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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 42.1907

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Heft 5
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IMS

V85 Luch fül-Mle n

103

Mersbach ging's wie ein Schnitt durchs Herz.
Wenn sie Zeugin dieser Tafelrunde hätte sein
können, Zeugin dessen, was dieser Augenblick in ihm
auslöste! Wenn ihre stolzen Augen auf sein Bräu-
tigamslächeln hätten herabsehen können, auf diese
Lüge von Überwindung und Korrektheit, die seine
Selbsibeherrschungskraft undurchsichtig machte für
jedermann!
Ihm war's, als presse sich die hochzeitliche Gala-
uniform so fest um seine Brust, daß ihm der Atem
benommen ward.
Da legten sich weiche Finger auf seine Hand —
und eine bebende Stimme flüsterte ihm zu: „Du —
o, mir ist's wie im Himmel!"
Seine Qual war Folge seiner Schuld. So beugte
er sich über diese glückbebenden Finger und küßte sie.
Sie fragte nicht, ob er diesen Himmel mit ihr
teile. Das verstand sich von selbst. Und in diesem
Glauben hielt sie seine Rechte fest.
„Ach, wenn dieser Tag doch kein Ende nehmen
möchte! Er ist zu schön."
„Und doch wirst du bald mit mir allein sein,"
sagte er, und nicht das mindeste Frohgefühl durch-
rieselte ihn bei diesen Worten.
Er dachte an einen Moment des Alleinseins,
wo er, von dem Übermaß des Entzückens hin-
gerissen, Taumel im Gehirn, Sehnsuchtsrausch im
Herzen, die Wonne des Unbelauschtseins wie flam-
mendes Glück empfunden.
Er konnte es nicht hindern, daß diese Erinnerung
wie ein Todesstreich durch sein Herz glitt.
Fortsetzen die Lüge, das Possenspiel in seiner
Ehe! —
Und wie er es dachte, sah er die lachende Un-
schuld in Mias Augen.
„Mit dir allein ist's am aller-, allerschönsten,"
sagte sie fröhlich.
Da kam's über ihn, Rührung und Bitterkeit
zugleich. „Wir haben nicht mehr viel Zeit."
Die Baronin klopfte ihren Sohn auf die Schulter.
„Wir stehen gleich auf, Richard. Während der Kaffee
gereicht wird, soll Mia sich umkleiden. Die Lüders
weiß Bescheid. Sorge dafür."
Diese Art Entführung begeisterte die junge Frau.
Husch! Trotz der Schleppe — da war sie schon in
ihrem Zimmer, von Frau Lüders mit tiefer Ver-
beugung als Herrin von Elbental begrüßt.
Eigentlich tat es ihr leid, Kranz und Schleier
so kurzweg wie einen Hut sich aus dem Haar nehmen
zu lassen — aber Er wartete. Und das champagner-
farbene Tuchkleid mit dem gestickten Jäckchen und
dem großen Federhut war ja viel bequemer.
„Kommt mein Mann, mich zu holen?" fragte
sie und errötete vor dem bewundernden Blick der
Kammerfrau.
„Gewiß, Frau Baronin!"
Sie sah sich noch einmal um in dem Raum, der
für sie ein Paradies geworden war, seit Richard
ihr seine Liebe geschenkt. Jetzt war er viel zu eng
geworden für ihr großes, großes Glück — dafür
mußte sich die weite Welt auftun.
„Bist du fertig, Mia?"
Seine Stimme hören und zu ihm stürzen, war eins.
Als sie die Treppe hinabstiegen, fühlte er ihren
Arm in dem seinen leicht beben.
„Fürchtest du dich?" fragte er, ihr reizendes Ge-
sicht emporhebend.
„Es ist so dumm —" flüsterte sie und wußte
nicht, daß sie die Augen voll Tränen hatte. „Es
kam auf einmal so über mich — ganz wunderlich.
Aber es ist schon vorbei."
„Du sollst dich nie vor mir fürchten," sagte er,
ihre heiße Wange streichelnd. „Ich will — doch
nachher, Mia — wenn wir allein sind."
Er brach hastig ab und führte sie vollends her-
unter.
Als sie vor die Tür traten, ging droben ein lauter
Jubel an. Die Hochzeitsgesellschaft stand an den
Fenstern und auf den Balkonen, Weizenkörner
streuend — Glückskörner.
Mersbach beeilte sich, dieser Szene zu entgehen.
„Komm — komm!" flüsterte er, hob sie schnell in
die Kissen, ungeachtet der Freude, mit welcher Mia
diese Überraschung aufnahm, und setzte sich neben sie.
„Fort!"
Eine kurze Weile tönte das Geräusch der Nach-
rufe noch an ihr Ohr. —
In der Residenz war natürlich längst bekannt
geworden, zu welcher Stunde das junge, von der
herzoglichen Familie so sehr ausgezeichnete Paar
auf dem Bahnhof eintreffen werde. Infolgedessen
füllte eine dichte Menge die Wartezimmer und den
Bahnsteig.
Mersbach, diese zudringliche Neugier verwün-
schend, ärgerte sich über Mias Harmlosigkeit, welche
sich über das Gedränge freute, ohne zu ahuen, daß
ihre Person im Mittelpunkt des allgemeinen Inter-
esses stand.

„Laß doch diese albernen Menschen stehen," sagte
er, sie so rasch als möglich zu dem reservierten Abteil
führend, welches liebenswürdige Hände mit Rosen

und Myrten geschmückt hatten.
Sie klatschte vor Entzücken in die Hände. „Und
darin fahren wir beide ganz allein?"
Als der Zug langsam die Halle verließ, erfaßte
sie seine Hand, und ihr Gesicht wurde sehr ernst.
„Ich bin viermal mit der Eisenbahn gefahren. Sehr
traurig immer. Das erste Mal in die Pension.
Dann an Tante Kamillas Sterbelager. Noch ein-
mal schrecklich traurig in die Pension. Ach Gott,
und mit welcher Angst zuletzt zur alten Prinzeß!
Nie bin ich dazu gekommen, mich über das Reisen
zu freuen, habe immer geweint unterwegs."
„Armes Kind!" sagte er halb lächelnd, halb mit-
leidig.
Wenn er doch nur einen Funken Verlangen und

Sehnsucht in sich hätte lebendig machen können, nur
eine einzige Regung der Freude!
Er wußte es ja, daß in diese Stunde Alexandra
Luise hineinsah — nicht bloß in diese, in alle kom-
menden, zu welchen das Gelöbnis am Altar ihn
zwang — hineinsah mit ihrem zitternden Lächeln,
das so viel Schmerz, so viel Leidenschaft zu ver-
bergen wußte — mit den zehrenden Blicken, die
eine Welt von Liebe und Leid in sich bargen.
Und ihm war, als müsse er das junge Weib

an seiner Seite von sich stoßen.
„Aber diesmal freue ich mich so schrecklich,"
flüsterte Mia mit strahlendem Glück, zwei Rosen
aus einer Girlande nehmend. „Diesmal bin ich
ganz aus dem Häuschen vor Vergnügen. Was wohl
die alte Hoheit sagte, wenn ich hier an zu tanzen
finge! Darf ich — darf ich dir die Rose anstecken?"
Sie beugte sich zu ihm und legte ihren Kopf
an seine Wange.

„Wenn es dir Spaß macht — gewiß!"
„Spaß — nein," sagte sie, zärtlich aufschauend.
„Freude."

„Also!"
Sie nestelte die Blume in sein Knopfloch und
klatschte wieder in die Hände.
„Jetzt stecke dir die andere an, Mia."
Sie befestigte die Rose an ihrer Brust, ohne
eine Ahnung, welch eine Fülle von Liebreiz sie mit
dem halb verschämten, halb beseligten Erröten über
sich ausgoß, als sie leise fragte: „Du wolltest mir
vorhin noch etwas sagen — weißt du? Als wir
die Treppe hinuntergingen. Wenn wir allein wären,
meintest du. Nun sind wir allein."
Er mußte sich erst besinnen. „Ja so — du
hattest Furcht —"
Er nahm ihre Hand fest in die seine. Die Lüge
und der Verrat, den er an ihrem Glauben begangen,
übertönten den Notschrei seines Herzens.
„Wenn zwei Menschen die Ehe schließen, be-
treten sie beide ein fremdes Land. Ich möchte,
daß du mir das Vertrauen schenktest, dein Führer
sein zu dürfen —"
So kläglich, so jammervoll öde erschien ihm dieser
Wunsch, daß er hastig abbrach.
Nichts fühlen als Wonne des Besitzes am Herzen
der Geliebten, nichts denken als die Unerschöpflich-
keit dieser ersten Gemeinschaft, herausgehoben, erden-
fern, selbstvergessen in den Armen der Liebe.
Und er klügelte da etwas zusammen von frem-
dem Land und Führertum.
Ihre Unschuld nahm diese dürre Weisheit für
echte Prägungen der Liebe.
„Du sollst froh sein, glücklich und heiter -— das
ist alles, was ich will," sagte er, ihre Hand an seine
Lippen ziehend.

Uber den saphirblauen Spiegel des Comersees
schwamm eine Barke hinüber nach Cadenabbia und
zog silberne Netze hinter sich her durch die besonnte
Flut.
Mia saß darin neben dem rudernden Gatten.
Ach Gott, wie war das Leben, wie war ihr
Leben so schön! Eigentlich nur eine Kette himm-
lischer Träume.
Sie, die nicht gewohnt war, daß jemand zarte
Sorge um sie trug und allen Wünschen rücksichtsvoll
entgegenkam, nahm diese Sorgfalt und diese Zu-
vorkommenheit für stärkste Ausflüsse der Liebe und
entzückte ihr kindliches Herz daran.
Freilich, ein bißchen mehr gelacht hätte sie gern
und Spaß gehabt, aber nie fiel es ihr ein, dies als
einen Mangel ihres Glücks zu empfinden.
Wenn sie stundenlang hinausruderten und in
schattiger Bucht ein Versteck suchten, um ungestört
die Bücher zu lesen, welche Mersbach für sie beide
mitgenommen, ward ihr wohl manchmal die Zeit
ein bißchen lang. Aber ein Blick in das geliebte
Antlitz ihres Gatten, dessen Ernst ihr so süßen Re-
spekt einflößte, stellte sie immer wieder mitten hin-
ein in das Märchen ihrer Verlobung und Hochzeit.

Mersbach selbst empfand nichts von dem Glück,
welches er schuf und schaffen wollte. Das Nichts-
tun, dem die Selbflvergessenheit der Flitterwochen
fehlte, dehnte sich für ihn endlos hin. Er fehnte
den Augenblick herbei, welcher ihn in den Dienst
zurückführte. —
Die weiße Barke zog wie ein Schwan nach dem
jenseitigen Ufer.
An der Terrasse der Villa Carlotta, wo Boot
an Boot befestigt lag. reichte Mersbach Mia die
stützende Hand zum Aussteigen.
Sie sprang so erwartungsvoll über den Rand,
daß er Mühe hatte, sie zu halten.
„Verzeih!" sagte sie mit verlegenem Lächeln.
„Mir wär's ganz recht geschehen, wenn ich hin-
geplumpst wäre."
So recht eigentlich begeistern für die berühmte
Psychegruppe im Marmorsaal konnte sie sich aller-
dings nicht, aber da Mersbach mit tiefem Entzücken
sich'lange Zeit nicht von dieser Schöpfung Canovas
zu trennen vermochte, verharrte sie geduldig neben
ihm und sah das göttliche Paar so standhaft an, wie
sie vermochte.
Aber nun die Gärten!
Da tat sich Mias Herz vor Freude weit auf,
daß sie Mühe hatte, lauten Jubel zu unterdrücken.
Zwischen Heißduftenden Blumen und Sträu-
chern, von der Sonne in Farbenglut gebadet, sanft
bewegt von kosenden Winden, schritt eine schlanke
Gestalt den Weg hinauf — allein.
Ihr weißes Kleid rauschte über den Kies, me-
lodisch wie das Luftsäuseln im Magnoliengebüsch.
Mersbach erzitterte. Er schloß die Augen, die
ihm ewig, ewig diese Gestalt vorzauberten.
Aber durch die Lider hindurch sah er das Antlitz,
dem sein Kuß Liebesglut verlieh, fühlte er mit un-
regelmäßigem Herzhämmern, was er nie, nie mehr
fühlen durfte.
Wie Schwindel packte es ihn, zu ihr zu eilen
und zu rufen: Zu Ende das Possenspiel! Ich
schüttle es ab. Mein Leben hat nur einen Reiz —
deine Liebe. Wirf die Krone hin. Sei nichts als
Weib. Wo uns niemand kennt, kommt das Glück
zu uns. Meine Heirat war Wahnsinn, Verbrechen
an dir und mir. Was du mir antatest beim Ab-
schied, war Verzweiflung. Wir ketten uns beide
an unsere eigene Narrheit. Sei mein — und wir
trotzen einer Welt von Vorurteil und Neid! Sei
mein — sei mein!
Er strich sich über die glühende Stirn.
Mia war neben dem Gärtner stehen geblieben
und plauderte mit ihm, beseligt durch ein paar
blühende Myrtenzweige, die er ihr artig überreichte.
Alexandra Luise kam näher.
Mersbach sah die dunklen Wimpern und ihre
tiefen Schatten auf den blassen Wangen. Er sah
das geliebte, stolze Antlitz, gedankenleer zu Boden
gerichtet, fernab von all der trunkenen Schönheit
dieses Paradieses. Er sah die Lippen zittern, nach
denen er sich bis zum Sterben gesehnt. In ihrer
einsamen Herrlichkeit und Schönheit sah er die könig-
liche Gestalt auf sich zuschreiten.
Da, wie er die Hände ineinanderpreßte, fühlte
er den Trauring an seinem Finger, die Fessel, welcye
Ehre und Pflicht heiligte. Wie wenn der Tod seine
Brust berührt hätte, ward's plötzlich still in ihm,
als ob das, was soeben in Flammen stand, zu Asche
ward.
Er trat hastig hinter einen mit scharlachroten
Blüten bedeckten Granatbusch.
Und sie ging an ihm vorüber.
Der Schmerz, den er in diesem Augenblick fühlte,
riß ihn aus dem schweren Traum dieses Wieder-
sehens.
„Sieh doch!" sagte Mia, und die Freude des be-
schenkten Kindes lachte aus ihren Augen.
Er sah auf die weißen Myrtenblüten, deren
Schwestern nichts in ihm ausgelöst hatten von Liebes-
lust und -glück.
„Komm! Bleibe bei mir!"
Sie nahm seine Rechte, an der der Trauring
glänzte, und drückte die ihre fest, fest hinein.
Zwölfte lsgpitel.— —
Nun kam die Zeit der Heimfahrt.
Mias Sehnsucht breitete wieder weit die Flügel
aus. Oft, wenn sie einander gegenübersaßen, und
Felder und Wälder in sausendem Fluge vorüber-
huschten, Meile auf Meile hinter rollenden Rädern
zurüäblieb, empfand sie wohl das unausgesprochene
Verlangen, die Erwartung und Freude, welche in
ihrem Herzen brausten, in den Zügen ihres Gatten
sich widerspiegeln zu sehen.
Aber das waren nur winzige Wölkchen, die vor
der Siegerin Sonne gegenstandslos verdunsteten.
Nichts kam der Spannung gleich, mit der Mias
sprudelnde Jugend dem Einzug in die eigene Häus-
lichkeit entgegensah, als der Wagen durch die er-
 
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