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gessen, daß der Passagierraum des Luftschiffes viel
bequemer eingerichtet ist, als ein Luxuswagen bei
der Eisenbahn. Der Raum ist elektrisch geheizt und
beleuchtet, und auch wenn Sie aus dem Salon auf
die Plattform des Schiffes treten, sind Sie durch
hohe Wände gegen den direkten Luftzug geschützt."
„Sie sprechen vom Salon? Gibt es denn da auch
Gelegenheit zum Speisen?"
Winter lachte laut auf. „Sie finden selbstver-
ständlich einen wohlversehenen Speisesalon. Die
Zeit vergeht übrigens so rasch, denn wir legen die
700 Kilometer in vier Stunden zurück, daß gewöhn-
lich auf der Fahrt nach London nicht einmal die
Schlafkabinen aufgesucht werden, zumal die Aus-
blicke von oben herrlich sind. Man kommt da oben
in eine Art Taumel, um nicht zu sagen in einen
Rausch des Entzückens. Das sanfte Dahingleiten
durch die Luft, der unendliche Ausblick über die
mondbeglänzte Erde, der Blick auf die Städte, die
wir passieren, vor allem aber der Anblick des mond-
beleuchteten Meeres, über das wir hinwegfahren,
machen einen unauslöschlichen Eindruck. Sie wer-
den, wie alle Passagiere, am Ende der Fahrt auf
das tiefste bedauern, daß dieselbe nicht weiter geht."
„Nach Amerika hinüber geht es wohl noch nicht
mit den Luftschiffen?" fragte ein Herr aus unserer
Gesellschaft den Ingenieur.
„Die Versuche sind noch nicht abgeschlossen.
Natürlich kann man die alten transatlantischen
Dampferkurfe nicht einhalten, da die Luftschiffe
nicht genügend elektrische Akkumulatoren mitneh-
men können, um mehrere Tage lang mit der auf-
gespeicherten Kraft auszukommen. Bis jetzt reicht
die höchste Ladefähigkeit nur für achtzehn Stunden.
— Doch da kommt unser Schiff."
Am Himmel oben wurde ein langgestrecktes hell-
leuchtendes Etwas sichtbar, von dem herab das laute
Dröhnen eines Nebelhornes klang. Der langgestreckte,
hellerleuchtete Körper begann sich langsam und
gleichmäßig zu senken. Je tiefer er herabkam, desto
deutlicher erkannten wir die Form des gigantischen
Luftschiffes. Dasselbe war ungefähr 50 Meter lang
und hatte unten die Gestalt eines flachen, an den
beiden Enden spitz zulaufenden Bootes. Die so
entstehende Plattform war mit Geländern umgeben,
und fast die ganze Breite und Länge derselben nahm
ein aus Glas und Eisen konstruiertes, hellerleuchtetes
Gebäude ein, das in verschiedene Abteilungen ge-
trennt war. Da das Luftschiff an der Unterseite
wagerechte, vorn und hinten senkrechte Räder zum
Steuern und Bewegen hatte, konnte es sich nicht
bis auf den Erdboden herablassen. Es manövrierte
aber so geschickt, daß es mit seinen beiden Enden
auf starke eiserne Pfeiler zu liegen kam, neben
denen oben ein Bahnsteig entlang lief.
Wir stiegen die eiserne Treppe zum Bahnsteig
empor und dann direkt auf das Luftschiff, dessen
Maschinen sich im unteren Teile des Schiffskörpers
befanden. Hier lagen auch dicht nebeneinander die
Akkumulatoren, welche die elektrische Kraft für die
Beförderung abgeben.
Ungefähr zehn Minuten hatte unser Aufenthalt
gedauert, die aussteigenden Passagiere waren schon
längst vom Bahnsteig herunter, das letzte Stück Ge-
päck war eingenommen worden, die drahtlose De-
pesche von der nächsten Station meldete, daß die
Lichter, welche als Signale für die Fahrt dienten,
brannten, und mit eigentümlich dumpfem Summen
begann sich das Schiff zu heben. Mit rasender Ge-
schwindigkeit arbeiteten die wagerecht unter dem
Schiffskörper befindlichen fächerförmigen Schrau-
benflügel und hoben allein das Schiff vorn und
hinten gleichmäßig empor. Wohl 300 Meter stiegen
wir fast senkrecht in die Höhe. Die Stadt unter
uns schien zu versinken, die Doppellinien der Stra-
ßenlaternen flössen in feine Perlfäden zusammen.
Der ganze Plan der Stadt lag mit dünnen Licht-
linien gezeichnet zu unseren Füßen.
Ein Helles Glockensignal tönte durch das Schiff,
und dieses nahm jetzt seinen Lauf direkt nach Westen.
Mit Zischen und Rauschen bewegte sich das große
senkrechte Vorderrad des Schiffes, ebenfalls aus
fächerförmigen Abteilungen bestehend. Das war
aber auch der einzige Ton, den man jetzt in der
Stille der Nacht hörte. Eine feierliche Ruhe um-
gab uns sonst. Von der Erde her drang kein Ge-
räusch zu uns; selbst von den kleinen feurigen Linien,
die sich mit Schneckenlangsamkeit da unten durch
die Dunkelheit bewegten und nichts anderes waren,
als schnell dahinjagende erleuchtete Eisenbahnzüge,
drang kein Laut zu uns herauf.
Bis der Mond aufging, und das Gebirge in Sicht
kam, verging einige Zeit. Wir konnten dieselbe be-
nützen, um uns die innere Einrichtung des Luft-
schiffes näher anzusehen.
Dasselbe enthielt drei große Räume: einen
Speisesaal, einen Lesesaal und ein System von
Schlafkabinen, ungefähr wie in einem Luxusschlaf-
—.... II Vas Luch fül- Mle .II
wagen eingerichtet. Indes konnten tagsüber auch
diese Schlafkabinen in Salons, und zwar in einzelne
Zimmer, umgewandelt werden.
Das Interessanteste und Überraschendste war
das Steuerhaus, von dem aus das ganze Schiff
gelenkt wurde. Überraschend war seine Einrichtung
deshalb, weil sie so außerordentlich einfach war. Sie
bestand in der Hauptsache aus einem Schaltbrett,
an dem verschiedene Hebel so herumgelegt werden
konnten, daß sie Halbkreise oder fast ganze Kreise
beschrieben. Ein Elektrizitätsmesser und ein Kom-
paß, der wagerecht angebracht war, bildeten die
ganze weitere Einrichtung. Der Raum, in welchen:
sich außer dem Mechaniker auch noch der Führer
des Luftschiffes befand, letzterer mit einem starken
Doppelfernglas versehen, war ganz und gar aus
Glas hergestellt. Die dicken Glasplatten schützten
gegen Luftzug und Kälte, gewährten aber gleich-
zeitig einen freien Ausblick nach rechts, nach links,
nach vorwärts und auch nach unten.
Ingenieur Winter hatte uns zu diesem gläsernen
Steuer- und Kommandoturm begleitet, um die
nötigen Erklärungen zu geben, da die beiden Führer
im Turm während der Fahrt mit niemand
sprechen dürfen. Unsere Damen drückten ihre Be-
wunderung darüber aus, daß die Fahrt so ruhig und
ohne jede Erschütterung, ohne jeden starken Ruck,
ohne Zittern und Schwanken des Luftschiffes vor
sich ging.
„Wir befinden uns eben in der Luft," meinte
Ingenieur Winter. „Die Erde, über welche ein
Eisenbahnzug oder ein Automobil dahinsaust, er-
zeugt Reibungswiderstand, ebenso ist der Wider-
stand des Wassers, durch den ein Schiff mit Ma-
schinenkraft dahingetrieben wird, ein außerordent-
lich großer. Aber die Luft ist um vieles weniger
dicht als das Wasser, und deshalb gleitet unser Luft-
schiff mit solcher Ruhe und Sicherheit dahin."
„Mit welcher Geschwindigkeit fahren wir?"
fragten wir.
„Wir fahren nur mit 180 Kilometer Geschwindig-
keit in der Stunde. Indes kann die Schnelligkeit auf
190, ja auf 200 Kilometer gesteigert werden, und
selbst damit ist das Luftscliff noch nicht an der
Grenze seiner Leistungsfähigkeit angelangt. Es sind
bereits Probefahrten gemacht worden, bei denen
man die Geschwindigkeit auf 250 bis 280 Kilometer
gesteigert hat. Sobald wir erst mit 300 Kilometer
Geschwindigkeit in der Stunde führen, ist auch die
Reise nach Amerika gesichert. Man kann dann in
achtzehn Stunden den nördlichen Teil des Atlanti-
schen Ozeans kreuzen."
Ein Helles Doppellicht tauchte vor uns fast in
gleicher Höhe auf und näherte sich mit außerordent-
licher Geschwindigkeit. Der Beobachter im Glas-
turm legte einen Hebel herum, und das Nebelhorn
des Luftschiffes begann eine Reihe von Tönen
auszustoßen, die verschieden hoch waren. Aus der
Ferne tönte ein ähnliches Signal.
„Da kommt ein anderes Postlustschiff uns ent-
gegen, welches signalisiert und sich mit unserem
Führer über das Ausweichen einigt."
„Das Unglück wäre doch fürchterlich und kann
leicht eintreten," meinte eine der Damen, „wenn
zwei Luftschiffe zusammenstoßen sollten."
„Diese Gefahr ist vollständig ausgeschlossen. Bei
der Fahrt in der Luft ist man ja weit besser daran,
als bei der Fahrt über die Erde oder durch das
Wasser. Auf der Erde und auf dem Wasser gibt es
nur zwei Möglichkeiten des Ausweichens: nach
rechts und nach links; hier aber kann man auch nach
unten und nach oben ausweichen."
Wir verließen den Glasturm, nachdem in einer
Entfernung von vielleicht 350 Meter und 50 Meter
tiefer als wir das andere Luftschiff vorbeipassiert
war. Da öffnete Winter eine Tür zu einem kleinen
Raume, und wir sahen an einem Tisch einen Mann
sitzen, der mit verschiedenen Hebeln operierte und
mit diesen lange, zischende elektrische Funken er-
zeugte.
„Der Telegraphist für drahtlose Telegraphie,"
sagte halblaut Winter, indem er die Tür zu dem
kleinen Raume wieder schloß; „wir sind während
der ganzen Fahrt in ununterbrochener Verbindung
mit den Stationen, zwischen denen wir uns be-
finden, aber auch mit jeden: anderen Punkte der
Erde unten, wo sich Einrichtungen für drahtlose
Telegraphie befinden. Der Betrieb wird dadurch
ein außerordentlich sicherer."
Wir begaben uns nach dem Glasturm zurück und
Winter wies stumm auf eine schwarze Tafel, die
sich rechts von dem Beobachtenden befand. Eine
kleine Glocke schrillte, und auf der schwarzen Tafel
erschienen in roten, leuchtenden Buchstaben die
Worte: „Nebel über dem Gebirge. Grünes Lei-
tungslicht rechts von der Fahrt."
Wir traten wieder heraus auf die Plattform des
Schiffes, und Winter wies mit der Hand auf einen
-kiest 2
eigentümlich grünen leuchtenden Punkt, der untett
am Horizont auftauchte.
„Das ist ein Fesselballon," sagte Winter, „der
nur bei Nebel aufgelassen wird für den Fall, daß
das Schiff durch die Nebelschicht hinabzusteigen ge-
denkt. Wir halten übrigens nicht an, und die dies-
bezügliche Mitteilung ist vermittels drahtloser Tele-
graphie der Station unten bereits gegeben. Wollten
wir jedoch landen, um Passagiere abzusetzen oder
aufzunehmen, so kämen wir im Nebel in Gefahr,
mit unserem Luftschiff an einer Kirchturmspitze oder
an dem Dache eines hohen Gebäudes anzustoßen
und die beiden wagerecht arbeitenden Fächerräder
zu beschädigen. Würden wir die Absicht haben,
hinabzusteigen, so hätten wir es jetzt zu melden;
dann würde der Fesselballon, der mit grünem Licht
gefüllt ist, langsam hinabgezogen, und wir würden
uns unmittelbar neben dem Fesselballon halten, so
daß uns sein Licht als Lotse durch die Nebelmassen
bis auf die Erde herunter dienen und uns an die
bestimmte Stelle bringen würde, wo wir anzulegen
haben. Durch die drahtlose Telegraphie erfahren
wir auch, wenn Stürme dicht über der Erde toben,
oder wenn sich starke Gewitter entladen. Man ist
jetzt noch immer vorsichtig genug, um Gewittern
aus dem Wege zu gehen, was bei der lange vorher
erfolgenden Benachrichtigung gut möglich ist und
gar nicht einmal allzuvielen Zeitverlust verursacht."
Der Mond war aufgegangen und beleuchtete
mit wunderbarem Glanze das Nebelmeer, das sich
über dem Gebirge gelagert hatte, und über das
wir jetzt dahinfuhren. Unser Schiff war bis zur
Höhe von 1200 Meter emporgestiegen. Die Luft
war wunderbar schön und verursachte noch keine
Beklemmung. Unter uns brandete und wogte die
vom Silberlicht des Mondes beschienene Nebelmasse,
welche viel beweglicher war und in gewissem Sinne
größere Wellen schlug, als dies bei einer Wasser-
masse, selbst auf dem Meere, der Fall gewesen
wäre.
Nach einer halben Stunde hatten wir den Nebel
unter uns passiert. Wir näherten uns bereits dem
Küstenlande. Wir sahen das Aufzucken der Strahlen
auf den Leuchttürmen, welche bald nach vorwärts,
bald nach rückwärts, nach rechts und nach links ge-
waltige Lichtstreifen auf einige Sekunden schleu-
derten und sich dann wieder in Dunkelheit hüllten.
Wir sahen unter uns die Lichtkonturen einer riesigen
Stadt — es war Antwerpen —, über welche wir
mit verminderter Geschwindigkeit dahinfnhren, um
die neuesten Telegramme über die interessantesten
Vorkommnisse der letzten Stunden zu erhalten. Nach
wenigen Minuten lasen wir diese neuesten Nach-
richten im Speisesalon auf Blätter niedergeschrieben,
die an einer schwarzen Tafel befestigt wurden.
Wir nahmen im Salon eine Erfrischung ein und
sanden die Speisen, die mit elektrischer Wärme ge-
kocht waren, ausgezeichnet, die Getränke vorzüglich.
Aber Winter, dessen Liebenswürdigkeit keinen Augen-
blick nachgelassen hatte, bat uns, wieder herauszu-
kommen und nun einen Blick auf das Meer zu
werfen, über das wir dahinzogen.
Der Anblick, der sich, Hunderte von Meter unter
uns, dem Auge bot, war unvergleichlich schön. Im
vollen Glanze des Mondes lag grau wie Blei, zeit-
weise weiß wie Silber leuchtend, die beständig sich
bewegende Wasserfläche. Dunkle Punkte, auf denen
kleine Lichtpünktchen glühten, sahen wir auf den
Wassern dahinziehen. Es waren die großen Dampfer,
welche diesen verkehrsreichsten Teil des Meeresarmes
nach allen Richtungen hin passierten.
Am Horizonte sahen wir einen rötlichen, weit
ausgedehnten Schein.
„Die Lichter von London und Umgebung, die
sich dort bereits bemerkbar machen," meinte Winter;
„in weniger als dreiviertel Stunden werden wir
London erreicht haben, und in einer Stunde werden
wir landen."
„Wie, schon in einer Stunde ist die Fahrt zu
Ende? O wie schade!" riefen auch die Damen, die
sich in unserer Gesellschaft befanden.
Winter erklärte lachend: „Ich sagte es Ihnen ja!
Die Fahrten sind so interessant, daß selbst ängstliche
Passagiere, die zum ersten Male das Postluftschiff
benützen, es stets bedauern, wenn die Reise zu Ende
ist. Für die Rückfahrt empfehle ich Ihnen, den Tag
zu benützen. Sie werden dann das Gefühl haben,
über eine gewaltige Reliefkarte zu fahren, und wer-
den sich davon überzeugen, wie herrlich sich aus
unserer Höhe geographische und landschaftliche Stu-
dien machen lassem Am Tage hört man mehr von
dem Geräusch heraufdringen, man sieht mehr Leben,
während die Nacht die eigenlünliche Ruhe und
Beleuchtung bringt, die man niemals gekannt hat,
solange man nur mit den Eisenbahnen und Auto-
mobilen über das Land und mit den Schiffen über
die See fuhr. Erst nachdem sich der Mensch auch
das vierte Element, die Luft, untertänig gemacht
gessen, daß der Passagierraum des Luftschiffes viel
bequemer eingerichtet ist, als ein Luxuswagen bei
der Eisenbahn. Der Raum ist elektrisch geheizt und
beleuchtet, und auch wenn Sie aus dem Salon auf
die Plattform des Schiffes treten, sind Sie durch
hohe Wände gegen den direkten Luftzug geschützt."
„Sie sprechen vom Salon? Gibt es denn da auch
Gelegenheit zum Speisen?"
Winter lachte laut auf. „Sie finden selbstver-
ständlich einen wohlversehenen Speisesalon. Die
Zeit vergeht übrigens so rasch, denn wir legen die
700 Kilometer in vier Stunden zurück, daß gewöhn-
lich auf der Fahrt nach London nicht einmal die
Schlafkabinen aufgesucht werden, zumal die Aus-
blicke von oben herrlich sind. Man kommt da oben
in eine Art Taumel, um nicht zu sagen in einen
Rausch des Entzückens. Das sanfte Dahingleiten
durch die Luft, der unendliche Ausblick über die
mondbeglänzte Erde, der Blick auf die Städte, die
wir passieren, vor allem aber der Anblick des mond-
beleuchteten Meeres, über das wir hinwegfahren,
machen einen unauslöschlichen Eindruck. Sie wer-
den, wie alle Passagiere, am Ende der Fahrt auf
das tiefste bedauern, daß dieselbe nicht weiter geht."
„Nach Amerika hinüber geht es wohl noch nicht
mit den Luftschiffen?" fragte ein Herr aus unserer
Gesellschaft den Ingenieur.
„Die Versuche sind noch nicht abgeschlossen.
Natürlich kann man die alten transatlantischen
Dampferkurfe nicht einhalten, da die Luftschiffe
nicht genügend elektrische Akkumulatoren mitneh-
men können, um mehrere Tage lang mit der auf-
gespeicherten Kraft auszukommen. Bis jetzt reicht
die höchste Ladefähigkeit nur für achtzehn Stunden.
— Doch da kommt unser Schiff."
Am Himmel oben wurde ein langgestrecktes hell-
leuchtendes Etwas sichtbar, von dem herab das laute
Dröhnen eines Nebelhornes klang. Der langgestreckte,
hellerleuchtete Körper begann sich langsam und
gleichmäßig zu senken. Je tiefer er herabkam, desto
deutlicher erkannten wir die Form des gigantischen
Luftschiffes. Dasselbe war ungefähr 50 Meter lang
und hatte unten die Gestalt eines flachen, an den
beiden Enden spitz zulaufenden Bootes. Die so
entstehende Plattform war mit Geländern umgeben,
und fast die ganze Breite und Länge derselben nahm
ein aus Glas und Eisen konstruiertes, hellerleuchtetes
Gebäude ein, das in verschiedene Abteilungen ge-
trennt war. Da das Luftschiff an der Unterseite
wagerechte, vorn und hinten senkrechte Räder zum
Steuern und Bewegen hatte, konnte es sich nicht
bis auf den Erdboden herablassen. Es manövrierte
aber so geschickt, daß es mit seinen beiden Enden
auf starke eiserne Pfeiler zu liegen kam, neben
denen oben ein Bahnsteig entlang lief.
Wir stiegen die eiserne Treppe zum Bahnsteig
empor und dann direkt auf das Luftschiff, dessen
Maschinen sich im unteren Teile des Schiffskörpers
befanden. Hier lagen auch dicht nebeneinander die
Akkumulatoren, welche die elektrische Kraft für die
Beförderung abgeben.
Ungefähr zehn Minuten hatte unser Aufenthalt
gedauert, die aussteigenden Passagiere waren schon
längst vom Bahnsteig herunter, das letzte Stück Ge-
päck war eingenommen worden, die drahtlose De-
pesche von der nächsten Station meldete, daß die
Lichter, welche als Signale für die Fahrt dienten,
brannten, und mit eigentümlich dumpfem Summen
begann sich das Schiff zu heben. Mit rasender Ge-
schwindigkeit arbeiteten die wagerecht unter dem
Schiffskörper befindlichen fächerförmigen Schrau-
benflügel und hoben allein das Schiff vorn und
hinten gleichmäßig empor. Wohl 300 Meter stiegen
wir fast senkrecht in die Höhe. Die Stadt unter
uns schien zu versinken, die Doppellinien der Stra-
ßenlaternen flössen in feine Perlfäden zusammen.
Der ganze Plan der Stadt lag mit dünnen Licht-
linien gezeichnet zu unseren Füßen.
Ein Helles Glockensignal tönte durch das Schiff,
und dieses nahm jetzt seinen Lauf direkt nach Westen.
Mit Zischen und Rauschen bewegte sich das große
senkrechte Vorderrad des Schiffes, ebenfalls aus
fächerförmigen Abteilungen bestehend. Das war
aber auch der einzige Ton, den man jetzt in der
Stille der Nacht hörte. Eine feierliche Ruhe um-
gab uns sonst. Von der Erde her drang kein Ge-
räusch zu uns; selbst von den kleinen feurigen Linien,
die sich mit Schneckenlangsamkeit da unten durch
die Dunkelheit bewegten und nichts anderes waren,
als schnell dahinjagende erleuchtete Eisenbahnzüge,
drang kein Laut zu uns herauf.
Bis der Mond aufging, und das Gebirge in Sicht
kam, verging einige Zeit. Wir konnten dieselbe be-
nützen, um uns die innere Einrichtung des Luft-
schiffes näher anzusehen.
Dasselbe enthielt drei große Räume: einen
Speisesaal, einen Lesesaal und ein System von
Schlafkabinen, ungefähr wie in einem Luxusschlaf-
—.... II Vas Luch fül- Mle .II
wagen eingerichtet. Indes konnten tagsüber auch
diese Schlafkabinen in Salons, und zwar in einzelne
Zimmer, umgewandelt werden.
Das Interessanteste und Überraschendste war
das Steuerhaus, von dem aus das ganze Schiff
gelenkt wurde. Überraschend war seine Einrichtung
deshalb, weil sie so außerordentlich einfach war. Sie
bestand in der Hauptsache aus einem Schaltbrett,
an dem verschiedene Hebel so herumgelegt werden
konnten, daß sie Halbkreise oder fast ganze Kreise
beschrieben. Ein Elektrizitätsmesser und ein Kom-
paß, der wagerecht angebracht war, bildeten die
ganze weitere Einrichtung. Der Raum, in welchen:
sich außer dem Mechaniker auch noch der Führer
des Luftschiffes befand, letzterer mit einem starken
Doppelfernglas versehen, war ganz und gar aus
Glas hergestellt. Die dicken Glasplatten schützten
gegen Luftzug und Kälte, gewährten aber gleich-
zeitig einen freien Ausblick nach rechts, nach links,
nach vorwärts und auch nach unten.
Ingenieur Winter hatte uns zu diesem gläsernen
Steuer- und Kommandoturm begleitet, um die
nötigen Erklärungen zu geben, da die beiden Führer
im Turm während der Fahrt mit niemand
sprechen dürfen. Unsere Damen drückten ihre Be-
wunderung darüber aus, daß die Fahrt so ruhig und
ohne jede Erschütterung, ohne jeden starken Ruck,
ohne Zittern und Schwanken des Luftschiffes vor
sich ging.
„Wir befinden uns eben in der Luft," meinte
Ingenieur Winter. „Die Erde, über welche ein
Eisenbahnzug oder ein Automobil dahinsaust, er-
zeugt Reibungswiderstand, ebenso ist der Wider-
stand des Wassers, durch den ein Schiff mit Ma-
schinenkraft dahingetrieben wird, ein außerordent-
lich großer. Aber die Luft ist um vieles weniger
dicht als das Wasser, und deshalb gleitet unser Luft-
schiff mit solcher Ruhe und Sicherheit dahin."
„Mit welcher Geschwindigkeit fahren wir?"
fragten wir.
„Wir fahren nur mit 180 Kilometer Geschwindig-
keit in der Stunde. Indes kann die Schnelligkeit auf
190, ja auf 200 Kilometer gesteigert werden, und
selbst damit ist das Luftscliff noch nicht an der
Grenze seiner Leistungsfähigkeit angelangt. Es sind
bereits Probefahrten gemacht worden, bei denen
man die Geschwindigkeit auf 250 bis 280 Kilometer
gesteigert hat. Sobald wir erst mit 300 Kilometer
Geschwindigkeit in der Stunde führen, ist auch die
Reise nach Amerika gesichert. Man kann dann in
achtzehn Stunden den nördlichen Teil des Atlanti-
schen Ozeans kreuzen."
Ein Helles Doppellicht tauchte vor uns fast in
gleicher Höhe auf und näherte sich mit außerordent-
licher Geschwindigkeit. Der Beobachter im Glas-
turm legte einen Hebel herum, und das Nebelhorn
des Luftschiffes begann eine Reihe von Tönen
auszustoßen, die verschieden hoch waren. Aus der
Ferne tönte ein ähnliches Signal.
„Da kommt ein anderes Postlustschiff uns ent-
gegen, welches signalisiert und sich mit unserem
Führer über das Ausweichen einigt."
„Das Unglück wäre doch fürchterlich und kann
leicht eintreten," meinte eine der Damen, „wenn
zwei Luftschiffe zusammenstoßen sollten."
„Diese Gefahr ist vollständig ausgeschlossen. Bei
der Fahrt in der Luft ist man ja weit besser daran,
als bei der Fahrt über die Erde oder durch das
Wasser. Auf der Erde und auf dem Wasser gibt es
nur zwei Möglichkeiten des Ausweichens: nach
rechts und nach links; hier aber kann man auch nach
unten und nach oben ausweichen."
Wir verließen den Glasturm, nachdem in einer
Entfernung von vielleicht 350 Meter und 50 Meter
tiefer als wir das andere Luftschiff vorbeipassiert
war. Da öffnete Winter eine Tür zu einem kleinen
Raume, und wir sahen an einem Tisch einen Mann
sitzen, der mit verschiedenen Hebeln operierte und
mit diesen lange, zischende elektrische Funken er-
zeugte.
„Der Telegraphist für drahtlose Telegraphie,"
sagte halblaut Winter, indem er die Tür zu dem
kleinen Raume wieder schloß; „wir sind während
der ganzen Fahrt in ununterbrochener Verbindung
mit den Stationen, zwischen denen wir uns be-
finden, aber auch mit jeden: anderen Punkte der
Erde unten, wo sich Einrichtungen für drahtlose
Telegraphie befinden. Der Betrieb wird dadurch
ein außerordentlich sicherer."
Wir begaben uns nach dem Glasturm zurück und
Winter wies stumm auf eine schwarze Tafel, die
sich rechts von dem Beobachtenden befand. Eine
kleine Glocke schrillte, und auf der schwarzen Tafel
erschienen in roten, leuchtenden Buchstaben die
Worte: „Nebel über dem Gebirge. Grünes Lei-
tungslicht rechts von der Fahrt."
Wir traten wieder heraus auf die Plattform des
Schiffes, und Winter wies mit der Hand auf einen
-kiest 2
eigentümlich grünen leuchtenden Punkt, der untett
am Horizont auftauchte.
„Das ist ein Fesselballon," sagte Winter, „der
nur bei Nebel aufgelassen wird für den Fall, daß
das Schiff durch die Nebelschicht hinabzusteigen ge-
denkt. Wir halten übrigens nicht an, und die dies-
bezügliche Mitteilung ist vermittels drahtloser Tele-
graphie der Station unten bereits gegeben. Wollten
wir jedoch landen, um Passagiere abzusetzen oder
aufzunehmen, so kämen wir im Nebel in Gefahr,
mit unserem Luftschiff an einer Kirchturmspitze oder
an dem Dache eines hohen Gebäudes anzustoßen
und die beiden wagerecht arbeitenden Fächerräder
zu beschädigen. Würden wir die Absicht haben,
hinabzusteigen, so hätten wir es jetzt zu melden;
dann würde der Fesselballon, der mit grünem Licht
gefüllt ist, langsam hinabgezogen, und wir würden
uns unmittelbar neben dem Fesselballon halten, so
daß uns sein Licht als Lotse durch die Nebelmassen
bis auf die Erde herunter dienen und uns an die
bestimmte Stelle bringen würde, wo wir anzulegen
haben. Durch die drahtlose Telegraphie erfahren
wir auch, wenn Stürme dicht über der Erde toben,
oder wenn sich starke Gewitter entladen. Man ist
jetzt noch immer vorsichtig genug, um Gewittern
aus dem Wege zu gehen, was bei der lange vorher
erfolgenden Benachrichtigung gut möglich ist und
gar nicht einmal allzuvielen Zeitverlust verursacht."
Der Mond war aufgegangen und beleuchtete
mit wunderbarem Glanze das Nebelmeer, das sich
über dem Gebirge gelagert hatte, und über das
wir jetzt dahinfuhren. Unser Schiff war bis zur
Höhe von 1200 Meter emporgestiegen. Die Luft
war wunderbar schön und verursachte noch keine
Beklemmung. Unter uns brandete und wogte die
vom Silberlicht des Mondes beschienene Nebelmasse,
welche viel beweglicher war und in gewissem Sinne
größere Wellen schlug, als dies bei einer Wasser-
masse, selbst auf dem Meere, der Fall gewesen
wäre.
Nach einer halben Stunde hatten wir den Nebel
unter uns passiert. Wir näherten uns bereits dem
Küstenlande. Wir sahen das Aufzucken der Strahlen
auf den Leuchttürmen, welche bald nach vorwärts,
bald nach rückwärts, nach rechts und nach links ge-
waltige Lichtstreifen auf einige Sekunden schleu-
derten und sich dann wieder in Dunkelheit hüllten.
Wir sahen unter uns die Lichtkonturen einer riesigen
Stadt — es war Antwerpen —, über welche wir
mit verminderter Geschwindigkeit dahinfnhren, um
die neuesten Telegramme über die interessantesten
Vorkommnisse der letzten Stunden zu erhalten. Nach
wenigen Minuten lasen wir diese neuesten Nach-
richten im Speisesalon auf Blätter niedergeschrieben,
die an einer schwarzen Tafel befestigt wurden.
Wir nahmen im Salon eine Erfrischung ein und
sanden die Speisen, die mit elektrischer Wärme ge-
kocht waren, ausgezeichnet, die Getränke vorzüglich.
Aber Winter, dessen Liebenswürdigkeit keinen Augen-
blick nachgelassen hatte, bat uns, wieder herauszu-
kommen und nun einen Blick auf das Meer zu
werfen, über das wir dahinzogen.
Der Anblick, der sich, Hunderte von Meter unter
uns, dem Auge bot, war unvergleichlich schön. Im
vollen Glanze des Mondes lag grau wie Blei, zeit-
weise weiß wie Silber leuchtend, die beständig sich
bewegende Wasserfläche. Dunkle Punkte, auf denen
kleine Lichtpünktchen glühten, sahen wir auf den
Wassern dahinziehen. Es waren die großen Dampfer,
welche diesen verkehrsreichsten Teil des Meeresarmes
nach allen Richtungen hin passierten.
Am Horizonte sahen wir einen rötlichen, weit
ausgedehnten Schein.
„Die Lichter von London und Umgebung, die
sich dort bereits bemerkbar machen," meinte Winter;
„in weniger als dreiviertel Stunden werden wir
London erreicht haben, und in einer Stunde werden
wir landen."
„Wie, schon in einer Stunde ist die Fahrt zu
Ende? O wie schade!" riefen auch die Damen, die
sich in unserer Gesellschaft befanden.
Winter erklärte lachend: „Ich sagte es Ihnen ja!
Die Fahrten sind so interessant, daß selbst ängstliche
Passagiere, die zum ersten Male das Postluftschiff
benützen, es stets bedauern, wenn die Reise zu Ende
ist. Für die Rückfahrt empfehle ich Ihnen, den Tag
zu benützen. Sie werden dann das Gefühl haben,
über eine gewaltige Reliefkarte zu fahren, und wer-
den sich davon überzeugen, wie herrlich sich aus
unserer Höhe geographische und landschaftliche Stu-
dien machen lassem Am Tage hört man mehr von
dem Geräusch heraufdringen, man sieht mehr Leben,
während die Nacht die eigenlünliche Ruhe und
Beleuchtung bringt, die man niemals gekannt hat,
solange man nur mit den Eisenbahnen und Auto-
mobilen über das Land und mit den Schiffen über
die See fuhr. Erst nachdem sich der Mensch auch
das vierte Element, die Luft, untertänig gemacht