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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 42.1907

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Heft 5
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https://doi.org/10.11588/diglit.60738#0118
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los
„Wir sind doch auch nicht gerufen!" sagte die
Medizinaträtin.
„Wir tragen auch keinen roten Attila und keine
Sporenstiefel, soviel ich weiß."
Inzwischen war der Erbprinz hinter seiner Ge-
mahlin in den Salonwagen gestiegen.
Sie stand die letzten Sekunden am geöffneten
Fenster und schaute hinaus.
Der Mann, den sie vor allen schwer gekränkt,
wie es ihr verwundeter Stolz heischte, stand aufrecht
in selbstbewußter Haltung da. Nur die finstere Falte
zwischen den Brauen verriet ihrem scharfen Mick,
was sich hinter der äußeren Ruhe abspielte. Und
Angst und Schmerz und Reue erstickten ihr jäh den
Atem.
Schrill pfiff die Dampfpfeife — die Räder
drehten sich.
Alexandra Luise sah noch immer hinaus, die
Augen scheinbar auf die Menge gerichtet, aber sie
sah nur ihn.
Die Sonne strahlte über das bunte Farbenbild
auf dem Bahnsteig. Mersbach stand in dienstlicher
Haltung, die Hand an der Pelzmütze. Kein Blick
galt mehr ihr, die sein Opfer verböhnte.
Von diesem Moment an hatte er's über sich
vermocht, seiner zukünftigen Ehe vor dem eigenen
Gewissen jene Würde zuzusprechen, die ihm bis
dahin unmöglich schien.
Am Abend vor dem Hochzeitsfest faßte er Mias
Hand und führte sie in das 'Gobelinzimmer.
Sie war so selig bewegt, daß ihr die Worte
fehlten, ihr Glück auszusprechen. So nahm sie nur
seine Hand und küßte sie.
„Wenn du willst, daß ich wunschlos neben dir
lebe," sagte er, ihr blondes Haupt aufrichtend, „so
tust du das nie wieder."
„Nie!" sagte sie lächelnd.
„Kein Mann ist es wert, daß ein Weib wie du
ihm die Hand küßt. Ich dir — ja! Ich beuge mich
vor der Reinheit und Lauterkeit deines Wesens.
Wir werden uns immer da treffen, wo deine Liebe
und mein Pflichtgefühl sich die Hand reichen — das
kann ich dir zuschwören, Mia."
„Das weiß ich ja alles," rief sie, an seine Schulter
gelehnt, „nur sagen kann ich's nicht so schön wie
du. Ich unterscheide das gar nicht, weil mir's so
natürlich vorkommt. Für mich ist alles Liebe, für
dich auch, das weiß ich —- ob du's nun so nennst
oder so. Es klingt ja alles, was du sagst, wunder-
schön — und ich will's schon lernen, es dir nach-
zumachen."
„Sprich immer so, wie dir's ums Herz ist," sagte
er, ihre Stirn küssend. „Halte es nicht für ein
Glück, mit Worten zu prunken. Ich will dein Fühlen
unverfälscht. Es wird mir stets wie ein Quell sein,
der unbekümmert mitten durch Dürre und Gestein
fließt."
Sie breitete die Arme ans und warf sich an
seine Brust.
„Du brauchst nun niemand mehr als mich,"
sagte er bewegt.
„Und ich will auch nur dich, immer nur dich!" —
Am nächsten Morgen kam noch eine Überraschung.
Aus der ehrwürdigen Hofequipage der Prinzessin
Christiane kletterte Kleeschen und stieg mühsam die
Treppe herauf. Das goldene Mailicyt verschönte
auch ihr runzliges Gesichtchen mit den blauen
Brillengläsern.
Sie kam im Auftrage der alten Hoheit und über-
reichte deren und ihre eigene Hochzeitsgabe: ein
antikes Schmuckstück, von hohem Wert vielleicht für
ein Museum, und eine Handarbeit im Geschmack
der Vierzigerjahre des verflossenen Jahrhunderts.
Mia, ganz Rührung, wußte sich vor Freude über
so viel Güte kaum zu fassen. Wie der Frühling
neben dem Winter stieg sie neben Kleeschen die
Stufen hinab und breitete im Wagen ein halbes
Dutzend Decken und Felle über die wärmebedürf-
tigen Füße des guten alten Fräuleins.
Inzwischen war droben noch ein Paket abgeliefert
worden, das mit sehr ungelenken Buchstaben Mias
Adresse trug. Fünf große Siegel belasteten die
mehrfach um die Hülle geschlungene Schnur.
Die glückliche Braut kam aus dem Lachen gar
nicht heraus, während sie die Verschnürung loste.
Endlich war das Paket geöffnet. Ein harter,
in Papier gewickelter Gegenstand fiel heraus — in
Mias Hände — eine Photographie.
Ein kleines, von einem Zaun umschlossenes
Haus mit lustig qualmendem Schornstein — hinten
in der Ecke ein sprossender Holunderbusch. Vor der
geschlossenen Haustür ein alter Mann und neben
ihm, stolz aufrecht sitzend, ein großer schwarzer
Pudel. Im Maul trug er ein Blättchen mit der
Inschrift: „Wir gratulieren."
Über Mias lachendes Gesicht glitt bei diesem
Anblick ihrer allcrtrencstcn Gefährten ein flammen-

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des Erröten. Wie lange hatte sich keiner ihrer Ge-
danken mehr in die alte Heimatstätte verirrt! Wie
so ganz waren sie in Vergessenheit geraten! Auch
nicht ein Herzschlag mehr hatte sie zum Heidehaus
und seinen stillen Bewohnern gezogen.
Nun kamen sie doch zu ihr -— treuer als sie.
Die alte Heimat rief: Glück auf!
Und sie hatte nichts getan, diesen guten Wunsch
zu verdienen — sie hatte nur vergessen.
„Sodmann!" flüsterte sie leise. „Und Fips!
Mein lieber alter Fips!"
Und sie küßte das kleine Haus mit seinen ein-
samen Bewohnern. —
„Gnädiges Fräulein, es ist Zeit zum Ankleiden."
Frau Lüders stand hinter ihr, das Werk der
Brauttoilette zu beginnen.
Da schmolz die Wehmut wie Schnee vor der
Sonne. Mia hatte gar nicht mehr Zeit, die Kost-
barkeiten zu bewundern, welche geschickte Hände ihr
jetzt anlegten: Die Prachtschleppe von gewässerter
Seide mit Silberstickerei, das duftige Unterkleid, der
Brillanthalsschmuck, ein Geschenk der herzoglichen
Familie.
Und nun der Myrtenkranz!
Nicht Mutterhände legten ihn auf ihr lockiges
Haar, kein stiller, kein lauter Segenswunsch wob sich
in seine blühende Zier. Keine Abschiedsträne fiel
darauf. Auch kein letztes, vertrantes Liebeswort
ward über ihm geflüstert.
Jetzt der Schleier!
Da lag er wie ein Hauch über ihren Schultern
und umhüllte sie wie ein süßes Geheimnis. Bis
herab zum Schleppensaum fiel das kostbare Gespinst,
silberglänzend im Sonnenlicht.
„Gnädiges Fräulein sind fertig. Ich werde es
drüben melden."
Nun war sie allein vor dem großen Spiegel —und
plötzlich zog ein seltsames Weh durch ihr frohes Herz.
Auf dem Tische lag der bräutliche Strauß, weiße
Orchideen, Maiglöckchen und blühende Myrten. Sie
nahm ihn in die Hände und drückte ihr Antlitz hinein.
Da ging die Tür auf. Die Baronin erschien.
Hinter ihr Frau Lüders.
„Sehr gut!" sagte Fran v. Mersbach, einen
prüfenden Blick über die von ihrem Gefühl noch
verwirrte Braut werfend. „Sorgen Sie nachher
dafür, Lüders, daß die Schleppe richtig fällt."
„Ganz gewiß, Frau Baronin."
„Auch dafür, daß später alles zum Umkleiden
bereit liegt. Mein Sohn wartet nicht gern, wie
Sie wissen."
In Mias immer nach Liebe verlangendem Herzen
blieb es dieser Frau gegenüber still. Sie fühlte wohl
die Abneigung der Baronin, mochte dieselbe auch in
äußeren Dingen der mütterlichen Sorgfalt verwandt
erscheinen. Immer, wenn ihre feurige Jugend
Sturm auf diese Schranke gelaufen war, kehrte sie
mit Betrübnis enttäuscht von dem Versuch zurück.
„Vergiß nicht, der Oberhofmeisterin noch einmal
deinen Dank auszusprechen für die Teilnahme der
Hoheiten."
Sie nickte. Das Herz war ihr wieder sehr schwer.
„Richard!" schrie sie plötzlich laut auf und stürzte
ihm entgegen, so gut es ihre schwere Schleppe er-
laubte.
Die Freifrau verließ das Zimmer, kehrte aber
gleich darauf noch einmal zurück. „Die Wagen
fahren schon vor. In einigen Minuten wird es so
weit sein. Sorge dafür, Richard, daß Mia dem
Hofprediger einige dankende Worte sagt."
Nun waren sie allein — und ohne eine Ahnung
von dem unermeßlichen Reichtum, den sie mit ihrer
Person verschenkte, hielt sie Mersbachs Hand gegen
ihr Herz gepreßt.
„Ich will dich so glücklich machen, wie ich nur
kann — wenn du mich bloß so lieb behältst wie
jetzt. Das wäre das einzige, was ich nicht ertragen
könnte, daß du jemand lieber hättest als mich-. Aber
du darfst nicht böse sein, wenn ich so rede — ich
hatte vorhin ein paar Augenblicke so schreckliche
Sehnsucht."
„Nach mir," sagte er ruhig und küßte ihre Stirn.
Sie strahlte vor Freude. „Weißt du," flüsterte
sie, sich an ihn schmiegend, „worauf ich mich ganz
toll freue?"
„Auf die Reise?"
„Nein — nein," sagte sie eifrig und schaute mit
ihren klaren Augen zu ihm auf. „Darauf, wenn
wir beide am eigenen Kamin sitzen werden — du
und ich — und erzählen uns was -— weißt du? Ich
dir alles von Anfang an. Und du mir alles —
auch von Anfang an, wie du noch ganz klein warst
— und so fort, bis du Adjutant beim Erbprinzen
wurdest und dich in die kleine dumme Mia ver-
liebtest. — Ja? Eigentlich ist's mir immer noch
wie ein Märchen —"
„Wie du's einstmals unter der alten Heidekiefer
träumtest."

...- — r
Er dachte an die herrliche Frau, die ihn so heiß
geliebt und dann öffentlich mit Absicht verletzt halte.
Der Schmerz brannte noch in ihm fort. Jede
Erinnerung daran kränkte sein verwundetes Selbst-
gefühl von neuem.
„Laß uns nicht weiter in die Zukunft sehen,
als die Blicke reichen," sagte er, ihre Hände um-
schließend. „Es ist ja dein schönes Glück, daß du
noch ganz aus der Gegenwart schöpfest. Was an
mir liegt," fügte er fest hinzu, „wird geschehen, es
dir zu erhalten."
Sie hörte immer nur den geliebten Klang seiner
Stimme. „Ich will alles, was du willst —"
Es pochte leise gegen die Tür.
„Herein!"
Das gerötete Antlitz des alten Hausmeisters
schaute durch den Spalt. „Wenn die Herrschaften
jetzt ins Gobelinzimmer treten wollten —"
„Komm!" sagte Mersbach, indes der Alte die
Türflügel aufriß. „Von nun an führen unsere Wege
ineinander."
Im Gobelinzimmer stand neben der Baronin
der Hofmarschall Freiherr v. Trotter, welcher die
Braut zum Altar geleitete.
Hinter ihm schritt Mersbach neben seiner Mutter.
Am Ende eines turmähnlichen Ausbaues lag die
alte Schloßkapelle, hier und da noch zu Gottes-
diensten für die Gemeinde benützt. Ihre verblichene
Pracht deckten heute Teppiche und Blumengewinde,
Rosen- und Myrtenstämme schmückten den Altar-
raum und verwandelten ihn in einen blühenden Hain.
Durch dieses Dust- und Blütenmeer rauschte
die Elite der Gesellschaft zu den aufgestellten Sesseln.
Der Mittelgang ward frei.
Nun fetzte die Orgel auf dem kleinen Chor brau-
send ein. "„Jauchzet dem Herrn alle Welt —"
Da leuchtete es am Eingang silberweiß, durch
die Spitze des Bogenfensters hinter dem Altar
ergossen sich ungedämpfte Sonnenstrahlen bis zu
der Stelle, wo Mia den ersten zagenden Schritt
in die Kapelle tat.
In diesem Moment ward es für alle selbstver-
ständlich, daß Mersbach sich sterblich und Hals über
Kopf in das reizende Geschöpf verliebt hatte, welches
wie ein duftendes Märchen in seinen Weg trat.
Nun sie vor dem fremden Manne am Altar stand,
fiel es Mia bang aufs Herz, daß es nicht ihr alter
Freund war, der eben erst aus schwerer Krankheit
mühsam zum Leben zurückkehrte.
Als aber Mersbach das bindende Ja gesprochen,
sie es ihm nachflüsterte und nun nach dem Ring-
wechsel den Druck seiner Hand fühlte, versiegten
ihre Tränen.
Niemals war etwas holdseliger gewesen als jetzt
ihr Lächeln.
Und er, dem alles gegeben schien im Besitz dieses
jungen Weibes, kämpfte mit bitterstem Groll gegen
sein Schicksal an, das ihn nichts empfinden ließ als
Selbsthohn unter dem Sturm von Glückwünschen,
der an Mias Seite über ihn hereinbrach.
„Ein entzückendes Paar, teuerste Baronin," sagte
die Oberhofmeisterin mit aufrichtiger Bewunderung.
„Männlicher Ernst und mädchenhafte Verklärung.
Im Antlitz Ihrer Schwiegertochter fiel mir heute
etwas ganz besonders auf — etwas, dem ich keinen
Namen geben kann. Aber sie ist entzückend. Ihre
Hoheit die Herzogin, das daxf ich nochmals ver-
sichern, teuerste Baronin, nimmt den regsten An-
teil an der heutigen Feier und ist hocherfreut über
das Schicksal ihres Günstlings."
Heute war es Mia ganz gleichgültig, ob jemand
über sie erfreut war oder nicht. Ihr ganzes Fühlen
und Denken gehörte ihm, an dessen Arm sie die erste
Anrede als Frau empfing, über und über errötend
vor Seligkeit.
Nun trat der Oberst von Mersbachs Regiment
mit seinen Offizieren zur Beglückwünschung vor.
Bei Tafel, die wie ein Phantasiegebilde im
Widerschein der strahlenden Lichter prangte, erhob
sich zuerst die Baronin, um ein Hoch auf das regie-
rende Haus auszubringen.
Dann sprachen der Hofprediger, der Hofmarschall,
zuletzt der Oberst.
Im Namen des Offizierkorps hieß er die junge
Frau herzlich willkommen und drückte seine Freude
aus über das neue, durch alle Gaben der Natur
ausgezeichnete Mitglied, welches ein hochgeschätzter
Kamerad der großen gemeinsamen Familie heute
zuführe.
Da war's Mia, als wüchsen ihr Flügel der
Freude.
Der Hausmeister überreichte ein Telegramm.
Mersbachs Stimme verriet nicht die geringste
Erregung, als er sich erhob. „Von Seiner Hoheit
dem Erbprinzen. Ich gestatte mir, diesen Beweis
allerhöchster Gnade vorzulesen: .Herzliche Glück-
wünsche senden die Erbprinzessin und ich Ihnen und
Ihrer Frau Gemahlin. Ludwig August.'"
 
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