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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 42.1907

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Heft 3
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https://doi.org/10.11588/diglit.60738#0068
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^4 -. -
In dieser Eigenschaft stand sie neben dem Sessel
der Prinzessin, als an deren Geburtstag die Mit-
glieder des herzoglichen Hauses pflichtschuldigst ihren
Glückwunschbesuch abstatteten.
Als die Herzogin das junge Mädchen sah und
ihren Namen börte, kamen ihr sofort Miezes Tanz-
künste ins Gedächtnis. Sie sprach demgemäß sehr
freundliche Worte zu der Hocherrötenden.
„Liebste Tante Christiane," sagte sie dann aus-
brechend, „Sie müssen mir schon erlauben, daß ich
diese jungen Füße einmal wieder in Bewegung setze.
Selbstverständlich nur, wenn Fräulein v. Klees ihr
Amt bis dahin wieder übernehmen kann. Darf ich
Fräulein v. Helling eine Einladung zum nächsten
Ball im Schlosse zugehen lassen? Ich glaube, sie
würde es nicht übel nehmen."
„So viel Güte —" stammelte Mia, von dieser
Aussicht mehr bedrückt als erfreut.
Die alte Prinzeß nickte steif. „Ich liebe es nicht,
wie Sie wissen, verehrte Nichte, in meiner Zurück-
gezogenheit derangiert zu werden. Die Welt und
ich kennen uns nicht mehr. Da Sie aber der Mei-
nung sind, daß ein Tanzfest zum Wohlbefinden der
jungen Helling notwendig ist, mag sie für diesmal
ihre Füße zur Verfügung stellen."
So stachelig wie möglich kam's heraus.
Die Herzogin seufzte innerlich, aber sie lächelte.
Das schöne Mädchen tat ihr aufrichtig leid. „Nun
also, gnädigste Tante, ich nehme Ihr Versprechen
mit," sagte sie verbindlich. „Und nochmals alles
Gute!"
Kaum hatte der herzogliche Wagen das Gittertor
verlassen, als eine zweite Equipage in Sicht kam.
Das erbprinzliche Paar fuhr vor.
Alexandra Luise berührte uur flüchtig die Hand
ihres Gatten, als sie znr Erde stieg; dann nahm sie
dem Lakaien einen Strauß dunkler Rosen ab, raffte
ihre nilgrüne Tuchschleppe lässig auf und betrat
die Halle.
Die frische Luft hatte ihren Wangen eine warme
Färbung verliehen, sie sah schön aus unter dem
großen schwarzen Hut, dessen Federn im Winde
nickten.
Während der Erbprinz für die ergraute Diener-
schaft einen freundlichen Gruß hatte, schweifte
Alexandra Luises Blick achtlos über die „Mumien"
hinweg.
Zerstreut trat sie in das ihr verhaßte altväterische
Zimmer, dessen Bewohnerin ihr nicht minder zu-
wider war.
„Unsere herzlichsten Glückwünsche, verebrte G.roß-
tante!" sagte der Erbprinz.
Alexandra Luise fügte hinzu: „Gestatten Sie,
daß wir Rosen auf Ihren Lebensweg streuen."
„Sehr anerkennenswert, daß ihr euch einmal im
Jahre meiner erinnert."
Die schwarzen Halbhandschuhe erfuhren eine
leichte Lippenberührung.
„Wir wissen ja, verehrte Großtante," sagte die
Prinzessin, „daß Sie die Zurückgezogenheit über
alles lieben und —"
Sie stockte, ihr Blick fiel auf Mia.
„Fräulein v. Helling!" sagte die alte Prinzeß
kurz. „Vertritt die gute Klees. Nehmen Sie die
Rosen weg, Wohlgerüche fallen mir beschwerlich."
Alexandra Luise heftete ihre dunklen Augen
nochmals staunend auf das liebreizende Geschöpf
neben der Sessellehne.
„So —so!"
Sie hatte den Kopf nicht zum Gruße geneigt,
als Mia ehrerbietig sich tief verbeugte.
„Wollt ihr nicht Platz nehmen?"
Der Erbprinz folgte dankend der Aufforderung,
Alexandra Luise glitt schweigend in einen Sessel.
„Ihr braucht nicht so feierliche Gesichter zu
machen," sagte die alte Prinzeß spöttisch. „Die
Zeit ist noch nicht gekommen. Was man so gern
tut, dazu soll man lachen. Lacht euch nur gegen-
seitig immer fröhlich an," fügte sie ernst hinzu, „das
steht jungen Gatten gut. Ludwig August war ein
heiteres Kind, jetzt ist er ein stiller Mann."
„Die Zeiten ändern sich und uns, verehrte Groß-
tante," sagte Alexandra Luise mit ihrem zitternden
Lächeln. „Man kann doch nicht ewig im Flügel-
kleide bleiben. Sie sind uns ja das schönste Bei-
spiel, daß man im Alter erst zur vollen Entfaltung
seiner Geistesgaben und — Liebenswürdigkeit ge-
langt."
Aus dem runzligen Gesicht flog ein scharfer Blick
in das schöne Antlitz unter dem Federhut. „Man
muß nur etwas mehr im Kopfe haben, als sich selbst
und das Toilettenzimmer, so wird's an der Weiter-
entwicklung nicht fehlen."
„Sehr wahr," verehrte Großtante, lächelte
Alexandra Luise mit zustimmender Kopfbewegung.
„Das wären die Geistesgaben. Aber wie wird's
mit der Liebenswürdigkeit, die wir ja so sehr an
Ihnen bewundern!"

i Vas Luch fül-Mle

yeftZ

Der Erbprinz erhob sich. „Die Liebenswürdig-
keit der Frauen," sagte er schnell, „ist zu individuell,
um ein Schema dafür ausstellen zu lassen. Dis
Frau, die wirklich liebenswürdig sein will, ist es
bereits, denn schon der Wille ist liebenswürdig."
„Sehen Sie, verehrte Großtante," rief Alexandra
Luise mit blitzendem Spott im Auge, „daß Ludwig
August das stille Waiser nicht ist, welches Ihre Güte
ihm zusprach! Man muß nur so trefflich zu schlagen
verstehen, wie unsere verehrte Großtante, so gibt
der Stein ganz notwendig Funken. Wir dürfen
doch die Hoffnung mit uns nehmen, Ihre Kräfte
nicht zu sehr in Anspruch genommen zu haben?"
„Ich hahe nichts mit Hoffnungen zu tun," sagte
die alte Hoheit scharf. „Was ich in der Wirklich-
keit sehe, ist traurig genug."
„Das bedauern wir aufrichtig," lächelte Alexandra
Luise, ihren roten Mund kaum spürbar auf den
schwarzen Halbhandschuh drückend. „Wir sehen die
Welt noch rosig — gottlob!"
Als sie neben ihrem Gemahl durch die Halle
ging, zuckte es heiß in ihren Zügen. „Als ob man
einen Igel anfaßt," murmelte sie heftig.
„Ich bitte dich —"
„Einen alten, bissigen Igel," wiederholte Ale-
xandra Lnise zornig.
Als sie im Wagen saßen, faßte er ihre Hand.
„Hat sie denn so unrecht, Alexe? Machst du
mich uicht täglich stiller, trauriger?"
„Ich wüßte uicht warum?" sagte sie ungeduldig.
„Uber das sentimentale Jabr sind wir doch glück-
lich hinüber."
Er drückte ihre Finger heftig. „Du weißt aber,
daß ich dich liebe!"
Ihre Blässe nahm zu, aber sie lächelte. „Das
hast du nun schon so oft versichert, daß ich, wäre
ich auch die Ungläubigkeit selbst, es glauben müßte."
„Und du?" fragte er, ihre Finger küssend.
Ihre Brauen zogen sich düster zusammen. „Ich
versenke mich in mich selbst und suche mich zu er-
gründen."
„Was habe ich von dem allem?" sagte er leise.
„Habe ich mehr als du?" fragte sie leidenschaft-
lich bewegt.
„Dann haben wir beide — nichts."
Der Wagen hielt. Der Jäger sprang vom Bock
und riß den Schlag auf. Alexandra Luise stieg
hastig aus.
Im Vestibül stand der Rittmeister v. Mersbach
zur Abstattung einer Meldung.
Als sie ihn sah, schlug ihr Herz höher auf. „Wir
werden bald Frühling haben," sagte sie, an ihm
vorüberschreitend. „Man ahnt ihn schon."
Er verneigte sich tief. „Königliche Hoheit bringen
ihn stets mit sich."
Sie nickte ihm lächelnd zu.
Um ibn wehte wieder der süße Duft, der diese
Frau umspann. Wie ein Schleier legte er sich um
seine Sinne.
Er lauschte dem Verrauschen ihres Gewandes
wie dem Verklingen eines Lenzliedes im Frühlings-
wald.
Sie aber stand droben am Fenster, aufgeschreckt
aus ihrem stolzen Selbstgefühl durch die Frage ihres
Gatten.
War denn diese Frage an sie gerichtet worden
damals, als sie auf Wunsch der beiden Höfe, die
eine Familienverbindung für zweckdienlich hielten,
ihre Einwilligung gab, dem ihr fremden Manne
hierher zu folgen?
Und wenn ihre Liebe nicht erforderlich gewesen
war, den Ehebund zu schließen, wie durfte e»'sie
jetzt von ihr fordern, wo sie so matt und müde war
vom Alltagsleben, entnüchtert durch ihn selbst, un-
geduldig und unbefriedigt von dem, was ihr zu
teil geworden, haschend, sich sehnend nach Überfülle?
Wen ging es an, was sich aus diesem heißen
Boden losrang und aufsproßte?
siebentes Xapitel.— .
„Befehlen Hoheit, daß ich die Rosen ins Wasser
setze?"
Mia stand noch ganz unter dem Banne einer
Erscheinung, die ihr selbst im Traume so herrlich
nie erschienen wäre. Sie wußte gar nicht, wo zu-
erst mit ihrer Bewunderung anfangen. Gesicht,
Haltung, Toilette — alles wirkte überwältigend.
Was gesprochen war, wußte sie nicht. Sie hatte
genug zu sehen gehabt. In ihrem ganzen Leben
hatte bisher nichts annähernd solchen Eindruck-Her-
vorgerufen, wie die Erscheinung der Prinzessin
Alexandra Luise.
„Hören Sie schwer, liebe Helling?" fragte die
alte Prinzeß gebieterisch. „Ich habe schon zweimal
gewünscht, daß Sie sämtliches Blumenzeug hinaus-
befördern lassen sollten."
Mia schrak zusammen. „Jawohl, Hoheit! So-
fort!"

Aber während sie zur Glocke ging, schwebte
immerfort das rauschende, nilgrüne Kleid vor ihren
Geistesaugen und das herrliche Antlitz unter dem
Federschmuck.
Die alte Hoheit war grimmiger Laune.
Nichts konnte ihr recht gemacht werden. Klees-
chen fehlte an allen Ecken und Enden.
Die Stimmung besserte sich auch nicht, als aus
dem Hofmarschallamt eine Einladung zum Ballfest
an die Hofdame Ihrer Hoheit, an die Baronesse
v. Helling, eintraf und Mia mit dem krönen- und
wappengeschmückten Black in der Hand schüchtern
vor der Prinzeß erschien.
„Ich habe Ihnen ja gesagt, daß Sie meine Zu-
stimmung haben," murmelte die alte Dame, heftig
strickend. „Was kommen Sie mir jetzt noch mit
dem Ding da? Die Herzogin hat die Güte gehabt,
in meinem Hause zu schalten — arrangieren Sie
sich nun damit."
„Lieber Himmel! Wie soll ich das machen?"
seufzte Mia im stillen, zwischen Angst und Freude
hin und her geworfen.
Schon die Toilette! Das war der schlimmste
Punkt. Ihr weißes Wollenkleid? Unmöglich.
Etwas Luftiges also!
Sie schlich an lKleeschens Bett. „Raten Sie
mir, bitte!"
„Mit Vergnügen, liebe Helling. Warten Sie
mal —"
Kleeschen ging im Geist einen Zeitraum von
etlichen vierzig Jahren rückwärts.
„Blaue Seidenschuhe — ja, ganz recht! Ein
recht voller Rosenkranz. Und - - das Kleid? Kräftig
blau — Seide natürlich. Ein paar Rosensträuße
daran befestigt —"
„Seide!" rief Ma, das alte Fräulein entsetzt
anstarrend.
„Mit Schleppe, liebe Helling. Und der Fächer?
Rosa!"
„Aber wo soll denn das alles Herkommen?" rief
Mia verzweifelt. „Bon meinem Gehalt kann so
etwas doch nicht beschafft werden? Und Herrn
Pastor Seller darf ich doch nicht bitten, daß er mir
Ballkleider schenkt!"
„Ja — die Unterkleider, liebe Helling, sind auch
nicht zu vergessen," wisperte Kleeschen.
„Ach, du guter Gott! Ich kann's nicht schaffen."
Mia seufzte so tief aus notbedrängter Seele,
daß Kleeschen in die Gegenwart zurückkehrte.
„Ich will Ihnen recht gern eine kleine Summe
vorschießen. „Sprechen Sie mal mit der Schratt,
liebe Helling."
„Ja, das wird das beste sein."
Mia hatte keine Ahnung, daß die ergrimmte
alte Hoheit zur selben Stunde ein Handschreiben
an die Herzogin richtete.
„Liebe Nichte Ulrike, da Sie so freundlich waren,
Fräulein v. Helling in Ihre Protektion zu nehmen,
haben Sie wohl auch die Güte, sich für ein anderes
Placement derselben zu interessieren. Ich kann
keine Balldamen um mich gebrauchen. Wenn der
Löwe einmal Blut geleckt hat, und einer jungen
Person einmal der Kopf verdreht worden ist — ist
Vorsicht geboten. Meinem Neffen und Ihnen einen
verwandtschaftlichen Gruß. Christiane."
Frau Schratt wußte übrigens verständigen Rat.
Sie zog eine Schneiderin ins Geheimnis. Mit deren
Hilfe kam das Werk ohne Vorschuß zu stände, da-
gegen Mit einer Nachzahlung.
Zum Glück kam auch Kleeschen wieder zeit-
gemäß auf die Beine, so daß am Ballabend Mia,
nachdem sie zwei Stunden ihr Borleseramt aus-
geübt und sehr ungnädig entlassen worden war,
freien Herzens daran denken konnte, ihre erste Tanz-
karte in Empfang zu.nehmen.
Nun stand sie vor'dem Spiegel, sich selber an-
schauend wie etwas ganz Fremdes.
« Leichte Ballseide, glänzend wie Schnee und über-
haucht von silbrigem Stoff, fchmiegte sich um ihre
reizende Gestalt, ließ Hals und Nacken in jugend-
licher Schönheit hervortreten und zeigte die zarte
Rundung der Arme. Ein rosa Akazienzweig an
der Schulter war der einzige Schmuck, den ihre
erschöpften Mittel noch gestatteten, nachdem ein
billiger Spitzenfächer als notwendiges Zubehör be-
schafft worden war.
Kleeschen brannte zwar vor Verlangen, die
junge Kollegin im Staat zu sehen, aber der alten
Hoheit diesen Wunsch vorzutragen, fehlte selbst ihr
der Mut. Doch war es ihrem Zuspruch gelungen,
Mias Hin- und Rückfahrt in der alten Hofkutsche
zu ermöglichen.
Und so fuhr Mia-Mieze, in Kleeschens Winter-
radmantel gehüllt, klopfenden Herzens aus dem
Gittertor den Weg zum Schlosse.
Unterwegs goß ihr der Gedanke, mit fremden
Herren jetzt dieselben Tänze abzuwirbeln wie bisher
 
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