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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 42.1907

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Heft 4
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https://doi.org/10.11588/diglit.60738#0099
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lieft 4

Vg8 Luch für Mle

85

sie? Das glaube ich, daß daran niemand hier er-
innert sein will — ganz entsetzlich ist das zn denken.
Ich kann dieses herrliche Bild gar nicht genug
ausehen. Sehen Sie mal, Frau Lüders — sehen
Sie nur her: die Augen sehen mich immerfort an!
Da — hier auch!"
„Es ist eine Eigentümlichkeit des Bildes. Die
Maler können das so machen, wie ich hörte, daß es
jeden ansicht, wo er auch stehen mag," erwiderte
Frau Lüders, noch immer in tiefster Besorgnis.
„Aber was vorbei ist, ist vorbei. Wir wollen jetzt
das Tuch wieder darüber hängen."
„Es ist doch gerade, als lächelte sic mir zu —
nicht? Ein zu liebes Gesicht! — Du, dich möcht'
ich küssen!" rief Mia lachend zu dem Bilde her-
auf. Und doch, wie sie's heranslachtc, standen ibr
plötzlich Tränen in den Augen. „Wie hieß sie
denn?"
„Marianne."
„Arme, arme Marianne!"
„Das war sie," murmelte Frau Lüders. „Der
Herr Baron starb vor Kummer um sie. Da gab's
keinen Trost auf Erden. Sie wollten auch keinen
— die Herrschaften. Dies ist ihr letztes Andenken
im Schloß."
Die Klingel schrillte. Erschrocken ließ Frau Lü-
ders die Hülle über das Bild nicdergleiten.
„Die Frau Baronin ruft." —
Im Laufe des Tages verlor sich der Eindruck
des Bildes aus Mias Gedanken. Aber in der Nacht,
in ihrem süßen Kinderschlaf, kam ihr die Erinnerung
lebhaft zurück.
Da ging die Tür leise auf, und über die Schwelle
trat das schone Mädchen, ganz so, wie der Maler
sie auf der Leinwand verewigte — im weißen
Kleide, die rote Rose vor der Brust, Perlenschnüre
um den Hals.
Sie blieb am Eingang stehen und nickte Mia
mit demselben Lächeln zu, das so eigentlich gar
kein Lächeln war, vielmehr ein bittendes Fra-
gen.
Dann kam sie langsam näher, beugte sich tief
über Mias Stirn und küßte sie.
Da ging der Traum zu Ende.
Mia richtete sich hastig auf. Noch schien es, als
schwebe das weiße Kleid in der Tür.
Es war aber nur der Mondschein, der über die
Wand glitt. (Fortsetzung folgt.)

ftaremsmusik.
laiche die cxNakonstdeiisge.)
durch Formvollendung und Farbenreiz ausgezeichnete
L-/ Gemälde von F. M. Bredt, das unsere Extrakunstbeilags
wiedergibt, versetzt uns in den prächtig ausgeftntteten Harem
eines arabischen Großen, wo zur Erheiterung der Insassen,
wie des Herrn und Gebieters oft Musik- und Tanzauf-
führungen stattfinden. Die beiden stark idealisierten Frauen-
gestalten, von denen die eine den orientalischen Typus, die
andere den europäischen trägt, versinnbildlichen gleichsam die
beiden Grundelemente der Musik: die lautespielende Orien-
talin die Melodie, ihre blonde, die Handtrommel schlagende
Gefährtin den Rhythmus. Architektonik und Ausstattung des
Gemaches ist geeignet, lebhaft die Phantasie anzurcgen, die
uns ja ohnehin den Harem des Mohammedaners in zauber-
haftem Lichte erscheinen läßt.
Li-Kundung8gefecht im Kaukasus
(Zietze do; Uiw auf Zelle 82 und 82.)
Im Kaukasus, den Rußland erst nach jahrzehntelangen
I Kämpfen und unter schweren Opfern erobert hat, stehen
die Dinge zur Zeit wieder schlimm. Die Krisis, die das
Reich durchmacht, hat auf die zwar unterworfenen, aber
keineswegs mit der russischen Herrschaft ausgesöhnten kriege-
rischen Bergstämme höchst aufreizend gewirkt. Kleinere und
größere Aufstände haben nicht nur in Tiflis, Baku, Suscha,
Batum, Wladikawkas und anderen Städten stattgefnnden,
sondern sind auch in den Landbezirken an der Tagesord-
nung. Trotzdem man von den Port herrschenden Zustän-
den so wenig als möglich in die Öffentlichkeit gelangen läßt,
wird doch manches davon bekannt, was zu den schwersten
Befürchtungen Anlaß gibt. Nur die Kosaken halten dis
Landbevölkerung noch durch Niederbrennung von Dörfern
und Erschießung aufsässiger Bewohner in Furcht, aber ein
allgemeiner bewaffneter Aufstand liegt durchaus im Bereich
der Möglichkeit, und Rußland wird dann gezwungen sein,
das wilde Gebirgsland aufs neue zu unterwerfen, wie in
den Jahren 1832 bis 1839, als der tapfere Schamyl die Fahne
des Aufstandes entrollt hatte. Aus jener Zeit führt uns
das vortreffliche Bild von Fr. Roubaud, von dem wir eine
Holzschnittnachbildung bringen, eine Episode vor Augen.
Eine Sowie Kosaken jlOO Mann) ist auf einem ErkundungSritt
ganz unvermutet mit einem größeren Trupp Tscherkessen zu-
sammengetroffen, und es entwickelt sich sofort ein hitziges
Gefecht. Die Kosaken haben nicht mehr Zeit, ihre Gewehre
aus den Fellhüllen zu ziehen, sondern müssen sofort zum
Angriff mit dem Säbel vorgehen. Der Künstler hat uns
die wilden Steppenreiter, deren Eigenart er aus eigener
Anschauung genau kennt, mit ungemeiner Naturtreue dar-
gestellt. Die so schwierig wiederzugcbende Bewegung von
Mann und Pferd ist vortrefflich getroffen, das Ganze macht
den Eindruck packender Lebenswahrheit.

Vie 8tation Eismeer del* jungftaubahn.
(Ziehe die 2 bilder auf Zelle 8ö.)
?^ie Jungfraubahn, in deren Ausführbarkeit und Er-
ji-/ tragsfähigkeit in der ersten Zeit selbst von urteils-
fähigen Leuten dis stärksten Zweifel gesetzt wurden, hat
die Erwartungen ihres Erbauers Guyer-Zeller glänzend ge-
rechtfertigt, nur in der Länge der Bauzeit hat sich dieser
geirrt. Am 25. Juli 1905 konnte die Station Eismeer
eröffnet werden, und im selben Sommer noch beförderte die
Bahn über 73,000 Personen auf diese höchste Bahnstation der
Alten Welt. Station Eismeer liegt 1,3 Kilometer von der
Station Eigerwand entfernt in einer Höhe von 3l53 Meter
über dem Meer und ist ein wahres Wunder der Spreng-
technik. In dem marmorähnlichen Kalkstein des Eigers ist
ein mächtiger Raum ausgesprcngt worden, die Südwand ist
an fünf. Stellen durch je 3 Hs Meter hohe und 6 Meter-
breite Öffnungen durchbrochen, die mit schmiedeeisernen
Brüstungen versehen wurden. Tritt man an diese heran, so
hat man ein überwältigend großartiges Hochgebirgsbild vor
Augen. Zn Füßen in 41 Meter Entfernung liegt der Eiger-
gletscher, ringsum reiht sich im Halbkreis Firngipfel an Firn-
gipfel, darunter die höchsten Erhebungen des Berner Ober-
landes — Wetterhvrn, Schrcckhorn, Lauteraarhörner, Strahl-
egghörner, Fiescherhorn und unteres Mönchsjoch. Am 22. Juli
1906 wurde auch das Restaurant Eismeer eröffnet, das in
seiner Art einzig dasteht. Auch dessen Räume sind aus
dem Felsen gesprengt und mit Holz getäfelt. Das Ganze ist
im Stil einer gemütlichen deutschen Bauernstube gehalten,
die Fenster mit dicken Kristallscheiben gewähren ebenfalls
den oben beschriebenen Ausblick. Vom Restaurant führt eine
aus dem Felsen gesprengte Galerie zum Eigergletscher hinab.
Vg8 Mtentat auf dm russischen Minister-
präsidenten.
(Ziehe das bild auf Zelle Y1.)
Hur durch einen glücklichen Zufall ist der russische Minister-
? S Präsident Peter Arkadjewitsch Stolypin dem furchtbaren
Bombenattentat, das in seinem auf der Apothekerinsel bei
St. Petersburg gelegenen Landhause ans ihn unternommen
wurde, entgangen, während dreißig Personen, meist Unbeteiligte,
dabei den Tod fanden, über zwanzig teils schwere, teils leich-
tere Verletzungen davontrugen, unter ihnen die beiden Kin-
der Stolypins. Der furchtbare Vorgang spielte sich nach den
Berichten von Augenzeugen folgendermaßen ab. Am Sams-
tag, den 25. August 1906, hielt der Ministerpräsident in seiner
Villa Empfang für Gäste und Bittsteller ab. Um 3 Uhr
15 Minuten fuhren in einem offenen, eleganten Mietwagen
drei Männer, von denen zwei die Uniform der Gendarmerie-
offiziere trugen, vor dem Hause vor, entstiegen dem Gefährt,
traten schnell in die Vorhalle ein und wollten unangemeldet
in den EmpfangSsaal eindringen. Die Dienerschaft wider-
setzte sich dem. Plötzlich warf einer der Fremden eine Akten-
mappe, die er in der Hand trug, und in der jedenfalls eine
Bombe van ungeheurer Sprengkraft verborgen war, zu
Boden. Eine Explosion erfolgte, welche die ganze Vorder-
wand des Hauses fortriß. Die meisten der im Innern an-
wesenden Personen — Gäste, Diener, Polizsibeamts, auch
die Täter selbst — wurden auf der Stelle getötet oder noch
lebend unter den stürzenden Trümmern begraben. Der
Ministerpräsident wurde dadurch gereitet, daß er sich gerade
in seinem auf der Hinterseite des Hauses gelegenen Privat-
zimmer befand und den Vortrag des Adelsmarschalls Poli-
wanoff von Simbirsk anhörte, der um Rückerstattung der
zur Kriegszeit für die Reservistenfamilien verausgabten
Summen bat. — Poliwanosf stürzte infolge des Luftdrucks
zu Boden und verlor das Bewußtsein, Stolypin sprang,
schnell gefaßt, durch das Fenster in den Garten hinab, wo
er in Sicherheit war.

Va8
ljundettftankenstück.

Roman von X. vtth.
(Fortsetzung.) -.-.(Nachdruck verboten.)

HI

argarete Hunold sah nicht die geröteten
Wangen der alten Frau, sie sah nur
die schreckliche Gefahr, die ihrem Glück
von der starren Wahrheitsliebe der
Tante drohte, und ohne daß sie selber

sich dessen bewußt wurde, hatte ihre Stimme
wohl einen heftigeren Klang als gewöhnlich, als
sie erwiderte: „Aber ist es nicht mein Lebensglück
und meine Zukunft, um die es sich hier handelt,
Tante? Hast du wirklich ein Recht, gegen meinen
Willen Vorsehung für mich zu spielen? Gott weiß
es, daß ich auf nichts in der Welt so wenig vor-
bereitet gewesen wäre als darauf, durch dich ins

Unglück zu kommen!"
In ihrer Erregung hatten sie es beide überhört,
daß schon wiederholt an die Tür des Zimmers ge-
klopft worden war, und erst als das Pochen nun
lauter und anhaltender wurde, rief Margarete.
Sie hatte erwartet, Linas rotbäckiges Gesicht in
der Türspalte auftnuchen zu sehen, und sie fühlte
sich sehr unangenehm berührt, als sie statt dessen
Frau Lorenz erblickte.
„Ich bitte tausendmal um Verzeihung, wenn ich
die Damen gestört habe. Aber das Essen ist an-
gerichtet, und wenn cs nicht kalt werden soll —"
„Ich danke Ihnen, Frau Lorenz," erwiderte

Margarete, die sich energisch zusammenraffen mußte,
um ihre gewohnte ruhige Haltung zurückzugewinnen.
„Darf ich Sie übrigens bekannt machen —? Unsere
Hausdame, Frau Lorenz — meine Tante, Frau
Baumert!"
„Sehr angenehm!" versicherte Frau Lorenz, in
deren Augen Margarete ein ganz eigenes, tückisches
Glitzern wahrzunehmen glaubte, und deren Freund-
lichkeit ihr jedenfalls nicht weniger unangenehm war
als der spitzige Ton, den sie sonst ihr gegenüber mit
Vorliebe anschlug. „Ich hoffe, daß es der Dame
hier an nichts fehlt, und daß das Zimmer ihren
Wünschen entspricht."
Frau Therese hatte eine dankende Erwiderung
auf den Lippen, aber Margarete kam ihr zuvor,
indem sie erklärte, daß das Zimmer wegen des
Rauschens der Bäume doch nicht ruhig genug für
die schonungsbedürftigen Nerven ihrer Tante sei,
und daß sie deshalb oben in ihrem Zimmer schlafen
werde, während sie selbst hier unten zu wohnen
gedenke.
Frau Lorenz schien diesen Wechsel sehr begreif-
lich und vernünftig zu finden. Sie erbot iich so-
gleich, selbst die erforderlichen Änderungen zu be-
wirken, und als sie dann an der Seite der Taute
dem Speisezimmer zuschritt, unterließ sie nicht, sie
ihrer Dienstwilligkeit zu versichern, damit der Auf-
enthalt im Hause des Herrn Konsuls zu einem recht
angenehmen für sie werde.
8.
Später als sonst hatte Margarete in dieser Nacht
ihr Lager ausgesucht. Die Tante, die sich sehr an-
gegriffen fühlte, war schon um sieben Uhr zur Ruhe
gegangen, aber fast zwei Stunden lang hatte Mar-
garete noch an ihrem Bette gesessen, wie wenn sie
durch verdoppelte Freundlichkeit und zärtliche Für-
sorge ihre Heftigkeit vom Mittag wieder gut machen
wollte.
Auf das Thema, das diesen Ausbruch veranlaßt
hatte, waren sie nicht wieder zu sprechen gekommen,
aber es war trotzdem unverkennbar, daß der Ge-
danke daran die Leidende unausgesetzt beschäftigte
und daß sie es schon bereute, der Einladung Mar-
garetes Folge geleistet zu haben. Zwar hatte sie
nicht mit klaren Worten ihre Absicht ausgesprochen,
schon sehr bald wieder abzureisen, aber als Frau
Lorenz noch einige für ihre bessere Bequemlichkeit
bestimmte Gegenstände hatte ins Zimmer schaffen
lassen wollen, war sie einem entschiedenen Wider-
stand Frau Thereses begegnet.
„Es ist die Mühe nicht wert," hatte sie gesagt.
„Bei einem so kurzen Aufenthalt behilft man sick-
recht gut auch ohne das."
Margarete hatte dazu geschwiegen, um nicht in
Gegenwart der Haushälterin irgendwelche neuen
peinlichen Auseinandersetzungen heraufzubeschwö-
ren, zumal es ihr nicht entging, mit wie ge-
spannter Aufmerksamkeit und mit wie lauernden
Blicken Frau Lorenz ihren Verkehr mit der Tante
beobachtete. Die hart an Unterwürfigkeit streifende
Zuvorkommenheit, die sie in ihrem Benehmen gegen
den fremden Gast an den Tag legte, setzte Mar-
garete immer mehr in Erstaunen. Sie hatte den
Charakter und die Gesinnung der Wirtschafterin
nachgerade zu gut kennen gelernt, als daß sie nicht
hätte argwöhnen sollen, daß sich dahinter eine feind-
selige Absicht gegen sie selbst verberge, aber sie ver-
mochte nicht zu erraten, welcher Art dieselbe sei,
und sie war fchließlich auch nicht in der Gemüts-
verfassung, sich lange den Kopf darüber zu zer-
brechen.
Sorgen und Zweifel von ganz anderer Art waren
es, die ihre Seele bewegten, und die, als sie die
schlafende Tante verlassen hatte, den Schlummer
noch für eine gute Weils von ihren Lidern scheuch-
ten. Sie hatte sich ihr Schreibgerät mit herunter-
gebracht und sich an den Tisch gesetzt, um BrüniugS
Brief noch an diesem Abend zu beantworten, aber
noch nie war es ihr so schwer geworden, die rechten
Worte zu finden, als in dieser Stunde. Für einen
Moment hatte sie ja daran gedacht, ihm brieflich
das Geständnis abzulegen, für das es ihr noch immer
an Mut gefehlt hatte, wenn sie ihm Auge in Auge
gegenüber gestanden, allein sie war nicht einmal
dazu gelangt, auch nur die ersten Federzüge zu
tun. Es schien ihr undenkbar, daß er ihr verzeihen
könnte, wenn sie ihm nicht zugleich alles zu sagen
vermochte, was ihre einstige Verirrung wenigstens
Halbwegs erklärte, und was ihm die Lüge begreif-
lich machte, mit der sie sich in sein Haus eingeführt
hatte.
Dreimal fing sie den Brief an, und dreimal riß
sie den zur Hälfte beschriebenen Bogen wieder in
Stücke. Denn da war nicht ein Satz, mit dem sie
zufrieden gewesen wäre! Die Angst davor, wie er
ihren Brief später ansehen würde — später, wenn
er alles wußte, gab ihr steife uud gezwungene

IV. IY07.
 
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