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Tie Pferde standen. Der alte Hausmeister
öffnete den Schlag. Mersbach reichte ihm flüchtig
die Hand und eilte die Treppe hinauf. Bevor die
^1-eiirau ihr Zimmer verlassen und auf dem Flur
chm entgegentreten konnte, stand er vor ihr.
Er zog ihre Rechte an seine Lippen. Unter allen
Umständen wollte er ruhig bleibeu.
„Du siehst nicht gut aus, mein Sohn," sagte
sie besorgt.
„Dazu ist auch keine Ursache." Wie er es sagte,
kam's doch wieder wie Fieber über ihn. „Mutter,
warum konntest du dich nicht bezwingen, wenigstens
aus Liebe zu mir?"
„Diese Frage mußte ja an mich kommen," sagte
sie, seine Hand festhaltend, „aber wenn du wüßtest —"
„Daß sie ein tiberströmendes und impulsives
Kind ist, das wußten wir, du und ich. Danach
mußtest du Stellung nehmen. Für sie sind Gründe
nichts, Gefühl alles."
„Frage Seller, ob ich ihm nicht gesagt habe, als
Kind des ärmsten Bettlers würde ich sie will-
kommenheißen, dir zuliebe; aber als Tochter dieses
Mannes —"
„Mutter," fiel er mit steigender Ungeduld ein,
„über zwei Grabern sollte wohl der Haß zur Ruhe
kommen! Oder wie viele fordert der deine sonst
noch?"
Sie erschrak und faßte abermals nach seiner
Hand. „Du sprichst von ihrem Gefühlsreichtum —
warum holst du sie nicht zurück?"
Als er ihr sagte, was geschehen, und sie die
Leidspuren in seinen Zügen las, kam die alte Ab-
neigung wieder über sie.
„Ich habe dich gewarnt, weiter zu gehen — da-
mals, als es noch Zeit war. In ihrem Blut liegt
eine vererbte Gegensätzlichkeit gegen das unsere.
Jetzt erfährst du's an dir selber."
„Ich erfahre nichts, als daß ich ein Weib ver-
liere, welches ich mit allen Fasern meines Herzens
liebe," sagte er hastig. „Ein Weib, dem ich Irrtum
und Unglauben mit allem, was mir zu Gebote steht,
aus der Brust reißen möchte."
„So tue es," sagte die Baronin bitter. „Und
sieh zu, was dir bei nächster Gelegenheit das
Franksche Bluterbe in den Weg stellen wird. Es
lebt in ewiger Empörung gegen uns."
„Das ist eine fixe Idee!" rief er scharf auflachend.
„Wenn je eine Frau sich wie sormweiches Wachs
in die Hände eines Mannes gab, so ist es Mia,
Franks Tochter, Mariannes Kind. Und der sie da-
mals hinterging, aus schlimmer Absicht nicht, aber
doch hinterging, bin ich — dein Sohn." Er fuhr
sich hastig über die Stirn. „Die Sache ist geschehen,
vorbei, tot. Mit Mias Liebe zu mir hätte ich den
häßlichen Riß zwischen euch schließen können."
„Wenn sie so wenig Einsicht besitzt, über längst-
vergangene Dinge sich den Kopf zu zerbrechen, so
wenig Stolz, die Zugehörigkeit zu dir und mir für
nichts zu achten, wenn sie der eigenen Würde und
ihrer Stellung als deine Frau den kindischen Trotz
nicht beugen kann, wessen willst du dich dann von
ihr versehen, wenn ernste Dinge an euch heran-
treten?"
„Ihr ist's ernst, Mutter — bei Gott!"
„Lächerlich. Von einer Fürstin geliebt worden
zu sein, die AlexandrmLuise heißt, muß jeder Frau
schmeicheln."
„Der Vorwurf liegt für mich nicht dort, sondern
wo anders."
Sie zuckte unbeugsam die Achsel. „Daß du
gerade auf Franks Tochter verfielst, das war der
Fehler. Bist du denn plötzlich fo unerfahren, daß
du meinst, ein jeder Mann gestehe jedem Mädchen,
weshalb er fie zur Frau nimmt? — Nun also!
Der eine tut's um Geld, um Konnexionen der andere,
der dritte will Namen und Familie sich anheiraten.
Du tatest es aus loyaler Gesinnung."
Er schüttelte abwehrend die Hand. „Meine
loyale Gesinnung hatte spottwenig damit zu tun.
Eine Frau nicht bloßzustellen, ist Ehrensache. An
mich, das schwöre ich, habe ich in jenem Moment
nicht gedacht. Die Frau, die für uns ihre Existenz
wagt, preiszugeben, ist feige, niederträchtig. Ich
hätte Alexandra Luise mit meinem Leben geschützt,
wenn diese Opferung für fie von Wert gewesen
wäre. So opferte ich, was ich für nützlich yielt."
„Opfer!" sagte die Freifrau abweisend. „Tau-
sende hätten sicb dazu gedrängt, dieses Opfer zu
sein, auf ihrem Opferstein die Herrschaft Elbental
und dich, mein Sohn, zu finden, hätten die Täu-
schung reichlich ausgewogen gefunden durch das,
was an Vorzügen und Überfluß drum und dran
hängt. Mias Verhalten streift ans Phantastische.
Ein Mädchen ohne einen Pfennig Vermögen, ohne
andere Ausficht als die, ihr Brot felbst zu verdienen
oder vielleicht eines dreisten Ritters, der sich Rechts-
anwalt Seller nannte, Frau zu werden
„Was sagst du da?" fiel Mersbach leidenschaft-
— Vas Luch sül- MIe-
lich ein. „Pastor Seilers Solm? Wie kommst du
darauf, Mutter?"
„Ich spreche nur meine Ansicht aus. Ein solches
Mädchen, abhängig und arm, sollte das bißchen
Sentimentalität nicht ausgehen lassen in dem Er-
satz, der ihr dafür geboten wird? Ich bitte dich,
mein Sohn — mit deiner eigenen Täuschung ver-
rennst du dir den Weg."
Die Arme über der Brust verschlungen war er
auf und nieder gegangen, das in sich zu unterdrücken,
was in ihm Überhand gewinnen wollte. Dann
blieb er vor seiner Mutter stehen. „Wenn Tausende,
wie du sagst, die Täuschung ihres Herzens für einen
guten Boden halten, Perlen und Brillanten darauf
zu säen, und die Herrschaft Elbental für groß genug,
Alexandra Luises Brief damit zu decken — fo sage
ich dir jetzt: wenn Tausende diese Vollgültigkeit mit
Dank annehmen, und Mia weist fie mit Tränen
zurück, so ist sie eben tausendmal wertvoller als jene,
die sich zu dem Possenspiel — so steht es in dem
Briefe — hergeben. Ich weiß, du hältst auch mich
für eineu Phantasten, der mit seinen Empfindungen
wie mit Glaskugeln im Sonnenlicht spielt, daß fie
recht zudringlich in die Augen fallen. Aber ich
schwöre es dir, so verzweifelt ich in diesem Augen-
blick vor dir stehe: hätte Mia dieses Wechselgeschäft
so betrieben, wie du meinst, ich ließe mir keine
grauen Haare wachsen um unsere Trennung, son-
dern deckte mit einer tüchtigen Jahresrente zu, was
ich au ihrem Glauben verschuldet. Wenn du noch
etwas Schmuck und Silber dazu legtest, würde sie
ja springen vor Freude —"
„Du schweifst ins Unbeweisbare!"
„Und dann —" unterbrach er sie, ein paar schnelle
Schritte machend — „du sprichst von der Empörung
ihres Blutes gegen uns. Empörung ist doch nichts
Zufälliges, fie hat doch ihren Grund. Wenn das
väterliche und mütterliche Blut in ihr sich gegen
uns auflehnt, so ist doch eine Schuld vorhanden:
bei uns! So ist doch die Empörung als Folge
nicht so tadelnswert als die Ursache: unsere Härte.
Wie können wir Mia also einen Vorwurf machen,
wenn sie wirklich uns gehässig gesinnt wäre?"
„Du überfliegst da Gebiete, mein Solm —"
„Sage felbst," fiel er ihr fest ins Wort, so daß
sie den Blick nicht von ihm wenden konnte, „was
wäre aus Mia geworden, hätte Kamilla Helling
nicht ihre rettende Hand ausgestreckt? Was hätte
deine Unversöhnlichkeit aus ihr gemacht? Ich will's
dir sagen. Zwei Gewalten hätten iie in die Mitte
genommen, die Furien des Elends: Verführung und
Begehrlichkeit —"
„Genug!"
Er lachte bitter auf. „Ich will dir ehrlich sagen,
Mutter," murmelte er, sich unwillkürlich umsehend,
ob kein Lauscher in der Nähe, „wenn Mia uns
ingrimmig haßte als die tödlichsten Feinde ihrer
gefährdeten Jugend, sie hätte recht."
Vor seinen: leidenden Blick und vor feiner tief-
quellenden Bitterkeit schwieg sie.
Er trat ans Fenster und trocknete feine Stirn.
Diese Erörterung, an der er schwer getragen, war
zu Ende.
Der Nebel, der sich nur flüchtig gehoben, sank
wieder zu Boden. Wie ein graues Tuch spannte er
sich von Ast zu Ast. Es begann zu tropfen.
Mersbach wandte sich vom Fenster zurück. „Wann
ist die Erbprinzessin gestorben?"
„Die Erbprinzessin?" fragte die Baronin erstaunt.
„Was fällt dir ein?"
„Sie ist nicht tot?"
„Die alte Prinzeß Christiane ist vorgestern plötz-
lich verschieden. Morgen nachmittag ist Trauer-
gottesdienst und Beisetzung in der Schloßkirche. Das
Hofmarschallamt hat uns die Eintrittskarten bereits
zugefandt. Es würde auffallen, erschienst du nicht
mit mir."
„Wissen denn die Herrschaften schon, daß ich hier-
auf Urlaub bin?" fragte er ungeduldig.
„Ich war vor einigen Tagen zum Tee bei der
Oberhosmeisterin Exzellenz Besserlich. Die Herzogin
erkundigte sich sehr gnädig nach dir und deiner Frau.
Die Erbprinzessin sah übrigens leidend aus."
Er biß sich auf die Lippe. „Und — was sagtest
du?"
„Mia befände sich augenblicklich zum Besuch bei
ihrem früheren Vormund und Erzieher Pastor Seller
in Schwarken, was sehr beifällig ausgenommen
wurde. Der Manu erfreut sich seltsamerweise eines
besonders günstigen Rufes und Ansehens bei Hofe."
Er wollte hastig eine Frage dazwischen schieben,
unterließ es aber und ging hinaus.
Die Bemerkung, welche seine Mutter mißächt-
lich hingeworfen hatte in Erinnerung an die Ab-
weisung, welche sie damals von feiten Willi Sellers
erfuhr, hatte sich in Morsbachs Herz tief genug
eingefresfen, um darin fortzuwirken und fortzugären.
Er kannte den Rechtsanwalt nicht. Mia hatte ja
seiner hier und da erwähnt, aber nichts auf der
Erde war ihm so gleichgültig gewesen wie dieser
Mann.
Nun erschien er ihm plötzlich in einem anderen
Lichte, in einem ganz anderen Zusammenhang mit
Mia, an deren berückendem Liebreiz er unmöglich
kalt vorübergegangen sein konnte.
Und wie leicht konnte in den aufgewühlten Boden
auch ihrer Gefühle ein neues Samenkorn gepflanzt
werden, das dann nmso rascher und üppiger in
Blüte schoß! Vielleicht hatte dieses Samenkorn
schon Wurzel gefaßt, als Mia seine Annäherung
mit starrer Unzugänglichkeit zurückwies.
Diese Vorstellung packte Mersbach mit nie ge-
kannter Eifersuchtsqual. Machtlos sollte er es einem
fremden Manne überlassen, feines Weibes Liebe zu
gewinnen! Der Gedanke schlich wie Gift durch sein
Blut.
Es war eine elende Nacht, die er daheim ver-
brachte. —
Als am nächsten Nachmittag die in tiefe Trauer
gekleidete Freifrau ihren Sohn zur Fahrt in die
Schloßkirche erwartete, erschrak sie vor der Blässe
seiner Züge und dem überwachten Glanz seiner
Augen.
Von den Glocken aller Kirchen der Residenz
wurde mit lautem Schall verkündet, daß die Stunde
herbeigekommen, da ein Mitglied des regierenden
Hauses in die Gruft hinabsteigen sollte, um ver-
gessen zu werden.
Dieses Mitglied war allerdings schon bei Leb-
zeiten so gut wie vergessen gewesen und brachte sich
durch seinen Tod erst wieder in Erinnerung.
Ganz plötzlich war die Katastrophe im alten
Schloß eingetreten und hätte Kleeschen fast mit-
genommen vor Schreck. Die Wachskerzen, deren
mildes Licyt so friedlich wie immer über das Plätz-
chen am Kaminfeuer fiel und die Gesichter der drei
alten Damen beleuchtete, zeigten durch nichts an,'
daß langsam und mit ausgestreckter Hand eine dunkle
Gestalt über die Zimmerschwelle trat und auf die
alte Hoheit zuschritt, ihr einen Schlag gegen das
Herz zu geben.
Die altmodische Uhr tickte ruhig fort, und die
Stricknadeln klapperten um die Wette zur Weih-
nachtsbescherung armer Kinder — da, mitten im
angefangenen Satze, tat die alte Prinzeß plötzlich
einen Seufzer, als wenn ihr etwas beschwerlich
werde, und ließ ihr Strickzeug fallen.
Die Vorleserin bückte sich mit tunlichster Eile —
da war's schon vorüber.
Kleeschen fiel in Ohnmacht, als fie die toten
Augen ihrer Gebieterin und Freundin auf sich ge-
richtet sah. Dann aber saß sie stundenlang, in
schwarzer Krepphaube und schwarzen wollenen
Handschuhen, eingewickelt in ein großes schwarzes
Tuch, neben dem Sarge und weinte, so viel? Tränen
ihre alten Tränendrüsen noch hergeben wollten.
Nun stand der silber-beschlagene Eichensarg, dar-
über die kronengestickte Purpursamtdecke lag, auf
dem Katafalk vor dem Altar — Blumenberge zu
allen Seiten. Rechts ein Kiffen mit den Orden
der Prinzessin, links Handschube und Fächer. Wachs-
kerzen in mächtigen Kandelabern warfen ihr gelbes
Licht über die Majestät der letzten Daseinsstunde,
bevor ein armer, erlöster Pilger hinabsteigt zur
Ewigkeitsruhe.
Zur Seite des Altars standen Stühle für die
höchsten Herrschaften und bevorrechtigte Leid-
tragende, darunter das mühsam schreitende Klees-
chen, der eine Anverwandte des Hauses den Arm
bot und sie sorgsam zu ihrem Platz geleitete, wo
sie diesmal nicht Gegenstand des Spottes, sondern
aufrichtiger Teilnahme war.
Auch Frau v. Mersbach gehörte zu diesen Be-
vorrechtigten, welche einen Stuhl einnehmen durften,
während der Rittmeister unweit der Kanzel Auf-
stellung nahm.
In der gedrängt Volten Kirche regte sich kein
Laut, als jetzt die Orgel mit sanften Tönen ein-
setzte. Untec Vortritt des Hofmarschalls, empfangen
und geleitet von der Geistlichkeit, betraten die höchsten
Herrschaften das Gotteshaus.
Hinter dem herzoglichen Paare schritten der Erb-
prinz und die Erbprinzessin Alexandra Luise. Hoch
und schlank, tiefverschleiert, ging sie den Mittelgang
hinunter, das Unwahre und Gemachte dieser Trauer-
feier mit bitterem Sarkasmus empfindend.
„Wie sie so sanft ruh'», alle die Seligen —"
Es waren wunderschöne Stimmen, die dieses
Trostlied vom Chor herab sangen. Alexandra Luise
taten sie weh.
Das ganze Leben tat ihr weh. Auf einen falschen
Ton gestimmt, war es harmonisch nicht mehr zu
gestalten.
Die schöngesetzten Worte des Hvspredigers, der
mühsam die überlieferten guten Eigenschaften der
Tie Pferde standen. Der alte Hausmeister
öffnete den Schlag. Mersbach reichte ihm flüchtig
die Hand und eilte die Treppe hinauf. Bevor die
^1-eiirau ihr Zimmer verlassen und auf dem Flur
chm entgegentreten konnte, stand er vor ihr.
Er zog ihre Rechte an seine Lippen. Unter allen
Umständen wollte er ruhig bleibeu.
„Du siehst nicht gut aus, mein Sohn," sagte
sie besorgt.
„Dazu ist auch keine Ursache." Wie er es sagte,
kam's doch wieder wie Fieber über ihn. „Mutter,
warum konntest du dich nicht bezwingen, wenigstens
aus Liebe zu mir?"
„Diese Frage mußte ja an mich kommen," sagte
sie, seine Hand festhaltend, „aber wenn du wüßtest —"
„Daß sie ein tiberströmendes und impulsives
Kind ist, das wußten wir, du und ich. Danach
mußtest du Stellung nehmen. Für sie sind Gründe
nichts, Gefühl alles."
„Frage Seller, ob ich ihm nicht gesagt habe, als
Kind des ärmsten Bettlers würde ich sie will-
kommenheißen, dir zuliebe; aber als Tochter dieses
Mannes —"
„Mutter," fiel er mit steigender Ungeduld ein,
„über zwei Grabern sollte wohl der Haß zur Ruhe
kommen! Oder wie viele fordert der deine sonst
noch?"
Sie erschrak und faßte abermals nach seiner
Hand. „Du sprichst von ihrem Gefühlsreichtum —
warum holst du sie nicht zurück?"
Als er ihr sagte, was geschehen, und sie die
Leidspuren in seinen Zügen las, kam die alte Ab-
neigung wieder über sie.
„Ich habe dich gewarnt, weiter zu gehen — da-
mals, als es noch Zeit war. In ihrem Blut liegt
eine vererbte Gegensätzlichkeit gegen das unsere.
Jetzt erfährst du's an dir selber."
„Ich erfahre nichts, als daß ich ein Weib ver-
liere, welches ich mit allen Fasern meines Herzens
liebe," sagte er hastig. „Ein Weib, dem ich Irrtum
und Unglauben mit allem, was mir zu Gebote steht,
aus der Brust reißen möchte."
„So tue es," sagte die Baronin bitter. „Und
sieh zu, was dir bei nächster Gelegenheit das
Franksche Bluterbe in den Weg stellen wird. Es
lebt in ewiger Empörung gegen uns."
„Das ist eine fixe Idee!" rief er scharf auflachend.
„Wenn je eine Frau sich wie sormweiches Wachs
in die Hände eines Mannes gab, so ist es Mia,
Franks Tochter, Mariannes Kind. Und der sie da-
mals hinterging, aus schlimmer Absicht nicht, aber
doch hinterging, bin ich — dein Sohn." Er fuhr
sich hastig über die Stirn. „Die Sache ist geschehen,
vorbei, tot. Mit Mias Liebe zu mir hätte ich den
häßlichen Riß zwischen euch schließen können."
„Wenn sie so wenig Einsicht besitzt, über längst-
vergangene Dinge sich den Kopf zu zerbrechen, so
wenig Stolz, die Zugehörigkeit zu dir und mir für
nichts zu achten, wenn sie der eigenen Würde und
ihrer Stellung als deine Frau den kindischen Trotz
nicht beugen kann, wessen willst du dich dann von
ihr versehen, wenn ernste Dinge an euch heran-
treten?"
„Ihr ist's ernst, Mutter — bei Gott!"
„Lächerlich. Von einer Fürstin geliebt worden
zu sein, die AlexandrmLuise heißt, muß jeder Frau
schmeicheln."
„Der Vorwurf liegt für mich nicht dort, sondern
wo anders."
Sie zuckte unbeugsam die Achsel. „Daß du
gerade auf Franks Tochter verfielst, das war der
Fehler. Bist du denn plötzlich fo unerfahren, daß
du meinst, ein jeder Mann gestehe jedem Mädchen,
weshalb er fie zur Frau nimmt? — Nun also!
Der eine tut's um Geld, um Konnexionen der andere,
der dritte will Namen und Familie sich anheiraten.
Du tatest es aus loyaler Gesinnung."
Er schüttelte abwehrend die Hand. „Meine
loyale Gesinnung hatte spottwenig damit zu tun.
Eine Frau nicht bloßzustellen, ist Ehrensache. An
mich, das schwöre ich, habe ich in jenem Moment
nicht gedacht. Die Frau, die für uns ihre Existenz
wagt, preiszugeben, ist feige, niederträchtig. Ich
hätte Alexandra Luise mit meinem Leben geschützt,
wenn diese Opferung für fie von Wert gewesen
wäre. So opferte ich, was ich für nützlich yielt."
„Opfer!" sagte die Freifrau abweisend. „Tau-
sende hätten sicb dazu gedrängt, dieses Opfer zu
sein, auf ihrem Opferstein die Herrschaft Elbental
und dich, mein Sohn, zu finden, hätten die Täu-
schung reichlich ausgewogen gefunden durch das,
was an Vorzügen und Überfluß drum und dran
hängt. Mias Verhalten streift ans Phantastische.
Ein Mädchen ohne einen Pfennig Vermögen, ohne
andere Ausficht als die, ihr Brot felbst zu verdienen
oder vielleicht eines dreisten Ritters, der sich Rechts-
anwalt Seller nannte, Frau zu werden
„Was sagst du da?" fiel Mersbach leidenschaft-
— Vas Luch sül- MIe-
lich ein. „Pastor Seilers Solm? Wie kommst du
darauf, Mutter?"
„Ich spreche nur meine Ansicht aus. Ein solches
Mädchen, abhängig und arm, sollte das bißchen
Sentimentalität nicht ausgehen lassen in dem Er-
satz, der ihr dafür geboten wird? Ich bitte dich,
mein Sohn — mit deiner eigenen Täuschung ver-
rennst du dir den Weg."
Die Arme über der Brust verschlungen war er
auf und nieder gegangen, das in sich zu unterdrücken,
was in ihm Überhand gewinnen wollte. Dann
blieb er vor seiner Mutter stehen. „Wenn Tausende,
wie du sagst, die Täuschung ihres Herzens für einen
guten Boden halten, Perlen und Brillanten darauf
zu säen, und die Herrschaft Elbental für groß genug,
Alexandra Luises Brief damit zu decken — fo sage
ich dir jetzt: wenn Tausende diese Vollgültigkeit mit
Dank annehmen, und Mia weist fie mit Tränen
zurück, so ist sie eben tausendmal wertvoller als jene,
die sich zu dem Possenspiel — so steht es in dem
Briefe — hergeben. Ich weiß, du hältst auch mich
für eineu Phantasten, der mit seinen Empfindungen
wie mit Glaskugeln im Sonnenlicht spielt, daß fie
recht zudringlich in die Augen fallen. Aber ich
schwöre es dir, so verzweifelt ich in diesem Augen-
blick vor dir stehe: hätte Mia dieses Wechselgeschäft
so betrieben, wie du meinst, ich ließe mir keine
grauen Haare wachsen um unsere Trennung, son-
dern deckte mit einer tüchtigen Jahresrente zu, was
ich au ihrem Glauben verschuldet. Wenn du noch
etwas Schmuck und Silber dazu legtest, würde sie
ja springen vor Freude —"
„Du schweifst ins Unbeweisbare!"
„Und dann —" unterbrach er sie, ein paar schnelle
Schritte machend — „du sprichst von der Empörung
ihres Blutes gegen uns. Empörung ist doch nichts
Zufälliges, fie hat doch ihren Grund. Wenn das
väterliche und mütterliche Blut in ihr sich gegen
uns auflehnt, so ist doch eine Schuld vorhanden:
bei uns! So ist doch die Empörung als Folge
nicht so tadelnswert als die Ursache: unsere Härte.
Wie können wir Mia also einen Vorwurf machen,
wenn sie wirklich uns gehässig gesinnt wäre?"
„Du überfliegst da Gebiete, mein Solm —"
„Sage felbst," fiel er ihr fest ins Wort, so daß
sie den Blick nicht von ihm wenden konnte, „was
wäre aus Mia geworden, hätte Kamilla Helling
nicht ihre rettende Hand ausgestreckt? Was hätte
deine Unversöhnlichkeit aus ihr gemacht? Ich will's
dir sagen. Zwei Gewalten hätten iie in die Mitte
genommen, die Furien des Elends: Verführung und
Begehrlichkeit —"
„Genug!"
Er lachte bitter auf. „Ich will dir ehrlich sagen,
Mutter," murmelte er, sich unwillkürlich umsehend,
ob kein Lauscher in der Nähe, „wenn Mia uns
ingrimmig haßte als die tödlichsten Feinde ihrer
gefährdeten Jugend, sie hätte recht."
Vor seinen: leidenden Blick und vor feiner tief-
quellenden Bitterkeit schwieg sie.
Er trat ans Fenster und trocknete feine Stirn.
Diese Erörterung, an der er schwer getragen, war
zu Ende.
Der Nebel, der sich nur flüchtig gehoben, sank
wieder zu Boden. Wie ein graues Tuch spannte er
sich von Ast zu Ast. Es begann zu tropfen.
Mersbach wandte sich vom Fenster zurück. „Wann
ist die Erbprinzessin gestorben?"
„Die Erbprinzessin?" fragte die Baronin erstaunt.
„Was fällt dir ein?"
„Sie ist nicht tot?"
„Die alte Prinzeß Christiane ist vorgestern plötz-
lich verschieden. Morgen nachmittag ist Trauer-
gottesdienst und Beisetzung in der Schloßkirche. Das
Hofmarschallamt hat uns die Eintrittskarten bereits
zugefandt. Es würde auffallen, erschienst du nicht
mit mir."
„Wissen denn die Herrschaften schon, daß ich hier-
auf Urlaub bin?" fragte er ungeduldig.
„Ich war vor einigen Tagen zum Tee bei der
Oberhosmeisterin Exzellenz Besserlich. Die Herzogin
erkundigte sich sehr gnädig nach dir und deiner Frau.
Die Erbprinzessin sah übrigens leidend aus."
Er biß sich auf die Lippe. „Und — was sagtest
du?"
„Mia befände sich augenblicklich zum Besuch bei
ihrem früheren Vormund und Erzieher Pastor Seller
in Schwarken, was sehr beifällig ausgenommen
wurde. Der Manu erfreut sich seltsamerweise eines
besonders günstigen Rufes und Ansehens bei Hofe."
Er wollte hastig eine Frage dazwischen schieben,
unterließ es aber und ging hinaus.
Die Bemerkung, welche seine Mutter mißächt-
lich hingeworfen hatte in Erinnerung an die Ab-
weisung, welche sie damals von feiten Willi Sellers
erfuhr, hatte sich in Morsbachs Herz tief genug
eingefresfen, um darin fortzuwirken und fortzugären.
Er kannte den Rechtsanwalt nicht. Mia hatte ja
seiner hier und da erwähnt, aber nichts auf der
Erde war ihm so gleichgültig gewesen wie dieser
Mann.
Nun erschien er ihm plötzlich in einem anderen
Lichte, in einem ganz anderen Zusammenhang mit
Mia, an deren berückendem Liebreiz er unmöglich
kalt vorübergegangen sein konnte.
Und wie leicht konnte in den aufgewühlten Boden
auch ihrer Gefühle ein neues Samenkorn gepflanzt
werden, das dann nmso rascher und üppiger in
Blüte schoß! Vielleicht hatte dieses Samenkorn
schon Wurzel gefaßt, als Mia seine Annäherung
mit starrer Unzugänglichkeit zurückwies.
Diese Vorstellung packte Mersbach mit nie ge-
kannter Eifersuchtsqual. Machtlos sollte er es einem
fremden Manne überlassen, feines Weibes Liebe zu
gewinnen! Der Gedanke schlich wie Gift durch sein
Blut.
Es war eine elende Nacht, die er daheim ver-
brachte. —
Als am nächsten Nachmittag die in tiefe Trauer
gekleidete Freifrau ihren Sohn zur Fahrt in die
Schloßkirche erwartete, erschrak sie vor der Blässe
seiner Züge und dem überwachten Glanz seiner
Augen.
Von den Glocken aller Kirchen der Residenz
wurde mit lautem Schall verkündet, daß die Stunde
herbeigekommen, da ein Mitglied des regierenden
Hauses in die Gruft hinabsteigen sollte, um ver-
gessen zu werden.
Dieses Mitglied war allerdings schon bei Leb-
zeiten so gut wie vergessen gewesen und brachte sich
durch seinen Tod erst wieder in Erinnerung.
Ganz plötzlich war die Katastrophe im alten
Schloß eingetreten und hätte Kleeschen fast mit-
genommen vor Schreck. Die Wachskerzen, deren
mildes Licyt so friedlich wie immer über das Plätz-
chen am Kaminfeuer fiel und die Gesichter der drei
alten Damen beleuchtete, zeigten durch nichts an,'
daß langsam und mit ausgestreckter Hand eine dunkle
Gestalt über die Zimmerschwelle trat und auf die
alte Hoheit zuschritt, ihr einen Schlag gegen das
Herz zu geben.
Die altmodische Uhr tickte ruhig fort, und die
Stricknadeln klapperten um die Wette zur Weih-
nachtsbescherung armer Kinder — da, mitten im
angefangenen Satze, tat die alte Prinzeß plötzlich
einen Seufzer, als wenn ihr etwas beschwerlich
werde, und ließ ihr Strickzeug fallen.
Die Vorleserin bückte sich mit tunlichster Eile —
da war's schon vorüber.
Kleeschen fiel in Ohnmacht, als fie die toten
Augen ihrer Gebieterin und Freundin auf sich ge-
richtet sah. Dann aber saß sie stundenlang, in
schwarzer Krepphaube und schwarzen wollenen
Handschuhen, eingewickelt in ein großes schwarzes
Tuch, neben dem Sarge und weinte, so viel? Tränen
ihre alten Tränendrüsen noch hergeben wollten.
Nun stand der silber-beschlagene Eichensarg, dar-
über die kronengestickte Purpursamtdecke lag, auf
dem Katafalk vor dem Altar — Blumenberge zu
allen Seiten. Rechts ein Kiffen mit den Orden
der Prinzessin, links Handschube und Fächer. Wachs-
kerzen in mächtigen Kandelabern warfen ihr gelbes
Licht über die Majestät der letzten Daseinsstunde,
bevor ein armer, erlöster Pilger hinabsteigt zur
Ewigkeitsruhe.
Zur Seite des Altars standen Stühle für die
höchsten Herrschaften und bevorrechtigte Leid-
tragende, darunter das mühsam schreitende Klees-
chen, der eine Anverwandte des Hauses den Arm
bot und sie sorgsam zu ihrem Platz geleitete, wo
sie diesmal nicht Gegenstand des Spottes, sondern
aufrichtiger Teilnahme war.
Auch Frau v. Mersbach gehörte zu diesen Be-
vorrechtigten, welche einen Stuhl einnehmen durften,
während der Rittmeister unweit der Kanzel Auf-
stellung nahm.
In der gedrängt Volten Kirche regte sich kein
Laut, als jetzt die Orgel mit sanften Tönen ein-
setzte. Untec Vortritt des Hofmarschalls, empfangen
und geleitet von der Geistlichkeit, betraten die höchsten
Herrschaften das Gotteshaus.
Hinter dem herzoglichen Paare schritten der Erb-
prinz und die Erbprinzessin Alexandra Luise. Hoch
und schlank, tiefverschleiert, ging sie den Mittelgang
hinunter, das Unwahre und Gemachte dieser Trauer-
feier mit bitterem Sarkasmus empfindend.
„Wie sie so sanft ruh'», alle die Seligen —"
Es waren wunderschöne Stimmen, die dieses
Trostlied vom Chor herab sangen. Alexandra Luise
taten sie weh.
Das ganze Leben tat ihr weh. Auf einen falschen
Ton gestimmt, war es harmonisch nicht mehr zu
gestalten.
Die schöngesetzten Worte des Hvspredigers, der
mühsam die überlieferten guten Eigenschaften der