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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 42.1907

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Heft 3
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https://doi.org/10.11588/diglit.60738#0069
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heft Z "
mit lachenden Mädchen, wunderliche Empfindungen
durch das rasch pulsierende Blut. Wenn sie nur
ihre Sache so gut machte wie zuvor, sich nicht bla-
mierte!
Ankunst und Eintritt vollzogen sich wie im
Traum.
Mit einem Male sah sie sich an der Schwelle
eines wundervollen Raumes, der, durch Spiegel-
wände zurückgeworfen, gar kein Ende zu nehmen
schien, in welchem alles in Glanz zusammenfloß.
Und darin eine summende, raunende Menge.
Jbr Mut versank völlig vor einem ordenbesäeten
Herrn, der laut Weisung auf die „Gefangene des
alten Schlosses" zuschritt und ihr den Arm reichte.
„Meine Gnädigste — Hofmarschall Freiherr
v. Trotter!"
Das war sehr hübsch von dem alten Herrn, ihr
den Arm zu reichen, aber wie sie denselben an-
genommen, das wußte sie nicht.
Tränen waren ihr näher als Lachen.
Und wie sie quer durch den Saal schritt, folgte
ihr die allgemeine Aufmerksamkeit, ein peinvolles
Murmeln und Zischeln.
Fast klang es, als rausche der Hcidewind durch
die verworrenen Zweige der verkrüppelten Kiefer.
Die Gemahlin des Hofmarschalls, deren Obhut
er die stellvertreteude Hofdame Ihrer Hoheit vor-
läufig anvertraute, sah starren Blicks diese unbe-
kannte Schönheit auf sich zuschreiten. Da dieselbe
aber die Protektion der Herzogin genoß, erstickte sie
die mütterliche Eifersucht in einem sauersüßen
Lächeln.
Die „Unausstehliche" flüsterte ihrer Nachbarin
ins Ohr: „Dornröschen im Zauberschloß unter der
Obhut eines alten Drachen. Wer wird der Kuß-
prinz sein?"
Plötzlich ein lautes Pochen. Mia zuckte zu-
sammen vor Schreck.
Der Hof trat ein.
Lieber Gott, woher so viel Augen nehmen,
alles zu bewundern, was da vorüberschritt!
Daß sie mit ihrem einfachen Akazienzweige die
Schönste unter den Schönen war, ahnte ihre Seele
nicht. Auch nichts von all dem Neide, welcher sich
an ihre Schritte heftete, nichts von der Mißgunst,
mit welcher man die Güte der Herzogin beobachtete
und glossierte.
Und nun — Mia glaubte etwas Feenhaftes zu
hören — begann von der Orchesterloge droben die
Tanzmusik.
Ach ja, ihr Kärtchen war bekritzelt bis auf einen
Walzer, aber noch regte sich kein Fuß.
Die Erbprinzefsin hatte einen Offizier zum Tanz
befohlen in roter Uniform, wie Mia noch nie ge-
sehen. Aber was war ihr der Tänzer gegen diese
Tänzerin!
Ihre glitzernde Schleppe drehte sich wie eine
Schlange im Kreise um das schöne Paar. Das
Strahlendiadem sprühte Funkenkreise darüber —
ein süßer Duft schloß beide in eine besondere, eng
abgeschiedene Atmosphäre.
Seine Rechte umschlang ihre Taille. Ihre Hand
lag in der seinen.
Jetzt aber! Die Bahn war frei auch für Mia.
Wie flog es sich so herrlich über das spiegel-
blanke Parkett! Wie -jauchzte ihre Seele in nie
gekannter Freude!
Plötzlich war's, als fiele ein roter Schatten
auf sie.
„Rittmeister v. Mersbach!" stellte der Husar
sich vor.
Mia blickte zaghaft empor. Beider Augen haf-
teten sekundenlang ineinander.
„Ja, ist das denn möglich?" sagte Mersbach
nach staunendem Schweigen. „Ich irre mich wohl?"
„Ach nein," flüsterte Mia und selig ward ihr zu
Mut. „Es ist schon so."
„Es ist also richtig. Die Heide, die Kiefer —"
„Die meine ich ja auch," lispelte Mia und Helle
Freude strahlte aus ihren Augen.
„Und das waren — Sie?"
„Ja, das war ich."
„Aber— verzeihen Sie, ich bin außer Fassung
— jene Mieze' war die Baronesse Helling?"
„Warum denn nicht?"
Diese Frage verwirrte ihn von neuem. „Existiert
denn das Heidehaus noch, dessen Schornstein ich
damals rauchen sah?" fragte er, um etwas zu sagen.
„Es ist mein Eigentum. Die Tante ist tot."
„Das ist allerdings ein Sprung, von dort —
hierher."
„Ach ja!" sagte Mia leise. „Der gute Pastor
Seiler war wohl dagegen —"
„Den kennen Sie auch?" fragte Mersbach aufs
neue erstaunt.
„Aber das ist ja doch mein Lehrer gewesen!"
rief Mia lebhaft. „Darum lachte ich ja damals,
als Sie mich nach ihm fragten. Ob ich den kannte!

I Va8 Such fül- Mle
— Und dann war ich so verlegen," fuhr sie tief
errötend, aber zutraulich fort. „Ich wußte eigent-
lich nicht, was ich schwatzte. Für wie albern mögen
Sie mich gehalten haben! Wie ich's der lieben
Tante erzählte, hat sie gelacht. Wissen Sie, was
sie jagte?"
Ihre blauen Augen lächelten ihn schelmisch an.
„Nein — aber ich erführe es gern," fagte Mers-
bach belustigt und erkannte an diefem kindlichen
Ton die Mieze unter der Kiefer wieder.
„Sie sagte: Dir hat er die Närrin an der Nasen-
spitze angesehen. Stimmt's?"
Er lachte laut. „Nein — nicht ganz. So schlimm
war's nicht. Aber etwas schuldig muß ich mich
bekennen. Die Verkleidung damals —"
Sie lachte fröhlich mit. „Ja — beute! Das
hat auch Mühe genug gekostet! Aber ich bin auch
so glücklich. Erst dachte ich: ganz allein ist doch zu
traurig. Sind Sie auch allein hier?"
„Es macht sich," sagte Mersbach lächelnd. „Ich
bin auch nicht so furchtsam wie junge Hofdamen.
Übrigens, meine Mutter ist anwesend."
„Sie haben eine Mutter?" rief Mia, die Hände
zusammenschlagend, als wäre dies das größte Wun-
der. „O, Sie Glücklicher!"
„Ja, denken Sie mal!" sagte er heiter. „Soll
ich Sie vorstellen?"
„Frau v. Trötter war vorhin schon so gütig.
Ich habe nur nichts verstanden, weiß nicht — viel-
leicht bin ich schon vorgestellt," flüsterte Mia ver-
legen.
„Später also. Ich werde fragen."
Sie sah schon wieder glücklich zu ihm auf und
nickte.
„Ein Tanz ist natürlich nicht mehr zu haben?"
„Doch! Da — sehen Sie! Ein Walzer —
sonst nichts."
„Wird schleunigst belegt." Er nahm das Kärt-
chen und kritzelte seinen Namen darauf.
„Lassen Sie doch!" rief Mia strahlend. „Ich
behalte es auch so."
„Wahrhaftig? Das wäre zu gütig. — Aber
nun — darf ich bitten? Ganz extra!"
Sie wußte nicht, wie sie mitten in den Wirbel
hineingekommen war, ob sie auf Erden tanzte oder
in höheren Regionen, ob es Ballmusik war, die sie
forttrug, oder himmlischer Sphärenklang.
Schade, schade, daß der Saalumfang nicht drei-
mal so groß war! Gerade jetzt hätte sie bis in
alle Ewigkeit forttanzen mögen. —
Von ihrem erhöhten Sessel aus verfolgte
Alexandra Luise das ungewöhnlich schöne Paar,
dem nichts im Wege stand, sich so oft wiederzusin-
den, als ihm beliebte, während sie selbst die Hand
nicht rühren durste, ihres Herzens Wunsch zu stillen.
Nur einmal durch den roten Attila hindurch ins
Herz dieses Mannes sehen können, was darin lebte!
Ein Zittern durchflog ihre Nerven.
„Du siehst so mißvergnügt aus," flüsterte der
Erbprinz, sich zu ihrer Schulter neigend.
„Ich möchte tanzen!" stieß sie leidenschaftlich
hervor, „nicht wie eine Pagode sitzen. Ich bin
jung —"
„Die Ärzte haben es mir verboten," erwiderte
er zaudernd und tiefe Trauer sprach aus seinen
Blicken. „Ich will aber Mersbach —"
Sie nickte, ein befriedigtes Lächeln lag auf ihren
Lippen.
Als er vor ihr stand, trat sie sofort an seine Seite.
„Man Hütte denken können, Bruder und Schwester
zu sehen. Eine alte Bekanntschaft ließe sich nicht
ansprechender aufwärmen."
Sie sagte es lässig. Aber darunter grollte etwas
wie das Rollen des Vulkans, den die Glut er-
schüttert.
In ihm verflog die spielende Laune längst. Des-
halb ließ er es unerwähnt, daß Mia Helling die
Heidefee seiner damaligen Erzählung sei. Er wollte
sie nicht herabsetzen.
„Das ist ein Vorwurf?" fragte er.
Das ungeduldige Zucken ihrer Wimpern ließ
hervorbrechen, was er mit Gewalt in sich zurückstieß.
„Du wolltest ja tanzen, Alexe," sagte der Erb-
prinz hinzutretend. „Und nun plauderst du."
„Ja, wir wollen tanzen!"
Sie legte ihre Linke auf seinen Arm. e
sie seine Hand beben.
Nun war's ihr, als sänke sie in seine Umschlin-
gung, als löse sich das Diadem aus ihrem Haar und
glitte ihr zu Füßen.
„Königliche Hoheit zürnen mir?"
Er flüsterte es. Das Rauschgefühl, das ihn er-
faßt, verursachte ihm zugleich heißen Schmerz.
„Nicht —" sagte sie leise und wunderbar weich.
Die Freifrau v. Mersbach hatte wie immer den
Vorzug, in die nähere Umgebung der Herzogin ge-
zogen zu werden.

55
Jetzt wandte sich die hohe Frau ihr vertraulich
völlig zu. „Liebe Baronin, ich möchte eine Frage
an Sie richten. Wie gefällt Ihnen die kleine Helling,
die in so allerliebster Schüchternheit ihre ersten Ball-
freuden genießt? Um es Ihnen frei heraus zu
sagen — selbstverständlich ganz unter uns —"
„Hoheit kennen mich."
„Jawohl, meine Liebe. Also — die Prinzeß
Christiane ist grausam gegen das junge Ding, dem
doch wirklich ein wenig Freude zu gönnen ist nach
dem Beisammensein mit der alten Klees. Sie hat
oder wird der kleinen Baronesse wegen meiner Ein-
ladung die Stellung als Vorleserin kündigen."
„Sehr hart, Hoheit."
Dieselbe Frau, welche dieses „sehr hart" aus-
sprach, hatte einst ihre eigene Tochter in Sturm
und Regen hinausgejagt, unbekümmert darum, wo
es dem Schicksal gefiel, sie umkommen zu lassen.
„Einfach grausam. Und dabei ist nicht zu über-
sehen, daß sie mir gewissermaßen die Verantwortung
dafür aufbürdet. ^Jch fühle mich also moralisch ver-
pflichtet — Sie verstehen mich, liebe Baronin!
Können Sie die Helling nicht auf einige Zell zu
sich nehmen? Sie beansprucht jedenfalls nicht viel
Gehalt. Und später fände sich schon etwas. Sie-
täten mir in der Tat einen Gefallen damit."
Nachdem die Freifrau ihr erstes Erstaunen über-
wunden, faßte sie sich schnell. „Der Wunsch Eurer
Hoheit ist mir natürlich Befehl."
„Nein, nein, liebste Baronin, so war's nicht ge-
meint," fiel die Herzogin liebenswürdig ein, war
aber sehr befriedigt, ohne weiteres ans Ziel ge-
kommen zu sein.
„Doch, Hoheit — ganz sicher. Elbental steht
Fräulein v. Helling offen. Wollen Hoheit die Gnade
haben, zu bestimmen, wie die Sache ins Werk ge-
setzt werden soll. Soll die junge Dame sogleich
davon in Kenntnis gesetzt werden?. Oder wollen
Hoheit zuvor vielleicht die Prinzessin Christiane be-
nachrichtigen?" ,,
„Ja, ich denke — oder nein! Die sichere Kün-
digung ist ja in Aussicht gestellt. Der Prinzeß wird
also der schnellste Wechsel der liebste sein. Es wäre
doch auch eine wünschenswerte Genugtuung für
das schuldlose Wesen, wenn, nachdem die eine Pforte
sich hinter ihr geschlossen, die andere sich auftut.
Wollen Sie gleich mit der kleinen Helling sprechen?"
„Wie Hoheit befehlen. Ich fürchte nur, der
Prinzessin Christiane dadurch vorzugreisen."
„Sie ist allerdings sehr empfindlich. Nun gut,
ich werde selbst durch Exzellenz Besserlich — —
Und Dank, meine liebe Baronin, herzlichen Dank!"
Der weiße Handschuh der Herzogin drückte den
weißen Handschuh der Freifrau verbindlich.

„Sie tanzen heute abend besonders flott," sagte
Alexandra Luise schneller atmend. „Mit wem —
den nächsten Walzer?"
Sie fühlte sich beengt. Aber dieser Druck tat
ihr wohl.
„Mit Fräulein v. Helling."
Sie biß sich leicht auf die Lippe. Aber wie er
sie einen Moment fest ansah, glitt ihr zitterndes
Lächeln um ihren roten Mund. „Viel Vergnügen
denn!"
Sie trat zu ihrem Sessel zurück.
Er verneigte sich tief. Ihm pochte das Herz
wild auf vor Erregung. Was er da fühlte, sagte,
hoffte und tun wollte, war ja Wahnsinn!
Sein Auge streifte unwillkürlich zu dem Damen-
kreis hinüber, wo die „Unausstehliche" soeben ihrer
Nachbarin zuflüsterte: „Der Frau Erbprinzefsin steht
die rote Farbe sehr gut."
„Welche? Sie trägt ja Weiß."
„Der rote Attila, mit dessen Träger sie soeben
tanzte, wirft ein besonderes Licht auf sie. Pasien
Sie nur auf."-
Für Mia häuften sich die Triumphe. Sie
schwelgte im Glück. Wenn sie nur zehn Füße ge-
habt hätte, alles abzutanzen, was sie ausschlagen
mußte.
Eine leuchtende Röte lag nun fest auf ihren
Wangen, das Rosenrot seliger Jugend.
Jetzt schwamm sie schon ganz sicher mit im
großen Strom, unbekümmert um stechende und nei-
dische Blicke, bis sie plötzlich in einen tiefen Knicks
versank, als die Oberhofmeisterin v. Besserlich auf
sie zugeschritten kam.
„Ihre Hoheit die Frau Herzogin," sagte Ex-
zellenz mit angenehmem Lächeln, „wünscht zu
wissen, ob die kleine Baronesse sich amüsiert?"
„Himmlisch —" flüsterte Mia, ihren Fächer fast
zerdrückend^ vor Überzeugungstreue. „Wenn ich
nur Ihrer Hoheit die Hände küssen dürfte für so viele
Gnade und Güte."
Sie war, unbewußt, schon so gut auf den richtigen
Ton gestimmt, daß Exzellenz dies wohlwollend zur
Kenntnis nahm.
 
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