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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 42.1907

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Heft 7
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https://doi.org/10.11588/diglit.60738#0165
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fllustnette Ugmilienreitung
7. ljest. 1907.


jn emsige!' Arbeit, Nach einem öemZide von kmanue! Zpitzer.

beiden stand, und stützte seine Hände, die zu zittern
begannen, fest darauf.
„Diese Menschenfreundin, Fran Baronin, war
Fräulein Kamilla v. Helling!"
Sie sagte nichts — sie starrte ihn an vor schreck-
hafter Überraschung über sich selbst, denn Plötzlich
wußte sie, daß sie keinen anderen Namen unter
Millionen Namen zu hören erwartet hatte.
„Marianne Frank, adoptierte Marie v. Helling,
ist Ihre Enkelin!" sagte der alte Mann mit erhobener
Stimme.
Da sprang sie auf. Der Atem ging ihr aus.
Ein Chaos von Gewißheiten und Möglichkeiten, Tat-
sachen und Erwägungen stürzte wie eine Lawine
über sie hin. So furchtbar aber die Erschütterung
war, ihre Widerstandskraft riß sich noch einmal los.
„Sie sprachen von Papieren — wo sind sie? Ich
will sie sehen. So leichtgläubig bin ich nicht, daß ich
blindlings auf Worte schwöre."
Sie sah starr vor sich hin, als erschiene ihr dort
etwas Fremdes, Hohnlachendes. Mariannes Tochter
— Richards Frau!
Aber zugleich trat neben ihre Tochter deren Gatte.

darauf ankam, sie zu finden, als mein Sohn und
ich das Recht in Anspruch nahmen, Mias Herkunft
zu ermitteln? Denn nie, nie — das schwöre ich
Ihnen — wäre dieses Menschen Tochter, dieses so-
genannte Fräulein v. Helling, Richards Frau ge-
worden. Mochte sie eines Bettlers Kind sein, mir
gleich, nur nicht jenes Menschen Tochter, den ich
im Tode noch hasse und verachte, denn er stahl uns
die Freude unseres Hauses, er machte es öde und
mich zur Witwe. Der Flecken, den Marianne auf
unseren Namen brachte, sei vergessen — die Welt
vergaß ihn längst, und ich will nicht leugnen, daß ich
mich im stillen oft nach ihr gesehnt habe und ihr frühes
Ende tief beklage, aber von diesem Nichtswürdigen,
der meinen Gatten ins Grab brachte, will ich nichts
wissen, nichts von seinem Blut will ich in dem
unseren haben."
„Den Finger Gottes, der Vorsehung Hand, er-
kennen Sie nicht in dieser Verkettung?" fragte Setter
tiefernst. „Ihr Herz frohlockt nicht darüber, aus-
gleichen und an der Tochter gutmachen zn können,
was Sie Unrechtes an der Mutter taten? Sie
öffnen nicht dankbar die Arme, Mariannes Kind
durch Ihre Liebe
zu entschädigen für
das, was Ihre
Härte ihr nahm?"
„Sie wird nichts
davon hören, so
wird sie nichts ver-
missen."
„Sie wird hö-
ren und wissen,"
sagte Pastor Setter
fest. „Ich selbst
werde ihr diese
Aufklärung geben
—nach dem letzten
Willen des Fräu-
leins v. Helling.
Marie sollte nicht
zur Ehe schreiten,
bevor sie und ihr
Verlobter die
Wahrheit wußten.
Als ich Maries
Verlobung erfuhr,
packte es mich hart
an. Ich überlegte,
ob eine Enthül-
lung nicht zu um-
gehen sei — denn
des alten Fräu-
leins Absicht ging
wohl dahin, Marie
das Pflichtteil des
Vermögens der
Mutter zu sichern
und zuzuwenden.
Dies vorausgesetzt,
war Mias Ver-
mählung mit Herrn
v. Mersbach das
sicherste Mittel,
jede Forderung für
sie selbst unnötig
zu machen. Aber
an den Wünschen
einer Sterbenden

(Nachdruck verboten.)
tr sind NUN wohl zu Ende, Herr Pastor,"
sagte Frau v. Mersbach, wieder nach
> der Arbeit greifend. „Auf Dank wer-
den Sie keinen Anspruch machen."
„Mein Amt hat nichts mit Dank und
Undank zu tun," entgegnete Seiler. „Ich erfülle
meine Pflicht der gegenüber, die wie eine Sama-
riterin der Not zu Hilfe kam, sich zwischen Elend
und Verderbnis stellte und unter Selbstentbehrung
eine fremde Menschenknospe zur Blüte brachte."
Frau v. Mersbach fühlte, daß das kaum be-
zwungene Pochen ihrer Schläfen von neuem begann.
Es war etwas in der Luft, das wie Gewitterschwüle
auf ihr lastete, etwas Ungreifbares, das an sie heran-
trat und Erschauern um sich verbreitete.
Pastor Setter,
im Andenken an
das alte Fräulein,
neigte sein Haupt,
als er mit beweg-
ter Stimme fort-
fuhr: „Den gan-
zen reichen Schatz
ihrer Liebe häufte
sie auf das fremde
Kind, ersetzte ihm,
was es unwissent-
lich verloren und
nie vermißte. Ihr
Enkelkind, Fran
Baronin, hob sie
aus der Tiefe des
Elends empor und
bewahrte Sie vor
der Sünde, ein
weiteresLebenver-
nichtet zu haben
aus trotzigem Stolz
auf einen klingen-
den Namen."
Ihr tiefverletz-
tes Selbstgefühl,
mochte es sich auf-
bäumen wie es
wollte,stautezurück
vor einer Frage,
die jäh in ihr auf-
schoß und den Zorn
betäubte. „Wober
— wissen Sie?"
Nein — das war
die Frage nicht,
die sie tun wollte.
Setter hatte schon
gesagt, daß er die
Beichte einer Ver-
storbenen empfan-
gen. Sie wollte
jedoch nichts ande-
res fragen, nichts
anderes wissen, in-

Wal'ich geblieben doch!
Itoman von
Seorg hgttwig (Lmmlj Xoeppel).
trvttsshung.)

stinktiv Schweigen
und Vergessen auf das Gehörte häufen wie auf ein
frisches Grab. Aber die ringende Unruhe des Her-
zens riß ihr nun doch die rechte Frage von den Lip-
pen: „Wer war — diese Frau?"
Pastor Setter trat an den Tisch, der zwischen

Franks Tochter hatte ihr Sohu zum Weibe genom-
men.
Da brach der Zorn von neuem und glühender
hervor.
„Wo hielten Sie diese Beweise versteckt, als es

darf man nicht
deuteln. Mir blieb nichts übrig, als ihren letzten
Willen zu erfüllen. Da, wie ich zur Reise hierher
mich entschlossen hatte, befiel mich auf der Kanzel
jene schwere Krankheit, die mich an den Rand des
Grabes brachte. Das Taufzeugnis, welches Fräulein

VN. IW7.
 
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