,
Jagt er die „Schwalbe" mitten hinein,
Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so.
Rettung: der Strand von Buffalo.
Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt.
Gerettet alle. Nur einer fehlt!
Alle Glocken gehn; ihre Töne schwell'n
Himmelan aus Airchen und Aapell'n,
Lin Alingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt,
Lin Dienst nur, den sie heute hat:
Zehntausend solgen oder mehr,
Und kein Äug' im Zuge, das tränenleer.
Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,
Mit Blumen schließen sie das Grab,
Unö mit goldncr Schrift in den Marmorstein
Schreibt die Stadt ihren Danksxruch ein:
„Hier ruht John Maynard. In ÜZualm und Brand
Hielt er das Steuer fest in der Hand,
Lr hat uns gerettet, er trägt die Aron',
Lr starb für uns, unsre Liebe sein Lohn. r
John Maynard." 7^
Vie ffanskuttul- in Veutsch-Ostasrika.
(Tiehe die 7 Lüder aus Teile ö und 7.)
^7eben der Kultur von Kaffee und Kokospalmen hat man
1 I sich in unserer ostafrikanischen Kolonie in den letzten
Jahren auch mit Erfolg der Hanfkultur zugewandt. Nach
den Erfahrungen in anderen Koloniallündern begnügt sich
eine Reihe von Agavenarten, die äußerst brauchbare, starke
und lange Fasern für allerhand Tau- und Flechtwerk liefern,
mit Bodenarten, auf denen sonst kaum eine für Europäer
nutzbringende Kultur betrieben werden kann. Da wir nun
in Ostafrika, besonders in den Küstengegenden, weite Striche
ziemlich unfruchtbaren Bodens haben, lag es für das Gou-
vernement sowohl, als für die dorr arbeitenden Privatgesell-
schaften nahe, es mit der Anlage von Agavenpflanzungen
zu versuchen. Zwei Agavenarten kommen für Ostafrika in
erster Reihe in Frage, und zwar die, von denen der Mauritius-
hanf und der Sisalhanf gewonnen wird. Beide Pflanzen
gedeihen in Ostafrika anscheinend sehr gut. Die Beschaffung
von Pflanzenmaterial hat zwar in der ersten Zeit Schwierig-