1Y2 - . ... 17^__
dir's gesagt in einer Stunde voll Glückseligkeit, wo
du wußtest, daß nichts in meinem Herzen lebte und
leben kann als du! Wenn ich dir so gebeichtet, bätte,
du hättest mir vergeben. Was willst du, das ich
noch tun soll? Wenn ich mich mit meiner Ehre
verbürge, mußt du mir glauben. Und ich schwöre
es dir bei meiner Ehre, du weißt jetzt alles. Nun
sei nicht kleinlich, Mia, sei nicht hart. Ich habe
dein Vertrauen auch ohne Liebe hochgeachtet, das
Zeugnis kannst du mir nicht versagen. Was wäre
das für eine Liebe, die nicht vergeben kann!"
„Vergabt ihr meiner Mutter?" stieß sie hervor.
„Von ihr ist jetzt nicht die Rede," sagte er mit
wachsender Unruhe, einen Blick auf seine Uhr wer-
fend, die unablässig die ihm gegebene Frist ver-
kürzte, „auch nicht allein von dir. Es stehen noch
andere Dinge auf dem Spiel — die Ehre unseres
Hauses, meines Standes. Wie willst du, daß deine
Flucht, deine Trennung von mir gedeutet werden
soll?"
„Ich will nichts," murmelte sie, „nichts mehr
von euch."
„Mia," sagte er gepreßt, „was wirst du tun,
wenn Reue über dich kommt?"
Sie schüttelte den Kopf. Zu der Anstrengung,
mit der sie sich aufrecht hielt, gesellte sich eine fiebernde
Angst, ihn fortgehen zu sehen
„Ich kann nicht länger bleiben," sagte er hastig.
„Mia, ein letztes Wort. Ich liebe dich, dich allein
— mehr als mich selbst. Bist du zufrieden? Glaubst
du's mir?"
Es rang in ihr nach Worten, nach einem er-
lösenden Schrei, allein sie brachte keinen Ton hervor.
Eine Blutwelle flog über seine Stirn. „So ist's
zu Ende. Weiter kann ich nicht gehen — mit Ehren
nicht. Du willst es so. Ich werde später —"
Er vollendete nicht. Schmerz und Zorn über-
-wältigten ihn. Noch einen letzten fragenden Blick
ließ er über ihr gesenktes Antlitz gleiten, dann wandte
er sich rasch und schritt durch die Heide davon.
Glaubend, hoffend und sehnend, daß ihre Blicke
ihn zurückrufen könnten, starrte sie ihm mit glanz-
losen Augen nach, ohne die Hand zu rühren, ohne
die Lippen zu bewegen.
Der Mittagswind huschte aus seinem Waldver-
steck und zauste die alte Kiefer, daß sie knarrende
Klagetöne ausstieß. Federwölkchen, schneeig und
rund, zogen am blauen Himmel dahin. Aus weiter
Ferne drang ein gellender Pfiff in die rastende
Stille und versank in duftender Ode.
Da war es Mia, als dränge sich eine schwarze
Mauer zwischen ihre Augen und die leuchtende
Sonnenscheibe, als schwelle der Wind im Kiefer-
geäst an zn einem brausenden Tosen. Mit ersticktem
Angstruf sank sie nieder. Die Sinne vergingen ihr,
als täte sie einen Fall ins Bodenlose. Das dumpfe
Räderrollen, welches Mersbach entführte, hörte sie
nicht.-
Da endlich war's, als höbe sich ein dichter Flor
von ihrem Haupte, erhellte und verdünnte sich. Eine
leise, warme Bewegung glitt über ihre Stirn, deut-
lich vernahm sie winselndes Klagen.
Mias Augen taten sich weit auf. Fips, ihr treuer
Genosse, saßnebenihr, beleckte ihre Stirn und heulte.
Sie wußte nicht, was ihr geschehen. Verwirrt,
verstört umfaßte ihr Blick die Einsamkeit, in der sie
lag. Ein schwerer Traum war über sie gegangen,
das fühlte sie. Und schwerer noch war das Erwachen
daraus, denn nun sie völlig zu sich kam, zerriß der
seelische Zwang, der ihr natürliches Empfinden um-
mauert hielt, hob sich die geistige Depression, welche
sie zu Boden drückte, wich die Starre, unter der ihr
kindliches Herz wie erstorben lag.
Ein Schluchzen drang über Mias Lippen, und
heiß und heißer brach der Tränenstrom erlösend sich
Bahn. Sie hielt die Hände vor ihr Gesicht ge-
preßt und weinte, als müsse sie ihr junges Leben
in diesem Schmerzenserguß hingeben, weinte, als
ob die Leidensguelle in ihr unerschöpflich sei, weinte
laut und schluchzend durch die öde Stills.
Neben ihr, treu ausharrend, saß der Pudel, die
Vorderpfoten auf ihre Knies gelegt, wedelnd und
wartend, daß eine Liebkosung für ihn abfiele.
Als sie erleichtert und doch todmüde den Heim-
weg antrat, war's ihr, als sei ihr Glück gestorben
und in der Heide begraben. Über seinem Grabe
habe sie geweint. —
Am anderen Morgen ging sie nach Schwarken,
sich im Liebesdienst nützlich zu machen, um zn ver-
gessen.
Pastor Sellcr fragte nichts mehr. Er sah ver-
gossene Tränen in ihren Augen. Da wußte er,
was in ihr vorging. Er führte sie an Leidensstätten
und hieß sie Linderung schaffen, wie sie's vermochte.
Er gab ihr die Sorge für andere als beste Stütze
in die Hand und beste Abwehr eigener Not. Und
wenn der Abend kam, dann holte er des alten Fräu-
leins Tagebuch hervor und ließ Mia Einsicht nehmen
— vaz kuch ftp MIe-
in den Kampfesmut einer tapferen Seele, in ihr
großes Lieben und Nievergessen.
Dann über die mondhelle und stürmische Heide
führte er sie heimwärts ins stille Heidehans.
Und stille ward's auch in ihr, so weit der Tag
mit seinen Mühen reichte. Aber tief, tief im Herzen
glühte die Unrast der Erinnerung fort. Und diese
Erinnerung malte aus Schmerz und Liebe und
Scham und Zorn wundersame Bilder, deren Farben,
durch Tränennaß gebrochen, unklar leuchteten.
Nur wenn die Nacht kam, nnd der Regen sacht
ans Fenster pochte, die alte Wanduhr leise tickte,
und der Herbstwind verstohlen ums Haus schlich,
dann traten diese Bilder im Traum unverwischt vor
Mias Seele, dann sah sie die Gestalt, nach der sie
sich in Liebcssehnen verzehrte, deutlich vor sich stehen,
sah sie sich abwenden und verschwinden.
Wenn sie erwachte aus diesen Träumen, war
ihr Kissen von Tränen feucht.
Bisweilen übermannte sie Furcht vor der Zu-
kunft und das Bewußtsein, einen Hausstand zu haben,
der nicht ihr Hausstand war. Dann faßte sie des
alten Sodmann Hand am Herdseuer oder im Garten,
wo er sorgsam Gemüse für den Winter einerntete,
und drückte sie mit ihren weißen Fingern.
„Nur noch ein Weilchen, Sodmann!"
Sie wußte nicht, was nach diesem Weilchen
kommen sollte, und das machte ihr das Herz noch
schwerer.
Wenn's Winter ward, und die Heimatscholle wie
eine Insel im Schneemeer lag, abgeschnitten der
Weg selbst über die Heide nach Schwarken, dann
wollte sie beim stillen Lampenschein Sodmann nach
allem ausfragen, was sie schon wußte und noch
nicht wußte vom Leben der Tante Kamilla, und dar-
aus Belehrung und Kraft schöpfen für ihr eigenes
ringendes Herz.
Sie wollte alles, alles — nur vergessen!
Noch ein paar Tage, und das Manöver ging zu
Ende. Dann kam die Rückkehr in die Garnison,
dann der Urlaub Richards. Von Elbental aus würde
er Alexandra Luise sehen. Sie weilte jetzt in ihrem
Palast in der Residenz.
Und wenn sie sich sahen, schoß wieder die rote,
heiße Blüte der Liebe zwischen ihnen auf. Das
Possenspiel war ja nun zu Ende. Es bedurfte keiner
Opferung mehr — er war frei.
Bei dieser Vorstellung kam's jedesmal über sie
wie Todesnot,
Aber das wußte sie nicht, daß unter diesen Seelen-
kämpfen etwas in ihr keimte und wie ein Hauch
ihr Jugendstürmen durchwebte: eine süße Reife, die
das Kinderherz für die Geschicke des Weibes veredelte.
Wenn sie die Angen sinnend und träumend in
die Ferne richtete, als verhüllten Gedankenschleier
die Tiefe ihres Empfindens, dann kämpfte Willi
Selter, der jetzt häufig aus der Stadt ins Pfarr-
haus von Schwarken kam, an ihrer Seite den
schwersten Kampf, den Sehnsucht und Verlangen
durchkämpfen kann.
Dann hoffte er. Die Warnungen seines Vaters
gingen an ihm verloren.
Als sie eines Abends von einem Krankenbesuch
zurückkehrte über die Wiese, den Hut am Arm, das
Blondhaar vergoldet von Himmelsfarbe, schön und
rein wie eine Blume, trieb's ihn unwiderstehlich ihr
entgegen.
Sie reichte ihn: die Hand.
„Bin ich nicht ein Narr?" sagte er, sein heißes Ge-
fühl unter spöttischem Lachen verbergend. „Komme
so oft hierher, als gäbe es für mich keine Arbeit
in der Stadt."
„Alte Zeiten!" sagte sie harmlos.
„Alte Zeiten!" rief er bitter. „Man spricht ja
immer von guten alten Zeiten. Diesmal ist's
Wahrheit — sie war gut, die alte Zeit. Ich wünschte,
ich stände Ihrer Tante noch einmal gegenüber wie
damals, als die Wäsche im Garten flatterte. Nur
noch einmal diese Stunde."
„Wozu?" fragte sie und sah ihn erstaunt an.
Er hörte nicht darauf. „Heute, das schwöre ich,
würde Wunsch und Wille des alten Fräuleins das
letzte sein, dem ich mich fügte. Wie ein guter
braver Junge ließ ich mir auf die bittere Pille Honig
streichen — leere Versprechungen, Gefühlsphrasen.
Schon wie ich sie verschluckte, spürte ich den Nach-
geschmack. Wie konnte ich so töricht sein, in meine
Zukunft eingreifen zu lassen!"
„In welche Zukunft?" fragte Mia zerstreut.
Er sah ihr mit sprechendem Vorwurf in die
Augen. „Das wissen Sie nicht? Noch nicht? Noch
immer nicht?"
Sie ward dunkelrot. „Ich bitte Sie —" sagte
sie leise und mit unsicherer Stimme.
„Ich sage Ihnen ja, daß ich ein Narr bin," stieß
er leidenschaftlich hervor. „Aber das eine Zeugnis
müssen Sie mir doch geben: in Ihrem Glück schwieg
ich. Jetzt, — wo ist nun das Füllhorn des Glückes,
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von dem Sie mir sprachen? Wo ist es? Leer —
zerstoben!"
„Achtung vor meinem Leid könnte ich Wohl for-
dern," sagte sie mit zitternden Lippen, bis ins Herz
erschreckt von dieser Werbung.
„Vor Ihrem Leid will ich knieen," flüsterte er,
ihre Hand ergreifend und heftig drückend. „Aber
den werde ich hassen, der cs Ihnen zufügte, der
sich in mein Recht drängte und das, was ich wie
einen Schatz bewahren wollte —"
Sie machte sich frei. In ihren Augen flammte
ein edles Zürnen auf. „Ich habe wissentlich nichts
verschuldet an Ihrem Herzen, Sie aber tun dem
meinen wissentlich weh. Die Tränen, die ich meinem
Glück nachweine, gehören mir und Richard Mers-
bach an. Darüber zu spotten hat niemand ein Recht.
Ich habe meinen Gatten geliebt —"
Er unterbrach sie finster. „Und lieben ihn noch.
Mehr brauche ich nicht zu wissen. Nun, bin ich
nicht wirklich ein Narr, die Mieze von damals noch
immer zu suchen?"
Ihr weiches Herz gewann die Oberhand. „Sie
werden glücklich werden, auch ohne mich —"
„Eine Prophezeiung, für die ich meinen ergeben-
sten Dank sage," lächelte er spöttisch. „Ich werde
mir alle Mühe geben —"
Wie cr's gesagt, packte ihn schon die Reue.
„Wenn Sie wüßten, was diese Stunde in mir
auslöscht, ausreißt!"
Sie legte tief ergriffen ihre Rechte auf seinen
Arm. „Ich habe immer gemeint, das Herz könne
nur einmal sich verschenken. Nun spüre ich es doch,
daß ein Gefühl dem anderen, dem besseren, ein
fruchtbarer Boden werden kann — auch Ihnen."
„Wir wollen nicht so scheiden — in Unfrieden,"
sagte er kaum vernehmbar. „Wenn ich Ihnen weh
tat, mir selber tat ich noch unendlich weher. Ich
wünsche Ihnen nichts, denn ich weiß nicht was.
Mir aber wünsche ich endlich Befreiung von meiner
Jugendhofsnung und Freude an dem Glück, Sie
geliebt, zu haben."
Er reichte ihr hastig die Hand, drückte sie fest
und ging den Weg hinauf, den sie herabgekommen.
Zwan?igste5 Kapitel..... ....
Die Parade am Schluß deS letzten Manöver-
tages war glänzend verlaufen. Nun zogen und
stoben sie wieder auseinander, alle, welche die Be-
stimmungen des Generalkommandos zu körperlicher
und geistiger Arbeit versammelt hatte.
Der Urlaub des Rittmeisters v. Mersbach be-
gann mit diesem Tage. Seine Pferde marschierten
mit der Schwadron zurück. Er selbst benützte auf
der nächsten Station den Eilzug.
Als die Wagentür hinter ihm ins Schloß fiel,
er endlich allein mit sich und seinen Gedanken war,
ohne dienstlichen und kameradschaftlichen Zwang,
übermannte ihn eine tiefe Abspannung. Niemand
hatte eine Ahnung von dem, was er mit sich Herum-
trug, was unablässig ihn beherrschte und nur dem
Schlaf äußerster Ermüdung für Stunden wich.
Mehr als einmal hatte er die Feder angesetzt zu
einem abermaligen Versuch, Mias Herz zu bewegen
—- und sie wieder sinken lassen.
Was das lebendige Wort, was der persönliche
Eindruck nicht vermochten, wie sollten Papier und
Tinte dies bewirken? Zudem — über seine schon
gegebenen Versicherungen hinaus gab es kein Mehr.
Mit innerstem Schreckgesühl empfand er es, daß
eine Kluft sich zwischen Mia und ihm geöffnet, die
ein Beisammensein, wie sie es formell hätten fort-
führen können, nur noch vertiefen und erweitern
mußte.
So sah er keinen Ausweg aus diesem Wirrsal,
das lediglich seine Vergeßlichkeit am Abend vor dem
Ausrücken und Mias Abreise heraufbeschwvren,
keinen Ausweg, als den einen, vor dem jeder Ge-
danke und jeder Herzschlag in ihn: zurückbebte.
Am anderen Morgen hatte er die Residenz er-
reicht.
Die Sonne wollte nicht hinter den Wolken zum
Vorschein kommen. Grau in grau lag der junge
Tag in Nebeldunst, melancholisch wie die stiebenden
Blätter, deren kurze Pracht hastende Füße zertraten.
Der Wagen, welcher Mersbach erwartet hatte,
rollte in scharfem Trabe durch die Straßen. Wie.
lang würde ihm der Weg erschienen sein, führte
er ihn jetzt zu seinem jungen Weibe, das am Portal
schon die Arme nach ihm ausstreckte!
Wie er sich vorbog, sah er den erbprinzlichen
Palast vor sich liegen — die Flagge auf Halbmast
gezogen.
Ein kalter Schauer rieselte ihm durch den Leib.
Er schämte sich dieses Gefühls nicht.
Die Chaussee nach Elbental hinab jagte der Wind,
was er in Eile von den Bäumen rupfen konnte.
Ein Blätterregen ging nieder über das Wagen-
verdeck.
dir's gesagt in einer Stunde voll Glückseligkeit, wo
du wußtest, daß nichts in meinem Herzen lebte und
leben kann als du! Wenn ich dir so gebeichtet, bätte,
du hättest mir vergeben. Was willst du, das ich
noch tun soll? Wenn ich mich mit meiner Ehre
verbürge, mußt du mir glauben. Und ich schwöre
es dir bei meiner Ehre, du weißt jetzt alles. Nun
sei nicht kleinlich, Mia, sei nicht hart. Ich habe
dein Vertrauen auch ohne Liebe hochgeachtet, das
Zeugnis kannst du mir nicht versagen. Was wäre
das für eine Liebe, die nicht vergeben kann!"
„Vergabt ihr meiner Mutter?" stieß sie hervor.
„Von ihr ist jetzt nicht die Rede," sagte er mit
wachsender Unruhe, einen Blick auf seine Uhr wer-
fend, die unablässig die ihm gegebene Frist ver-
kürzte, „auch nicht allein von dir. Es stehen noch
andere Dinge auf dem Spiel — die Ehre unseres
Hauses, meines Standes. Wie willst du, daß deine
Flucht, deine Trennung von mir gedeutet werden
soll?"
„Ich will nichts," murmelte sie, „nichts mehr
von euch."
„Mia," sagte er gepreßt, „was wirst du tun,
wenn Reue über dich kommt?"
Sie schüttelte den Kopf. Zu der Anstrengung,
mit der sie sich aufrecht hielt, gesellte sich eine fiebernde
Angst, ihn fortgehen zu sehen
„Ich kann nicht länger bleiben," sagte er hastig.
„Mia, ein letztes Wort. Ich liebe dich, dich allein
— mehr als mich selbst. Bist du zufrieden? Glaubst
du's mir?"
Es rang in ihr nach Worten, nach einem er-
lösenden Schrei, allein sie brachte keinen Ton hervor.
Eine Blutwelle flog über seine Stirn. „So ist's
zu Ende. Weiter kann ich nicht gehen — mit Ehren
nicht. Du willst es so. Ich werde später —"
Er vollendete nicht. Schmerz und Zorn über-
-wältigten ihn. Noch einen letzten fragenden Blick
ließ er über ihr gesenktes Antlitz gleiten, dann wandte
er sich rasch und schritt durch die Heide davon.
Glaubend, hoffend und sehnend, daß ihre Blicke
ihn zurückrufen könnten, starrte sie ihm mit glanz-
losen Augen nach, ohne die Hand zu rühren, ohne
die Lippen zu bewegen.
Der Mittagswind huschte aus seinem Waldver-
steck und zauste die alte Kiefer, daß sie knarrende
Klagetöne ausstieß. Federwölkchen, schneeig und
rund, zogen am blauen Himmel dahin. Aus weiter
Ferne drang ein gellender Pfiff in die rastende
Stille und versank in duftender Ode.
Da war es Mia, als dränge sich eine schwarze
Mauer zwischen ihre Augen und die leuchtende
Sonnenscheibe, als schwelle der Wind im Kiefer-
geäst an zn einem brausenden Tosen. Mit ersticktem
Angstruf sank sie nieder. Die Sinne vergingen ihr,
als täte sie einen Fall ins Bodenlose. Das dumpfe
Räderrollen, welches Mersbach entführte, hörte sie
nicht.-
Da endlich war's, als höbe sich ein dichter Flor
von ihrem Haupte, erhellte und verdünnte sich. Eine
leise, warme Bewegung glitt über ihre Stirn, deut-
lich vernahm sie winselndes Klagen.
Mias Augen taten sich weit auf. Fips, ihr treuer
Genosse, saßnebenihr, beleckte ihre Stirn und heulte.
Sie wußte nicht, was ihr geschehen. Verwirrt,
verstört umfaßte ihr Blick die Einsamkeit, in der sie
lag. Ein schwerer Traum war über sie gegangen,
das fühlte sie. Und schwerer noch war das Erwachen
daraus, denn nun sie völlig zu sich kam, zerriß der
seelische Zwang, der ihr natürliches Empfinden um-
mauert hielt, hob sich die geistige Depression, welche
sie zu Boden drückte, wich die Starre, unter der ihr
kindliches Herz wie erstorben lag.
Ein Schluchzen drang über Mias Lippen, und
heiß und heißer brach der Tränenstrom erlösend sich
Bahn. Sie hielt die Hände vor ihr Gesicht ge-
preßt und weinte, als müsse sie ihr junges Leben
in diesem Schmerzenserguß hingeben, weinte, als
ob die Leidensguelle in ihr unerschöpflich sei, weinte
laut und schluchzend durch die öde Stills.
Neben ihr, treu ausharrend, saß der Pudel, die
Vorderpfoten auf ihre Knies gelegt, wedelnd und
wartend, daß eine Liebkosung für ihn abfiele.
Als sie erleichtert und doch todmüde den Heim-
weg antrat, war's ihr, als sei ihr Glück gestorben
und in der Heide begraben. Über seinem Grabe
habe sie geweint. —
Am anderen Morgen ging sie nach Schwarken,
sich im Liebesdienst nützlich zu machen, um zn ver-
gessen.
Pastor Sellcr fragte nichts mehr. Er sah ver-
gossene Tränen in ihren Augen. Da wußte er,
was in ihr vorging. Er führte sie an Leidensstätten
und hieß sie Linderung schaffen, wie sie's vermochte.
Er gab ihr die Sorge für andere als beste Stütze
in die Hand und beste Abwehr eigener Not. Und
wenn der Abend kam, dann holte er des alten Fräu-
leins Tagebuch hervor und ließ Mia Einsicht nehmen
— vaz kuch ftp MIe-
in den Kampfesmut einer tapferen Seele, in ihr
großes Lieben und Nievergessen.
Dann über die mondhelle und stürmische Heide
führte er sie heimwärts ins stille Heidehans.
Und stille ward's auch in ihr, so weit der Tag
mit seinen Mühen reichte. Aber tief, tief im Herzen
glühte die Unrast der Erinnerung fort. Und diese
Erinnerung malte aus Schmerz und Liebe und
Scham und Zorn wundersame Bilder, deren Farben,
durch Tränennaß gebrochen, unklar leuchteten.
Nur wenn die Nacht kam, nnd der Regen sacht
ans Fenster pochte, die alte Wanduhr leise tickte,
und der Herbstwind verstohlen ums Haus schlich,
dann traten diese Bilder im Traum unverwischt vor
Mias Seele, dann sah sie die Gestalt, nach der sie
sich in Liebcssehnen verzehrte, deutlich vor sich stehen,
sah sie sich abwenden und verschwinden.
Wenn sie erwachte aus diesen Träumen, war
ihr Kissen von Tränen feucht.
Bisweilen übermannte sie Furcht vor der Zu-
kunft und das Bewußtsein, einen Hausstand zu haben,
der nicht ihr Hausstand war. Dann faßte sie des
alten Sodmann Hand am Herdseuer oder im Garten,
wo er sorgsam Gemüse für den Winter einerntete,
und drückte sie mit ihren weißen Fingern.
„Nur noch ein Weilchen, Sodmann!"
Sie wußte nicht, was nach diesem Weilchen
kommen sollte, und das machte ihr das Herz noch
schwerer.
Wenn's Winter ward, und die Heimatscholle wie
eine Insel im Schneemeer lag, abgeschnitten der
Weg selbst über die Heide nach Schwarken, dann
wollte sie beim stillen Lampenschein Sodmann nach
allem ausfragen, was sie schon wußte und noch
nicht wußte vom Leben der Tante Kamilla, und dar-
aus Belehrung und Kraft schöpfen für ihr eigenes
ringendes Herz.
Sie wollte alles, alles — nur vergessen!
Noch ein paar Tage, und das Manöver ging zu
Ende. Dann kam die Rückkehr in die Garnison,
dann der Urlaub Richards. Von Elbental aus würde
er Alexandra Luise sehen. Sie weilte jetzt in ihrem
Palast in der Residenz.
Und wenn sie sich sahen, schoß wieder die rote,
heiße Blüte der Liebe zwischen ihnen auf. Das
Possenspiel war ja nun zu Ende. Es bedurfte keiner
Opferung mehr — er war frei.
Bei dieser Vorstellung kam's jedesmal über sie
wie Todesnot,
Aber das wußte sie nicht, daß unter diesen Seelen-
kämpfen etwas in ihr keimte und wie ein Hauch
ihr Jugendstürmen durchwebte: eine süße Reife, die
das Kinderherz für die Geschicke des Weibes veredelte.
Wenn sie die Angen sinnend und träumend in
die Ferne richtete, als verhüllten Gedankenschleier
die Tiefe ihres Empfindens, dann kämpfte Willi
Selter, der jetzt häufig aus der Stadt ins Pfarr-
haus von Schwarken kam, an ihrer Seite den
schwersten Kampf, den Sehnsucht und Verlangen
durchkämpfen kann.
Dann hoffte er. Die Warnungen seines Vaters
gingen an ihm verloren.
Als sie eines Abends von einem Krankenbesuch
zurückkehrte über die Wiese, den Hut am Arm, das
Blondhaar vergoldet von Himmelsfarbe, schön und
rein wie eine Blume, trieb's ihn unwiderstehlich ihr
entgegen.
Sie reichte ihn: die Hand.
„Bin ich nicht ein Narr?" sagte er, sein heißes Ge-
fühl unter spöttischem Lachen verbergend. „Komme
so oft hierher, als gäbe es für mich keine Arbeit
in der Stadt."
„Alte Zeiten!" sagte sie harmlos.
„Alte Zeiten!" rief er bitter. „Man spricht ja
immer von guten alten Zeiten. Diesmal ist's
Wahrheit — sie war gut, die alte Zeit. Ich wünschte,
ich stände Ihrer Tante noch einmal gegenüber wie
damals, als die Wäsche im Garten flatterte. Nur
noch einmal diese Stunde."
„Wozu?" fragte sie und sah ihn erstaunt an.
Er hörte nicht darauf. „Heute, das schwöre ich,
würde Wunsch und Wille des alten Fräuleins das
letzte sein, dem ich mich fügte. Wie ein guter
braver Junge ließ ich mir auf die bittere Pille Honig
streichen — leere Versprechungen, Gefühlsphrasen.
Schon wie ich sie verschluckte, spürte ich den Nach-
geschmack. Wie konnte ich so töricht sein, in meine
Zukunft eingreifen zu lassen!"
„In welche Zukunft?" fragte Mia zerstreut.
Er sah ihr mit sprechendem Vorwurf in die
Augen. „Das wissen Sie nicht? Noch nicht? Noch
immer nicht?"
Sie ward dunkelrot. „Ich bitte Sie —" sagte
sie leise und mit unsicherer Stimme.
„Ich sage Ihnen ja, daß ich ein Narr bin," stieß
er leidenschaftlich hervor. „Aber das eine Zeugnis
müssen Sie mir doch geben: in Ihrem Glück schwieg
ich. Jetzt, — wo ist nun das Füllhorn des Glückes,
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von dem Sie mir sprachen? Wo ist es? Leer —
zerstoben!"
„Achtung vor meinem Leid könnte ich Wohl for-
dern," sagte sie mit zitternden Lippen, bis ins Herz
erschreckt von dieser Werbung.
„Vor Ihrem Leid will ich knieen," flüsterte er,
ihre Hand ergreifend und heftig drückend. „Aber
den werde ich hassen, der cs Ihnen zufügte, der
sich in mein Recht drängte und das, was ich wie
einen Schatz bewahren wollte —"
Sie machte sich frei. In ihren Augen flammte
ein edles Zürnen auf. „Ich habe wissentlich nichts
verschuldet an Ihrem Herzen, Sie aber tun dem
meinen wissentlich weh. Die Tränen, die ich meinem
Glück nachweine, gehören mir und Richard Mers-
bach an. Darüber zu spotten hat niemand ein Recht.
Ich habe meinen Gatten geliebt —"
Er unterbrach sie finster. „Und lieben ihn noch.
Mehr brauche ich nicht zu wissen. Nun, bin ich
nicht wirklich ein Narr, die Mieze von damals noch
immer zu suchen?"
Ihr weiches Herz gewann die Oberhand. „Sie
werden glücklich werden, auch ohne mich —"
„Eine Prophezeiung, für die ich meinen ergeben-
sten Dank sage," lächelte er spöttisch. „Ich werde
mir alle Mühe geben —"
Wie cr's gesagt, packte ihn schon die Reue.
„Wenn Sie wüßten, was diese Stunde in mir
auslöscht, ausreißt!"
Sie legte tief ergriffen ihre Rechte auf seinen
Arm. „Ich habe immer gemeint, das Herz könne
nur einmal sich verschenken. Nun spüre ich es doch,
daß ein Gefühl dem anderen, dem besseren, ein
fruchtbarer Boden werden kann — auch Ihnen."
„Wir wollen nicht so scheiden — in Unfrieden,"
sagte er kaum vernehmbar. „Wenn ich Ihnen weh
tat, mir selber tat ich noch unendlich weher. Ich
wünsche Ihnen nichts, denn ich weiß nicht was.
Mir aber wünsche ich endlich Befreiung von meiner
Jugendhofsnung und Freude an dem Glück, Sie
geliebt, zu haben."
Er reichte ihr hastig die Hand, drückte sie fest
und ging den Weg hinauf, den sie herabgekommen.
Zwan?igste5 Kapitel..... ....
Die Parade am Schluß deS letzten Manöver-
tages war glänzend verlaufen. Nun zogen und
stoben sie wieder auseinander, alle, welche die Be-
stimmungen des Generalkommandos zu körperlicher
und geistiger Arbeit versammelt hatte.
Der Urlaub des Rittmeisters v. Mersbach be-
gann mit diesem Tage. Seine Pferde marschierten
mit der Schwadron zurück. Er selbst benützte auf
der nächsten Station den Eilzug.
Als die Wagentür hinter ihm ins Schloß fiel,
er endlich allein mit sich und seinen Gedanken war,
ohne dienstlichen und kameradschaftlichen Zwang,
übermannte ihn eine tiefe Abspannung. Niemand
hatte eine Ahnung von dem, was er mit sich Herum-
trug, was unablässig ihn beherrschte und nur dem
Schlaf äußerster Ermüdung für Stunden wich.
Mehr als einmal hatte er die Feder angesetzt zu
einem abermaligen Versuch, Mias Herz zu bewegen
—- und sie wieder sinken lassen.
Was das lebendige Wort, was der persönliche
Eindruck nicht vermochten, wie sollten Papier und
Tinte dies bewirken? Zudem — über seine schon
gegebenen Versicherungen hinaus gab es kein Mehr.
Mit innerstem Schreckgesühl empfand er es, daß
eine Kluft sich zwischen Mia und ihm geöffnet, die
ein Beisammensein, wie sie es formell hätten fort-
führen können, nur noch vertiefen und erweitern
mußte.
So sah er keinen Ausweg aus diesem Wirrsal,
das lediglich seine Vergeßlichkeit am Abend vor dem
Ausrücken und Mias Abreise heraufbeschwvren,
keinen Ausweg, als den einen, vor dem jeder Ge-
danke und jeder Herzschlag in ihn: zurückbebte.
Am anderen Morgen hatte er die Residenz er-
reicht.
Die Sonne wollte nicht hinter den Wolken zum
Vorschein kommen. Grau in grau lag der junge
Tag in Nebeldunst, melancholisch wie die stiebenden
Blätter, deren kurze Pracht hastende Füße zertraten.
Der Wagen, welcher Mersbach erwartet hatte,
rollte in scharfem Trabe durch die Straßen. Wie.
lang würde ihm der Weg erschienen sein, führte
er ihn jetzt zu seinem jungen Weibe, das am Portal
schon die Arme nach ihm ausstreckte!
Wie er sich vorbog, sah er den erbprinzlichen
Palast vor sich liegen — die Flagge auf Halbmast
gezogen.
Ein kalter Schauer rieselte ihm durch den Leib.
Er schämte sich dieses Gefühls nicht.
Die Chaussee nach Elbental hinab jagte der Wind,
was er in Eile von den Bäumen rupfen konnte.
Ein Blätterregen ging nieder über das Wagen-
verdeck.