84— i
Als die Freifrau von dem kurzgesteckten Termin
erfuhr, bäumte sich ihr Unwille heftig dagegen auf.
„Eine Braut, die sich nicht einmal ein Dutzend
Hemden beschaffen kann — und diese überstürzende
Eile! Dn hast nut deiner Verlobung das Äusserste
getan, jetzt laß das weitere an dich kommen."
„Soll ich auch das an mich kommen lassen, was
mit jedem Gedanken an mich kommen möchte?"
fragte Mersbach tief erregt. „Es gibt nur eine
einzige Abwehr. Ich ergriff sie. Du solltest mir
danken, daß ich die Kraft dazu finde, mich aber
nicht mit Vorwürfen quälen über das Mittel zum
Zweck. Wenn ein Knall nichts weiter machte, als
etwas Lärm, keinen Schatten würfe, dann wäre
dir und mir schnellstens geholfen."
Sie streckte erschüttert die Hand nach ihm aus.
„Tue, was du willst! Und wie du's willst!"
Er drückte ihre Rechte fest. „Dn haft kein Glück
mit deinen Kindern, Mutter. Wenn der Moment
kommt, wo dn ernten willst, enttäuschen sie dich."
Als sie bitter lächelnd nickte, atmete er tiefer auf.
„Ich kaun's dir nicht ersparen, Mutter — es
geht mir im Kopf herum, nun ich selbst unglücklich
liebe — so hart hättest du nicht sein sollen, als
Marianne den Irrtum an ihrem Herzen beging.
Sie hätte vielleicht die Kraft gefunden, die ich finde.
So ganz hilflos ins Elend hätte ich sie nicht ge-
schickt, Mutter. — Verzeih, wenn ich dir wchtue."
„Ich hatte einst die Absicht, wie du weißt —"
Er schnitt ihr das Wort ab. „Zu svät. Ich
habe dir damals nicht die volle Wahrheit gesagt —
mir lag das alles zu fern. Jetzt tritt aber die Sache
nahe an uns heran. Mia wünscht, daß Pastor Seller
unsere Ehe einsegne."
„Das wird nicht geschehen!" rief die Freifrau
hoch aufgerichtet. „Dieser Mann, der deinen Vater
verließ, als er ihm unentbehrlich war, wird unsere
Schwelle nicht übertreten."
„Er ist Mias Vormund."
„Und wäre er's zehnmal — er bleibe jetzt, wo
er ist."
Richard v. Mersbach trat näher zu seiner Mutter
heran und erfaßte von neuem ihre Hand. „Und
weißt du denn, warum er ging? Als ihr Marianne
in Not und Elend stießet, da litt es ihn nicht länger
hier in eurer Nähe, weil — er sie liebte, wie ich
Alexandra Luise liebe."
Die Baronin befreite ihre Rechte und sah be-
troffen auf. „Warum sprach er nicht?"
„Sollte er sagen: Gebt mir eure Tochter mit
ihrem Reichtum, mit all euren Ansprüchen an einen
hochgeborenen Schwiegersohn! Hätte er es getan,
Mutter, was für eine Antwort hättest du ihm ge-
geben? — Gleichviel! Wir können ihn nicht aus-
schließen. Und also werde ich ihn bitten — zu-
nächst um die nötigen Papiere, falls er solche hat."
Frau v. Mersbach zuckte die Achseln. „Und
wenn er sie nicht hat — woher die Abstammung
deiner Braut erfahren? Jenes Fräulein v. Helling,
das sich in letzter Stunde ihres Adels entsann, ist
doch nur ihre Tante gewesen, bestenfalls ihre
Adoptivmutter."
„Ich werde an Seller schreiben. — Noch eines:
Nostiz von unserem Regiment wird den Erbprinzen
auf seiner Reise begleiten. Meine Ablösung ist be-
antragt. Ich kehre in die Garnison zurück und
befreie dich damit von Mias Gegenwart."
„Es ist am besten so," sagte sie ruhig und ging
aus dem Zimmer.
Zehntes Kspitel.
Ein Heer von Lieferanten erschien auf Schloß
Elbental, denen Mia mit ihren bescheidenen Wün-
schen ratlos gegenüberstand.
Hin und wieder, von der Kammerfrau Lüders
um ihr Urteil befragt, erstrahlte wohl Freude auf
ihrem reizenden Gesicht, aber das Bewußtsein ihrer
Armut wich darum nicht von ihr.
Schlimmer war's noch, wenn die Baronin mit
ihr zur Stadt fuhr, von Geschäft zu Geschäft, und
das Schönste und Teuerste gerade gut genug fand.
Lieber Himmel — dieses Brautkleid!
Während sich ihre bisherigen Vorstellungen auf
weißen Mull, sehr schüchtern nur auf billige weiße
Seide bezogen, wurde nun ein Prunkgewand vor
ihr ausgebreitet, vor welchem Mia andächtig die
Hände faltete.
Wahre Wunderwerke von Toiletten und Wäsche,
seidenen Unterkleidern und Zierschuhen häuften sich in
den Schränken. Und nun gar die Perlenschnur, welche
Mersbach vor seiner Abreise in ihre Hände legte!
Der Saphir- und Brillantenschmuck, den die Baronin
aus ihrem reichen Schatz beifügte!
Es lbar ja gar nicht auszudenken, wie der Himmel
sie mit Segen überschüttete, mit einem Glück, das
so unermeßlich war wie ihre Liebe.
Natürlich hatte Richard v. Mersbach jetzt keine
Zeit, lange Briefe zu schreiben, da er dienstlich
7 Va5 Luch fül- Mle
stark beschäftigt und nebenbei auf der Wohnungs-
suche war.
Sie küßte ja auch die wenigen Worte mit hei-
ßestem Dankgefübl.
Als wieder einmal die Modewarenhandlung von
Hager L Sohn einige Kartons mit Hüten sandte
und Mia bewundernd davor stand, meldete der
Diener einen Besuch an.
„Seller, Rechtsanwalt," stand auf der Karte.
„Natürlicy! Ich freue mich sehr."
Sie war schon im Gobelinzimmer, als Seller
durch den Vorhang trat, und eilte ihm entgegen.
„Herr Willi! Nein, so etwas! Ich bin noch
ganz überrascht. Und wie Sie sich verändert haben!
Wissen Sie noch, wie Sie mir Wäsche aufhängen
halfen? O, wie lange ist das her! — Seien Sie
mir vieltausendmal willkommen!"
Sie hatte ihm beide Hände gereicht und sah mit
leuchtenden Augen zu ihm auf.
„Was sagen Sie nur zu alle dem, was gescheheu
ist? Nun ist's gerade so gekommen, wie Taute sagte:
,Es wird ein Mann kommen und dich fragen, ob
du seine Frau werden willst, besinne dich ordentlich,
ob du ihn lieb hast.' Das habe ich gut behalten —
nicht wahr?"
Er sah ihr lange in das glühende Gesicht. „Ich
wünsche, daß Sie das volle Lebensglück finden."
„Was macht nur der Herr Pastor?" fragte Mia
lachend. „Er schweigt ganz und gar."
„Ich komme," sagte der Rechtsanwalt, sich ihr
gcgenübersetzend, sehr ernst, „Ihnen die Ursache
mitzuteilen, weshalb mein Vater auf Ihren Brief
und das Schreiben des Herrn Rittmeisters nicht ge-
antwortet hat. Ich habe die ankommenden Briefe
geöffnet, bitte also um Entschuldigung für eine not-
wendige Indiskretion."
„Aber, mein Gott —"
„Mein Vater ist an einer schweren Gehirnent-
zündung erkrankt und zur Zeit noch ohne Besinnung.
Ich habe unter seinen Papieren nichts gefunden,
was Ihre Person betrifft, so daß ich keine Auf-
klärung in Betreff Ihrer Herkunft geben kann."
„O, der arme, arme Herr Pastor!" rief Mia
mit feuchten Augen. „Wäre ich nur zu Hause, so
könnte ich ihn pflegen. Er wird mich nicht trauen
können?"
„Keinen falls!"
Sie sprang auf. „Soll ich nicht Richards Mutter
rufen?"
„Ich wüßte ihr nichts anderes zu sagen als
Ihnen."
Sie stand ein Weilchen zaudernd, dann sah sie
ihn zutraulich an. „So steif — so förmlich! —
Gar nicht, als hätten wir zusamm. n Wäsche auf-
gehangen — Sie Böser!"
Sie streckte ihm die Hand hin.
„Das war die alte Mieze!" sagte er langsam
und drückte ihre Finger.
Sie nickte ihm lachend zu. „Werden Sie nicht
auch bald —? Sie wissen schon, was ich meine.
Da bin ich furchtbar neugierig."
„Hätten Sie solche Freude daran?" Er ließ
Mias Rechte herabgleiten. „Ich kann's Ihnen nicht
versprechen. Aber mein möglichstes will ich tun,
auszuheilen, was —"
Die Tür ging auf. Die Baronin erschien.
„Pastor Seilers Sohn!" rief Mia ihr entgegen.
„Rechtsanwalt Seller. Und sein guter Vater ist
krank."
Fran v. Mersbach unterdrückte eine Bewegung
der Befriedigung. „Sehr bedauerlich! — Wir wer-
den also doch den Hofprediger bitten müssen. —
Sie bringen vermutlich die Papiere, Herr Rechts-
anwalt?"
„Es ist leider nichts vorhanden, Frau Baronin
— soviel ich wenigstens weiß."
„Aber das ist doch mehr als erstaunlich! — Liebe
Mia, willst du Frau Lüders wegen der Hüte Be-
scheid sagen."
Sie wartete, bis der Vorhang hinter dem jungen
Mädchen zusammenfiel. Dann fuhr sie rascher fort:
„Herr Rechtsanwalt, Sie können unsere Verlegen-
heit begreifen. Wer hat Mia konfirmiert?"
„Mein Vater."
„Nun, so muß doch ein Taufschein vorhanden
gewesen sein, aus dem die Eltern des Kindes zu
ersehen waren!"
„Das verstorbene Fräulein v. Helling hat, so-
viel ich erfahren habe, das Kind von einer Reise
mitgcbracht und später adoptiert. Uber die Eltern
des Kindes hat sie nie gesprochen. Marie v. Hel-
ling ist als Christin erzogen und von meinem Vater
konfirmiert worden. Diesen Konfirmationsschein
habe ich gefunden — hier ist er. Ein Taufzeugnis
konnte ich nicht finden. Doch muß ein solches vor-
handen gewesen sein, da mein Vater die Konfir-
mandin cinsegnete. Möglicherweise befindet es sich
unter den versiegelten Amtspapieren, deren Durch-
— Heft 4
sicht mir wie jedem anderen zur Zeit untersagt ist."
Er holte aus seiuer Brieftasche das Blatt hervor
und überreichte es der Baronin. „In diesem be-
sonderen Falle genügt der Konfirmationsschein voll-
kommen."
„Wir sind da in eine seltsame Lage geraten,"
sagte Frau v. Mersbach bitter genug, um das Blut
des jungen Mannes zu empören. „Und Sie be-
haupten, daß nichts Sicheres über Mias Herkunft zu
erfahren wäre?"
„Eines gewiß!" erwiderte er mit festem Blick
und überlegener Haltung. „Daß ihre Eltern einen
Schatz von guten Eigenschaften besaßen, der in der
Tochter glänzend zum Ausdruck kommt: Herzens-
reinheit und unbewußte Kraft, über alles Niedrige
zu siegen." Er ergriff seinen Hut. „Das ist wohl
auch eine Mitgift fürs Leben, wertvoller als Pfand-
briefe und Obligationen. Wenn diese edlen Keime
nicht so reich in ihr vorhanden gewesen wären,
hätten weder Fräulein v. Hellings Beispiel noch
meines Vaters Lehren das aus ihr gemacht, was
sie heute ist."
Er verbeugte sich, ohne eine Antwort abzu-
warten — und verließ das Zimmer.
„Impertinent!" murmelte Frau v. Mersbach
aufs tiefste verletzt. -—
Inzwischen war Mia den Korridor entlang zu
Beate Lüders' Stubentür gelaufen. Bis jetzt hatte
sie höchstens einmal den Kopf durch die Spalte ge-
steckt, heute stürmte sie hinein.
„Frau Lüders — haben Sie's aber hübsch hier!"
Der Sonnenschein lag warm auf dem Fußboden
und kletterte auf goldenen Leitern die lichte Wand
empor. Krokus und Tazetten spreizten frühlings-
freudig ihre leuchtenden Kleider im Sonnenlicht,
Azaleen- und Kamelienstämme strotzten von Blüten-
pracht.
Mia war stehen geblieben und klatschte vor Ent-
zücken in die Hände. Damit gewann sie Frau
Lüders' Herz vollkommen.
„Das ziehen Sie alles selbst?"
„Gewiß, gnädiges Fräulein."
„Wenn ich verheiratet bin," rief Mia und dabei
errötete ihr Gesichtchen wunderbar reizvoll, „muß
alles um mich her voller Blumen sein. Sie müssen
mir Ableger geben. Ja, wollen Sie?"
Nun war Frau Lüders begeistert. Ob sie wollte!
„Da ist ja noch solch niedlich Kämmerchen neben-
an!" rief Mia neugierig. „Auch Ihres?"
„Mein Schlafzimmerchen, gnädiges Fräulein —
nichts Besonderes!"
Sie war schon auf der Schwelle.
„Das sind Ihre Verwandten, die da hängen?"
„Jawohl!"
„Aber da — hinter dem Schrank — was ist
denn das? Ist das auch ein Bild? Darf ich das
Tuch fortnehmen?"
„Nein, ich bitte sehr —"
Frau Lüders vergaß den Respekt und eilte hinter-
drein, Mia am Kleide festzuhalten. Aber das junge
Mädchen stand schon in der Ecke und zog die Schutz-
hülle von dem Rahmen herab.
„Aber ist das schön!"
„Gnädiges Fräulein," sagte Frau Lüders ängst-
lich, „ich bitte Sie dringend, davon nicht zu sprechen,
namentlich nicht zur Frau Baronin, und auch nicht
zum Herrn Rittmeister. Es tut nur herzlich leid,
daß ich's nicht mehr verhindern konnte — gnädiges
Fräulein waren zu flink."
„Ja, wer ist denn das?" fragte Mia, noch ganz
benommen vor Staunen. „Wen haben Sie denn
da? Die Dame muß ich doch kenneu, sie sieht
jemand so ähnlich —"
„Dem Herrn Rittmeister," flüsterte Frau Lüders,
sich besorgt umblickend.
„So ähnlich —! Ja, wie kommt denn das Bild
hierher in diese verborgene Ecke? Das müßte doch
im Salon hängen."
„Gnädiges Fräulein versprechen mir, nichts da-
von zu verraten? Ich komme um meine Stelle."
„Wegen dieses Bildes? Ich sage gewiß nichts."
„Diese Dame ist die Schwester des Herrn Ritt-
meisters," sagte Frau Lüders leise.
Mias Augen öffneten sich weit vor Staunen.
„Ich weiß kein Wort —"
„Sie ist auch tot — für alle. Das Bild sollte
verbrannt werden, aber ich konnt's nickst übers Herz
bringen. So hängt's hier. Sie war sehr lieb und
gut — uud so schön!"
Mias Blicks hingen wie gebannt an den Zügen
eines jungen, den Kinderjahren kaum entwachseneu
Mädchens, das mit dunklen Augen auf sie hernieder-
schaute und jede ihrer Bewegungen zu verfolgen
schien. Ein unausgesprochenes Lächeln lag wie eine
stumme Bitte aus den leichtqeöffneten Lippen, und
Jugendglanz und Jugendglück strahlten unter den
Wimpern hervor.
„Lieber Himmel," flüsterte Mia, „und tot ist
Als die Freifrau von dem kurzgesteckten Termin
erfuhr, bäumte sich ihr Unwille heftig dagegen auf.
„Eine Braut, die sich nicht einmal ein Dutzend
Hemden beschaffen kann — und diese überstürzende
Eile! Dn hast nut deiner Verlobung das Äusserste
getan, jetzt laß das weitere an dich kommen."
„Soll ich auch das an mich kommen lassen, was
mit jedem Gedanken an mich kommen möchte?"
fragte Mersbach tief erregt. „Es gibt nur eine
einzige Abwehr. Ich ergriff sie. Du solltest mir
danken, daß ich die Kraft dazu finde, mich aber
nicht mit Vorwürfen quälen über das Mittel zum
Zweck. Wenn ein Knall nichts weiter machte, als
etwas Lärm, keinen Schatten würfe, dann wäre
dir und mir schnellstens geholfen."
Sie streckte erschüttert die Hand nach ihm aus.
„Tue, was du willst! Und wie du's willst!"
Er drückte ihre Rechte fest. „Dn haft kein Glück
mit deinen Kindern, Mutter. Wenn der Moment
kommt, wo dn ernten willst, enttäuschen sie dich."
Als sie bitter lächelnd nickte, atmete er tiefer auf.
„Ich kaun's dir nicht ersparen, Mutter — es
geht mir im Kopf herum, nun ich selbst unglücklich
liebe — so hart hättest du nicht sein sollen, als
Marianne den Irrtum an ihrem Herzen beging.
Sie hätte vielleicht die Kraft gefunden, die ich finde.
So ganz hilflos ins Elend hätte ich sie nicht ge-
schickt, Mutter. — Verzeih, wenn ich dir wchtue."
„Ich hatte einst die Absicht, wie du weißt —"
Er schnitt ihr das Wort ab. „Zu svät. Ich
habe dir damals nicht die volle Wahrheit gesagt —
mir lag das alles zu fern. Jetzt tritt aber die Sache
nahe an uns heran. Mia wünscht, daß Pastor Seller
unsere Ehe einsegne."
„Das wird nicht geschehen!" rief die Freifrau
hoch aufgerichtet. „Dieser Mann, der deinen Vater
verließ, als er ihm unentbehrlich war, wird unsere
Schwelle nicht übertreten."
„Er ist Mias Vormund."
„Und wäre er's zehnmal — er bleibe jetzt, wo
er ist."
Richard v. Mersbach trat näher zu seiner Mutter
heran und erfaßte von neuem ihre Hand. „Und
weißt du denn, warum er ging? Als ihr Marianne
in Not und Elend stießet, da litt es ihn nicht länger
hier in eurer Nähe, weil — er sie liebte, wie ich
Alexandra Luise liebe."
Die Baronin befreite ihre Rechte und sah be-
troffen auf. „Warum sprach er nicht?"
„Sollte er sagen: Gebt mir eure Tochter mit
ihrem Reichtum, mit all euren Ansprüchen an einen
hochgeborenen Schwiegersohn! Hätte er es getan,
Mutter, was für eine Antwort hättest du ihm ge-
geben? — Gleichviel! Wir können ihn nicht aus-
schließen. Und also werde ich ihn bitten — zu-
nächst um die nötigen Papiere, falls er solche hat."
Frau v. Mersbach zuckte die Achseln. „Und
wenn er sie nicht hat — woher die Abstammung
deiner Braut erfahren? Jenes Fräulein v. Helling,
das sich in letzter Stunde ihres Adels entsann, ist
doch nur ihre Tante gewesen, bestenfalls ihre
Adoptivmutter."
„Ich werde an Seller schreiben. — Noch eines:
Nostiz von unserem Regiment wird den Erbprinzen
auf seiner Reise begleiten. Meine Ablösung ist be-
antragt. Ich kehre in die Garnison zurück und
befreie dich damit von Mias Gegenwart."
„Es ist am besten so," sagte sie ruhig und ging
aus dem Zimmer.
Zehntes Kspitel.
Ein Heer von Lieferanten erschien auf Schloß
Elbental, denen Mia mit ihren bescheidenen Wün-
schen ratlos gegenüberstand.
Hin und wieder, von der Kammerfrau Lüders
um ihr Urteil befragt, erstrahlte wohl Freude auf
ihrem reizenden Gesicht, aber das Bewußtsein ihrer
Armut wich darum nicht von ihr.
Schlimmer war's noch, wenn die Baronin mit
ihr zur Stadt fuhr, von Geschäft zu Geschäft, und
das Schönste und Teuerste gerade gut genug fand.
Lieber Himmel — dieses Brautkleid!
Während sich ihre bisherigen Vorstellungen auf
weißen Mull, sehr schüchtern nur auf billige weiße
Seide bezogen, wurde nun ein Prunkgewand vor
ihr ausgebreitet, vor welchem Mia andächtig die
Hände faltete.
Wahre Wunderwerke von Toiletten und Wäsche,
seidenen Unterkleidern und Zierschuhen häuften sich in
den Schränken. Und nun gar die Perlenschnur, welche
Mersbach vor seiner Abreise in ihre Hände legte!
Der Saphir- und Brillantenschmuck, den die Baronin
aus ihrem reichen Schatz beifügte!
Es lbar ja gar nicht auszudenken, wie der Himmel
sie mit Segen überschüttete, mit einem Glück, das
so unermeßlich war wie ihre Liebe.
Natürlich hatte Richard v. Mersbach jetzt keine
Zeit, lange Briefe zu schreiben, da er dienstlich
7 Va5 Luch fül- Mle
stark beschäftigt und nebenbei auf der Wohnungs-
suche war.
Sie küßte ja auch die wenigen Worte mit hei-
ßestem Dankgefübl.
Als wieder einmal die Modewarenhandlung von
Hager L Sohn einige Kartons mit Hüten sandte
und Mia bewundernd davor stand, meldete der
Diener einen Besuch an.
„Seller, Rechtsanwalt," stand auf der Karte.
„Natürlicy! Ich freue mich sehr."
Sie war schon im Gobelinzimmer, als Seller
durch den Vorhang trat, und eilte ihm entgegen.
„Herr Willi! Nein, so etwas! Ich bin noch
ganz überrascht. Und wie Sie sich verändert haben!
Wissen Sie noch, wie Sie mir Wäsche aufhängen
halfen? O, wie lange ist das her! — Seien Sie
mir vieltausendmal willkommen!"
Sie hatte ihm beide Hände gereicht und sah mit
leuchtenden Augen zu ihm auf.
„Was sagen Sie nur zu alle dem, was gescheheu
ist? Nun ist's gerade so gekommen, wie Taute sagte:
,Es wird ein Mann kommen und dich fragen, ob
du seine Frau werden willst, besinne dich ordentlich,
ob du ihn lieb hast.' Das habe ich gut behalten —
nicht wahr?"
Er sah ihr lange in das glühende Gesicht. „Ich
wünsche, daß Sie das volle Lebensglück finden."
„Was macht nur der Herr Pastor?" fragte Mia
lachend. „Er schweigt ganz und gar."
„Ich komme," sagte der Rechtsanwalt, sich ihr
gcgenübersetzend, sehr ernst, „Ihnen die Ursache
mitzuteilen, weshalb mein Vater auf Ihren Brief
und das Schreiben des Herrn Rittmeisters nicht ge-
antwortet hat. Ich habe die ankommenden Briefe
geöffnet, bitte also um Entschuldigung für eine not-
wendige Indiskretion."
„Aber, mein Gott —"
„Mein Vater ist an einer schweren Gehirnent-
zündung erkrankt und zur Zeit noch ohne Besinnung.
Ich habe unter seinen Papieren nichts gefunden,
was Ihre Person betrifft, so daß ich keine Auf-
klärung in Betreff Ihrer Herkunft geben kann."
„O, der arme, arme Herr Pastor!" rief Mia
mit feuchten Augen. „Wäre ich nur zu Hause, so
könnte ich ihn pflegen. Er wird mich nicht trauen
können?"
„Keinen falls!"
Sie sprang auf. „Soll ich nicht Richards Mutter
rufen?"
„Ich wüßte ihr nichts anderes zu sagen als
Ihnen."
Sie stand ein Weilchen zaudernd, dann sah sie
ihn zutraulich an. „So steif — so förmlich! —
Gar nicht, als hätten wir zusamm. n Wäsche auf-
gehangen — Sie Böser!"
Sie streckte ihm die Hand hin.
„Das war die alte Mieze!" sagte er langsam
und drückte ihre Finger.
Sie nickte ihm lachend zu. „Werden Sie nicht
auch bald —? Sie wissen schon, was ich meine.
Da bin ich furchtbar neugierig."
„Hätten Sie solche Freude daran?" Er ließ
Mias Rechte herabgleiten. „Ich kann's Ihnen nicht
versprechen. Aber mein möglichstes will ich tun,
auszuheilen, was —"
Die Tür ging auf. Die Baronin erschien.
„Pastor Seilers Sohn!" rief Mia ihr entgegen.
„Rechtsanwalt Seller. Und sein guter Vater ist
krank."
Fran v. Mersbach unterdrückte eine Bewegung
der Befriedigung. „Sehr bedauerlich! — Wir wer-
den also doch den Hofprediger bitten müssen. —
Sie bringen vermutlich die Papiere, Herr Rechts-
anwalt?"
„Es ist leider nichts vorhanden, Frau Baronin
— soviel ich wenigstens weiß."
„Aber das ist doch mehr als erstaunlich! — Liebe
Mia, willst du Frau Lüders wegen der Hüte Be-
scheid sagen."
Sie wartete, bis der Vorhang hinter dem jungen
Mädchen zusammenfiel. Dann fuhr sie rascher fort:
„Herr Rechtsanwalt, Sie können unsere Verlegen-
heit begreifen. Wer hat Mia konfirmiert?"
„Mein Vater."
„Nun, so muß doch ein Taufschein vorhanden
gewesen sein, aus dem die Eltern des Kindes zu
ersehen waren!"
„Das verstorbene Fräulein v. Helling hat, so-
viel ich erfahren habe, das Kind von einer Reise
mitgcbracht und später adoptiert. Uber die Eltern
des Kindes hat sie nie gesprochen. Marie v. Hel-
ling ist als Christin erzogen und von meinem Vater
konfirmiert worden. Diesen Konfirmationsschein
habe ich gefunden — hier ist er. Ein Taufzeugnis
konnte ich nicht finden. Doch muß ein solches vor-
handen gewesen sein, da mein Vater die Konfir-
mandin cinsegnete. Möglicherweise befindet es sich
unter den versiegelten Amtspapieren, deren Durch-
— Heft 4
sicht mir wie jedem anderen zur Zeit untersagt ist."
Er holte aus seiuer Brieftasche das Blatt hervor
und überreichte es der Baronin. „In diesem be-
sonderen Falle genügt der Konfirmationsschein voll-
kommen."
„Wir sind da in eine seltsame Lage geraten,"
sagte Frau v. Mersbach bitter genug, um das Blut
des jungen Mannes zu empören. „Und Sie be-
haupten, daß nichts Sicheres über Mias Herkunft zu
erfahren wäre?"
„Eines gewiß!" erwiderte er mit festem Blick
und überlegener Haltung. „Daß ihre Eltern einen
Schatz von guten Eigenschaften besaßen, der in der
Tochter glänzend zum Ausdruck kommt: Herzens-
reinheit und unbewußte Kraft, über alles Niedrige
zu siegen." Er ergriff seinen Hut. „Das ist wohl
auch eine Mitgift fürs Leben, wertvoller als Pfand-
briefe und Obligationen. Wenn diese edlen Keime
nicht so reich in ihr vorhanden gewesen wären,
hätten weder Fräulein v. Hellings Beispiel noch
meines Vaters Lehren das aus ihr gemacht, was
sie heute ist."
Er verbeugte sich, ohne eine Antwort abzu-
warten — und verließ das Zimmer.
„Impertinent!" murmelte Frau v. Mersbach
aufs tiefste verletzt. -—
Inzwischen war Mia den Korridor entlang zu
Beate Lüders' Stubentür gelaufen. Bis jetzt hatte
sie höchstens einmal den Kopf durch die Spalte ge-
steckt, heute stürmte sie hinein.
„Frau Lüders — haben Sie's aber hübsch hier!"
Der Sonnenschein lag warm auf dem Fußboden
und kletterte auf goldenen Leitern die lichte Wand
empor. Krokus und Tazetten spreizten frühlings-
freudig ihre leuchtenden Kleider im Sonnenlicht,
Azaleen- und Kamelienstämme strotzten von Blüten-
pracht.
Mia war stehen geblieben und klatschte vor Ent-
zücken in die Hände. Damit gewann sie Frau
Lüders' Herz vollkommen.
„Das ziehen Sie alles selbst?"
„Gewiß, gnädiges Fräulein."
„Wenn ich verheiratet bin," rief Mia und dabei
errötete ihr Gesichtchen wunderbar reizvoll, „muß
alles um mich her voller Blumen sein. Sie müssen
mir Ableger geben. Ja, wollen Sie?"
Nun war Frau Lüders begeistert. Ob sie wollte!
„Da ist ja noch solch niedlich Kämmerchen neben-
an!" rief Mia neugierig. „Auch Ihres?"
„Mein Schlafzimmerchen, gnädiges Fräulein —
nichts Besonderes!"
Sie war schon auf der Schwelle.
„Das sind Ihre Verwandten, die da hängen?"
„Jawohl!"
„Aber da — hinter dem Schrank — was ist
denn das? Ist das auch ein Bild? Darf ich das
Tuch fortnehmen?"
„Nein, ich bitte sehr —"
Frau Lüders vergaß den Respekt und eilte hinter-
drein, Mia am Kleide festzuhalten. Aber das junge
Mädchen stand schon in der Ecke und zog die Schutz-
hülle von dem Rahmen herab.
„Aber ist das schön!"
„Gnädiges Fräulein," sagte Frau Lüders ängst-
lich, „ich bitte Sie dringend, davon nicht zu sprechen,
namentlich nicht zur Frau Baronin, und auch nicht
zum Herrn Rittmeister. Es tut nur herzlich leid,
daß ich's nicht mehr verhindern konnte — gnädiges
Fräulein waren zu flink."
„Ja, wer ist denn das?" fragte Mia, noch ganz
benommen vor Staunen. „Wen haben Sie denn
da? Die Dame muß ich doch kenneu, sie sieht
jemand so ähnlich —"
„Dem Herrn Rittmeister," flüsterte Frau Lüders,
sich besorgt umblickend.
„So ähnlich —! Ja, wie kommt denn das Bild
hierher in diese verborgene Ecke? Das müßte doch
im Salon hängen."
„Gnädiges Fräulein versprechen mir, nichts da-
von zu verraten? Ich komme um meine Stelle."
„Wegen dieses Bildes? Ich sage gewiß nichts."
„Diese Dame ist die Schwester des Herrn Ritt-
meisters," sagte Frau Lüders leise.
Mias Augen öffneten sich weit vor Staunen.
„Ich weiß kein Wort —"
„Sie ist auch tot — für alle. Das Bild sollte
verbrannt werden, aber ich konnt's nickst übers Herz
bringen. So hängt's hier. Sie war sehr lieb und
gut — uud so schön!"
Mias Blicks hingen wie gebannt an den Zügen
eines jungen, den Kinderjahren kaum entwachseneu
Mädchens, das mit dunklen Augen auf sie hernieder-
schaute und jede ihrer Bewegungen zu verfolgen
schien. Ein unausgesprochenes Lächeln lag wie eine
stumme Bitte aus den leichtqeöffneten Lippen, und
Jugendglanz und Jugendglück strahlten unter den
Wimpern hervor.
„Lieber Himmel," flüsterte Mia, „und tot ist