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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 42.1907

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Heft 2
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34

Vas Luch fül-Mle

heft 2

„Ich habe den Wagen bestellt."
Und dann saß sie in geschlossener Droschke,
allein im Fond — Frau Schratt ihr gegenüber.
Straßen, Häuser, Promenaden — endlich hinter
einem vergitterten Hofraum ein kleiner Schloßbau
mit zwei Flügeln, die aussahen, als müßten sie sich
erst auswachsen.
Durch das Gittertor fuhr der Rosseleuker in den
Hof und hielt vor einer Eingangstür im Seiten-
gebäude. Ein Diener in brauner Livree öffnete
den Schlag und nahm Koffer und Handtasche au sich.
Mia kam alles so furchtbar vornehm vor, daß
sie kaum zu atmen wagte vor Angst, gegen diese
Vornehmheit zu verstoßen.
So stieg sie, von Kammerfrau und Diener ge-
folgt, eine durchaus mäßige Treppe hinauf, zwischen
getünchten Wänden, und trat in das für sie bestimmte
Gemach.
„Ich bringe jetzt den Tee," sagte Frau Schratt,
„während das gnädige Fräulein sich umkleidet. So-
dann werde ich Fräulein v. Klees benachrichtigen."
Mia sah sich ehrfürchtig in dem großen und
Hellen Raume um, der einst lustigere Zeiten erlebt
haben mochte, nun aber, wie das ganze obere Stock-
werk des Schlößchens, recht verödet aussah.
Verblaßte blauseidene Möbel, steifbeinige Stühle
und Tische, einige kostbare Porzellanstücke auf dem
Kaminsims, geborstenes Parkett mit kleinen Tep-
pichen belegt, alte Bilder an den Wänden. Daneben
ein Kabinett mit einfacher Schlafzimmereinrichtung.
Das war Mias Reich. Ihr kam's großartig vor.
Einen flüchtigen Blick gestattete sie sich noch aus
dem Fenster zu werfen in den herrlichen Park,
den der Rauhreif in glitzernde Pracht einspann.
Dann ging sie eilig daran, sich umzukleiden!
Mit fliegender Hast schlang sie ihr goldblondes
Haar in einen vollen Nackenknoten und zog ein
dunkelblaues Tuchkleid an, dessen glatter Schnitt
die reizenden Linien ihres Körpers verriet. Da
erschien auch schon Frau Schratt mit den verheiße-
nen Erfrischungen.
„Fräulein v. Klees erwartet das gnädige Fräu-
lein in einer halben Stunde. Ich werde mich ein-
finden zum Abholen."
Da saß sie allein an dem gedeckten Tischchen,
das Herz voll pochender Angst. Im Ofen hinter
dem Kamin bullerte noch das Feuer, indes die
breite Öffnung sie schwarz angähnte.
Eine ganz und gar bürgerliche Lampe warf ihr
Licht über das reizende Teegeschirr, über kleine
Kuchenstückchen und dünne Butterbrötchen.
„Darf ich bitten?" Abermals stand Frau Schratt
an der Schwelle.
Jetzt kam's!
Mia wischte sich verstohlen die Wimpern, wäh-
rend sie hinter der Kammerfrau die Haupttreppe
zum Parterre hinalüstieg.
„Rechts liegen die Zimmer Ihrer Hoheit, links
wohnt Fräulein v. Klees."
Sie gingen über die erleuchtete Diele zu einer
mit grünem Fries verhangenen Tür, gegen welche
Frau Schratt sauft pochte.
„Bitte, treten Sie hier nur ein."
Ein großes, durch beschirmte Wachskerzen matt
erleuchtetes Zimmer, darin eine häßliche, kleine
Gestalt, dunkle Gläser vor den Augen.
„Kommen Sie doch, bitte, näher, liebe Helling."
Das dünne Stämmchen und diese ganz neue
Anrede warfen Mia völlig aus dem Gleichgewicht.
Aber sie trat gehorsam, wenn auch zitterud zu dem
mächtigen Lehnsessel, aus welchem die grauen Bril-
lengläser forschend zu ihr aufschauten.
„Setzen Sie sich einen Augenblick — mein Fuß
ist eingeschlafen. Ich werde Sie gleich Ihrer Hoheit
vorstellen, liebe Helling."
Mia schwebte respektvoll auf einer Stuhlkante.
Die alte Dame hüstelte und klopfte mit dem
tauben Fuß auf die Dielen.
„Gestatten," brachte Mia unsicher hervor, „daß
ich Empfehlungen ausrichte von den Damen Brink-
mann."
„Angenehm, liebe Helling," wisperte das dünne
Stämmchen. „Haben Sie eine gute Reise gehabt?
Es ist doch schrecklich, wie mir der Fuß kribbelt! —
Was Ihren Dienst anbelangt bei Ihrer Hoheit, liebe
Helling, so werden Sie außer Ihrem Amt als Vor-
leserin die Beschäftigungen übernehmen, welche mir
mein Alter leider verbietet. Ich bin etwas gebrech-
lich geworden in letzter Zeit." Fräulein v. Klees
erhob sich. „Hoheit erwartet uns. Hier ist das
Buch, woraus Sie uns etwas vorlesen werden."
Mia öffnete die Tür, und das alte Fräulein trat
in die Halle, welche die beiden Wohnungen trennte.
Im Wohnzimmer der Prinzessin brannten gleich-
falls Wachskerzen auf schweren silbernen Leuchtern.
Ihr vornehmes, mildes Licht ergoß sich über die
altertümliche Pracht einer Einrichtung, die an
.Schwerfälligkeit ihresgleichen suchte.

„Hoheit, Fräulein v. Helling bittet um die
Gnade, sich präsentieren zu dürfen."
„Schön, Kleeschen. Ah, da ist sie ja schon!"
Die alte Prinzeß saß in der Nähe des Kaminfeuers
an einem Tischchen und schrieb in ihrem Tagebuch.
Sie klappte jetzt den Deckel energisch zu und wandte
ihr Antlitz nach der Tür. „Na, bitte, nur näher! —
Freut mich, daß Sie da sind, und mein Kleeschen
Ruhe bekommt. Setzen Sie sich doch, Kleeschen."
„Wenn Hoheit gestatten."
So ging es schon seit mehr als vierzig Jahren:
Hoheit gestattete, und Kleeschen setzte sich.
Die Prinzessin ließ scharfe Blicke über Mias
verlegenes Gesicht gleiten. Dann schüttelte sie
zweifelnd das graue Haupt. „Ich habe Sie mir
anders vorgestellt, liebes Kind."
Mia, in wortloser Bestürzung über diese so
offen eingestandene Enttäuschung, versank abermals
in tiefem Knicks.
„Aber das ist natürlich nicht Ihre Schuld," sagte
die Prinzessin mit etwas knarrender Stimme. „Na,
wollen sehen, wie es gehen wird. Nach dem Zeug-
nisse der Brinkmänner stehen Ihnen ja Türen genug
offen. — Was macht Ihr Piedestal heute, Klees-
chen?"
Während das dünne Stimmchen antwortete,
kam es über Mia wie ein Traum. Die beiden alten
Damen am Kamin, Bilder der Vergangenheit, dar-
über das stille Wachskerzenlicht mit seinem An-
klang an Palmenkränze und Tränen, eine Luft,
wundersam, durchtränkt vom Duft alteu Eichen-
holzes, gepreßten Leders und Lavendel —
Die Kaminuhr tat sieben Schläge. Wie Glocken-
töne zog der Schall durch Mias Traumbild und
verhallte so.
„Was haben Sie mitgebracht, Kleeschen?"
„Die Iphigenie, Hoheit."
Mia fuhr zusammen.
„Nehmen Sie Platz, liebes Kind. Dort ist das
Buch. Nun geben Sie uns Ihr Bestes."
Mia tat, wie ihr befohlen.
Im Anfang zitterte ihre Stimme, aber ein natür-
liches Talent und die gute Schulung siegten über
Scheu und Angst.
„Nicht übel," sagte die Prinzessin, angenehm
berührt von der reichen Klangfülle, welche Klees-
chens zitterndes Stimmchen ablöste. „Man hört
das Studium. Es ist mir nur noch nicht klar, wie
Sie sich hier unter uns alten Damen Wohlbefinden
sollen. Es war ein verfehlter Ehrgeiz der Brink-
männer."
„Ich will gewiß alles versuchen, Hoheit zu be-
friedigen," sagte Mia.
Die Prinzessin lachte, ein tiefes, stoßweises
Lachen, welches Kleeschen bewundernd in sich auf-
nahm.
„Ja, ja — mich. Das glaube ich schon. Aber
wie wird's mit Ihrer eigenen Befriedigung, kleines
Mädchen?" (Fortsetzung folgt.)

Lm Zgubel-fee.
(Ziehe dos Bild aus Zette Z0 und ZI.)
Anblick unseres prächtigen Farbendruckbildes versetzt
L/ den Beschauer unwillkürlich in die Stimmung, die uns
als Kinder beim Anhören und Lesen der deutschen Volks-
märchen ergriff, und das war auch dis Absicht deS Künstlers,
der hier ein Gemälde von hohem Farbenreiz und geheim-
nisvollem Zauber geschaffen hat. Und sollen wir es er-
klären, so müssen wir beginnen, wie im Märchen: Es war
einmal eine Königin, die hatte alles, was ihr Herz begehrte,
und auch einen schönen Knaben, der einst König des Landes
werden sollte. Im Gebirgswnlde aber, der einen Teil des
Landes bedeckte, und wohin noch keines Menschen Fuß ge-
drungen war, hauste ein böser Zauberer. Der liebte die
Königin, aber weil sie ihn zurückgewiesen hatte, beschloß
er, sie zu verderben. Durch seine höllischen Künste erregte
er den König, ihren Gemahl, gegen sie, daß er ihr miß-
traute und sie verstieß. Verlassen und geachtet floh sie
in den Wald und irrte dort klagend umher. Da sah sie
sich plötzlich am Rande eines dunklen Sees, des Zaubersees;
dort lebte in seiner unnahbaren Behausung, am Fuß himmel-
hoher Felsen, der Zauberer. Sein Palast lag unter Wasser,
nur das Dach ragte über die Oberfläche empor, und die
zwei erleuchteten Fenster im Giebel glühten von ferne wie
die Augen eines ungeheuren Drachen. Die arme Königin
und ihr Kind waren nun ganz in der Gewalt des Zauberers,
und daS Entsetzen darüber spiegelt sich deutlich auf ihrem
Antlitz wider. Zum Glück gibt es im Märchen nicht nur
böse Zauberer, sondern auch gütige Feen, und so brauchen wir
nicht in Sorge darüber zu sein, daß die Trübsal der ver-
folgten Unschuld sich schließlich doch noch in eitel Glück und
Wonne verwandelt.
Der winklentul-m im vajolettal.
(Ziehe dos ttüd auf Zeile ZZ.)
11 von der Bahnstation Bozen aus den Blick auf den
t-I/ Rosengarten richtet, den fesseln vor allem die phantasti-
schen Gestalten der Vajolettürme, die neben den breiteren
Formen der Rosengärtenspitze, des Kesselkogels, des Mo-

lignon, der Grasleitenspitzen und anderer Felskolosse als
märchenhaft-bizarre, zerrissene Zacken und Nadeln sich zeigen.
Für den von Norden kommenden Alpenwanderer bildet dis
Station Blumau Vicht vor Bozen den besten Eintrittspunkt,
um durch das Tiersertal auf nächstem und geradestem Wegs
ins Herz dieser prächtigen Dolomitgruppe zu gelangen.
Der Bequemere fährt bis zum Karersee und über den Karer-
paß ins Fassatal; da sieht er ohne Mühe herrliche Dinge;
wer aber in diese reich gegliederte, phantastische Felsenwelt
weiter eindringen und besonders die Vajolettürme, die ihn
von ferne so bezaubert haben, in der Nähe betrachten will,
der kann nichts besseres tun, als von Perra im Fassa-
tale aus das Vajolettal aufwärts zu wandern. Cs ist eines
der schönsten Täler der Dolomiten. Leicht ansteigend führt
der Weg teilweise durch schönen Wald aufwärts. Rechts
ragen die zerklüfteten Dirupi di Larsec empor, links zeigen
sich die zackigen Ausläufer der Rotwand. Dann kommt dis
pyramidenartige Rosengartenspitze in Sicht, man erreicht die
grünen Matten der Sojalalpe, und da auf einmal stehen,
unglaublich wild, trotzig und unnahbar ausschauend, die
Vajolettürme vor unseren Augen. Es sind deren sechs, alle
etwa 2800 Meter hoch, und alle, mit Ausnahme des Nord-
tums, sehr schwierig zu besteigen, Aufgaben für die ver-
wegensten und geübtesten Bergsteiger. Der schönste, aber
schwierigste ist, wie schon der erste Blick lehrt, der nach seinem
ersten Besteiger benannte Winklerturm. Wie man anders
als mit Hilfe von Vogelschwingen auf diese Felsnadel ge-
langen kann, ist dem Durchschnittstouristen überhaupt ein
Rätsel, und doch gibt es seit der Erstbesteigung jedes Jahr
kühne Kletterer genug, die das unmöglich Erscheinende aus-
führen, angeseilt schroffe Wände emporklettern, sich durch
Kamine zwängen, auf schmalen Felsleisten und -bändern
traversieren, sich durch den Riß dicht unter der Spitze quet-
schen und schjießlich arg zerschunden und erschöpft auf der
juftigen Höhe nnlangen. Es ist freilich kein geringer Stolz,
dort oben gewesen zu sein, denn Mut, Kraft und Gewandtheit
gehört dazu, und wer nicht furchtlos sein Leben aufs Spiel
setzen will, mutz von solchen Abenteuern abstehen. Den
Gipfelbezwingern wie denen, die sich an der Betrachtung der
Schönheit und Großartigkeit dieser wilden Hochgebirgsnatur
genügen lassen, bietet die am Fuße der Vajolettürme stehende,
bewirtschaftete Unterkunftshülte des Deutschen und Öster-
reichischen Alpenvereins eine gastliche Stätte.
fn Sefahl-.
(Ziehe das ttild auf Zeile ZS.)
Ilnser Bild versetzt uns in eine der Felsschluchten am
Südabhange des Himalaya. Welche Plage der Tiger ge-
rade für die nördlichen Provinzen Ostindiens ist, in deren
Niederungen ihm die rohrumwachsencn Ufer der Flutzläufe
die angenehmsten Schlupfwinkel bieten, wird durch dis große
Zahl von Menschen erwiesen, die alljährlich dem furchtbaren
Raubtier zuin Opfer fallen. Ins Gebirge aber treibt den
Tiger nur der Hunger. Bis zu den herdenreichen Alpen-
weiden in den Hochgebirgen Asiens steigt er selten empor; da-
gegen folgt er oft viele Tage lang auf ihn bergenden Schleich-
wegen Menschen, sogar ganzen Karawanen nach, die über die
Gebirgspässe ziehen, in der sicheren Erwartung, daß ihm
bald genug vereinzelte Nachzügler oder einsam ausgestellte
Schildwachen zur Beute fallen werden. Hat aber erst ein-
mal der Tiger Menschenfleisch genossen, so zieht er es jeder
anderen Nahrung vor, und wo sich das Gelände für die
Jagd auf Menschen günstig zeigt, legt er sich gern auf dis
Lauer. Manche Engpässe durch waldreiche Schluchten sind
wegen der Tigergefahr berüchtigt, und der Engländer Forbes,
der auf Grund langjähriger Erfahrungen daS Leben und
Treiben des Tigers geschildert hat, versichert, daß in dem
Engpässe Kukkum-Sandi eine Tigerin mehrere Monate lang
jeden Tag Menschen, unter denen wohl ein Dutzend Postboten
waren, erwürgte. In Bengalen märe ohne die große Furcht des
Tieres vor dem Feuer kaum eins Verbindung der Präsident-
schaft mit den oberen Provinzen möglich. Die grausige
Szene auf unserem Bild hat die Flucht des Indiers vor
dem herannahenden Raubtier zur Voraussetzung. Er klomm
die steile Felswand hinauf, jeden Vorsprung, jede Grasnarbe
benützend. Aber der Tiger klomm dem Flüchtling nach, und
jetzt ist der Augenblick gekommen, wo die furchtbaren Tatzen
des Tieres seine Füße erreichen müssen. Das Unheil wollte,
daß der Mann auf der Flucht sein Gewehr einbüßte. Aber
der Dolch ist gezogen, und die ganze Willenskraft des Er-
schöpften sammelt sich zu dem Stoß, den er nun gegen dis
wütend zu ihm emporfauchende Bestie führen muß.
fischepflotte im Mömenfchwal-m.
(Ziehe das 8>Id auf Zette Z7.)
I^aß die auf allen Meeren zahlreichen Möwen gerne den
L/ Schiffen folgen, sie kreischend umfliegen und durch ihre
geschickten und schnellen Schwenkungen für die Fahrgäste
eine Quelle der Unterhaltung bilden, ist jedem bekannt, der
schon einmal eine kleine Fahrt auf der Nord- oder Ostsee
gemacht hat. Irrig aber wäre es, anzunehmen, die flug-
gewandten Vögel trieben dieses Spiel aus bloßem Vergnügen.
Im Grunde ist es nämlich nichts als die Begier nach leichter
Beute,' denn die Möwen fressen außer Fischen, Kerbtieren,
Krebsen, Quallen, Würmern u. s. w. auch Aas, und sie
wissen, daß der Koch eines Schiffes ab und zu Speiseabfälle
ins Meer wirft, unter denen viel für sie Genießbares ist.
Darum sind auch auf dem Fang befindliche Fischerboote in
der Nordsee stets von ganzen Schwärmen von Möwen um-
flattert. Beim Fischfang gerät viel in die Netze, was als
untauglich wieder über Bord geworfen werden muß, und da
außerdem bei der Hochseefischerei die gefangenen Heringe
gleich an Bord ausgenommen und eingesalzen werden, so
gibt es für die Möwen immer reichliche Beute. Unser Bild
zeigt die Fischerflotte von Finkenwärder, einer Marschinsel
in der Norderelbe, auf oer Fahrt und gibt eine lebendige
Anschauung von der Unzahl von Möwen, von der die Boote
oft umgeben sind.
 
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